|
Friederike Pauline Götze
(1790-?)
Die verlassene Braut
Auf nebligem Hügel Aline saß,
Ihre Thränen tränkten das junge Gras.
Die Welt war erstorben, das Herz war leer,
Vergebens blickte die Sehnsucht umher. -
Sie lullte beim dämmernden Mondenschein
Ihr weinendes Kindlein zum Schlummern ein,
Sie sang: "O Leben, fahr' hin, fahr' hin!
Schnell wie die Lenze der Liebe verblüh'n!"
Sie sang das Lied der verlass'nen Braut,
Die leicht dem Schwure der Liebe vertraut,
Und ach! daß weit eher die Unschuld fällt,
Als wie ein berechnendes Kind der Welt. -
Sie sang: "Still floh mir das Leben dahin,
Denn Jugend und Unschuld verklärten den Sinn,
Nichts störte mich auf der ruhigen Bahn
Bis Zauber mich täuschte mit seinem Wahn.
Dann floh der Verführer zum fernen Land
Und knüpfte dort wieder ein neues Band,
Zerriß ein treues, ihn liebendes Herz
Und weiht' es auf immer dem höchsten Schmerz.
Die Kränze verbleichten, ihr welkes Laub
Ward bald dem eilenden Winde zum Raub;
Ach öffne dich Abgrund! - hinab, hinab!
Und werdet, ihr kühlenden Fluthen, mein Grab!" -
Jetzt eilte sie plötzlich zum nahen Teich,
Die Blicke so starr, die Wange so bleich.
Das süße Kindlein, von Thränen so warm,
Ach! krampfhaft umschloß es ihr bebender Arm.
Dann jammerte sie ein gräßliches Weh
Und stürzt mit dem Kindlein sich schnell in den See,
Und die kühlenden Fluthen wurden ihr Grab,
Und Hoffen und Harren sank mit hinab. -
Drum siehst du, o Wand'rer! im Mondenschein
Die wolkigen Schatten am Blumenrain,
Hörst wimmern im Schilfe am stillen See
Ein jammerndes, herzzerreißendes Weh.
_____
Gedicht aus: Deutschlands
Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 105)
|