Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Wilhelm Gerhard
(1780-1858)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 




Margarethe von Thüringen

"Süße Wonne, froh Behagen,
Kunigunde, werde mein!"
'Ei was wird die Fürstin sagen?'
"Laß die Fürstin Fürstin seyn!"
Und er küßt der schönen Schlange
Minneglühend Mund und Wange,
Drücket sie mit wilder Lust
An die pflichtvergess'ne Brust.

Margarethens Rosenwangen
Bleicht des Gatten schwere Schuld;
Kummer fühlt sie, Schmerz und Bangen,
Doch sie fragt es mit Geduld,
Lächelnd unter stillem Harme
Schlinget sie die keuschen Arme
Um den Mann, den sie noch liebt,
Ob er gleich ihr Herz betrübt.

"Hab' ich, Albert, dich verloren,
Mögen doch die Kinderlein,
Die mit Schmerz ich dir geboren,
Deiner Huld empfohlen seyn!
Sieh, da sind sie! Sei nicht böse!
Friedrich, Diezmann und Agnese,
Sie gehören mir und dir,
Deines Hauses Stolz und Zier."

Aber nicht der Gattin Jammern,
Noch der Kinder stummer Schmerz,
Die des Vaters Knie' umklammern,
Rühren sein verstocktes Herz.
"Nichts als Weinen, nichts als Wimmern,
Wo der Freude Strahlen schimmern?"
Und mit Haß und Wuth im Blick
Stößt er unsanft sie zurück.

Aber Mord und Herrschsucht blitzen
In der Dirne Seel' empor,
Und allein will sie besitzen,
Was die Dulderin verlor.
'Albert! Eine von uns Beiden
Muß dein fürstlich Bette meiden;
Es verträgt mein hoher Sinn
Keine Nebenbuhlerin.'

Und der Biedermann und Ritter,
Der getreue Vargula,
Bebend vor dem Ungewitter,
Das der Herrin Haupt so nah,
Eilet voll gerechtem Jammer
Hin nach Margarethens Kammer:
""Edle Frau, begebt Euch fort
Von dem unglücksel'gen Ort!

Dein Gemahl, ich sag's mit Beben,
Hat die Buhlerin umstrickt,
Und vielleicht nach Euerm Leben
Schon die Mörder ausgeschickt.""
Doch sie spricht mit sanfter Stimme:
"Immer fürchtet Ihr das Schlimme."
""Laßt Euch warnen in der Zeit!""
"Euer Eifer geht zu weit."

Gott befehlend ihren Kummer,
Wieget, bei der Ampel Schein,
Die Ermüdete der Schlummer
Auf durchweintem Polster ein.
Horch! da knarrt des Zimmers Pforte,
Und dem stillen, keuschen Orte
Naht ein Mörder, scheu und wild,
In den Mantel eingehüllt;

Zückt den Dolch an Bettes Saume,
Schon vom Höllengeist umrankt:
Sieh! da lächelt sie im Traume,
Und der Mörder bebt und wankt.
"Wüthrich!" ruft er, "Margarethen,
Dein Fürstin, willst du tödten?
Welchen Lohn man auch verspricht,
Diese Heil'ge tödt' ich nicht."

Und der Dolch entsinkt den Händen,
Und die Schlummernde erwacht.
"Euer Leben sollt' ich enden,
Edle Frau, in dieser Nacht.
Lasset hier zu Euren Füßen
Solche Gräuelthat mich büßen,
Aber flieht, o Fürstin, flieht,
Eh' Euch Kunigunde sieht!

Wisset: als ich frische Kohlen
Heute zum Kamine trug,
Hat sie mir den Mord befohlen;
Boshaft ist die Schlang' und klug.
Wär' ein reicher Mann geworden;
Aber einen Engel morden
In der Unschuld süßem Schlaf -
Lieber bleib ich arm und brav."

Margarethe hebt erschrocken
Sich vom Lager auf, und hell
Wird ihr Alles, und die Locken
Netzt der Thränen heißer Quell.
"Nun, so lebet wohl, ihr Mauern,
Wo mich Haß und Mord umlauern!
Ruf' den Ritter Vargula,
Und bericht ihm, was geschah!"

Unter Seufzen, unter Weinen
Wankt sie jetzt zum letzen Mal
In das Schlafgemach der Kleinen,
Die sie Gottes Schutz empfahl.
"Wachet auf, ihr Theuern, Süßen,
Eure Mutter will euch küssen!"
Alle drückt im wilden Schmerz
Stumm und glühend sie an's Herz;

Küßt zuletzt so heiß und lange,
Von der Wehmuth Thau genetzt,
Ihres kleinen Friedrichs Wange,
Daß sie küssend ihn verletzt.
Rosenblut entquillt der Wunde,
Und sie saugt's mit warmem Munde,
Und der süße Knabe spricht:
Liebe Mutter, weine nicht!

