Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Lilly Kutzner
(1853-?)


Der Elfenstein

Es flimmert zur Nachtzeit wie Silberschein
Vom Friedhof zu Sjungby der Elfenstein,
Es tönet der silbernen Glöckchen Klang
Fern über die Haide wie Nixensang.

Vom Meere herüber die Windsbraut weht,
Schön Ortrud im Thurme die Spindel dreht,
Es rauschet die Windsbraut ihr leis in's Ohr:
Schön Ortrud! Herr Olaf den Muth verlor!

Es flimmert zur Nachtzeit wie Silberschein
Vom Friedhof zu Sjungby der Elfenstein,
Drum fürchtet Herr Olaf den Weg zur Nacht
Weil drunten der nächtliche Spuk erwacht.

Es warnen die Wogen, die blauen:
Darfst nimmer der Windsbraut vertrauen,
Manch Schifflein ist untergegangen,
Das stürmisch die Windsbraut umfangen.

Vom Walde herüber der Nordsturm rauscht,
Herr Olaf den Worten der Liebsten lauscht.
"Und hört Ihr's, Herr Olaf und meint Ihr's gut,
So zeiget mir heute noch Euren Muth!

Es flimmert zur Nachtzeit wie Silberschein
Vom Friedhof zu Sjungby der Elfenstein,
So steiget hinab, wenn die Mitternacht naht,
Und thuet mir kund, was Ihr drunten saht."

Es klingt und singt unter'm Elfenstein,
Es läutet mit silbernen Glöckchen drein,
Da sprenget ein Reiter durch's Friedhofsthor,
Vom Rapp sitzt er ab, hebt den Stein empor.

Es warnen die Wogen und sagen:
Laß ab von dem thörichten Wagen!
O weh über solches Verlangen,
Bald bleichen die rosigen Wangen.

Dort unten im bläulichen Silberglanz
Da führen die Elfen den Zaubertanz.
In Schleiern, mit glitzernder Perl' bethaut,
Mit Kränzen von Ginster und Heidekraut.

Da flammt es wie flimmernde Sternchen auf,
Da dränget empor sich der Geisterhauf',
Der König der Elfen vorauf den Reih'n,
Durch nächtlichen Nebel im Mondenschein.

Ein Stern von Smaragd auf der Brust ihm glüht,
Er trägt eine Krone von Haideblüt'!
Ein silbernes Trinkhorn er hält empor,
Draus zuckt es wie bläulicher Blitz empor.

Es wallen die Wogen und klagen:
Ade, du siehst nimmer es tagen,
Dein Sternlein ist untergegangen,
Bald wird dich die Erde umfangen.

"Willkommen, Herr Olaf! Und meint Ihr's gut,
Des Elfkönigs Trank, er giebt frischen Mut!"
Da führt ihn der Ritter zum Mund sogleich,
- Herr Olaf, was schaut Ihr wie Schnee so bleich? -

Mit kräftigem Zug er den Becher trinkt,
Als plötzlich er lautlos zur Erde sinkt. -
Ein seltsam Geläut die Luft durchzieht,
Die Haide durchtönt es wie Sterbelied. -

Vom Meere herüber die Windsbraut weht,
Schön Ortrud im Thurme die Spindel dreht,
Es rauschet die Windsbraut ihr leis in's Ohr:
Die Nacht Herr Olaf sein Leben verlor!

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 42-43)

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