Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Johann Wilhelm Ludwig Gleim
(1719-1803)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 




Marianne

Traurige und betrübte Folgen
der schändlichen Eifersucht
wie auch
Heilsamer Unterricht
 daß
Eltern, die ihre Kinder lieben,
sie zu keiner Heyrath zwingen,
sondern
ihnen ihren freyen Willen lassen sollen,
enthalten, in der Geschichte
Herrn Isaac Veltens,
der sich am 11. April 1756. zu Berlin
eigenhändig umgebracht,
nachdem er
seine getreue Ehegattin
Marianne
und derselben unschuldigen Liebhaber
jämmerlich ermordet

Die Eh' ist für uns arme Sünder
Ein Marterstand;
Drum, Eltern, zwingt doch keine Kinder
Ins Eheband.
Es hilft zum höchsten Glück der Liebe
Kein Rittergut;
Es helfen zarte, keusche Triebe,
Und frisches Blut

Dieß wußte Fräulein Marianne
So gut, als ich!
Dem schönsten, jüngsten, treusten Manne
Ergab sie sich.
Mama! sprach sie, ich bin zum Freyen
Nicht mehr zu jung;
Und einem Manne mich zu weyhen,
Schon klug genung.

Ich kann es länger nicht verheelen
In meinem Sinn,
Mama! daß ich von Grund der Seelen
Verliebet bin.
Verliebt? in wen? - - Ich will ihn nennen,
Ich will, allein,
Sie müssen ihn nicht hassen können
Und gnädig seyn.

Versprechen sie mir das, Mamachen!
Seyn sie so gut,
Dann weiß ich ja, daß mein Papachen
Es auch gleich thut!
Leander - - Ach sie wollen schelten,
Ich seh es schon!
Leander? Kind? - o nein! Herr Velten
Sey Schwiegersohn!

Ja ja, Herrn Velten sollst du nehmen,
Denn der hat Geld,
 Und du mußt dich zu dem bequemen,
Was mir gefällt.
Wie können junge Mädchen wissen,
Was nützlich ist?
Die meisten sind verpicht aufs Küssen,
Wie du auch bist.

Herrn Velten soll ich? ach! ich Arme,
Was soll mir der?
Ach, daß der Himmel sich erbarme!
Was soll mir der?
Es schwillt, von Millionen Thränen
Ihr Angesicht.
Und tausendmahl sagt sie mit Stöhnen:
Ich will ihn nicht.

Du willst ihn nicht? Ich muß nur lachen,
Sagt drauf Mama.
Wir wollen dir den Willen machen,
Ich und Papa.
Man zwinget sie in einen Wagen,
Hält sie vermummt,
Man bittet sie noch, Ja zu sagen,
Und sie verstummt!

Sie sieht, nach einer kurzen Reise,
Sich eingesperrt,
Wo, nach beliebter alten Weise,
Die Nonne plärrt;
Da soll sie beten, und nicht lieben:
Allein sie weint,
Sie weint, und will sich todt betrüben
Um ihren Freund.

Einst aber geht mit schwarzer Lüge
Mama zu ihr;
Mein Kind! sagt sie, kennst du die Züge
Des Schreibens hier?
Der ew'ge Treue dir geschworen,
Hat sie verfehlt.
Leander ist für dich verloren,
Er ist vermählt.

Schnell rollt in einem goldnen Wagen
Herr Velten her;
Auch kommt ein Mann mit weisem Kragen
Von ohngefehr!
Gequälet wird von Jung und Alten
Das arme Kind,
 Und die Verlöbniß wird gehalten,
Ach, wie geschwind!

Nun freut ein Haufen Anverwandten
Sich auf den Tanz,
Nun binden, Mütter, Nichten, Tanten
Am Jungfernkranz!
Nun schickt sich zu drey wilden Tagen
Das ganze Haus!
Und Priester gehn mit leerem Magen
Zum Hochzeitschmaus!

Nur für die Braut ist keine Freude
Und keine Lust.
Sie quält sich mit geheimen Leide,
Tief in der Brust,
Mit Zittern höret sie den Segen
Vorm Altar an;
Und seufzt, bey lauten Herzensschlägen:
Ach, welch ein Mann!

Am Abend mehret sich ihr Jammer
Und ihre Pein;
Denn, ach! sie soll nun in die Kammer
 Mit ihm hinein!
Wie man ein Lamm zur Schlachtbank führet,
So führt man sie;
Seht, spricht Mama, wie sie sich zieret;
Die Närrin die!

Jedoch sie war am frühen Morgen
Nun eine Frau.
Sie theilte nun des Mannes Sorgen,
War nun genau,
Ihm seine Wirthschafft recht zu führen,
So Tag als Nacht,
Und keinen Heller zu verlieren,
War sie bedacht.