""Edle Frau, vergönnt in Züchten!
Rettung bietet nur die Nacht:
Trennet Euch, wir müssen flüchten,
Eh' man in der Burg erwacht.""
Und so trägt der treue Ritter
Vom durchfeilten Fenstergitter,
Auf der Leiter schwank und schmal,
Seine Herrin sanft in's Thal.

""Ha, gottlob! wir sind geborgen,
Meine Rosse steh'n bereit.
Scheucht, o Fürstin, alle Sorgen,
Und vergesset Euer Leid!
Durch des Waldes dunkle Tannen
Folgen meine treuen Mannen:
Sitzet auf, und fürchtet nichts
Von der Wuth des Bösewichts!""

Einmal schaut sie nach der fernen
Wartburg scheidend noch zurück,
Und dann hebt zu Gottes Sternen
Sich vertrauensvoll ihr Blick;
Und im Kampfe der Gefühle
Flüchtet sie durch Nacht und Kühle,
Bis in stolzer Thürme Pracht
Frankfurt ihr entgegen lacht.

Unter Sang und Glockenklange
Tritt aus grünumlaubtem Thor,
Daß er würdig sie empfange,
Selbst der Erzbischof hervor;
Ehren, wie sich ziemet, mocht' er
Gern des Kaisers edle Tochter,
Doch die Demuthvolle spricht:
"Solchen Prunk begehr' ich nicht.

Gönnt mir eines Klosters Stille,
Meinem Heiland mich zu weih'n;
Daß ich sein Gebot erfülle,
Laßt mich dulden und verzeih'n!"
Aber ach! die Klostermauern
Hemmten nicht der Seele Trauern,
Und ein heitres Morgenroth
Fand die Schmerzenreiche todt.
(S. 299-300)
_____



Der Keuschheitsmantel

Bei funkelndem Weine, Fasan und Fisch
Saß König Artus am runden Tisch,
Und um ihn her, gar prächtig zu schauen,
Viel tapfere Ritter und schöne Frauen.

Und Mancher schielte mit schelmischem Sinn
Wohl nach der reizenden Königin,
Indeß im weiten, geschmückten Saale
Die Harfen erklangen zum vollen Pokale.

Da plötzlich tritt in den edlen Kreis
Ein Jüngling, die Wange roth und weiß,
Die Locke blond, im lichten Kleide
Von Gold und himmelblauer Seide.

Er beugt vor dem König in Ehrfurcht das Knie
Und spricht: "Christ grüße dich, Artus! und sie,
Die reizende Ginower dir zur Seite,
So minnereich, du stark im Streite!

Und ihr, die hier ein edler Bund
Vereint, ihr Herr'n der Tafelrund!
Und ihr, holdselig süße Frauen:
Euch Alle grüß' ich mit Vertrauen.

Auch bring' ich ein Geschenk zum Gruß,
Verwahrt in dieser kleinen Nuß;
Es liegt gefaltet in ihrer Mitte
Ein kostbarer Mantel vom neusten Schnitte." -

Er öffnet die Nuß und licht wie Gold
Heraus die seidene Hülle rollt.
"Der Mantel," spricht er, "hat Wunderergaben:
Die seiner werth ist, soll ihn haben.

Doch merkt es: nie gerecht noch saß
Er Einer, die die Pflicht vergaß;
Nur keusche Frauen will er schmücken,
Bei andern reißt er gleich in Stücken.

Wohl ist er würdig, daß ein Weib
Von reinstem Adel, ja selbst der Leib
Der schönen Königin bei Tage
Und Nacht als höchsten Schmuck ihn trage." -

Frau Ginower denkt: was weiß vom Lauf
Der Sitt' ein Mantel? - Keck steht sie auf
Und ruft mit herrischen Geberden:
Gib her! mein soll der Mantel werden! -

Sie warf ihn über die Schultern her:
Erst war er leicht, dann wurd' er schwer
Und schwerer, und drückte die zarten Glieder,
Und fiel zerrissen zur Erde nieder.

