Emanuel Geibel
(1815-1884)
Inhaltsverzeichnis der Balladen:
Balladen vom Pagen und der Königstochter
I.
Der alte
König zog zu Wald,
Das ist ein Jagen heute!
Der Renner schnaubt, das Hüfthorn schallt,
Im Busche bellt die Meute.
Und als
die Sonn' im Mittag steht,
Da hat im Buchengehege
Des Königs rosiges Töchterlein
Verloren sich vom Wege.
Sie
reitet sacht, es reitet mit ihr
Der Pag' im gelben Haare
Und wäre sie nicht des Königs Kind,
Sie taugten zum schönsten Paare.
Er
schaut sie an, sein Herz erbebt,
Der Forst wird immer dichter,
Die Wangen brennen ihm bis zur Stirn,
Mit brennenden Wangen spricht er:
"Du hold
holselige Prinzeß,
Ich kann's nicht mehr verschweigen,
Mein junges Herz, das bricht vor Lieb',
Mein Herz, das ist dein eigen."
"O
dürft' ich auf den rothen Mund
Ein einzigmal dich küssen!
Ich wäre der seligste Mann von der Welt,
Sollt' ich drum sterben müssen."
Sie sagt
nicht Ja, sie sagt nicht Nein,
Sie hemmt des Rosses Zügel,
Und als sie sich vom Sattel schwingt,
Da hält er ihr den Bügel.
Sie
schreiten hinein in den tiefen Wald,
Da sind so schattig die Lauben,
Da singt von Liebe die Nachtigall
Und girren die Turteltauben.
Da
sprießt die Rothe, die wilde Ros'
In grünen Finsternissen;
Da beut am Grund das frische Moos
Der Lieb' ein Ruhekissen.
Sie ruhn
im Moos bei der wilden Ros',
Die Rosse lassen sie grasen,
Sie hören nicht mehr die Nachtigall
Und nicht der Jäger Blasen. -
Du alter
König, harre nicht!
Die schönste der Prinzessen
Sie hat in deines Pagen Arm
Dich und die Welt vergessen.
II.
Zwei
Reiter reiten vom Königsschloß,
Sie reiten hinab zum Strande;
In hohen Lüften pfeift der Wind,
Die Wellen schäumen zu Lande.
Der
König spricht zum Pagen sein,
Er spricht's in finsterem Muthe:
Wer gab das Röslein dir, Gesell;
Das Röslein auf deinem Hute?
Das
Röslein gab die Mutter mir,
Da sie mich ließ in Sorgen!
Ich stell's in Wasser jede Nacht,
So blüht es jeden Morgen."
Sie
reiten entlang an der blauen Bucht,
Die Woge murrt eintönig,
Die Möven fliegen kreischend auf,
Zum andern fragt der König:
Weß ist
die Locke, die ich sah
An deine Brust geschlungen,
Da dir vorhin vom scharfen Ritt
Das Reitwamms aufgesprungen?
"Das ist
meiner Schwester lichtbraun Haar,
So fein und weich wie Seiden!
Es duftet süß wie Rosenöl,
Sie weinte drauf beim Scheiden."
Sie
reiten hinauf den Felsensteig;
Am Pfad sind eingeschnitten
Blutrunen aus uralter Zeit,
Der König fragt zum dritten:
Sag an
und rede die Wahrheit mir,
Gesell, es gilt dein Leben,
Wer hat den Ring am Finger dir,
Den goldnen Ring gegeben?
"Die mir
den Ring am Finger gab,
Gab mir ihr Herz desgleichen;
Das ist die allerschönste Maid
In allen deinen Reichen."
Des
Königs Stirn wird roth wie Blut,
Die Augen zornig ihm brennen;
"Der Ring ist meines Kindes Ring!
Sein Blinken muß ich kennen.
Und
wagtest du in frecher Lust
Um ihren Leib zu werben,
So dauert dein jungfrisch Leben mich nicht,
Des Todes mußt du sterben."
Er zieht
hervor sein scharfes Schwert,
Er stößt es durch's Herz dem Gesellen;
Das Blut fließt über den Runenstein
Hinunter in die Wellen.
Er wirft
den Leichnam in die Flut:
"Und steht so hoch dein Sinnen,
So magst du um die Königin jetzt
der Wassernixen minnen!"
