Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Gottfried August Bürger
(1747-1794)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 

 



Lenore

Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
"Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen?" -
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede;
Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,
Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall, allüberall,
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog alt und jung dem Jubelschall
Der Kommenden entgegen.
"Gottlob!" rief Kind und Gattin laut,
"Willkommen!" manche frohe Braut;
Ach! aber für Lenoren
War Gruß und Kuß verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab
Und frug nach allen Namen;
Doch die erwünschte Kundschaft gab
Nicht einer, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Zerraufte sie ihr Rabenhaar
Und taumelte zur Erde
Mit wilder Angstgebärde.

Die Mutter lief wohl hin zu ihr:
"Ach! daß sich Gott erbarme!
Du trautes Kind! was ist mir dir?"
Und schloß sie in die Arme.
"O Mutter, Mutter! Hin ist hin!
Nun fahre Welt und alles hin!
Gott heget kein Erbarmen;
O weh, o weh mir Armen!" -

"Hilf Gott! Hilf! Sieh' uns gnädig an!
Kind, bet' ein Unser Vater!
Was Gott thut, das ist wohlgetan,
Gott, deines Heils Berater!" -
"O Mutter, Mutter! Eitler Wahn!
Gott hat an mir nicht wohlgetan!
Was half, was half mein Beten?
Nun ist's nicht mehr von nöten!" -

"Hilf, Gott! hilf! Wer den Vater kennt,
Der weiß, er hilft den Kindern.
Das hochgelobte Sakrament
Wird deinen Jammer lindern." -
"O Mutter, Mutter, was mich brennt,
Das lindert mir kein Sakrament!
Kein Sakrament mag Leben
Den Toten wiedergeben!" -

"Hör' Kind! Wie, wenn der falsche Mann
Im fernen Ungerlande
Sich seines Glaubens abgethan
Zum neuen Ehebande?
Laß fahren, Kind, sein Herz dahin!
Sein Herz hat's nimmermehr Gewinn!
Wann Seel und Leib sich trennen,
Wird ihn sein Meineid brennen!" -

"O Mutter, Mutter! hin ist hin!
Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
O wär ich nie geboren!
Lisch aus, mein Licht! auf ewig aus!
Stirb hin! stirb hin! in Nacht und Graus!
Kein Öl mag Glanz und Leben,
Mag's nimmer wiedergeben!" -

"Hilf Gott! hilf! Geh' nicht ins Gericht
Mit deinem armen Kinde!
Sie weiß nicht, was die Zunge spricht;
Behalt' ihr nicht die Sünde!
Ach Kind, vergiß dein irdisch Leid
Und denk' an Gott und Seligkeit,
So wird doch deiner Seelen
Der Bräutigam nicht fehlen!" -

"O Mutter! Was ist Seligkeit?
O Mutter, was ist Hölle?
Bei Wilhelm nur wohnt Seligkeit;
Wo Wilhelm fehlt, brennt Hölle!
Lisch aus, mein Licht! auf ewig aus!
Stirb hin! stirb hin! in Nacht und Graus!
Ohn' ihn mag ich auf Erden,
Mag dort nicht selig werden!" - -

So wütete Verzweifelung
Ihr in Gehirn und Adern.
Sie fuhr mit Gottes Fürsehung
Vermessen fort zu hadern,
Zerschlug den Busen und zerrang
Die Hand bis Sonnenuntergang,
Bis auf am Himmelsbogen
Die goldnen Sterne zogen.

Und außen, horch! ging's trap trap trap,
Als wie von Rosses Hufen,
Und klirrend stieg ein Reiter ab
An des Geländers Stufen.
Und horch! und horch! den Pfortenring
Ging lose, leise, klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vernehmlich diese Worte:

"Holla! Holla! Thu' auf, mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?" -
"Ach, Wilhelm! du? - So spät bei Nacht?
Geweinet hab' ich und gewacht;
Ach! großes Leid erlitten!
Wo kömmst du geritten?" -

"Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen:
Ich habe spät mich aufgemacht
Und will dich mit mir nehmen!" -
"Ach, Wilhelm! erst herein geschwind!
Den Hagedorn durchsaust der Wind!
Herein, in meinen Armen,
Herzliebster, zu erwarmen!" -

"Laß sausen durch den Hagedorn,
Laß sausen, Kind, laß sausen!
Der Rappe scharrt! es klirrt der Sporn;
Ich darf allhier nicht hausen!
Komm, schürze, spring' und schwinge dich
Auf meinen Rappen hinter mich!
Muß heut' noch hundert Meilen
Mit dir ins Brautbett eilen." -

"Ach! wolltest hundert Meilen noch
Mich heut' ins Brautbett tragen?
Und horch! Es brummt die Glocke noch,
Die elf schon angeschlagen." -
"Komm', komm'! der volle Mond scheint hell;
Wir und die Toten reiten schnell,
Ich bringe dich, zur Wette,
Noch heut' ins Hochzeitbette." -

"Sag' an! wo? wie dein Kämmerlein?
Wo? wie das Hochzeitbettchen?"-
"Weit, weit von hier! Still, kühl und klein! -
Sechs Bretter und zwei Brettchen!" -
"Hat's Raum für mich?" - "Für dich und mich!
Komm', schürze, spring' und schwinge dich!
Die Hochzeitsgäste hoffen;
Die Kammer steht uns offen." -

Und Liebchen schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Roß behende;
Wohl um den trauten Reiter schlang
Sie ihre Lilienhände,
Haho! Haho! ha hopp hopp hopp!
Fort ging's im sausenden Galopp,
Der volle Mond schien helle;
Wie ritten die Toten so schnelle!

Zur rechten und zur linken Hand
Vorbei vor ihren Blicken
Wie flogen Anger, Heid' und Land!
Wie donnerten die Brücken!
"Graut Liebchen auch? - Der Mond scheint hell!
Hurra! Die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?" -

"Ach nein! doch laß die Toten!"
Was klang dort für Gesang und Klang?
Was flatterten die Raben?
Horch, Glockenklang! Horch, Totensang!
"Laßt uns den Leib begraben!"
Und näher zog ein Leichenzug,
Der Sarg und Totenbahre trug.
Das Lied war zu vergleichen
Dem Unkenruf in Teichen.

"Nach Mitternacht begrabt den Leib
Mit Klang und Sang und Klage!
Erst führ' ich heim mein junges Weib;
Mit, mit zum Brautgelage!
Komm', Küster, hier! Komm mit dem Chor
Und gurgle mir das Brautlied vor!
Komm', Pfaff', und sprich den Segen,
Eh' wir zu Bett uns legen!"-

Still Klang und Sang - Die Bahre schwand. -
Gehorsam seinem Rufen
Kam's, hurre! hurre! nachgerannt
Hart hinters Rappen Hufen,
Haho! haho! ha! hopp, hopp, hopp!
Fort ging's im sausenden Galopp;
Der volle Mond schien helle;
Wie ritten die Toten so schnelle! -

Wie flogen rechts, wie flogen links
Die Hügel, Bäum' und Hecken!
Wie flogen links und rechts und links
Die Dörfer, Städt' und Flecken!
"Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell!
Hurra! Die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?" -
"Ach! Laß sie ruhn, die Toten!" -

Sieh' da! Juchhei! Am Hochgericht
Tanzt um des Rades Spindel,
Halb sichtbarlich, bei Mondenlicht,
Ein luftiges Gesindel.
"Sa! sa! Gesindel, hier! komm' hier!
Gesindel, komm und folge mir!
Tanz' uns den Hochzeitreigen,
Wann wir das Bett besteigen!" -

Und das Gesindel, husch, husch, husch!
Kam hinten nach geprasselt,
Wie Wirbelwind am Haselbusch
Durch dürre Blätter rasselt.
Haho! haho! ha! hopp, hopp, hopp!
Fort ging's im sausenden Galopp;
Der volle Mond schien helle;
Wie ritten die Toten so schnelle! -

Wie flog, was rund der Mond beschien,
Wie flog es in die Ferne!
Wie flogen oben überhin
Der Himmel und die Sterne!
"Graut Liebchen auch? Der Mond scheint hell!
"Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Toten?" -
"O weh! Laß ruhn die Toten!" - - -

"Rapp'! Rapp'! Mich dünkt, der Hahn schon ruft, -
Bald wird der Sand verrinnen. -
Rapp'! Rapp'! Ich wittre Morgenluft,
Rapp'! Tummle dich von hinnen! -
Vollbracht! Vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitsbette thut sich auf;
Wir sind, wir sind zur Stelle;
Ha! reiten die Toten nicht schnelle?" -

Rasch auf ein eisern Gitterthor
Ging's mit verhängtem Zügel;
Mit schwanker Gert' ein Schlag davor
Zersprengte Schloß und Riegel.
Die Flügel flogen klirrend auf,
Und über Gräber ging der Lauf;
Es blinkten Leichensteine
Ringsum im Mondenscheine.

Ha sieh'! ha sieh'! Im Augenblick,
Hu! hu! ein gräßlich Wunder!
Des Reiters Koller, Stück für Stück,
Fiel ab wie mürber Zunder,
Zum Schädel ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward sein Kopf;
Sein Körper zum Gerippe
Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp'
Und sprühte Feuerfunken;
Und hui! war's unter ihr hinab
Verschwunden und versunken!
Geheul! Geheul aus hoher Luft,
Gewinsel kam aus tiefer Gruft;
Lenorens Herz, mit Beben,
Rang zwischen Tod und Leben.

Nun tanzten wohl bei Mondenglanz
Rundum herum im Kreise
Die Geister einen Kettentanz
Und heulten diese Weise:
"Geduld! Geduld! Wenn's Herz auch bricht!
Mit Gottes Allmacht hadre nicht!
Des Leibes bist du ledig;
Gott sei der Seele gnädig!"

