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Mary Koch
(1859-?)
Griso und Friedehild
Dort wo im träumerischen Schweigen
Die Erlen sich zum Neckar neigen,
Steht eine Jungfrau still am Strand,
Den Blüthenstrauß in zarter Hand,
In Rosengluth getaucht die Wangen,
Die edle Stirne lilienrein;
Doch spricht ein sehnendes Verlangen
Aus diesen Zügen mild und fein.
Zur fernen Heimat schweift ihr Sinnen,
Der sie, dem Feinde zu entrinnen,
Mit ihren Aeltern jüngst entfloh;
Ach, die Erinn'rung macht nicht froh!
Denn Attila und seine Horden
Durchzieh'n des Elsaß blühend Land,
Ihr Handwerk ist nur wildes Morden
Und ihre Lust der Raub, der Brand.
So hörte sie die Hunnen schildern,
Die nun mit tausend Schreckendbildern
Erfüllen ihre Phantasie,
Und zitternd sinkt sie auf die Knie':
"Allmächtiger, dem Wind und Wogen
Und Erd' und Himmel unterthan,
Der du uns gabst den Friedensbogen,
O, nimm Dich meines Volkes an!"
Als ihr Gebet sie nun geendet
Und heimwärts ihre Schritte wendet,
Tritt aus des Waldes Blätterhaus
Ein junger Rittersmann heraus.
Er beugt das Haupt vor ihr zum Gruße
Und schaut dann in den Wald zurück,
Die Dogge folgt ihm auf dem Fuße;
Doch suchend irrt umher sein Blick.
Als so Minuten schon verflossen,
Tritt er zur Jungfrau hin entschlossen:
"Verzeiht, daß Euch ein Fremder naht!
Doch ging verloren mir der Pfad;
Ich hab' verirret mich beim Jagen,
Verfolgend eines Hirsches Spur,
So wag' ich's bittend Euch zu fragen:
Bin ich auf Leuensteiner Flur?"
Kaum hat die Frage sie vernommen,
So steht sie still, allein beklommen
Bebt ihre jugendliche Brust,
Die Wange glüht, ihr unbewußt.
Und als sie nun das Auge hebet,
Das ach! so wunderlieblich blaut,
Da ist's der Jüngling, der erbebet,
Als hätt' den Himmel er erschaut.
Doch züchtig blickt die Maid schon wieder
Auf ihren Blüthenstrauß hernieder,
Da sie bedauernd also spricht:
"Weß' diese Flur ist, weiß ich nicht,
Da selber ich vor wenig Tagen
Zum ersten Male weilte hier;
Doch wollet Ihr den Vater fragen -
Er ist nicht weit - so kommt mit mir!"
Der Fremde läßt es sich gefallen;
Wie wonnig ist es doch, zu wallen
So durch die schöne Gotteswelt,
Durch Blumenduft im Waldeszelt;
Wenn sanft im Wind die Blätter rauschen,
Da streift man gerne wohl allein,
Um all' den Wundern still zu lauschen;
Doch schöner noch geht sich's zu Zwei'n.
Durch weiches Gras und duft'ge Kräuter
Nun Beide wandern plaudernd weiter,
Bis einen Hügel sie erreicht,
Auf dem ein stolzer Bau sich zeigt.
Am Thore lehnt ein kühner Degen,
Gebeugt schon von der Jahre Last;
Er tritt den Kommenden entgegen:
"Mein Kind, du bringst mir einen Gast?"
'Er ist ein Fremdling hier zu Lande,
Ich traf ihn, Vater, dort am Strande,
Verirrt mit seinem müden Thier
In unbekanntem Jagdrevier.
Zu Dir führt' ich ihn aus dem Walde,
Da selbst mir fremd noch dieses Land'.
"So recht, mein Mädchen!" spricht der Alte
Und reicht dem Jüngling seine Hand.
"Willkommen hier in meinem Hause,
Das einsam zwar gleich einer Klause,
Doch d'rum nicht minder gastlich ist!
Gönnt Euch zum Rasten kurze Frist;
Denn eh' der Tag beginnt zu neigen,
Sollt Ihr auf rechtem Wege sein,
So wollt uns jetzt die Gunst erzeigen,
Zu stärken Euch mit Brod und Wein."
Der Ritter kann es nicht verneinen,
Will es ihm doch ein Glück erscheinen,
Daß er der Holden nah' darf sein,
Drum schlägt er frohen Herzens ein.
