Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58




Ernst Moritz Arndt
(1769-1860)


Harald Schönhaar

In der Freude der Hallen zechte
Frode, König von Hadaland;
Ida die Schöne deckt' ihm die rechte,
Kämpfer deckten die linke Hand;
Hell zum Becher die Skalden sangen
Odins Reisen und Ragnars Krieg,
Als mit Brausen die Pforten klangen
Und die Stufen ein Mann erstieg.

Stattlich tritt er mit zücht'gem Reigen
Zu dem Stuhle der Fürstin hin,
Und die Stimmen der Skalden schweigen,
Und es staunet der Männer Sinn;
Um die mächtigen Schultern fließen
Locken schimmernd wie Sonnenschein,
Und die blitzenden Augen schießen
Furcht in tapfere Herzen ein.

Und es reicht von dem Sitz der Alte
Ihm den Becher den goldnen zu,
Daß er das Mahl mit den Kämpfern halte,
Neigt er und winkt er ihm freundlich zu;
Doch der Jüngling mit fester Rede
Zu dem König der Inseln spricht:
"Nicht zum Spiele und nicht zur Fehde,
Zu dem Becher auch komm' ich nicht.

Um die Schöne ich komme werben,
Ida die Fürstin, die Tochter dein;
Harald heiß' ich, von Odins Erben
Nicht der letzte im Schlachtenreih'n,
Harald Schönhaar, der Sohn des Grafen,
See mit Heimat und Himmel Dach;
Rede! soll ich bei Ida schlafen?
Soll sie schmücken ihr Brautgemach?"

""Nein! bei Ida nicht sollst du schlafen,
Stelle tiefer den stolzen Muth,
Tausend Streuner sich nennen Grafen,
Tausend Knechte sich Odins Blut;
In der Herrschaft der weiten Lande,
In dem Scepter und in dem Schwert
Gib von himmlischen Ahnen Pfande,
Geh, und weise dich Odins werth!""

Und der Jüngling mit edlem Zorne
Rennet hinnen im schnellen Lauf,
Bläst die Seinen mit hellem Horne
Risch aus Bergen und Thälern auf,
Und er schwöret und läßt sie schwören,
Herrscher will er der Länder seyn,
Oder frühe mit blut'gen Ehren
Gehn zur Freude Wallhalla's ein.

Und so zückt er das scharfe Eisen
Und so bäumt er den starken Speer,
Und die Monden und Jahre reisen,
Und es schwillet ihm Macht und Heer;
Riesen schlägt er und schlimme Zwerge,
Ueberwindet der Zaubrer List,
Bis er König der höchsten Berge,
König der Küsten und Inseln ist.

Und nun fliegt er mit süßem Triebe
Hin zur Feste, wo Ida sitzt,
Und er rufet: "Thu auf, o Liebe!
Harald ruft, der das Land besitzt."
Und sie öffnet der starken Mauer
Eisenthore dem Helden weit,
Doch die Augen umhüllet Trauer
Und die Glieder ein schwarzes Kleid.

Und er staunet, - doch sie in Freuden
Bricht von Eichen den grünen Kranz,
Drückt ihm züchtig und hold bescheiden
Auf die Locken den Ehrenglanz,
Heißt ihn lieblich vom Becher trinken,
Den sie füllet mit goldnem Wein,
Und die freundlichen Augen winken
Auf ihn leuchtend wie Sternenschein.

Dann, als Harald mit lieben Händen
Will die Lieblichkeit zu sich ziehn,
Sieht er zornig den Leib sich wenden
Und zum ragenden Söller fliehn;
Nach sich zieht sie empor die Stufen,
Flammend wirft sie hinab den Blick:
'Harald,' spricht sie, 'die Geister rufen,
Harald, weiche! Zurück! zurück!

Was wir beischten, du hast erfüllet,
Und ich flocht dir des Stolzes Lohn,
Odins Enkel ist groß enthüllet,
Herrsche lange, du Odinssohn!
Doch mein Vater und liebe Brüder
Liegen stumm durch dein grimmes Schwert,
Und sie laden mich: komm hernieder!
Zeig' auch du dich der Ahnen werth!

Hör' ich nicht sie in Winden wehen?
Brausen in Wellen nicht überlaut?
O ihr Götter in Himmelshöhen,
Nehmt mich, empfanget mich, Haralds Braut!
Fahr' wohl, Sonne am blauen Bogen!
Nimmer färbst du den Tag mir roth' -
Und sie springt in die Wilden Wogen,
In den brausenden Heldentod.

Und der König erfaßt die Schöne,
Wie die Fluth sie an's Ufer bringt,
Und er suchet umsonst die Töne,
Welche Leben und Liebe klingt,
Und er schlingt um den Leib die Rechte,
Hält ihn traurend in bitterm Harm,
Und zwölf stumme und finstre Nächte
Macht ihn Feuer und Schlaf nicht warm.

Dann gebeut er das Grab zu graben,
Legt die herrliche Leiche drein,
Schmückt es glänzend mit Siegesgaben,
Thürmt es hoch zum Gebirg von Stein,
Daß es stehe in langen Zeiten
Als ein Denkmal der Zärtlichkeit,
Woran Liebende traurig deuten
Alles Schönen Vergänglichkeit.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 156)

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