Aus : Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891.
Bibliographisches Institut (S. 64-71)
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Lenardo und Blandine

Blandine sah her, Lenardo sah hin;
Sie trugen in Augen viel zärtlichen Sinn,
Blandine, die schönste Prinzessin der Welt,
Lenardo, der Schönsten zum Diener bestellt.

Zu Land und zu Wasser, von nah und von fern,
Erschienen viel Fürsten und Grafen und Herrn
Mit Perlen, Gold, Ringen und Edelgestein,
Die schönste der schönen Prinzessen zu frein.

Allein die Prinzessin war Perlen und Gold
War Prinzen mit blankem Gestein nicht so hold,
Als sie wohl ein würziges Blümlein entzückt,
Vom Finger des schönsten der Diener gepflückt.

Der schönste der Diener trug hohes Gemüt,
Obschon nicht entsprossen aus hohem Geblüt.
Gott schuf ja aus Erden den Ritter und Knecht.
Ein hoher Sinn adelt auch niedres Geschlecht.

Und als sie 'mal draußen, in fröhlicher Schar,
Von Schranzen umlagert am Apfelbaum war,
Und alle genossen der lieblichen Frucht,
Die emsig der flinke Lenardo gesucht;

Da bot die Prinzessin ein Äpfelchen rar
Aus ihrem hellsilbernen Körbchen ihm dar;
Ein Äpfelchen rosig und gülden und rund;
Dabei sprach ihr holdseliger Mund:

"Nimm hin für die Mühe! der Apfel sei dein!
Das Leckere wuchs nicht für Prinzen allein.
Er ist ja so lieblich von außen zu sehn,
Will wünschen, das drinnen sei zehnmal so schön!" -

Und als sich der Liebling gestohlen nach Haus,
Da zog er, o Wunder! ein Blättchen heraus.
Das Blättchen im Apfel saß heimlich und tief;
Drauf stand gar traulich geschrieben ein Brief.

"Du Schönster der Schönsten von nah und von fern,
Du Schönster vor Fürsten und Grafen und Herrn,
Der du trägst züchtiger, höher Gemüt
Als Fürsten und Grafen aus hohem Geblüt;

"Dich hab' ich vor allen zum Liebsten erwählt!
Nach dir mein Busen sich sehnend zerquält.
Mich labet nicht Ruhe, mich labet nicht Rast,
Bevor du gestillet dies Sehnen mir hast.

"Zur Mitternachtstunde laß Schlummer und Traum,
Laß Bette, laß Kammer und eile zum Baum,
Zum Baum, der den Apfel der Liebe dir trug!
Dein harret was Liebes. Nun weißt du genug."

Das dauchte dem Diener so wohl und so bang.
So bang und so wohl! Er zweifelte lang.
Viel zweifelt' er her, viel zweifelt' er hin;
Von Hoffen und Ahnden war trunken sein Sinn.

Doch als es wohl tief um Mitternacht war,
Und still herab blinkte der Sternelein Schar,
Da sprang er vom Lager, ließ Schlummer und Traum
Und eilt' in den Garten zum kundigen Baum.

Und als er stillharrend am Liebesbaum saß,
Da säuselt's im Laube, da schlich es durchs Gras;
Und eh' er sich wandte, da nahm's ihn in Arm,
Da weht' ihn ein Odem an lieblich und warm.

Und als er die Lippen eröffnet zum Gruß,
Verschlang ihm die Rede manch durstiger Kuß;
Und eh' es ihm zugeflüstert ein Wort,
Da zog es an samtenen Händchen ihn fort.

Es führt' ihn allmählich mit heimlichem Tritt:
"Komm' süßer, komm' lieblicher Junge, komm' mit!
Kalt wehen die Lüftchen; kein Dach und kein Fach
Beschirmet uns; komm' in mein stilles Gemach!"

Und führt' ihn durch Dornen und Nessel und Stein
In einen zertrümmerten Keller hinein.
Hier flimmert' ein Lämpchen; sie zog ihn entlang
Beim Schimmer des Lämpchens den heimlichen Gang.

In Schlummer gehüllet war jedes Gesicht;
Doch ach! das Verräteraug' schlummerte nicht.
Lenardo! Lenardo! wie wird dir's ergehn,
Noch ehe die Hähne das Morgenlied krähn? -

Weit her, von Hispaniens reichster Provinz,
War kommen ein hochstolzierender Prinz
Mit Perlen, Gold, Ringen und Edelgestein,
Die schönste der Schönen Prinzessein zu frein.

Ihm brannte der Busen, ihm lechte der Mund;
Doch hofft' er, doch harrt' er umsonst in Burgund.
Er ward wohl, und ward doch vergebens manch Jahr,
Und wollte nicht weichen, noch wanken von dar.

Drob hatte der hochstolzierende Gast
Bei Nacht und bei Tage nicht Ruhe nach Rast,
Und hatte zur selbigen Stunde der Nacht
Sich auf, hinaus in den Garten gemacht;

Und hatt' es vernommen und hatt' es gesehn,
Was nährlich drei Schritte weit von ihm geschehn.
Er knirschte die Zähne, biß blutig den Mund:
"Zur Stunde soll's wissen der Fürst von Burgund!"

Und eilte zur selbigen Stunde der Nacht.
Ihm wehrte vergebens die fürstliche Wacht:
"Jetzt will ich, jetzt muß ich zum König hinein,
Weil Hochverrat ihn und Aufruhr bedräun!" -

"Hallo! Wach' auf, o Fürst von Burgund!
Dein Königsgeschmeide besudelt ein Hund!
Blandinen, dein gleißendes Töchterlein, schwächt,
Zur Stunde jetzt schwächt sie ein schändlicher Knecht!" -

Das krachte dem Alten ins dumpfe Gehör.
Er liebte die einzige Tochter so sehr;
Er hielt sie wohl höher als Zepter und Kron'
Und höher als seinen hellstrahlenden Thron.

Wild raffte der Fürst von Burgund sich empor:
"Das leugst du, Verräter, das leugst du mir vor!
Dein Blut mir's entgelte! Das trinke Burgund,
Wo mich belogen dein giftiger Mund!"

"Hier stell' ich, o Alter, zum Pfand mich dar!
Auf! Eile! So findet's dein Auge noch wahr.
Mein Blut dir's entgelte! Das trinke Burgund,
Wo dich belogen mein redlicher Mund!"

Da rannte der Alte mit blinkendem Dolch;
Ihm nach kroch der verrätrische Molch
Und wies ihn durch Dornen und Nessel und Stein
Wohl in den zertrümmerten Keller hinein.

Hier prangte vorzeiten ein luftiges Schloß,
Das längst in Schutt und Trümmer zerschoß.
Noch wölbten sich Keller und Halle. Von vorn
Verbargen sie Nessel und Distel und Dorn.

Die Halle war wenigen Augen bekannt.
Doch wer der Halle war kundig, der fand
Den Weg durch eine verborgene Thür
Wohl in der Prinzessin ihr Sommerlosier. - -

Noch sendete durch den heimlichen Gang
Das Lämpchen der Liebe den Schimmer entlang.
Sie atmeten leise, sie schlichen gemach
Dem Schimmer des Lämpchens der Liebe sich nach;

Und kamen wohl vor die verborgene Thür
Und standen und harrten und lauschten allhier:
"Horch, König! - Da flüstert's! - Horch König! - Da spricht's! - -
Da! - - Glaubest du noch nicht, so glaubest du nichts!"

Und als sich der Alte zum Horchen geneigt,
Erkannt' er der Liebenden Stimme gar leicht.
Sie hatten's ein Küssen! Sie hatten's ein Spiel!
Und trieben des süßen Geschwätzes gar viel.

"O Lieber! Mein Lieber! Was zaget dein Sinn
Vor mir, die ewig dein eigen ich bin?
Prinzessin bei Tage nur! Aber bei Nacht,
Magst du mir gebieten als eigener Magd."

"O schöne Prinzessin! O wärest du nur
Das dürftigste Mädchen auf dürftiger Flur!
Wie wollt' ich dann schmecken der Freuden so viel!
Nun setzet dein Lieben mir Kummer ans Ziel."

"O Lieber! meine Lieber! Laß fahren den Wahn!
Bin keine Prinzessin! Drauf sieh' mich nur an!
Statt Vaters Gewalt, Reich, Zepter und Kron'
Erkies' ich den Schoß mir der Liebe zum Thron." -

"O Schönste der Schönen! Dies zärtliche Wort,
Das kannst du, das wirst du nicht halten hinfort!
Durch Werben und Werben, von nah' und von fern,
Erwirbt dich noch einer der stattlichen Herrn.

"Wohl schwellen die Wasser, wohl hebet sich Wind,
Doch Winde verwehen, doch Wasser verrinnt.
Wie Wind und wie Wasser ist weiblicher Sinn;
So wehet, so rinnet dein Lieben dahin!"

"Laß werben und werben, von nah' und von fern,
Erwirbt mich doch keiner der stattlichen Herrn!
O Lieber! O Süßer! Mein zärtliches Wort,
Das kann ich, das werd' ich dir halten hinfort!

"Wie Wasser und Wind ist mein liebender Sinn;
Wohl wehen die Winde, wohl Wasser rinnt hin;
Doch alle verwehn und verrinnen ja nicht;
So ewig mein quillendes Lieben auch nicht!"

"O süße Prinzessin! Noch zag' ich so sehr! -
Mir ahnet's im Herzen, mir ahnet's, wie schwer! -
Die Bande zerreißen, der Treuring zerbricht,
Worüber der Himmel den Segen nicht spricht.

