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Texte von Dietrich Bonhoeffer (1906-1945)
 

 

 

 

 

Wer wird Weihnachten recht feiern?
Wer alle Gewalt, alle Ehre
alles Ansehen, alle Eitelkeit,
allen Hochmut,
alle Eigenwilligkeit
endlich niederlegt an der Krippe.
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Gott wird Mensch, wirklicher Mensch.
Während wir uns bemühen,
über unser Menschsein hinauszuwachsen,
den Menschen hinter uns zu lassen,
wird Gott Mensch und wir müssen erkennen,
daß Gott will, daß auch wir - Menschen,
wirkliche Menschen, seien.
Während wir unterscheiden
zwischen Frommen und Gottlosen,
Guten und Bösen,
Edlen und Gemeinen,
liebt Gott unterschiedslos
den wirklichen Menschen.
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Aus Liebe zum Menschen
wird Gott Mensch.
Er sucht sich nicht den
vollkommensten Menschen,
um sich mit ihm zu verbinden,
sonder er nimmt menschliches Wesen an,
wie es ist.
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Jesus steht vor der Tür
und klopft an,
ganz in Wirklichkeit,
er bittet dich in Gestalt des Bettlers,
des verkommenen Menschenkindes
in den verlumpten Kleidern um Hilfe,
er tritt dir gegenüber in jedem Menschen,
der dir begegnet.
Christus wandelt auf der Erde
solange es Menschen gibt,
als dein Nächster,
als der durch den Gott dich anruft,
anspricht, Ansprüche stellt.
Das ist der größte Ernst
und die größte Seligkeit
der Adventsbotschaft.
Christus steht vor der Tür,
er lebt in Gestalt des Menschen unter uns,
willst du ihm die Tür verschließen oder öffnen?
_____


Auf die größten, tiefsten,
zartesten Dinge in der Welt
müssen wir warten,
da gehts nicht im Sturm,
sondern nach den göttlichen Gesetzen
des Keimens und Wachsens und Werdens.
_____

 




Die Geheimnislosigkeit
unseres modernen Lebens
ist unser Verfall und unsere Armut.
Ein menschliches Leben ist soviel wert,
als es Respekt behält
vor dem Geheimnis.
Ein Mensch erhält sich soviel vom Kinde in ihm,
als er das Geheimnis ehrt.
Darum haben die Kinder so offene,
erwachende Augen,
weil sie wissen, daß sie umgeben sind
vom Geheimnis.
(...)
Geheimnislos leben heißt
von dem Geheimnis
in unserem eigenen Leben,
von dem Geheimnis des anderen Menschen,
von dem Geheimnis der Welt nichts wissen,
heißt, an den Verborgenheiten
unser selbst, des anderen Menschen
und der Welt vorüber gehen,
heißt, an der Oberfläche bleiben,
heißt, die Welt nur so weit ernst zu nehmen,
als sie verrechnet und ausgenutzt werden kann,
hinter die Welt des Rechnens und Nutzens
nicht zurückgehen.
Geheimnislos leben heißt,
die entscheidenden Vorgänge des Lebens
gar nicht sehen oder sogar ableugnen.
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Das Geheimnis bleibt Geheimnis.
Es entzieht sich unserem Zugriff.
Geheimnis heißt aber nicht einfach,
etwas nicht wissen.
Nicht der fernste Stern
ist das größte Geheimnis,
sondern im Gegenteil,
je näher uns etwas kommt,
desto geheimnisvoller wird es uns.
Nicht der fernste Mensch
ist uns das größte Geheimnis,
sonder gerade der Nächste.
Und sein Geheimnis wird uns
dadurch nicht geringer,
daß wir immer mehr von ihm wissen,
sondern in seiner Nähe wird er uns
immer geheimnisvoller.
Es ist die letzte Tiefe alles Geheimnisvollen,
wenn zwei Menschen einander so nahe kommen,
daß sie einander lieben.
Nirgends in der Welt spürt der Mensch
die Macht des Geheimnisses
und seine Herrlichkeit so stark wie hier.
Wo zwei Menschen alles voneinander wissen,
wird das Geheimnis ihrer Liebe
zwischen ihnen unendlich groß.
Und erst in dieser Liebe
verstehen sie einander,
wissen sie ganz voneinander,
erkennen sie einander ganz,
und doch, je mehr sie einander lieben,
und in der Liebe voneinander wissen,
je tiefer erkennen sie das Geheimnis ihrer Liebe.
Also das Wissen hebt
das Geheimnis nicht auf, sondern vertieft es.
Daß der andere mir so nahe ist,
das ist das größte Geheimnis.
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Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
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Aus: So will ich diese Tage mit euch leben
Dietrich Bonhoeffer Jahreslesebuch
Hrsg. von Manfred Weber
Gütersloher Verlagshaus 2005

 


 

 


 

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