Den
Strand entlang zum Königsschloß
Heimreitet ein düsterer Reiter;
Hinaus in's Meer die Leiche schwimmt,
Die Wellen rauschen weiter.
III.
Am
Runenstein in der Sommernacht
Da spielen die Wasserfrauen;
Das Wasser klingt, es singt die Luft,
Der Mond steht hoch im Blauen.
Das
plätschert und lacht, das wogt und taucht
Wie Lilien auf und nieder,
Es schwimmt auf der Flut das goldne Haar,
Es schimmern die weißen Glieder.
Mit
schilfigem Bart der Meermann bläst
Die gewundene Muschelposaune,
Die Nixen schlingen den Reigen dazu,
Sie sind in der besten Laune.
Da
schreit die Jüngste und kichert drauf:
Ei seht, was fand ich in der Welle!
Ein blinkendes winkendes Todtengebein,
Wie Silber glänzt es so helle.
Ich
stieß mit dem Fuß an's Korallenriff
Beim lustigen Untertauchen,
Da lag's in den Aesten, ich zog es hervor;
Nun sagt, wie können wir's brauchen?"
Neugierig beschaut der Schwarm den Fund,
Die Königin spricht mit Lachen:
"Das beinerne Ding ist hübsch und fein,
Eine Harfe woll'n wir draus machen.
Komm
Schilfbart, alter Musikant,
Du weißt von solchen Dingen;
Ich schenk' einen Schwertfisch dir zum Roß,
Kannst du's zu Stande bringen."
Der
Meermann kommt, er nimmt das Gebein,
Er fügt es mit langem Geklügel,
Er macht aus den Fingern die Wirbel gut,
Aus dem Brustbein macht er den Bügel.
Er nimmt
von der Königin goldenem Haar,
Und spannt es drüber als Saiten;
Ei wie so wundersam durch die Nacht
Die Töne schwellen und gleiten!
Nun
schlägt er die Harfe wohl auf und ab,
Da lassen die Wellen das Rauschen,
Der Wind hält leise den Odem an,
Und schlummert ein im Lauschen.
Die
Möven setzen sich nieder am Strand,
Goldfischlein steigen vom Grunde,
Es horcht die Luft, es horcht das Meer
Bezaubert in der Runde;
Der
Meermann harft und singt darein,
Er fühlt nicht Müh noch Sorgen;
Die Nixen schlingen den Reigen dazu
Bis an den rothen Morgen.
IV.
Die
Lampen funkeln im Königsschloß,
Es klingen die Flöten und Geigen;
Des Königs schönes Töchterlein
Tanzt drinnen den Hochzeitsreigen.
Sie
trägt im Haare den Myrtenkranz,
Doch wandelt sie stumm und befangen;
Sie trägt an der Brust die blühende Ros',
Doch sind ihr so bleich die Wangen.
Sie
tanzt mit dem fremden Königssohn,
Er geht in Purpur und Seide;
Doch schöner, tausendmal schöner war
Der Knab' im Pagenkleide.
Am
goldnen Tisch zwölf Jungfraun stehn,
Den perlenen Wein zu kredenzen;
Zwölf Pagen schwingen sich um das Paar
Mit lodernden Fackeln und Kränzen.
Urplötzlich löschen die Fackeln aus,
Urplötzlich verstummen die Geigen;
Der alte König fährt vom Sitz:
"Sagt an, was soll dieß Schweigen?"
"Herr
König, nicht entbrenn' in Zorn,
Wir dürfen nicht blasen und streichen;
Der Meermann harft vor dem Schlosse dein,
Dem Meermann müssen wir weichen."
Und
horch, empor vom Meere weht
Ein süßes trauriges Schallen,
Es schleicht so sacht durch die dämmernde Nacht
Herein in die festlichen Hallen.
Es
schleicht so sacht in das Ohr der Braut;
Ihr ist, als ob aus der Tiefe,
Als ob aus der Tiefe mit Allgewalt
Der liebste Buhle sie riefe.
Ihr
quellen die Augen, sie weiß nicht warum,
Sie muß in Thränen zerfließen;
Aus ihren Locken der Myrtenkranz
Fällt welk zu ihren Füßen.
Dem
König rieselts durch Mark und Bein,
Er fleucht entsetzt vor dem Schalle;
Es eilt der fremde Königssohn
Nach seinen Rossen im Stalle.