Der blonde Jüngling den Mantel nahm.
Die Wange der Königin glühte vor Scham,
Und Artus rief, vom Rausche gewecket:
Weib, traun! Du hast die Ehre beflecket! -

Sie seufzte, das Antlitz abgewandt:
O wär' ich am fernsten Meeresstrand
Statt hier, wie eine niedere Zofe
Geschändet ich steh' vor meinem Hofe! -

Sie fluchte des Mantels eitler Pracht,
Verwünschte den Schneider, der ihn gemacht,
Und - wie vor Zorn die Lippe bebet -
Sogar den Weber, der ihn gewebet.

Dann floh sie weinend in ihr Kloset. -
Der Mantel ist wieder sauber und nett
Und unversehrt. "Wer will es wagen,
Ihr holden Schönen, ihn nun zu tragen?"

Stand auf Herr Kay von seinem Platz,
Der Kanzler des Königs: Nimm ihn, Schatz!
Beweis' es ohne Scheu, ich bitte,
Daß du ein Muster von Zucht und Sitte.

Kaum fühlt der Mantel die Schultern der Frau,
So färbt er sich grün und roth und grau
Und zeiget zum allergrößten Schrecken
Des Herrn Gemahles gar böse Flecken.

Bald scheint er eng, bald wieder weit,
Jetzt schmal und lang, dann kurz und breit,
Und endlich reißt er am schlanken Rücken
Der stolzen Frau in tausend Stücken.

Da scholl auf einmal am runden Tisch
Ein lautes Lachen und Hohngezisch;
Sie aber blickte starr und bange
Zur Erde mit schamübergoßner Wange.

Dann lief sie eilig in ihr Kloset. -
Der Mantel ist wieder licht und nett
Und unversehrt. "Wer will es wagen,
Ihr holden Frauen, ihn nun zu tragen?"

Herr Kradock, ein junger Rittersmann,
Sah seine blühende Gattin an:
Du bist ein Weib von reinem Wandel,
Versuche du einmal den Mantel!

Bliebst du mir, seit du mein bist, treu,
So reißt der Mantel nicht entzwei;
Ein unbeflecktes, treues Minnen
Mag ihn mit leichter Müh' gewinnen.

In Demuth schwieg die schöne Margot,
Stand auf nach ihres Herrn Gebot
Und ging erröthend und bescheiden,
Sich mit dem Mantel zu bekleiden.

Er flatterte vom Lilienschnee
Des Nackens nieder bis auf die Zeh,
Und schien mit innigem Vergnügen
Sich nach den schönen Formen zu fügen.

Nur blieb er zu eng um einige Zoll
Da, wo der Busen dem Mieder entquoll.
Sie zog und dehnte und zupfte wieder
Und rief: Nun, lieber Mantel, sei bieder!

Die Wahrheit will ich dir nur gestehn,
Denn wohl drückt schwer mich mein Vergehn -
Einst küßte mich Kradock auf grüner Matte,
Eh' uns der Priester vermählet hatte.

Sie sprach es kaum, und recht mit Lust
Schmiegt er sich an die schwellende Brust,
Und laut ertönte von Mund zu Munde
Der Keuschen Lob an der Tafelrunde.

Frau Ginower, die zurücke kam -
Oft sieget Neugier über die Scham -
Rief spottend aus: Ihr Herr'n und Frauen!
Ihr werdet doch nicht dem Mantel trauen?

Die Falsche gewann ihn durch Zauberei;
Sie brüste sich nur! - ich sag' es frei:
Viel Ritter kenn' ich und Priester und Laien,
Die heimlich sich ihrer Gunst erfreuen. -

"Bestraf', o Herr der Tafelrund,
Dein freches Weib! es lügt ihr Mund!"
So rief der Jüngling im blauen Gewande,
Und drauf an Margot sich also wandte:

"Sei ruhig, Süße! Dein Herz ist rein,
Drum sei und bleibe der Mantel dein,
Und diene, ob man dich auch beneide,
Dir stets zum Schmuck und Ehrenkleide!" -

Ein lautes Bravo erscholl im Saal,
Und Kradock küßte sein keusches Gemahl,
Froh, daß er solch einen Schatz gefunden -
Der Jüngling aber war verschwunden.
(S. 300-301)
_____



Die keusche Anahid
(Persische Mythe)

Aus des Himmels goldnen Räumen
Schwebt herab ein Engelpaar,
Mischt, gelockt von süßen Träumen,
Sich in froher Menschen Schaar.
Beut die Erde keine Wonnen,
Spricht ihr Mund ein Zauberwort,
Und sie schweben über Sonnen
Schnell zurück zum sel'gen Ort.
Doch ruft es die Lippe vor sterblichen Ohren,
Ist ihnen der Himmel auf ewig verloren,
Es hält sie die Erde und läßt sie nicht fort.