"Und wenn es der König, oh! wenn er's erfährt,
So triefet mein Leben am blutigen Schwert;
So mußt du dein Leben, verriegelt allein,
Tief unter dem Turm im Gewölbe verschrein." -

"Ach, Lieber! Der Himmel zerreißet ja nicht
Die Knoten, so Treue, so Liebe sich flicht.
Der seligen Wonne, bei nächtlicher Ruh',
Der höret, der sieht kein Verräter ja zu. -

"Nun, komme, nun komme, mein trauter Gemahl!
Komm', küss' mir den Kuß der Verlobung einmal!" -
Da kam er und küßt' ihr den rosigen Mund,
Drob alle sein Zagen im Herzen verschwund. -

Sie hatten's ihr Küsen, sie hatten's ihr Spiel;
Und trieben des süßen Geschwätzes noch viel.
Da knirschte der König, da wollt' er hinein;
Doch ließen ihn Schlösser und Riegel nicht ein.

Da harrt' er und harrte, mit schäumendem Mund,
Wie vor der Höhle des Wildes ein Hund.
Den Liebenden drin, nach gepflogener Lust,
Ward enger und bänger von Ahndung die Brust.

"Wach' auf, Prinzessin! der Hahn hat gekräht.
Nun laß mich, bevor sich der Morgen erhöht."
"Ach, Lieber! ach, bleib' noch! Es kündet der Hahn
Die erste der nächtlichen Wachen nur an." -

"Schau' auf, Prinzessin! Der Morgen schon graut.
Nun laß mich, bevor uns der Morgen erschaut."
"Ach, Trauter! ach, bleib' noch! Der Sternelein Licht
Verrät ja die Gänge der Liebenden nicht." -

"Horch auf, Prinzessin! Da wirbelt ein Ton;
Da wirbelt die Schwalbe das Morgenlied schon."
"Ach, Schönster! Ach bleib' noch! Es ist ja der Schall
Der liebeflötenden Nachtigall."

"Nein, laß mich! der Hahn hat zum Morgen gekräht;
Schon leuchtet der Morgen; die Morgenluft weht;
Schon wirbelt die Schwalbe den Morgengesang -
Oh! laß mich! - Wie wird mir ums Herze so bang!" -

"Ach, Süßer! - Leb' wohl denn! - Nein, bleib' noch! - Ade! -
O weh mir! Wie thut's mir im Busen so weh! -
Weis' her mir dein Herzchen! Ach, pocht ja so sehr!
Hab' lieb mich, du Herzchen! Auf morgen Nacht mehr!" -

"Schlaf' süß! schlafe wohl!" - Da schlüpft' er hinaus;
Ihm fuhren durchs Leben Entsetzen und Graus;
Es roch ihm wie Leichen; er stolpert' entlang,
Beim Schimmer des traurigen Lämpchens, den Gang.

Hui! sprangen die beiden vom Winkel herbei
Und bohrten ihn nieder mit dumpfem Geschrei;
"Da! hast du gefreit um den Thron von Burgund,
Da hast du die Mitgift! Da hast du sie, Hund!" -

"O Jesu Maria! Erbarme dich mein!" -
Drauf hüllt' sein brechendes Auge sich ein.
Ohne Beicht', ohne Nachtmahl, ohn' Absolution
Flog seine verzagende Seele davon.

Der Prinz von Hispania, schäumend für Wut,
Zerhieb ihm den Busen mit knirschendem Mut:
"Weis' her mir dein Herzchen! Ach! pocht ja so sehr!
Hast lieb gehabt, Herzchen? Hab's morgen nacht mehr!" -

Und riß ihm vom Busen das zuckende Herz
Und kühlte sein Mütchen mit gräßlichem Scherz:
"Da hab' ich dich, Herzchen! Ach! pocht ja so sehr!
Hab' lieb nun, du Herzchen! Hab's morgen Nacht mehr!" -

Indes die Prinzessin, ach! zagte so sehr,
Zerwarf sich im Schlummer und träumte, wie schwer!
Von blutigen Perlen in blutigem Kranz,
Von blutigem Gastmahl und höllischem Tanz.

Sie warf sich im Bette, so müde! so krank!
Den kommenden Morgen und Tag entlang.
"O, wenn's doch erst wieder tief Mitternacht wär!" -
Komm' Mitternacht! führe mein Labsal mir her! -

Und als es wohl wieder tief Mitternacht war,
Und still herab blinkte der Sternelein Schar:
"O weh mir! Mein Busen! Was ahndet wohl dir?" -
Horch! horch! Da knarrte die heimliche Thür.

Ein Junker, in Flor und in Trauergewand,
Trug Fackel und Leichengedeck in der Hand;
Trug einen zerbrochenen, blutigen Ring;
Und legt' es danieder stillneigend und ging.

Ihm folgt' ein Junker in Purpurgewand,
Der trug ein gülden Geschirr in der Hand,
Versehen mit Henkel und Deckel und Knauf,
Und oben ein königlich Siegel darauf.

Ihm folgt' ein Junker in Silbergewand
Mit einem versiegelten Brief in der Hand,
Und gab der erschrocknen Prinzessin den Brief
Und ging und neigte sich schweigend und tief.

Und als die erschrockne Prinzessin den Brief
Erbrach und mit rollenden Augen durchlief,
Umflirrt es ihr Antlitz, wie Nebel und Duft;
Sie stürzte zusammen und schnappte nach Luft.

Und als sie mit zuckender, strebender Kraft
Sich wieder ermannt und dem Boden entrafft:
"Juchheisa!" Da sprang sie: "Juchheisa! tralla!
Auf, lustig, ihr Fiedler! mein Brauttag ist da!"

"Juchheisa! Ihr Fiedler, zum lustigen Tanz!
Mir schweben die Füße, mir flattert der Kranz!
Nun tanzet, ihr Prinzen von nah' und von fern!
Auf, lustig! ihr Damen! Auf, auf, lustig, ihr Herrn!

"Ha! Seht ihr nicht meinen Herzliebsten sich drehn!
Im Silbergewande, wie herrlich! wie schön!
Ihn zieret am Busen ein purpurner Stern.
Juchheisa, ihr Damen! Juchheisa, ihr Herrn!

"Auf! lustig zum Tanze! Was steht ihr so fern?
Was rümpft ihr die Nasen, ihr Damen und Herrn?
Mein Bräutigam ist er! Ich heiße die Braut!
Uns haben die Engel im Himmel getraut!

"Zu Tanze! Zu Tanze! - Was grinzet ihr fern?
Was rümpft ihr die Nasen, ihr Damen und Herrn?
Weg, Edelgesinde! Pfui! stinkest mir an!
Du stinkest nach stinkender Hoffart mir an!

"Wer schuf wohl aus Erden den Ritter und Knecht?
Ein hoher Sinn adelt auch niedres Geschlecht!
Mein Schönster trägt hohen und züchtigen Mut
Und speiet in euer hochadelig Blut!

"Juchheisa! Ihr Fiedler, zum lustigen Tanz!
Mir schweben die Füße, mir flattert der Kranz!
Juchheisa! Trallala! Juchheisa! Trallala!
Auf, lustig, ihr Fiedler! Mein Brauttag ist da!" -

So sang sie zum Sprunge; so sprang sie zum Sang;
Daß aus der Stirn ihr der Todestau drang.
Der Todestau troff ihr die Wangen herab;
Sie taumelt' und keuchte zum Boden hinab.

Und als sich ihr Leben zum letzten ermannt,
Erstreckte sie nach dem Gefäße die Hand,
Und schlang's in die Armen und hielt es im Schoß
Und deckte, was drinnen verborgen war, bloß.

Da rauchte, da pocht' ihr entgegen sein Herz,
Als fühlt' es noch Leben, als fühlt' es noch Schmerz.
Neu that sich ihr blutiger Thränenquell auf
Und strömte wie Regen vom Dache darauf.

"Nun, blutiger Jammer! Wann rinnst du zu End'?
Wenn alle Gewässer auf Erden verrennt?
Ach! Alle Gewässer verrinnen ja nicht!
So endest du, blutiger Jammer, auch nicht!" -

Drauf sank sie mit hohlem, gebrochnem Blick
In dumpfen Todestaumel zurück;
Und drückte noch fest, mit zermalmendem Schmerz,
Das Blutgefäß an ihr liebendes Herz.

"Dir lebt' ich, o Herzchen! Dir sterb' ich mit Lust!
O weh mir! - O weh! du zerdrückst mir die Brust! -
Herab! - Herab! - den quetschenden Stein! - -
Oh! Jesu Maria! - - Erbarme dich mein!" - -

Drauf schloß sie die Augen, drauf schloß sie den Mund. -
Drauf rannten die Boten; dem König ward's kund;
Laut scholl durch die Säle das Zetegeschrei:
"Prinzessin ist hin! Auf, König, herbei!"

Das krachte dem Alten ins dumpfe Gehör.
Er liebte die einzige Tochter so sehr.
Er hielt sie wohl höher als Zepter und Kron',
Und höher als seinen hellstrahlenden Thron.

Und als auch herbei der Verräter mit sprang,
Da knirschte der Alte: "Das hab' ich dir Dank!
Dein Blut mir's entgelte! das trinke Burgund!
Weil das mir geraten dein giftiger Mund.

"Ihr Blut dich verklaget vor Gottes Gericht,
Das dir dein blutiges Urteil schon spricht!"
Rasch zückte der Alte den blinkenden Dolch
Und bohrte danieder den spanischen Molch. - -

"Lenardo! du Armer! - Blandine! Mein Kind! -
Du heiliger Himmel! verzeih' mir die Sünd'! -
Nicht mich auch verklaget vor Gottes Gericht!
Ich bin ja eur Vater - verklaget mich nicht!" -

So weinte der König, so reut' ihn zu spat,
Schwer reut' ihn die himmelan schreiende That. -
Drauf ließ er wol machen ein'n silbernen Sarg,
Worein er die Leichen der Liebenden barg.