Im Saale
liegt die bleiche Braut,
Ihr ist das Herz zersprungen;
Der Morgen trüb in die Fenster graut,
Des Meermanns Harf' ist verklungen.
Aus: Emanuel Geibel
Gesammelte Werke in acht Bänden.
Stuttgart Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung 1883
Band 2 (S. 151-158)
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Die Winsbraut
Nun ist
der Frühling kommen ins Land,
So wonnig geht sein Hauch;
Es schlägt die junge Nachtigall
Im blühenden Fliederstrauch.
Sie
schlägt so süß, sie singt so trüb
Von großer Liebesmacht;
Am Spiegel steht das Burgfräulein
Und strählt ihr Haar und lacht.
Da tritt
ihr Bruder dar zu ihr:
"O Schwester Kunigund,
Verzeih' dir Gott das Lachen
Von deinem rothen Mund!
"Verzeih' dir Gott dein arges Spiel
Und deinen harten Sinn!
Wer hat dich solche Kunst gelehrt
Du stolze Zauberin?
"Du
fängst mir Ritter und Edelknecht
Mit deiner Augen Schein;
Du singst ihr Herz in Liebesglut,
Und deins bleibt kalt wie Stein.
"O
Schwester, wer mit Flammen spielt,
Der lösch' auch, wo es brennt;
Dein Locken und dein Höhnen
Das nimmt kein gutes End."
Das
Fräulein schüttelt ihr goldnes Haar:
"Du sprichst nicht nach Gebühr.
Und glänzt mein Aug', und blüht mein Mund,
Sag' an, kann ich dafür?
"Was
schiert mich all die Liebesglut,
Von Ritter und Edelknecht?
Laß sie verderben und sterben!
Sie sind mir viel zu schlecht.
"Laß sie
verderben und sterben!
Eh' sie mich lehren frein,
Der Wind, der Wind, das Königskind,
Soll eh' mein Buhle sein."
Zu Nacht
das Fräulein schlief im Saal;
Sie hatt' einen schweren Traum.
Ihr war's, sie flög' ein Vogel
Im bodenlosen Raum.
Sie flog
und hatte nicht Rast, es ging
Ein Sausen hinterher,
Hoch über ihr die leere Luft
Und unter ihr das Meer.
Und
plötzlich ward es todtenstill,
Ihr Flügel war wie Blei:
Hinunter stürzt sie jählings -
Da wacht sie auf im Schrei.
Da
horch, was klirrt und klingt im Saal?
Die Fenster springen auf -
So wie das Sausen dort im Traum
So fließt's an ihr herauf.
Des
Lagers Decken lüften sich,
Sie weiß nicht wie's geschehn;
Ihr faltig Nachtkleid flattert,
Ihr goldnen Locken wehn.
Es küßt
sie was so kühle,
Daß ihr das Blut gerinnt;
Es kommt ein langer luft'ger Arm,
Und hebt sie auf geschwind.
"Hinaus,
hinau, Feinslieb, und fort
Im weißen Mondenschein!
Und ist dein Fuß gleich unbeschuht,
Es geht zum Hochzeitsreihn.
"Ich bin
der Wind, das Königskind,
Du überstolzes Blut:
Die Wälder neigen sich unter mir,
Und mir gehorcht die Flut."
Und über
die Wälder trägt er fort
Und über das Meer sein Lieb,
Mit Saus und Braus und Pfeifenklang -
Weiß keiner, wo sie blieb.
Aus: Emanuel Geibel
Gesammelte Werke in acht Bänden.
Stuttgart Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung 1883
Band 2 (S. 161-163)
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Herr Walther
Herr
Walther lag im Zauberthurm
In der Waldfrau schneeweißem Arm; -
Frau Mechthild klagte bei tiefer Nacht
Ihres Herzens bitteren Harm.
Sie saß
auf ihrem verwittweten Bett,
Und weinte Thränen wie Blut;
Zwei Monden war's, daß ihr Gemahl
Ihr nicht am Herzen geruht.
Und als
der Morgen ins Fenster sah,
Vom Lager sprang sie empor,
Und als man im Münster die Frühmette sang,
Sie pocht' an des Bischofs Thor.
"Ach
heiliger Bischof, nun rath und hilf,
Groß Unheil sag' ich dir an;
Die Waldfrau hat meines Gatten Herz
Bezaubert mit Spruch und mit Bann.