Ach, aber ach! geheime Schmerzen
Verzehren sie!
Leander herrscht in ihrem Herzen
So spät als früh.
Ach, wie mag er um mich sich kränken?
Lebt er wohl noch?
Sie will nicht mehr an ihn gedenken,
Und thut es doch.

Oft sitzt sie neben einer Linde,
Und spricht mit sich:
Ach! an ihn denken, das ist Sünde!
Und die thu ich!
Könnt' ich sie meiden, nicht mehr wissen
Im fünften Jahr,
Daß, ach! Leander meinen Küssen
Einst lieber war!

Von so schwermüthigen Gedanken
Wird sie geplagt,
Sie schränkt, in heilge Eheschranken
Sich ein, und klagt.
Einst, als sie sich dem Gram ergiebet,
Und einsam sitzt,
Und ihrem Eh'mann, den sie liebet,
Mit Spinnen nützt.

Da tritt er in das stille Zimmer
Vergnügt herein,
Und bittet sie, doch nur nicht immer
Betrübt zu seyn.
Ihm folgt ein Kaufmann, der Juwelen
Und Perlen trägt,
Und der im Innersten der Seelen
 Betrübniß hegt.

Kind, spricht er, kauf' dir von den Waaren,
Was dir gefällt!
Wir dürfen ja nicht immer sparen,
Sieh, hier ist Geld!
Er gibt zwölf Thaler ungezählet,
Und pfeift und lacht,
Und geht, weil ihm ein Braten fehlet,
Hin auf die Jagd.

Nun steht, mit zitternden Geberden,
Der Kaufmann da,
Voll Furcht, von der gehaßt zu werden,
Die ihn itzt sah;
Weil von den Rosen seiner Wangen
Ein langer Bart,
Herab hieng, und, wie sie vergangen,
Gesehen ward.

Die Augen niederwärts geschlagen,
Sieht sie ihn an;
Was habt ihr, fängt sie an zu fragen,
Mein lieber Mann?
 Er zeigt ihr seine Waaren, schweiget,
Und spricht kein Wort,
Doch geht, so oft er ihr was zeiget,
Ein Seufzer fort.

Ach, denkt sie, warum so betrübet?
Er jammert mich!
Sein Gram ist groß, gewiß er liebet
Und seufzt, wie ich.
Sie fragt ihn, was für stille Schmerzen
Erduldet ihr?
Ist Liebesgram in eurem Herzen?
So sagt es mir!

Der Gram, mit welchem ich mich quäle,
Verzehret mich.
Madam, er bleibt in meiner Seele
Wohl ewiglich.
Ein einz'ges Kleinod war auf Erden,
Das wünscht' ich mir!
Dadurch der Glücklichste zu werden,
Das wünscht' ich mir!

Ich bat zu Gott, es mir zu geben
 Zum Eigenthum.
Mein Haab und Gut, und selbst mein Leben
Bot ich darum!
Mein einz'ger Wunsch und meine Freude
War, es zu sehn.
Wie war es meiner Augen Weide!
Wie war's so schön!

Ach aber, ach in tausend Stücken
Zerriß der Schmerz,
Der nicht mit Worten auszudrücken,
Mein armes Herz!
Verzweiflung, Treue, Glück und Ehre
Bestritt mein Haupt,
Als ich vernahm, mein Kleinod wäre
Mir weggeraubt!

Was war es? sagt's, ich möcht' es wissen:
Welch Kleinod kann
Euch so betrüben? Darf ich's wissen?
Mein lieber Mann!
Ich dächt, euch wär' Leben lieber
Als Stein und Gold,
Mich wundert's, daß ihr euch darüber
Todt grämen woll't.

Madam, was von entfernten Mohren
Der Geiz sich holt,
Ist Kleinigkeit! was ich verloren,
Ersetzt kein Gold!
Es war mir theurer, als mein Leben,
Als alles Geld,
Ach, was hätt' ich darum gegeben?
Die ganze Welt.

Einst malt' ich mir aus dem Gedächtniß
Das werthe Bild,
Des Himmels einziges Vermächtniß,
Das Kummer stillt.
Ein Bild ist es, darum ihr klaget?
Ach zeigt es mir!
Er zieht es aus dem Busen, saget:
Hier ist es, hier!

Sie nimmt es hin. Er siehts mit Freuden
In ihrer Hand.
Es war gehüllt in Gold und Seiden,
Auswendig stand:
Von meinen zärtlich treuen Thränen
 Entsteht ein Bach;
Und dieses ist das Bild der Schönen,
Ach Himmel, ach!

Sie macht es auf - - Allein erblasset,
Von Schreck erfüllt,
Fällt sie in Ohnmacht, denn sie fasset
Ihr eignes Bild.
Ach Marianne, Marianne!
Ach stirb doch nicht!
Ach sieh mich, Engel! ach ermanne
Dein schön Gesicht!