Aus: Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891.
Bibliographisches Institut (S. 92-102)
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Der Bruder Graurock und die Pilgerin

Ein Pilgermädel, jung und schön,
Wallt' auf ein Kloster zu.
Sie zog das Klöcklein an dem Thor;
Ein Bruder Graurock trat hervor,
Halbbarfuß ohne Schuh'.

Sie sprach: "Gelobt sei Jesus Christ!"
"In Ewigkeit!" sprach er.
Gar wunderseltsam ihm geschah;
Und als er ihr ins Auge sah,
Da schlug sein Herz noch mehr.

Die Pilgerin, mit leisem Ton,
Voll holder Schüchternheit:
"Ehrwürdiger! O meldet mir,
Weilt nicht mein Herzgeliebter hier,
In Klostereinsamkeit?"

"Kind Gottes, wie soll kenntlich mir
Dein Herzgeliebter sein?"
"Ach! an dem gröbsten härnen Rock,
An Geisel, Gurt und Weidenstock,
Die seinen Leib kastein;

"Noch mehr an Wuchs und Angesicht,
Wie Morgenrot im Mai,
Am goldnen Ringellockenhaar,
Am himmelblauen Augenpaar,
So freundlich, lieb und treu!" -

"Kind Gottes, o wie längst dahin!
Längst tot und tief verscharrt!
Das Gräschen säuselt drüber her;
Ein Stein von Marmel drückt ihn schwer;
Längst tot und tief verscharrt!

"Siehst dort, in Immergrün verhüllt,
Das Zellenfenster nicht?
Da wohnt' und weint er und verkam
Durch seines Mädels Schuld, vor Gram,
Verlöschend wie ein Licht.

"Sechs Junggesellchen, schlank und fein,
Bei Trauersang und Klang,
Sie trugen seine Bahr' ans Grab,
Und manche Zähre rann hinab,
Indem sein Sarg versank."

"O weh! o weh! So bist du hin?
Bist tot und tief verscharrt?...
Nun brich, o Herz! Die Schuld war dein!
Und wärst du wie sein Marmelstein,
Wärst dennoch nicht zu hart!"

"Geduld, Kind Gottes! Weine nicht!
Nun bete desto mehr!
Vergebner Gram zerspellt das Herz;
Das Augenlicht verlischt von Schmerz.
Drum weine nicht so sehr!"

"O nein, Ehrwürdiger, o nein!
Verdamme nicht mein Leid!
Denn meines Herzens Lust war er;
So lebt und liebt kein Jüngling mehr
Auf Erden weit und breit!

"Drum laß mich weinen immerdar
Und seufzen Tag und Nacht,
Bis mein verweintes Auge bricht
Und lechzend meine Zunge spricht:
Gottlob! nun ist's vollbracht!"

"Geduld, Kind Gottes! Weine nicht!
O seufze nicht so sehr!
Kein Tau, kein Regentrank erquickt
Ein Veilchen, das du abgepflückt;
Es welkt und blüht nicht mehr.

"Huscht doch die Freud' auf Flügeln schnell
Wie Schwalben vor uns hin.
Was halten wir das Leid so fest,
Das, schwer wie Blei, das Herz zerpreßt?
Laß fahren! Hin ist hin!"

"O nein, Ehrwürdiger, o nein!
Gib meinem Gram kein Ziel!
Und litt' ich um den lieben Mann,
Was nur ein Mädchen leiden kann,
Nie litt' ich doch zu viel!

"So seh' ich ihn nun nimmermehr?
O weh! nun nimmermehr? -
Nein, nein! Ihn birgt ein düstres Grab;
Es regnet drauf und schneit herab,
Und Gras weht drüber her.

"Wo seid ihr Augen blau und klar?
Ihr Wangen rosenrot?
Ihr Lippen süß wie Nelkenduft?
Ach! alles modert in der Gruft;
Und mich verzehrt die Not!"

"Kind Gottes, härme so dich nicht
Und denk', wie Männer sind!
Den meisten weht's aus einer Brust
Bald heiß, bald kalt; sie sind zur Lust
Und Unlust gleich geschwind.

"Wer weiß, trotz deiner Treu' und Huld
Hätt' ihn sein Los gereut.
Dein Liebster war ein junges Blut,
Und junges Blut hegt Wankelmut
Wie die Aprilenzeit."

"Ach nein! Ehrwürdiger, ach nein!
Sprich dieses Wort nicht mehr!
Mein Trauter war so lieb und hold,
War lauter, echt und treu wie Gold
Und aller Falschheit leer!

"Ach! ist es wahr, daß ihn das Grab
Im dunkeln Rachen hält?
So sag' ich meiner Heimat ab
Und setze meinen Pilgerstab
Fort durch die weite Welt.

"Erst aber will ich hin zur Gruft;
Da will ich niederknien;
Da soll von Seufzerhauch und Kuß
Und meinem Tausendthränenguß
Das Gräschen frischer blühn."

"Kind Gottes, kehr' allhier erst ein,
Daß Ruh' und Kost dich pflegt.
Horch, wie der Sturm die Fahnen trillt
Und kalter Schloßenregen wild
An Dach und Fenster schlägt!"

"O nein, Ehrwürdiger, o nein!
O halte mich nicht ab!
Mag's thun, daß Regen mich befällt!
Wäscht Regen aus der ganzen Welt
Doch meine Schuld nicht ab!"

"Heida! Feins Liebchen, nun kehr' um!
Bleib' hier und tröste dich!
Feins Liebchen, schau' mir ins Gesicht!
Kennst du den Bruder Graurock nicht?
Dein liebster, ach! ... bin ich.

"Aus hoffnungslosem Liebesschmerz
Erkor ich dies Gewand.
Bald hätt' in Klostereinsamkeit
Mein Leben und mein Herzeleid
Ein hoher Schwur verbannt;

"Doch Gott sei Dank! Mein Probejahr
Ist noch nicht ganz herum!
Feins Liebchen, hast du wahr bekannt?
Und gäbst du mir wohl gern die Hand?
So kehr' ich wieder um." -

"Gottlob! Gottlob! Nun fahre hin
Auf ewig, Gram und Not!
Willkommen, o willkomen, Lust!
Komm', Herzensjung', an meine Brust!
Nun scheid' uns nichts als Tod!"

Aus: Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891.
Bibliographisches Institut (S. 135-139)
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Des Pfarrers Tochter von Taubenhain

Im Garten des Pfarrers zu Taubenhain
Geht's irre bei Nacht in der Laube.
Da flüstert und stöhnt's so ängstiglich;
Da rasselt, da flattert und sträubet es sich,
Wie gegen den Falken die Taube.

Es schleicht ein Flämmchen am Unkenteich,
Das flimmert und flammert so traurig;
Da ist ein Plätzchen, da wächst kein Gras,
Das wird von Tau und von Regen nicht naß;
Da wehen die Lüftchen so schaurig. -

Des Pfarrers Tochter von Taubenhain
War schuldlos wie ein Täubchen.
Das Mädel war jung, war lieblich und fein,
Viel ritten der Freier nach Taubenhain
Und wünschten Rosetten zum Weibchen. -

Von drüben herüber, von drüben herab,
Dort jenseit des Baches vom Hügel,
Blinkt stattlich ein Schloß auf das Dörfchen im Thal,
Die Mauern wie Silber, die Dächer wie Stahl,
Die Fenster wie brennende Spiegel.

Da trieb es der Junker von Falkenstein
In Hüll' und in Füll' und in Freude.
Dem Jüngferchen lacht' in die Augen das Schloß,
Ihr lacht' in das Herzchen der Junker zu Roß
Im funkelnden Jägergeschmeide. -

Er schrieb ihr ein Briefchen auf Seidenpapier
Umrändelt mit goldnen Kanten.
Er schickt' ihr sein Bildnis, so lachend und hold,
Versteckt in ein Herzchen von Perlen und Gold.
Dabei war ein Ring mit Demanten. -

"Laß du sie nur reiten und fahren und gehn!
Laß du sie sich werben zu schanden!
Rosettchen, dir ist wohl was bessers beschert!
Ich achte des trefflichsten Ritters dich wert
Beliehen mit Leuten und Landen.

"Ich hab' ein gut Wörtchen zu kosen mit dir:
Das muß ich dir heimlich vertrauen;
Drauff hätt' ich gern heimlich erwünschten Bescheid.
Lieb Mädel, heut' mitternacht bin ich nicht weit;
Sei wacker und laß dir nicht grauen!

"Heut' mitternacht horch auf den Wachtelgesang
Im Weizendfeld hinter dem Garten.
Ein Nachtigallenmännchen wird locken die Braut
Mit lieblichem, tief aufflötenden Laut;
Sei wacker und laß mich nicht warten!"

Er kam in Kapp' und Mantel vermummt,
Er kam um die Mitternachtstunde.
Er schlich, umgürtet mit Waffen und Wehr,
So leise, so lose wie Nebel einher
Und stillte mit Brocken die Hunde.

Er schlug der Wachtel hellgellenden Schlag
Im Weizenfeld hinter dem Garten.
Dann lockte das Nachtigallenmännchen die Braut
Mit lieblichem, tief aufflötenden Laut;
Und Röschen, ach! - ließ ihn nicht warten. -

Er wußte sein Wörtchen so traulich und süß
In Ohr und Herz ihr zu girren.
Ach, Liebender Glauben ist willig und zahm!
Er sparte kein Locken, die schüchterne Scham
Zu seinem Geluste zu kirren.

Er schwur sich bei allem, was heilig und hehr,
Auf ewig zu ihrem Getreuen.
Und wann sie sich sträubte, und wann er sie zog,
Vermaß er sich teuer, vermaß er sich hoch:
"Lieb Mädel, es soll dich nicht reuen!"