"Wohl
lebten wir Monden drei und vier,
Und die Zeit ward nimmer uns lang;
Tags klang aus dem Wald herüber sein Horn,
Und es hüpfte mein Herz bei dem Klang.
"Und bei
Nacht, wie blühte so roth sein Mund!
Und er küßte mich tausendmal.
Nun hält ihn bezwungen das teuflische Weib,
Und einsam verzehrt mich die Qual.
"Ach
Bischof, heiliger Vater mein,
Und weißt du ein Sprüchlein nicht,
Das stark ist wider höllische Kunst
Und solchen Zauber zerbricht?"
Den
weißen Bart der Bischof strich;
Er griff in den Busen hinein:
"Da nimm die Kapsel von rothem Gold
Mit des Märtyrers heil'gem Gebein!
"Und
hälst du sie hoch in Sonn' und Wind,
Wenn von ferne die Glocken erschallen,
Und rufst dreimal seinen Namen dazu,
Der Zauber wird von ihm fallen."
Frau
Mechthild schürzt' ihr langes Gewand,
Sie schritt in den Wald hinaus,
Und als auf den Gipfeln der Mittag lag,
Sie stand vor des Waldweibs Haus.
Da kam
es gewogt durch die stille Luft
Die Glocken klangen so tief;
Sie hielt die Kapsel in Sonn' und Wind,
Herr Walthers Namen sie rief.
Sie rief
zum zweiten und drittenmal,
Vor Thränen vermochte sie's kaum;
Herr Walther lag in der Waldfrau Schooß,
Er hob die Stirn wie im Traum.
"Nun
sage mir an, mein schneeweiß Lieb,
Sag an was soll es bedeuten?
Mir ist, als zöge mich was von hier,
Und Glocken hört' ich läuten.
"Mir
ist, ich müßt mich besinnen auf was,
Was süß und theuer mir war."
Da sah sie mit funkelnden Augen ihn an,
Und löst' ihr wallendes Haar.
"Sieh
hin, sie her, was willst du mehr?
Meine Locken sind güldne Schlangen,
Mein Leib ist weiß und mein Mund ist heiß,
Du bist und bleibst gefangen."
Und sie
küßt' ihn wild auf den lechzenden Mund,
Da vergiengen die Sinnen ihm all;
Und als er zurück in den Schooß ihr sank,
Sie lachte mit lautem Schall.
Frau
Mechthild hörte das Lachen wohl,
Ihr schnitt's wie ein Messer durch's Herz;
Unter den Lindenbaum sank sie dahin
Auf's Moos in tödlichem Schmerz.
Sie
wollte rufen und konnt' es nicht,
Ihr war die Brust so beklommen;
Sie rang und wand sich in stummer Qual
Es war ihr Stündlein gekommen.
Und als
die Sonne zu sinken kam,
Ein Knäblein lag ihr im Schooß,
Das schaute sie an mit Walthers Blick
Aus Augen blau und groß.
"O Kind
mein Kind, nun erbarme sich dein
Der Vater droben im Licht
Mit Thränen wirst du getaufet sein,
Einen Vater hast du nicht.
"Durch
Wald und Wind, mein Waisenkind,
Komm, komm, nun trag' ich dich fort."
Da that der Knab' einen hellen Schrei,
Als wollt' er nimmer vom Ort.
Herr
Walther lag in der Waldfrau Schooß,
Er hörte des Kindleins Schrei,
Da war's, als spräng' ihm in tiefster Brust
Ein tönend Glas entzwei;
Und
rings zerging's wie ein weißer Dampf,
Und leicht ward Seel' und Leib.
"Laß los, Verfluchte, laß mich los!
Ich muß zu meinem Weib.
"Zu
meinem Weib, das ich vergaß,
Zu meinem Fleisch und Blut -
O Gott im Himmel sei Preis und Dank!
Nun wird noch alles gut!"
Den
Teppich zerriß er und sprang hinab
Die Stufen zu vier und vier.
"O du vergieb, mein treu, treu Lieb!
Nun scheid' ich nimmer von dir.
"Und
grüß dich Gott, mein Knab, mein Kind,
Und segne dich tausendfach,
Und segne dir auch dein Stimmlein hell,
Das all den Zauber zerbrach!"
Aus: Emanuel Geibel
Gesammelte Werke in acht Bänden.
Stuttgart Verlag der J.G. Cotta'schen Buchhandlung 1883
Band 2 (S. 169-173)
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