Erweckt vom Schalle dieser Worte
Kommt sie zu sich.
Freund, spricht sie, flieh von diesem Orte,
Freund, meide mich!
Ein andrer
, saget die Getreue,
Hat meine Hand!
Entferne dich, denn meine Treue
Hält ihm Bestand.

Er eilt, gehorsam dem Befehle,
Urplötzlich fort.
 Ach, seufzt er, ach geliebte Seele!
Nur noch ein Wort.
Ich sterb um dich
. Er faßt im Gehen
Die Hand ihr an;
Zum letzten Mal will er sie sehen,
Da kommt der Mann.

Stirb, sagt er, Räuber meiner Ehre,
Mit tausend Schmerz!
Er tobt und stoßt, mit Mordgewehre
Durch beyder Herz.
Leander stirbt! Und Marianne
Spricht: Gott Lob, ich
Verdient es nicht. Sie spricht zum Manne:
Du jammerst mich!

Nun hat er keine frohe Stunde,
Des Nachts erscheint
Die treue Gattin, zeigt die Wunde
Dem Mann, und weint.
Ein klägliches Gewinsel irret
Um ihn herum,
Ihn reut die That, er wird verwirret,
Er bringt sich um.

Beym Hören dieser Mordgeschichte
Sieht jedermann
Mit liebreich freundlichem Gesichte
Sein Weibchen an,
Und denkt! wenn ich es einst so fände,
So dächt ich dies:
Sie geben sich ja nur die Hände,
Das ist gewiß!
(S. 209-220)
_____



Damon und Ismene

Dämons und Ismenens
zärtliche und getreue Liebe,
getrennt
durch einen Zweykampf,
in welchem
Herr Damon
von seinem Nebenbuhler
am 20ten August 1755 auf Auerbachs Hofe zu
Leipzig mit einem grossen Streit-Degen
durchs Herz gestochen wurde,
wovon er seinen Geist jämmerlich aufgeben müssen,
zum Trost
der herzlich betrübten Ismene
gesungen

Ach Damon, ach Ismene!
Mein Herz ist weich!
Ach welche heiße Thräne
Wein' ich um euch!
Von deiner Abentheuer,
Du schöne Braut!
Sing' ich in meine Leyer,
Und weine laut!

Ach! er ist hin, Ismene;
Dein Bräutigam,
Das zärtliche, das schöne,
Das treue Lamm!
Die Größe deines Schmerzens
Begreift kein Sinn!
Der Abgott deines Herzens,
Ach, der ist hin!

Ihr waret alle Beyde,
Was wen'ge sind;
Er, deine Lust und Freude,
Und Du, sein Kind.
Den Scherz in Finsternissen
War't ihr gewohnt.
Ach, bey viel tausend Küssen
War nur der Mond.

Nun ist er weggenommen
Und, ach, o Gram!
Er wird nicht wiederkommen,
Dein Bräutigam!
Er gieng in jene Fernen,
Ihn deckt kein Grab;
Er wandelt unter Sternen,
Und sieht herab!

In seiner letzten Stunde
War ich ihm nah',
Als ich in seiner Wunde
Den Tod schon sah'.
 Freund, sprach er, meine Schöne
Find' ich einst dort!
Und, sterbend, war Ismene!
Sein letztes Wort.

Man singt von seinem Tode
Nun weit und breit,
In mancher Trauerode
Voll Herzeleid!
Der Held, der ihn, verliebet
In dich, erstach,
Ist auch, wie du, betrübet,
Sagt auch, ach, ach!

Er sieht mit bangem Leide
Sein Mordgewehr!
Hat, sagt er: keine Freude
Auf Erden mehr.
Blaß, wie ein Todtenschatten;
Nicht mehr ergrimmt
Klagt er den treuen Gatten,
Den er dir nimmt.

Oft sieht er ihn bey Tage
 So, wie bey Nacht,
Springt auf, hört seine Klage,
Wenn er erwacht.
Ein winselndes Gethöne,
Läßt ihn nicht froh!
Ach, Mörder! ach, Ismene!
Stets ruft's ihm so.

Und du, ach du Getreue!
Du achtest nicht
Des Mörders späte Reue,
Und was er spricht.
Er raubte dir dein Leben
Und deine Lust;
Kannst du ihm das vergeben
In deiner Brust?

Ach nein, in deinem Herzen
Verewigt das
Dein Elend, deine Schmerzen,
Und seinen Haß.
Du lässest ihn nicht wieder
Vor dein Gesicht,
Und seine Klagelieder
Erhörst du nicht.

Verzehrt von deinem Jammer,
Gehüllt in Flor,
Bleibst du in deiner Kammer,
Ach komm hervor!
Komm wieder an die Sonne:
Wie gern bin ich
Dein Labsal, deine Wonne,
Komm küsse mich!
(S. 221-226)
______


Aus: J. W. Gleims sämmtliche Werke
Erster Band
Carlsruhe im Büreau der deutschen Classiker 1819





 


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