Er zog sie zur Laube, so düster und still,
Von blühenden Bohnen umdüftet.
Da pocht' ihr das Herzchen; da schwoll ihr die Brust;
Da wurde vom glühenden Hauche der Luft
Die Unschuld zu Tode vergiftet. - - -

Bald als auf düftendem Bohnenbeet
Die rötlichen Blumen verblühten;
Da wurde dem Mädel so übel und weh;
Da bleichten die rosigen Wangen zu Schnee;
Die funkelnden Augen verglühten.

Und als die Schote nun allgemach
Sich dehnt' in die Breit' und Länge,
Und Erdbeer' und Kirsche sich rötet' und schwoll;
Da wurde dem Mädel das Brüstchen so voll,
Das seidene Röckchen so enge.

Und als die Sichel zu Felde ging,
Hub's an sich zu regen und recken;
Und als der Herbstwind über die Flur
Und über die Stoppel des Habers fuhr,
Da konnte sie's nicht mehr verstecken.

Der Vater, ein harter und zorniger Mann,
Schalt laut die arme Rosette:
"Hast du dir erbuhlt für die Wiege das Kind,
So hebe dich mir aus den Augen geschwind
Und schaff' auch den Mann dir ins Bette!"

Er schlang ihr fliegendes Haar um die Faust
Und hieb sie mit knotigen Riemen.
Er hieb, das schallte so schrecklich und laut,
Er hieb ihr die samtene Lilienhaut
Voll schwellender, blutiger Striemen.

Er stieß sie hinaus in finsterer Nacht,
Bei eisigem Regen und Winden.
Sie klimmte den dornigen Felsen empor
Und tappte sich fort bis an Falkensteins Thor,
Dem Liebsten ihr Leid zu verkünden. -

"O weh mir, daß du mich zur Mutter gemacht,
Bevor du mich machtest zum Weibe!
Sieh' her! sieh' her! mit Jammer und Lohn
Trag' du dafür nun den schmerzlichen Lohn
An meinem zerschlagenen Leibe!"

Sie warf sich ihm bitterlich schluchzend ans Herz,
Sie bat, sie beschwur ihn mit Zähren:
"Oh mach' es nun gut, was du übel gemacht!
Bist du es, der so mich in Schande gebracht,
So bring' auch mich wieder zu Ehren!" -

"Arm Närrchen", versetzt' er, "das thut mir ja leid!
Wir wollen's am Alten schon rächen.
Erst gib dich zufrieden und harre bei mir!
Ich will dich schon hegen und pflegen allhier;
Dann wollen wir's ferner besprechen." -

"Ach! hier ist kein Säumen, kein Pflegen, noch Ruhn!
Das bringt mich nicht wieder zu Ehren.
Doch hast du treulich geschworen der Braut,
So laß auch an Gottes Altare nun laut
Vor Priester und Zeugen es hören!" -

"Lieb Närrchen, so hab' ich es nimmer gemeint!
Wie kann ich zum Weibe dich nehmen?
Entsprossen bin ich aus adlichem Blut;
Nur Gleiches zu Gleichem gesellet sich gut,
Sonst müßte mein Stamm sich ja schämen.

"Lieb Närrchen, ich halt' es dir, wie ich's gemeint:
Mein Liebchen sollt immerdar bleiben;
Und wenn dir mein wackerer Jäger gefällt,
So laß ich's mir kosten ein gutes Stück Geld.
Dann können wir's ferner noch treiben." -

"Daß Gott dich! - O schändlicher, bübischer Mann! -
Daß Gott dich zur Hölle verdamme! -
Entehr' ich als Weib dein adliches Blut,
Warum denn, o Bösewicht, war ich einst gut
Für deine unehrliche Flamme? -

"So geh' dann und frei' dir ein adliches Weib! -
Das Blättchen soll schrecklich sich wenden!
Gott siehet und hört und richtet uns recht.
So müsse dereinst dein niedrigster Knecht
Das adliche Bette dir schänden! -

"Dann fühle, Verräter, dann fühle wie's thut,
An Ehr' und Glück zu verzweifeln!
Dann renn' an die Mauer die schändliche Stirn
Und jag' eine Kugel dir fluchend durchs Hirn!
Dann, Teufel, dann fahre zu Teufeln!"

Sie riß sich zusammen, sie raffte sich auf,
Sie rannte verzweifelnd von hinnen
Mit blutigen Füßen durch Distel und Dorn,
Durch Moor und Geröhrich, vor Jammer und Zorn
Zerrüttet an allen fünf Sinnen.

"Wohin nun, wohin, barmherziger Gott,
Wohin nun auf Erden mich wenden?" -
Sie rannte verzweifelnd an Ehr' und Glück
Und kam in den Garten der Heimat zurück,
Ihr klägliches Leben zu enden.

Sie taumelt', an Händen und Füßen verklommt,
Sie kroch zur unseligen Laube;
Und jach durchzuckte sie Weh auf Weh,
Auf ärmlichen Lager, bestreut mit Schnee,
Von Reisig und rasselndem Laube.

Es wand ihr ein Knäbchen sich weinend vom Schoß
Mit wildem unsäglichen Schmerze.
Und als das Knäbchen geboren war,
Da riß sie die silberne Nadel vom Haar
Und stieß sie dem Knaben ins Herze.

Kaum, als sie vollendet die blutige That,
Begann sich ihr Wahnsinn zu enden.
Kalt wehten Entsetzen und Grausen sie an. -
"O Jesu, mein Heiland, was hab' ich gethan? -"
Wild rang sie das Bast von den Händen. -

Sie kratzte mit blutigen Nägeln ein Grab
Am schilfigen Unkengestade.
"Da ruh' nun, mein Armes, da ruh' du in Gott,
Geborgen auf immer vor Elend und Spott! -
Mich hacken die Raben vom Rade!"

Das ist das Flämmchen am Unkenteich,
Das flimmert und flammert so traurig;
Das ist das Plätzchen, da wächst kein Gras,
Das wird von Tau und von Regen nicht naß,
Da wehen die Lüftchen so schaurig!

Hoch hinter dem Garten vom Rabenstein,
Hoch über dem Steine vom Rade
Blickt hohl und düster ein Schädel herab,
Das ist ihr Schädel, der blicket aufs Grab,
Drei Spannen lang an dem Gestade.

Allnächtlich herunter vom Rabenstein,
Allnächtlich herunter vom Rade
Huscht bleich und molkig ein Schattengesicht,
Will löschen das Flämmchen und kann es doch nicht
Und wimmert am Unkengestade.

Aus: Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891.
Bibliographisches Institut (S. 198-203)
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Heloise an Abelard
Frei nach Popen

Hier im Schauer tiefer Totenstille,
Wo die Himmelstochter Andacht wohnt,
Und Melancholie in schwarzer Hülle
Sinnig mit gesenktem Haupte thront,
Was will hier entflammter Triebe Hader
In der gottgeweihten Jungfrau Brust?
Warum glüht ihr noch in jeder Ader
Rückerinnerung entflohner Lust? -
Immer noch zu Liebe hingerissen,
Immer noch durch dich, mein Abelard,
Muß ich den geliebten Namen küssen,
Welcher mir so unvergeßlich ward.

Süßer Zaubername, dem das Siegel
Heiliger Verschwiegenheit zerspringt! -
Birg, o Herz, ihn tiefer unterm Flügel
Da, wo Liebe wild mit Andacht ringt!
Schreib' ihn nicht! - Doch ach! was hilft mein Wehren? -
Rasch Hand, du schriebst ihn ja schon hin! -
Löscht ihn wieder aus, ihr meine Zähren!
Rettet, rettet die Verräterin! -
Ah! Die Arme, die vor Schuld erbanget,
Schluchzt und weint umsonst, umsonst ihr Ach;
Was gebieterisch das Herz verlanget,
Schreibt die Hand nur allzu willig nach.

Mitleidslose Mauern, zwischen denen
Sich die Buße langsam selbst entseelt!
Harte Quadern, oft benetzt von Thränen
Und von wunden Knieen ausgehöhlt!
Felsengrotten, tief in Dorn verborgen!
Heil'genblenden, wo die ganze Nacht
Christus' Braut mit ihren frommen Sorgen
Zu Gebeten und Gesängen wacht!
Bilder selbst, die ihr bei uns so kläglich
Weinen lernt! Mit euch in Harmonie
Ward ich kalt zwar, stumm und unbeweglich:
Doch zu Stein vergaß ich noch mich nie.
Nimmer herrscht da unumschränkt der Himmel,
Wo sich Abelard nicht bannen läßt.
Stets geneigt zu Aufruhr und Getümmel,
Hält Natur des Herzens Hälfte fest.
Alles Beten, alles Fasten hemmet
Nicht des Blutes Sturm und Drang aufs Herz;
Jahrelang, allein umsonst, beschwemmet
Wang' und Busen meiner Reue Schmerz.

Kaum entfalt' ich deinen Brief mit Beben,
So durchbohrt das Herz mir wie ein Schwert
Jener Name, traurig meinem Leben,
Dennoch ewig meiner Seele wert;
Jener Name, meines Friedens Klippe,
Abgestorbner Freude Monument,
Den der Büßerin verblühte Lippe
Nimmer ohne Thrän' und Seufzer nennt. -
Auch den meinen beb' ich zu erblicken:
Überall ziehn Kränkung oder Schmach,
Überall des Schicksals böse Tücken
Ihm, wie Schatten ihren Körpern, nach.
Meine Seufzer finden keine Weile;
Eine Zähre drängt die andre fort:
Denn ein Schwert, ein Schwert ist jede Zeile,
Und ein Stachel ist ein jedes Wort.
Schnell aus freier, goldner Frühlingshelle,
Wo mich warmer Liebeshauch umgab,
Schlang mein Leben eine Klosterzelle,
Kalt und düster wie die Gruft, hinab.
Hier verlosch die Lohe meiner Triebe
Vor des finstern Kirchenwahnes Hauch;
Und die besten, Ehrbegier und Liebe,
Hier zerflosen sie in eitlen Rauch.

