|
Marie Eugenie Delle Grazie
(1864-1931)
Flora
(Nach einer
rumänischen Sage)
"Alexi, Du bist mir nicht mehr gut,
Dein Kuß ist nicht mehr glühend,
Alexi, Dein Herz ist nicht mehr mein,
Es gehört der Nella im Thale!"
"Meine Flora glaub' das nicht,
Dich nur lieb' ich, Dich,
Mein Kuß ist noch glühend,
Mein Herz noch Dein!"
"Alexi, Du lügst,
Sonst brachtest Du die schönsten Rosen,
Die Du im Thale fand'st nur mir,
Und jetzt – jetzt blühen Deine Rosen
Am Herzen Nella's, leugn' es nicht!"
"Meine Flora, glaub' das nicht,
Dich nur lieb' ich, Dich,
Mein Kuß ist noch glühend,
Mein Herz noch Dein!"
Und Flora sitzt im Walde;
Da sieht sie Alexi nah'n,
Und sieht ihn liebeglühend
Die blühende Nella umfahn.
"Fahr hin, fahr hin!" Sie ruft es
Und stößt ihm ein Messer in's Herz,
Und zieht es aus klaffender Wunde,
Und stößt's auch dem Mädchen ins Herz.
"Du hast mir mein Glück geraubet,
Mit seiner Liebe fahr hin!"
Sie selber stürzt sich vom Felsen,
Drei Leben so waren dahin.
Doch wenn nun kehret der Frühling,
Und die wilden Rosen blüh'n,
Da sieht man die blutige Flora
Wild klagend die Wälder durchzieh'n.
Ihr weißes Gewand ist blutig,
Ihr Haare flattern im Wind,
Sie schwingt die blutige Waffe
In Händen, die blutig sind.
Ersieht sie ein Mädchen, das treulos
Der Heißgeliebte verließ,
Sie muß ihm von Rache erzählen,
Die verlassener Liebe so süß.
Sieht das Mädchen die blutige Waffe,
Dann eilt es im Wahnsinn fort,
Und kann nicht ruhen und rasten,
Bis vollbracht der gräßliche Mord.
Aus: Marie Eugenie
Delle Grazie Gedichte 1882
Verlag C. F. Simon, Herzberg und Leipzig (S. 48-50)
_______
|