Gar bald sie sitzen in der Runde
Am Tisch im traulichen Gemach,
Und schnell verrinnet Stund auf Stunde,
Dem Jüngling däucht so kurz der Tag.
Wie seltsam faßt es Friedehilden,
Als sie den Blick, den süßen, milden
Zu ihm beim Abschiedswort erhebt
Und sieht, wie seine Lippe bebt.
Es liegt wie eine stumme Frage
Auf seinem männlichen Gesicht;
Es zittert wie verhalt'ne Klage,
Als er vom Scheiden zu ihr spricht.
Und Tag auf Tage nun entschwinden,
Die Mutter kann es nicht ergründen,
Was Friedehilden so zerstreut,
Warum sie selten mehr sich freut;
Nicht locket sie der Blüthen Fülle
Und nicht der Vöglein froher Sang,
Auch nicht die hehre Waldesstille;
Es schläft der Leyer gold'ner Klang.
Ganz in ein Traumgebild versunken,
Blickt oft sie in des Herdes Funken,
Vergißt der Arbeit und der Pflicht;
Doch Einen, den vergißt sie nicht.
"Wenn er mich liebt, so kehrt er wieder;
Denn einsam ist er dort, allein,
Er hat nicht Aeltern, Schwestern, Brüder -
O Griso, denkst du wohl noch mein?"
Da, als sie einst am Brunnenbecken,
Im Sinne steht, o süßer Schrecken!
Tritt der zu ihr, des sie gedacht
Am lichten Tag, im Traum der Nacht.
Kaum kann sie's fassen, kaum verstehen,
Was seinen Lippen heiß entquillt;
Ist's möglich, daß ihr innig Flehen
So ganz, so bald schon wird gestillt?
D'rauf in der Freude Purpurflammen
Erglühend, treten sie zusammen
Bei Friedehildens Aeltern ein,
Daß sie das Bündniß segnend weih'n.
Der Vater meint: "Was thut's am Ende?
Glück zu, wenn meine Tochter will!"
Die Mutter faltet fromm die Hände
Und spricht ein "Gott gesegne 's!" still.
Da - eine Kette, rein von Golde,
Geschmiedet wohl im Dvergarsolde*,
So fein wie je nur eine war -
Reicht Griso Friedehilden dar.
"Dies schmückte meine Schwester Bertha,
- Spricht er dabei mit sanftem Weh -
Sie schenkte mir's, eh' sie der Hertha
Geopfert ward im tiefen See."
Als sei des Todes dunkle Pforte
Geöffnet durch des Jünglings Worte
Und thu' all seine Schrecken kund,
So zuckt der Jungfrau bleicher Mund.
"Ihr seid kein Christ?" befragt mit Bangen,
Mit stiller Angst die Mutter ihn,
Und er erwidert unbefangen:
'Ein Christ? Wer sagte, daß ich's bin?
Ich ehre Wodan und die Götter
Und rufe Thor als den Erretter
In Mißgeschick und Schlachten an;
Alfadur bin ich unterthan'.
"Genug davon! - ruft rauh der Alte -
Nicht Wodan lebet und nicht Thor!"
Die Stirn' gelegt in düst're Falte,
So zeiget mahnend er empor.
"Zum Himmel hebe Deine Hände,
Auf daß er Dir Erbarmen sende;
Nicht gilt das Wort, das ich Dich gab,
Schwörst Du nicht ganz den Göttern ab".
Voll Schmerz tritt Griso zu der Bleichen:
'Mehr als mein Leben lieb' ich sie,
Doch darf ich nicht der Pflicht entweichen,
Nein, meinen Glauben laß' ich nie!'
Und zwischen Pflicht und Liebe ringend,
Die wilde Brust zur Ruhe zwingend,
Wankt der Enttäuschte heimathwärts,
Allein mit seinem tiefen Schmerz.
Er quälet sich mit bangen Fragen,
Der Zweifel ängstigt sein Gemüth;
Die Pflicht gebietet zu entsagen,
Doch schmeichelnd ihn die Liebe zieht.
Schon will die Letzte ihn besiegen,
Die Glaubenstreue unterliegen,
Als er erschreckt die Schritte hemmt,
Ein Grauen faßt ihn kalt und fremd;
Denn eine Wodans heil'ger Eichen
Steht vor ihm hoch im Dämmerlicht,
Und aus den laubbedeckten Zweigen
Der Warnung düst're Stimme spricht.