Dennoch schreib', Geliebter meiner Seele,
Schreib' mir alles, alles ohne Scheu,
Daß mein Schmerz dem deinen sich vermähle,
Daß ich deiner Seufzer Echo sei!
Diese Macht entzogen ja der Armen
Ihr Geschick und ihre Feinde nie.
Könnte wohl, entneigter dem Erbarmen,
Abelard ihr mehr entziehn als sie?
Noch sind sie mein eigen, diese Zähren:
Wozu spart' ich sonst die Zähren noch?
Wollt' ich sie der Liebe nicht gewähren,
So entpreßte sie mir Buße doch.
Meiner matten Augen letzte Kräfte
Sehnen sich von nun an, spät und früh,
Nach dem einen seligen Geschäfte:
Lesen nur und weinen wollen sie.

Teile dann dein Weh mit meinem Herzen!
Weigre mir sie nicht, die bittre Lust! -
Teilen? - O zu wenig! - deine Schmerzen
Alle, alle schütt' in meine Brust! -
Traun, ein Gott war's, welcher Schrift und Siegel
Für ein armes Liebespaar erfand;
Für das Mädchen hinter Schloß und Riegel,
Für den Jüngling, weit von ihr verbannt.
Briefe leben, atmen warm und sagen
Mutig, was das bange Herz gebeut.
Was die Lippen kaum zu stammeln wagen,
Das gestehn sie ohne Schüchternheit.
Daß im Gram sich Herz an Herz erhole,
Herz von Herz getrennt durch Land und Meer,
Tragen sie von Indus bis zum Pole
Dienstbar auch den Seufzer hin und her.

Mann, du weißt, wie schuldlos ich entbrannte,
Als, besorgt vor jungfräulicher Scham,
Deine Lieb, die sich Freundschaft nannte,
Leise mich zu überflügeln kam.
Nicht als einen von der Erde Söhnen,
Nein, als ersten aus der Engel Schar,
Als das Urbild des Unendlichschönen
Stellte dich die Phantasie mir dar.
Süßes Lächeln, daß der Sieg nicht fehle,
Milderte des glanzes Flammenspiel
Der nun schmeichelnd mir in Aug' und Seele
Wie ein Tag des Paradieses fiel.
Arglos blickt' ich in die sanfte Klarheit,
Arglos lauschte dir mein offnes Ohr;
Doppelt wahr kam jedes Wort der Wahrheit
Mir auf deiner Honiglippe vor.
Wer die Lehre solcher Lippen höret,
O, der glaubt, von jedem Zweifel frei!
Nur zu bald ward ich durch sie belehret,
Daß die Liebe keine Sünde sei.
Wiederkehrend aus des Himmels Höhen
In der Erdenwonnen Region,
Wünscht' ich keinen Gott in dem zu sehen,
Den ich liebt' als holden Erdensohn.
Wirr' und dämmernd wie ein Traumgewimmel
Schwebte fern der Engel Lust mir vor,
Und ich gönnte Heiligen den Himmel,
Den ich gern um Abelard verlor.

O wie oft, zur Sklaverei der Ehe
Durch den Spruch gestrenger Zucht verdammt,
Rief ich über jede Satzung Wehe,
Welche nicht von freier Liebe stammt.
Freie Liebe bebet vor den Schlingen
Fesselnder Verträge scheu zurück.
Schnell entfaltet sie die leichten Schwingen
Und entflieht im ersten Augenblick.
Immer folge der vermählten Dame
Reichtum, Pomp und hoher Ehrenstand;
Hehr und unbescholten sei ihr Name:
Gegen Liebe, welch ein leerer Tand!
Den Betrognen, die der heil'gen Liebe
Nicht um ihretwillen nur sich weihn,
Haucht sie rächend umgestüme Triebe
Zur verdienten Seelenmarter ein.
Werfe sich der ganzen Welt Gebieter
Huldigend zu meinen Füßen hin:
Stolz verschmäh' ich ihn und alle Güter,
Wenn ich nur des Liebsten Holdin bin.

Fällt dir sonst ein Name, mich zu zieren,
Freier, süßer noch als Holdin, ein:
O, so laß, Geliebter, mich ihn führen,
Laß mich dir, was er bedeutet, sein!
Welch ein selig Los, wann Seel' und Seele
Sich einander ziehn durch eigne Kraft
Und, nur folgsam der Natur Befehle,
Liebe Freiheit, Freiheit Liebe schafft!
Allbesitzend immer, allbesessen,
Labet eins am andern sich alsdann.
Keine der Begierden darbt vergessen,
Die sich nicht in Fülle weiden kann.
Der Gedank' erahndet den Gedanken,
Ehe noch die Lipp' ihn offenbart;
Kaum entschlüpft der Wunsch des Herzens Schranken,
Als sich schon Erfüllung mit ihm paart.
Bild der Seligkeit! Wenn auch hienieden
Keine Welterfahrung sonst dir glich:
Uns war deine Wirklichkeit beschieden;
Selig waren Abelard und ich. -

Weh' mir! Welch ein Wechsel jener Szenen!
Was für Greuel plötzlich mir so nah'! -
Horch! des Hochgeliebten Todesstöhnen!
Nackt, gebunden, blutend liegt er da! -
Ha, wo war ich mit der Retterstimme,
Mit der hohen dolchbewehrten Hand? -
Ach! ich hätte des Verfolgers grimme
Frevelthat vielleicht noch abgewandt.
"Halt, Barbar, mit der entblösten Schneide,
Halt mit dem verruchten Vorsatz ein!
Rügst du Schuld, so tragen wir sie beide,
Beider müss' also die Strafe sein!" -
Ach, ich kann nicht mehr! - Von Scham befangen
Und von Wut, erstickt in mir das Wort.
Redet, Flut der Augen, Glut der Wangen,
Redet ihr statt meiner Lippe fort! -

Kannst du noch dir in die Seele rufen
Jenen feierlichen Trauertag,
Als gestreckt auf des Altares Stufen
Jegliches von uns, ein Opfer, lag?
Als bei tausend Thränen hoch und teuer
Warme Jugend sich der Welt entschwur? -
Dennoch ach! empfing der Weiheschleier
Seinen Kuß von kalter Lippe nur.
Rund umher erbebte Gottes Tempel;
Jeder Kerze sank in Dämmerung;
Staunend sah der Himmel dies Exempel
Ungebgreiflicher Eroberung.
Als wir drauf zum Hochaltare gingen,
O, wie schlug das volle Herz in mir;
Heloisens Aug' und Seele hingen
Nicht am Kreuze, hingen nur an dir.
Liebe, statt der Gnade, deine Liebe
War das Herzgeschrei der Schwärmerin.
Ach! Wenn diese nicht ihr übrigbliebe,
So wär' alles, alles für sie hin.
Komm dann, Liebster, komm mit Blick und Stimme!
Lindre mir den wilden Seelenschmerz!
Stimm' und Blick entzogst du ja dem Grimme
Deines Schicksals für mein armes Herz.
Laß mein Haupt an deinem Busen lauschen!
Laß, indem dein Arm mich fest umschließt,
In dem süßen Gifte mich berauschen,
Welches dir von Aug' und Lippe fließt!
Komm, o komm, du meines Lebens Leben!
Alle meine Wünsche rufen dich;
Gib mir alles, was du noch kannst geben;
Und was nicht - erträumen laß es mich! -
Himmel, nein! Genuß wie dieser werde
Selbst durch deine Hilfe mir zum Spott!
Zeige mir den Himmel statt der Erde!
Abelard verschwinde mir vor Gott!

Komm und hilf! - Ach, mindestens bedenke,
Was der guten Herde noch gebührt,
Die du zwischen Wald und Felsenbänke
Hier auf neue Weide hergeführt!
Du hast diese Freistatt aufgerichtet,
Der so manches zarte Lämmchen schon
Sich vor Wolf und Tiger zugeflüchtet,
Welche draußen seiner Unschuld drohn.
Deiner Großmut Gaben nur bedecket
Statt erschlichnen Gutes dieses Dach.
Ihrem väterlichen Erbe strecket
Keine Waise hier die Hände nach.
Hier belud das sterbende Verbrechen,
Zagend vor dem nahen Strafgericht,
Den erzürnten Himmel zu bestechen,
Den Altar mit Gold und Silber nicht.
Diese schlichten, ungeschmückten Hallen,
Die bescheidne Frömmigkeit erhob,
Tönen nicht von Ach und Weh, erschallen
Ganz allein von ihres Schöpfers Lob.

