Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Carmen Sylva
(1843-1916)



Wüstenklänge

Andalusiens Zaubergarten
Schauert nächtlich Blüthen nieder,
Auf des dunkeln Wüstensohnes
Stürmisch heiße Liebeslieder.
Ach! er sucht die Wüstenblume,
Sucht die flüchtige Gazelle,
Die Oasis seiner Augen,
Seines Herzens frische Quelle.
Und er hemmt den Strom der Lieder,
Athemlos hinauszulauschen,
Zärtlich senden weiße Blumen
Ihren Duft, ihn zu berauschen.
Reich geschmückt, von Golde glänzend,
Steht das Haus im Mondenscheine.
Stille rings; nur seine Klage
Zittert durch die Nacht alleine.
Nicht Paläste hat die Wüste,
Doch der Theuern Zelt zu schmücken,
Wagt er manchen blutgen Kriegszug,
Nur nach neuen Teppichstücken,
Nur um ihre beiden Grübchen,
Ihrer Zähne Glanz zu schauen,
Während ihre Worte perlend
Auf sein heißes Herze thauen.
Als ein fremder Scheich sie raubte,
Hört er ihren Angstruf hallen,
Auf dem Hengste hat er windschnell
Ihren Räuber überfallen.
Blutig war und heiß das Ringen,
Bis der Scheich sich wälzt im Sande,
Bis sein Falkenauge brechend
Zu ihr schweift im letzten Brande. -
"Ewig will ich Dir gehören!"
Sprach sie sanft, den Hengst besteigend,
Und an seine Brust ihr Köpfchen
Ohne Widerstreben neigend.
Doch, als wieder er gekommen,
Sie zu mahnen, sie zu fragen,
War verschwunden die Geliebte,
Vom Samume fortgetragen.
Furchtbar war sein Schmerz zu schauen:
Mit zerrissenem Gewande
Fluchte er der Maid, dem Schicksal,
Stöhnend in dem heißen Sande,
Raffte sich empor, um hallend,
Weithin einen Schwur zu schwören,
Durch die ganze Welt das Mägdlein
Nie zu suchen aufzuhören.
Andalusiens Zaubergarten
Hat ihn endlich aufgenommen,
Und vor ihres Hauses Schwelle
Ist er singend angekommen.
Nacht um Nacht will mit den Liedern
Aus der Heimat er sie rühren,
Um sie, in den starken Armen,
In die Wüste zu entführen.
Aber Andalusiens Düfte
Haben sie zu lind umfangen,
Nach der ernsten Heimath hegt sie
Wohl schon längst nicht mehr Verlangen!

Horch! da nah'n Gazellenschritte,
Und Gazellenaugen leuchten!
Will der Thau vom Himmel fallen,
Um die Erde zu befeuchten?
Und zwei weiße Arme schlingen
Sich um seinen Nacken; Flehen
Klingt in seinem Ohre: "Trauter!
Liebst du mich, so mußt Du gehen!
Jedes Deiner süßen Lieder
Bringt nur Bangen, Schmerz und Noth mir,
Deine Liebe zu genießen,
Brächte mir den sichern Tod mir.
Die Gazelle liegt gefangen,
Hat die Freiheit fast vergessen,
Darf im Traume kaum mehr wissen,
Daß sie Dich dereinst besessen!"
Und zwei Lippen hängen trunken
An den Seinen. Blitzesschnelle
Zuckt sein Stahl und birgt im Busen
Bis an's Heft sich der Gazelle.
An dem nächsten Baum zerschmettert
Liegt die Leyer: "So erreiche
Meine Rache ihren Vater,
Ihren Stamm mit einem Streiche!"
Einmal muß er zu der holden,
Stummen Braut sich niederbücken,
Auf die kalten, weißen Lippen
Einen heißen Kuß zu drücken.
Dann erhebt er sich und wendet
Sich zur fernen Heimat wieder. -
Andalusiens Zaubergärten
Regnen zärtlich Blüthen nieder.

Aus: Meine Ruh von Carmen Sylva
Balladen und Romanzen
Zweite Auflage Berlin 1885 (S. 25-29)
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