Er eilet weiter, bis von ferne
Beim matten Schein der ersten Sterne
Das Bild des Gränzgotts er erschaut,
Und wieder wird der Zwiespalt laut.
"Würd' ich - stöhnt er - dies Werk zerstören,
Auf seinem Schutt erhöh'n das Kreuz,
Dann, Siegbert, würdest du nicht wehren
Mir Friedehildens Liebereiz".
Doch plötzlich will es ihn bedünken,
Als säh' er einen Schatten winken,
Der Geist des Vaters ist ihm nah',
Zu schirmen selbst das Bildniß da.
Und aus dem Haine hört er's flüstern,
Wie Klagelaut steigt es zur Höh';
Wo Nebel rings das All umdüstern,
Da ruht die Schwester tief im See.
"Sie ward zum Opfer hingegeben
Und ich, ich wollt' ein glücklich Leben
Erkaufen mir durch Hochverrath!
Schmach dem, der fähig solcher That!
Wohlan, ihr Götter, ich entsage
Der Liebe und der holden Maid,
Um euretwillen ich ertrage
Mein Dasein still in Einsamkeit".
Und Jahre kommen. Jahre gehen,
Des Lebens rauhe Stürme wehen
Daher mit brausender Gewalt,
Die Gluth erlischt, der Kopf wird kalt.
Auch Griso hat nach vielen Stunden,
Die hart er noch mit sich gekämpft,
Die Jugendliebe überwunden,
Des Herzens Sehnen mild gedämpft.
Doch einstens, als er lang gejaget,
Auf schroffe Felsen sich gewaget,
Faßt ihn ein wundersamer Drang:
Er klimmt hinab den Bergeshang,
Hin wo aus grüner Fichten Mitte
Ein schlichtes Kreuz zum Himmel strebt,
Und ihm zur Seite eine Hütte
Ihr ärmlich morsches Dach erhebt.
Was mag so seltsam wohl beklemmen
Den Jäger, daß den Schritt er hemmen
Und fern der Klause rasten muß?
Was bannt den sonst so rüst'gen Fuß?
Da naht ein Köhler sich der Stelle,
Und eilig forscht ihn Griso aus:
"Sagt an, mein Freund, wen birgt die Zelle?
Weß' ist dies abgeleg'ne Haus?"
'Die einst hier wohnte, ist geschieden;
Seit Monden schon ruht sie im Frieden
In uns'res lieben Gottes Hut;
Ach, Herr, sie war so engelsgut,
Allzeit der Trost für Arme, Kranke,
Stets hülfbereit bei Groß und Klein,
Und selbst ihr finsterster Gedanke
War wie das Licht der Sonne rein.
Warum die Klause sie errichtet,
Auf allen Glanz der Welt verzichtet,
Hat sie nur Wenigen vertraut,
Die tiefer in ihr Herz geschaut;
Doch hörte ich sie einstmals beten:
Herr! nimm mein Opfer gnädig an!
Aus Glaubensnacht du wollest retten
Den ach! so heiß geliebten Mann!'
"Und find' ich nicht den Engel lebend,
Wo ruhet sie?" fragt Griso bebend;
Der Köhler weist zum Kreuze hin:
'Dort schläft die fromme Klausnerin!
Les't selbst, was an dem Stamm geschrieben:
Hier ruht die Jungfrau Friedehild,
Die Gott zum Opfer bracht' ihr Lieben,
Der Glaube war ihr fester Schild.'
Zur Erde tief den Nacken beugend
Verharret Griso lange schweigend,
Ihr Geist ist es, der ihn umweht,
Sie hat Erbarmen ihm erfleht;
Ihr junges, unschuldvolles Leben
Hat sie dem Herrn für ihn geweiht,
Fürwahr! die Kraft zu solchem Streben
Der wahre Glaube nur verleiht.
Und bald erhebt sich an der Stelle,
Wo kaum noch lag der Klause Schwelle,
Ein Kloster, dessen stolzes Thor
Zum Himmel raget hoch empor.
Hier Griso will sein Leben fristen,
Im Glauben der Geliebten gleich;
Hier betet er zum Gott der Christen
In seinem Kloster "Himmelreich".
* Zwerge oder Alfen
Aus: Deutschlands
Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 27-29)
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