In dies Haus, vom Lärm der Welt geschieden,
In den Dom, von Epheu grün bedacht,
Rund umkränzt mit schlanken Pyramiden,
Und in seiner hohen Wölbung Nacht,
Wo hinein durch schmale, trübe Fenster
Wie ein stilles, hehres Mondenlicht
In der Wanderstunde der Gespenster
Selbst der sonnenhellste Mittag bricht,
Strömte Wonne sonst aus deinen Blicken
Und schuf hohen, lichten Tag umher:
Doch von jenem himmlischen Entzücken
Strahlt kein Auge, glüht kein Antlitz mehr.
Trübe Blicke, blaß gehärmte Wangen,
Schlaffe Häupter rund umher gestehn
Ohne Worte täglich das Verlangen,
Ihren Hirten wieder hier zu sehn.
O so komm dann! Heitre das Betrübte!
Komm, mein Vater, Bruder, Gatte, Freund!
Tochter, Schwester, Gattin und Geliebte,
Alles, alles fleht in mir vereint. -

Nicht des Felsen Stirn im Fichtenkranze,
Die sich rauschend in die Wolken hebt,
Noch des Hügels Rücken, der vom Tanze
Froher Lämmerherden lebt und webt;
Nicht der Waldstrom, der vom hohen Gletscher
Donnernd über Felsenstufen fällt;
Noch der Grottenquell, der mit Geplätscher
Tag und Nacht das Echo wach erhält;
Nicht des Frühlings Winde, welche säuselnd
Durch das Laub der Wiesenpappel wehn,
Noch des Teiches Wellen, die sich kräuselnd
Um den Flügelschlag des Schwanes drehn;
Nicht von allem Großen, allem Schönen
Spricht ein Trostwort meinem Kummer zu,
Nicht mit ihren besten Wiegentönen
Lullt Natur den Wüterich zur Ruh'.
Wie im Kreuzgang über Leichensteinen,
So schwebt überall Melancholie.
Über Gärten, Wiesen, Feldern, Hainen,
Über Thal und Hügel schwebet sie.
Ächzend deckt sie mit dem Trauerflore
Alle Schimmer, alle Farben zu.
Weh thut jeder Frohlaut ihrem Ohre;
Totenstille heischt sie nur und Ruh'.
Tief stimmt sie herab die höchsten Töne:
Tief herab der Glock' und Orgel Klang,
Tief und bis zu dumpfem Grabgestöhne
Silberhellen Feld- und Waldgesang.

Dennoch muß ich hier nun ewig weilen,
Ewig zwischen Gott und dir mein Herz
Peinlich in der bangen Öde teilen.
Nur der Tod bricht endlich meinen Schmerz.
Und auch dann zerfällt mein Staub hier, zwischen
Ausgelöschter Herzen Aschenrest;
Bis ihn, frei zum deinen ihn zu mischen,
Die Natur den Winden überläßt.

Ha! Verworfne, die so hochvermessen
An der Hand den Brautring Gottes trägt,
Doch im Herzen, gott- und ehrvergessen,
Eines Mannes Bild und Liebe hegt! -
Hilf mir, Himmel, wider meine Fehle! -
Doch - was preßte diesen Ruf mir aus?
Hauchte Frömmigkeit aus tiefer Seele,
Oder stieß Verzweiflung ihn heraus?
Hier noch, wo ihr Haupt in dichten Schleier
Kalte Keuschheit birgt, noch hier sogar
Finden für ihr scheltenswertes Feuer
Lieb' und Wollust Tempel und Altar.
Büßen sollt' ich zwischen diesen mauern;
Doch vergebens winket mir die Pflicht.
Den Geliebten kann ich wohl betrauern,
Aber das Vergehn der Liebe nicht.
Immer blick' ich's an, und immer lodert
Hoch das Herz bei seinem Anblick mir;
Kaum bereut es alte Lust, so fodert
Neu schon die sträfliche Begier.
Bald erheb' ich himmelan die Hände
Und beweine laut, was ich verbrach;
Bald, wann ich nach dir die Seele wende,
Sprech' ich aller Unschuld Hohn und Schmach.
Von dem Schweren, was die Liebe lernet,
Bleibt Vergessen stets die schwerste Kunst.
Wenn sie das Vergehn auch von sich fernet,
So begleitet's doch ihr Blick mit Gunst.
Haßt das Weib die Sünde wohl von Herzen,
Das von Herzen so den Sünder liebt?
Weiß ich, ob mir Buße diese Schmerzen,
Oder Liebe sie zu fühlen gibt? -
Hartes Werk, die Leidenschaft zu dämpfen,
Für ein Herz, so hoch wie meins entbrannt!
O wie oft muß Haß mit Liebe kämpfen,
Eh' der Friede Lärm und Aufruhr bannt!
O wie oft wird nicht das Herz indessen
Hoffen, zagen, wünschen, streben, ruhn,
Schmachten und verschmähn, - nur nicht vergessen! -
Alles sonst erleiden, alles thun! -
Doch, wann sein der Himmel sich bemeistert,
Dann - ha! wie es dann nicht bloß gerührt,
Nein! entzückt, belebt nicht, nein! begeistert
Sein erhabnes Heldenwerk vollführt! -
Komm, o komm und hilf den Kampf mir wagen!
Hilf besiegen die Natur in mir!
Hilf mir meiner Liebe, hilf entsagen
Meinem Leben, meinem Selbst - und dir!
Eile, mein Geliebter, und vermähle
Deine Braut mit Gott! denn Gott allein
Kann nach Abelard von ihrer Seele
Letzter, einziger Gebieter sein.

O wie selig, selig unermessen
Ist der reinen Gottverlobten Los!
Welt vergessend und von Welt vergessen
Bettet sie sich in der Ruhe Schoß.
Kein Gebet von ihr bleibt unerhöret,
Weil sie stets in Gottgenügsamkeit
Jeden eitlen Erdenwunsch sich wehret.
Fleiß und Muße teilen ihre Zeit.
Sie kann schlafen, wachen, lächeln, weinen,
Beten, singen, wie es ihr gefällt.
Friedlich müssen Triebe sich vereinen,
Die der Geist im Gleichgewicht erhält.
Was sie weint, das weinet sie mit Wonne;
Was sie seufzt, das wehet himmelan.
Gleich dem Strahl der milden Abendsonne
Lacht der Gnade holdes Licht sie an.
Engel, im Geleite goldner Träume,
Schweben säuselnd über ihrer Ruh';
Engel, sanft bewegend Edens Bäume,
Fächeln ihr der Blüten Düfte zu.
Sie zur Braut sich zärtlich zu bedingen,
Reicht den Ring der Bräutigam ihr dar.
Weiße Jungfraun, Hand in Hand, umschlingen
Unter Brautgesängen den Altar.
Aufgelöst vom Klange zarter Saiten,
Mild umschimmert von des Himmels Strahl,
Wähnt sie, wie ein Bächlein hinzugleiten
In das ewig helle Wonnethal.

Ha! In solche Paradiesgefilde
Träumt sich meine irre Seele nie.
Ehrenlose, sträfliche Gebilde,
Reger Wollust Brut, umschwärmen sie.
Wann in Nächten, darbend an Genüge,
Phantasie ersetzt, was Wut geraubt,
Das Gewissen schläft und ohne Rüge
Schnöder Üppigkeit ihr Spiel erlaubt:
Dann entschlüpft sie ihren Schranken, stürzet
Wonnedürstend sich an deine Brust,
Und die Mitgespielin, Sünde, würzet
Höher, feuriger den Kelch der Lust.
Höllengeister, die bei Tage schliefen,
Spornen rascher der Begierde Lauf,
Rühren bis in seine tiefsten Tiefen
Jeden Quell der Lieb' und Wollust auf.
Ha! Dann blick' und lechz' ich mit Entzücken
Jede Blume deiner Schönheit an
Und umkette rund bis in den Rücken
Mit den Armen den erträumten Mann.
Ich erwach', - aus Arm, aus Aug' und Ohre
Schlüpft das Traumbild, liebeleer wie du.
Schnell verzischt es, gleich dem Meteore;
Seinen Schimmer deckt der Nachtflor zu.
Weit erstreck' ich dann die leeren Arme;
Rasch verfolgt es mein erwachter Blick;
Laut ruf' ich ihm nach in wildem Harme:
Doch umsonst! Es kehrt mir nicht zurück.
Schmachtend sinkt des müden Hauptes Schwere
Rückwärts auf den Pfühl zu neuem Traum:
"Komm zurück, du holder Taumel! Gäre
Wieder auf, du süßer Nektarschaum!" -
Nichts! - Mir dünkt, nun wandern wir zusammen
Durch die Schauer öder Wüstenei
Und bejammern, daß von unsern Flammen
Nirgends, nirgends mehr Erlösung sei.
Abgemattet von des Tages Schwüle,
Von der Wanderung durch Dorn und Moor,
Suchen wir und finden keine Kühle.
Schwere Dämpfe steigen grau empor
Und benehmen unserm müden Gange,
Gleich den Dünsten einer Totengruft,
Zwischen fürchterlichem Überhange
Hoher Felsenmassen, Licht und Luft.
Jach erhebst du dich von meiner Seite,
Schwebest bis zur Wolkendeck' empor,
Winkst mir zu aus der erhabnen Weite
Und verbirgst dich in der Dämmrung Flor.
Donnerklang und Sturm- und Stromgebrause
Schreckt mich wach; doch werd' ich des nicht froh:
Denn ich find' in meiner öden Klause
Alles Elend, dem ich kaum entfloh.

Anders hat zu deinem Lebensteile
Gütig strenge das Geschick gewählt
Und das Herz dir gegen alle Pfeile
So des Schmerzes wie der Lust gestählt.
Seinen gleichen, sanften Schlag beflügelt
Nie ein rasches, wild entflammtes Blut.
Deines Geistes stille Großmacht zügelt
Die Begier und wehrt der Überflut.
Ruhiger lag nicht in seinen Tiefen,
Als noch angefesselt der Orkan
Und die Kräfte der Bewegung schliefen,
Ruhiger lag nicht der Ozean;
Sanfter schlummert aus der Welt Getümmel
Nicht der Gottversöhnte sich ins Grab;
Milder leuchtet nicht der offne Himmel
In sein halbgebrochnes Aug' herab.

Sei mir dann, sei nochmals her entboten!
Denn was fürchtest du mein Angesicht?
Komm, o Abelard! Denn unter Toten
Zündet ja der Liebe Fackel nicht.
Kalt versagt Natur dich süßem Scherze;
Gott verdammt, was heiße Liebe schwärmt;
Ach! Sie lodert gleich der Totenkerze,
Die kein Leben in die Urne wärmt.