An des Ganges Blumenrande
Wandeln sie mit leichtem Fuß,
Knüpften manche süße Bande
Unter Reben, Spiel und Kuß;
Und den Freudenkelch zu leeren,
Suchen sie der Liebe Haus,
Ruh'n im Arm der Bajaderen
Von der Wonne Taumel aus.
Und weckt sie des Tages glühende Röthe,
So laden von Neuem sie Zimbel und Flöte
Zu Spielen und Tänzen und fröhlichem Schmaus,

Götterkräftig, kühn und heiter,
Angebetet von den Frau'n,
Zieh'n die Jünglinge dann weiter
Bis nach Persien's Rosenau'n.
Und gelockt von süßen Tönen
Treten sie zum nahen Wald,
Wo Gesang von einer Schönen
Durch die Myrthenzweige schallt.
Und lieblicher flötet's und sanfter, es rauschen
Die Saiten der Lyra darein, und sie lauschen
Und fühlen im Busen der Töne Gewalt.

Unter'm Schatten hoher Palmen
Sitzet Anahid allein
Vor der Hütt' und singet Psalmen
Auf zum goldnen Morgenschein.
"Wie des Busens Liljen prangen!
Der Rubinenmund, wie schön!
Küssen möcht' ich diese Wangen:
Komm und laß uns näher geh'n!"
Und gleich wie, dem gierigen Falken zum Raube,
Sich sträubt die erschrockene, schüchterne Taube:
So bebet das Mädchen, und athmet kaum.

"Kannst nicht fliehen, holde Schöne,
Bist in unserer Gewalt;
Hemme deine Klagetöne,
Süße, reizende Gestalt!
Bist geschaffen zum Genießen,
Folge willig, denn du mußt;
Hier, wo tausend Blumen sprießen,
Lächle dir und uns die Lust!" -
""Entweichet! noch weiß ich die Waffe zu führen,
Und wer es wagt, meinen Leib zu berühren,
Dem stoß' ich den spitzigen Dolch in die Brust!""

Schwacher Hand erzürnter Schönen
Raubt man solche Waffen leicht;
Ihrem Aug' entquellen Thränen,
Wehrlos steht sie nun, erbleicht,
Schluchzet laut und sinket nieder:
""Todt nur kann ich euer seyn;
Doch im Leben soll die Glieder
Mir kein Erdensohn entweih'n!"" -
"Nicht Sterblichen hast du dich, Liebchen, ergeben,
Mit Engeln wirst du, ein Engel, entschweben,
Und droben dich himmlischer Wonnen erfreu'n.

Stille diese Thränengüsse!
Dich erwarten, süßes Kind,
Keines Staubgebornen Küsse;
Wisse, daß wir Engel sind!
Sprechen wir, des Lichts Genossen,
Ein geheimes Zauberwort,
Ist der Himmel aufgeschlossen,
Und ein Wölkchen hebt uns fort."
Man zieht sie gewaltsam zum blumigen Bette,
Kein Vater erscheint, der das Töchterchen rette,
Es hält ihn ein Gastfreund an fernem Ort.

Und schon will die Brust verzagen,
Sieh, da gibt ein Gott ihr ein,
Nach dem Zauberwort zu fragen,
Dessen Engel sich erfreu'n.
""Eure Wünsche zu erfüllen,""
Spricht sie, ""bin ich eure Braut,
Und in Allem euch zu Willen,
Wenn ihr mir das Wort vertraut.""
Wie hoch vor Freude das Herz ihnen hüpfet!
Vergessend der himmlischen Warnung, entschlüpfet
Den stammelnden Lippen der heilige Laut.

Und die keusche Jungfrau blicket
Hoffend auf zum Morgenstern,
Spricht das heil'ge Wort, und schicket
Fromme Seufzer zu dem Herrn.
Und, o Wunder! seht, es hebet
Sich ihr Fuß in Rosenduft,
Und auf leichter Wolke schwebet
Sie empor in blaue Luft!
Die Jünglinge starren, beschämet zur Erde
Und büßen den Frevel, mit flammendem Schwerte
Geschieden vom Himmel durch ewige Kluft.

Auf dem Morgenstern erklinget
Preis und Lob dem keuschen Sinn,
Und der Chor der Peri singet:
'Sei willkommen, Königin!'
Tausend sel'ge Geister neigen
Sich vor ihrem goldnen Thron,
Und sie führt den Sternenreigen
Durch der Lyra Himmelston.
Die Saiten, womit sie glänzend bezogen,
Sind sieben Strahlen: im Farbenbogen
Erblickt sie des Staubes vergänglicher Sohn.
(S. 301-302)
_____


Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849




 


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