Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Pauline Marie Julie von Brochowska  (Ps. Theophania)
 (1794-1853)



Die Waldkapelle

Dort, wo der hohen, schlanken Ulmen Dunkel
Das enge Thal umkränzet still und grün,
Wo heller prangt der Sterne mild Gefunkel
Und tausendfarbig süße Blumen blüh'n,
Dort ist geweihet jede Blüthenstelle,
Benetzt von klaren Bächleins Silberwelle.

Ein Kirchlein hebt aus dichtgewebten Zweigen
Still, wie die Andacht, seinen Thurm empor,
Wo fromm Gebete auf zum Himmel steigen,
Vereinet mit der Vöglein munterm Chor.
Der heil'gen Mutter ist nach alter Sitte
Geweiht der Altar in des Waldes Mitte.

Kein Pilger nahte diesem Friedensorte,
Der betend nicht Verehrung hier gezeigt
Und gläubig an des Tempels offner Pforte
Am Wanderstab sein flehend Haupt geneigt,
Der in dem kleinen stillen Heiligthume
Nicht weilend pflückte eine H
immelsblume.

Oft sah man mit dem Strahl der Morgenröthe
Sich eine zarte Jungfrau sittig nah'n,
Die Hände still gefalten im Gebete,
Mit Augen, die nur nach dem Himmel sah'n;
Inbrünstig weilt' sie an des Altars Stufen,
Um Trost sich und Erbarmen zu errufen.

Auch heute naht sie im Verklärungsglanze,
Der kosend wie der West auf Blumen ruht,
Auch heute naht sie mit dem Epheukranze,
Geweihet durch des Herzens Opfergluth.
Sie schmücket still beim Hauch der Morgenwinde
Die heil'ge Mutter sammt dem schönen Kinde.

Und tiefe Ruhe und ein süßer Frieden
Vermählt sich mit der Blumen zartem Duft,
Denn Tröstung ward vom Himmel ihr beschieden,
Um die so oft ihr banges Sehnen ruft;
Die Wehmuth ehrend ihrer frommen Seele,
Klagt leiser nur die sanfte Philomele.

Du heil'ge Jungfrau, sprach sie, blick' hernieder,
Versage mir dein mild Erbarmen nicht
Und bringe bald den theuern Freund mir wieder,
Eh' noch mein Herz in banger Sehnsucht bricht.
Für deinen Sohn ist er hinweggezogen,
Auf Meerespfaden, in des Kampfes Wogen!

Der Jahre sind so viele schon vergangen
Und keine Kunde lindert, ach! mein Leid,
Ein banges Sehnen bleicht die rothen Wangen,
Nur Thränen lieb' ich und die Einsamkeit.
O blicke segnend du auf mich hernieder,
Gieb meinen Oskar mir, mein Leben wieder!

Da tönt es plötzlich in den stillen Hallen:
"O, guter Gott! Ist's Bertha's Stimme nicht?"
Und einen Pilger sieht die Jungfrau wallen,
Er schwankt und bebt, ihm fehlt der Augen Licht.
Gelehnet auf des Führers kräft'ge Arme,
Steht er vor ihr, entstellt von innerm Harme.

Sie hört den Ruf und blicket mit Verlangen
Nach ihm, wohl kennt ihr Herz der Stimme Laut,
Und es ergreift sie namenloses Bangen,
Als sie den heißersehnten Oskar schaut;
Denn ach, erloschen sind in weiter Ferne
Des holden Freundes schöne Augensterne!

Doch er ist da, wie kann sie trauernd beben,
Ist doch ihr glüh'nder, einz'ger Wunsch gestillt,
Ihm kann sie wieder weihen Herz und Leben,
In seine Nacht strahlt ihre Liebe mild
Und innig küssend seine bleichen Wangen,
Hält weinend sie den theuern Freund umfangen.

"Ist auch vernichtet deiner Jugend Blüthe,
Ist es dahin, der Augen süßes Licht,
Das ahnungsvoll mein Herz mit Lust durchglühte,
Zerreißt doch dies das Band der Treue nicht;
So reiche mir die Hand zum ew'gen Bunde
Und Engel feiern diese heil'ge Stunde!

Nur Liebe kann dich durch das Leben führen,
Mit Rosen deinen dunkeln Pfad bestreu'n,
Kein harter Stein soll deinen Fuß berühren,
Der Sorg' um dich will ich mein Leben weih'n,
Und treulich mit dir theilend Lust und Leiden,
Kann nur das Grab von meinem Glück mich scheiden!"

So spricht die Holde, — und mit frohem Beben
Der blinde Oskar ihr zu Füßen sinkt,
Will dankend gern den Blick zu ihr erheben,
Der nun als Perl' im dunkeln Auge blinkt.
Was treu sich liebt, das wird sich nimmer lassen,
Was schwer geprüft, nur fester sich umfassen.

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 11-12)

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