Was für herzentweihende Gebilde
Stellen sich mir allenthalben dar!
Ich mag betend wandeln im Gefilde,
Ich mag knieend beten am Altar:
Unter meiner Sehnsucht Hauch verdunkelt
Und verzehrt mein Morgenlämpchen sich;
Hell an jeder Betkoralle funkelt
Eine Thräne, hingeweint für dich;
Allenthalben stiehlt mit leisem Gange
Zwischen Gott und mich dein Bild sich hin;
Dich vernimmt in jedem Chorgesange
Das getäuschte Ohr der Schwärmerin.
Wann vom Altar bis zum Tempelbogen
Blau die süße Weihrauchwolke schwebt
Und sich, steigend mit den Orgelwogen,
Himmelan die fromme Seel' erhebt:
Dann zerstört auf einmal der Gedanken
Flüchtigster an dich des Festes Glanz;
Alles seh' ich durcheinander wanken,
Priester, Kerze, Rauchfaß und Monstranz;
Fühle tief in einem Feuermeere
Meine Seele brennend untergehn,
Währenddes in Flammen die Altäre
Und umher die Engel zitternd stehn. -

Jetzt, da ich der Reue Dolch empfinde,
Da aus mir die Tugend wieder weint,
Da ich betend mich im Staube winde,
Da mein Herz ein Gnadenstrahl bescheint,
Jetzt komm an, dein Herrenrecht zu pflegen!
Schwinge deines Reizes Zauberstab!
Setze dich des Himmels Macht entgegen!
Streit ihm mutig deine Sklavin ab!
Komm! Ein süßer Blick von dir vernichte
Jeden Wunsch der Frömmigkeit in mir!
Tritt zu Boden meiner Buße Früchte!
Alle Macht der Gnade weiche dir!
Übereile meine Segensstunde,
Reiße mich, schon nahe meinem Glück,
Reiße, mit dem Höllengeist im Bunde,
Noch aus Gottes Armen mich zurück! -

Nein, entfleuch! O fleuch zur fernsten Ferne!
Laß, wie Pol und Pol, uns nimmer nahn!
Steige Berg auf Berg bis an die Sterne!
Rolle zwischen uns ein Ozean!
Komm nicht, schreib' nicht, denk' mein nicht und trage
Nun und nimmer wieder Leid um mich!
Jeden Schwur erlaß ich dir; entsage
Jeder Rückerinnerung an dich.
Fleuch, verwirf und hasse Heloisen! -
Aber du, ihr einst so wonnevoll,
Sei hiermit zum letzenmal gepriesen,
Holdes Bild! Und nun - leb' ewig wohl! -
Hehre gnade! Göttlich schöne Tugend!
Segenvolle Weltvergessenheit!
Hoffnung, Himmelskind im Schmuck der Jugend!
Glaube, Spender hoher Seligkeit!
Sprecht nun, all' ihr hoch willkommnen Gäste,
Freundlich meiner offnen Seele zu!
Schenket zu dem nahen Jubelfeste
Meinem Feierabend sanfte Ruh'! -

Sieh', o sieh' hier an des Todes Schwelle
Heloisen trauernd ausgestreckt,
Wo ihr Leib vielleicht die Ruhestelle
Einer gleichen Dulderin bedeckt!
Mehr als Luft ist, was mit sanftem Schauer
Oft sie anweht, leise sie umstöhnt;
Mehr als Echo, was von jener Mauer
Murmelnd ihre Klagen widertönt.
Wach, gleich wie ihr Blick das düstergelbe,
Matte Kerzenlicht, so wach vernahm
Jüngst ihr Ohr den Ruf, der vom Gewölbe
Hohl und dumpf herausgewandelt kam:
"Komm", so sagt' es oder schien's zu sagen,
"Komm von hinnen, arme Schwester, komm"
Hier ist Ziel und Ruhestatt der Klagen.
Die dich ruft, war schwach wie du und fromm!
Vormals bebte, weinte, seufzte, flehte,
Litt sie, ach! um Liebe, gleich wie du.
Gott vernahm der frommen Angst Gebete,
Und geheiligt ging sie ein zur Ruh'.
Ah, wie sanft und süß ist hier der Schlummer!
Wie so still ist alles rund umher!
Ausgewimmert hat allhier der Kummer,
Und die Liebe seufzt und weint nicht mehr.
Höllenangst ob ihrer Menschheit Schwächen
Folgt hieher der frommen Einfalt nicht;
Menschenhärte darf den Fehl nicht rächen,
Dem ein milder Gott Verzeihung spricht."

Ha, ich komm', ich komme! Seht mich fertig,
Eure Rosenlauben zu beziehn!
Seid mit Himmelspalmen mein gewärtig
Und mit ewig blühendem Jasmin!
Mich verlangt, in Ruhe da zu weilen,
Wo die reinen milden Lüfte wehn,
Wo der Liebe Flammenwunden heilen
Und in Lust die schmerzen übergehn. -
Jetzo komm, mein Abelard, und leiste
Liebreich mir die letzte Trauerpflicht!
Ebne sanft dem müden Pilgergeiste
Seinen Übergang aus Nacht in Licht!
Sieh' das Brechen meiner trüben Augen,
Sieh' das Beben meiner Lippen an!
Neige dich, den letzten Hauch zu saugen
Und im Fluge meinen Geist zu fahn! -
Nein, ach nein! - Im heiligen Talare,
Still erbebend wie der Espe Blatt,
Mit geweihter Kerze vom Altare
Nahe dich zu meiner Lagerstatt!
Folge meinem irren Augensterne
Mit dem Kreuz und reich' es mir zum Kuß;
So auf einmal lehre mich und lerne
Du von mir auch, wie man sterben muß! -
Ah! Nun magst du, tief im Schaun versunken,
Schuldlos vor der einst so Teuern stehn;
Magst verglühn des Auges letzten Funken
Und verglühn der Wange Rosen sehn!
Stehn, bis keiner ihrer Lebensgeister,
Selbst der kleinste sich nicht weiter regt,
Bis ihr Herz für seinen großen Meister,
Seinen Abelard, auch nicht mehr schlägt. -
Tod, o Tod, du Redner ohnegleichen
Vor dem Liebenden, der sonst nichts hört,
Wie erschütternd, selbst durch stumme Zeichen,
Predigst du, was ihn für Staub bethört! -

Wann nun auch die schönste der Gestalten,
Die mein Blick so lüstern oft umirrt,
Unter Lebensmüh' und Zeit veralten
Und erschlafft zusammensinken wird:
Dann verwandle sich in Hochentzücken
Alle deine Herzbeklommenheit!
Weit vor deinen aufgeklärten Blicken
Öffne sich des Himmels Herrlichkeit!
Eine lichte Wolke steige nieder
Und, umringt von froher Engel Chor,
Schwebe bei dem Klange süßer Lieder
Deine Seel' ins Paradies empor!
Ruf' ihr dort der Heiligen und Frommen
Ganze Schar, die sich entgegendrängt,
So voll Liebe, so voll Lust Willkommen,
Als dich Heloisens Arm umfängt!

Beide Asche decke nun ein Hügel,
Beider Namen werd' ein Stein geweiht!
Glorreich trage deines Ruhmes Flügel
Meine Liebe zur Unsterblichkeit!
Fügt sich's dann in später Nachwelt Tagen,
Wann am Herzen mir kein Wurm mehr frißt,
Und von meinen Seufzern, meinen Klagen
Längst der letzte Laut verschollen ist,
Daß ein Ungefähr nach seiner Weise
Für ein trautes Paar den Plan erdenkt
Und die Schritte seiner Pilgerreise
Nach dem stillen Paraklete lenkt:
O so tret' es wehmutsvoll und schweigend
An den alten grauen Marmelstein!
Haupt zu Haupte sanft hinüberneigend,
Schlürf' es eins des andern Thränen ein!
Aufgeschüttert von des Mitleids Triebe,
Hinterlaß es betend unser Grab:
"Segn' uns Gott mit einer frohern Liebe,
Als das Schicksal diesen Armen gab!"

In der Feierstunde, wann der Chöre
Lautes Hosianna hier ertönt,
Oder wann ihr banges Miserere
Knieend eine Schar von Büßern stöhnt;
Mitten dann im Pomp der Hekatombe
Frommer Seufzer, die gen Himmel wehn,
Müsse noch auf unsre Katakombe
Seitwärts manches Auge niedersehn!
Selbst der Andacht müss' in höchster Sphäre
Ein Gedanke noch an uns entfliehn,
Und, die ihn begleiten wird, die Zähre
Werde gern im Himmel ihr verziehn!

Wenn das Glück nicht meinen Nachruhm neidet,
So erhebt ein Sänger sich vielleicht,
Der an einer Seelenwunde leidet,
Die der meinigen an Tiefe gleicht;
Der umsonst, umsonst durch lange Jahre
Seiner Hochgeliebten nachgeweint,
Bis ihn noch mit ihr - doch vor der Bahre! -
Das Geschick minutenlang vereint;
Der nun unter Klagemelodieen,
Fern von treuer Gegenliebe Kuß,
Schmachtend in das Land der Phantasieen
Seine liebsten Wünsche senden muß:
Dieser mach' in preislichem Gedichte,
Wohlgestimmt dazu an Herz und Mund,
Unsre thränenlockende Geschichte,
Meinem Schatten noch zum Labsal, kund!
Bei dem Liede mein- und seiner Schmerzen
Werde jedes Hörers Brust erregt!
Denn nur der beweget leicht die Herzen,
Welchem selbst ein Herz im Busen schlägt.

Aus: Bürgers Gedichte. Herausgegeben von Arnold G. Berger.
Kritisch durchgesehene und erläuterte Ausgabe Leipzig und Wien 1891.
Bibliographisches Institut (S. 331-347)
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