Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

 

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Nikolaus Lenau
(1802-1850)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 

 


Die Waldkapelle

1.
Der dunkle Wald umrauscht den Wiesengrund,
Gar düster liegt der graue Berg dahinter;
Das dürre Laub, der Windhauch gibt es kund:
Geschritten kommt allmählig schon der Winter.

Die Sonne ging, umhüllt von Wolken dicht,
Unfreundlich, ohne Scheideblick von hinnen,
Und die Natur verstummt, im Dämmerlicht
Schwermüthig ihrem Tode nachzusinnen.

Dort, wo die Eiche rauscht am Bergesfuß,
Wo bang vorüberklagt des Baches Welle,
Dort winket, wie aus alter Zeit ein Gruß,
Die längst verlass'ne, stille Waldkapelle.

Wo sind sie, deren Lied aus deinem Schoos,
O Kirchlein, einst zu Gott emporgeflogen,
Vergessend all' ihr trübes Erdenloos?
Wo sind sie? - ihrem Liede nachgezogen!

2.
Horch, plötzlich stört ein Ruf die Einsamkeit:
Klang's nicht aus der Kapelle öden Mauern?
Wer ist es, der so wunderlich dort schreit,
Daß mich's unheimlich faßt mit kaltem Schauern!

"Herr Gott, wir loben dich! - ha, ha, ha, ha!"
Nun schweigt er still, der grause Gottverächter;
Und donnernd ruft er nun: "Alleluiah!"
Und überdonnernd folgt sein Hohngelächter.

Da stürzt er sich vorbei voll scheuer Hast,
Das wirre Haar von bleicher Wange streifend,
Die Augen, wildbewegt und ohne Rast,
Irrlichter, in der Nacht des Wahnsinns schweifend.

Er eilt waldein; von seinem Tritte rauscht
Das dürre Laub im dunkeln Eichenhaine;
Wie sinnend, bleibt er plötzlich stehn und lauscht,
Und leise hör' ich's nun, als ob er weine.

Mitleidig rauscht ihr ihm - o rauschet nur! -
Den Trost: "Vergänglichkeit," ihr welken Blätter!
O locket seine Seele auf die Spur
Des milden Todes, nennt ihm seinen Retter!

Zur sanften Wehmuth lichtet sich das Thal,
Dort zieht der stille Mond herauf im Westen:
Es will sein Silberschimmer noch einmal
Sich wiegen auf des Sommers kargen Resten.

Wie schwach ist schon der Eiche fahles Laub!
Den leichten Mondstrahl kann es nicht mehr tragen,
Es bricht und zittert unter ihm in Staub,
Und läßt die kahlen Zweige traurig ragen. -

Da steht der Irre, bleich und stumm, den Blick,
Das bitt're Lächeln auf den Mond gerichtet;
Es prallt das Mondlicht scheu von ihm zurück,
Und scheu der Wind an ihm vorüberflüchtet.

Starrt so des Wahnsinns Auge wild hinauf
Zum stillen, klaren, ewiggleichen Frieden,
Mit dem die Sterne wandeln ihren Lauf:
Ein Anblick ist's der traurigsten hienieden! -

Was hat, o Schicksal! dieser Mensch gethan,
Daß mit des Wahnsinns bangen Finsternissen
Du ihm verschüttet hast die Lebensbahn,
Ihm aus der Seele seinen Gott gerissen?

3.
Er hat geliebt! - vor langer, trüber Zeit,
Da ging er einst, ein fröhlicher Geselle,
Mit seinem Lieb durch diese Einsamkeit,
Und kam mit ihr zur stillen Waldkapelle.

Sie traten ein, sie knieten hin; - da glomm
Durch's Fenster hell herein die Abendröthe;
Er betete mit ihr so selig fromm,
Und draußen sang des Hirten weiche Flöte.

Da hob die Hand sie schnell und feierlich,
Und sprach, so schien's, mit tiefbewegter Stimme:
"Lieb' ich nicht warm, und treu, und ewig dich,
So strafe mich der Herr mit seinem Grimme!"

Und höher glomm der helle Abendstrahl,
So wie sein Herz, sich ewig ihr zu weihen,
Und draußen klang im stillen Waldesthal
Des Hirten Lied wie Himmelsmelodeien. -

Wie bald, wie bald, daß ihn ihr Herz vergißt,
Daß ihr ein andrer schon des falschen Eides
Das lezte Wort von falscher Lippe küßt,
Sie mit dem Glanze schmückt des Brautgeschmeides!

Und all' ihr Leben, Freudentaumel nur,
Den noch kein flüchtig Leid ihr jemals störte,
Zieht, unverfolgt von ihrem falschen Schwur,
Und frech am Gott vorüber, der ihn hörte.

Das war's, o Schicksal! was der Mensch gethan,
Daß mit des Wahnsinns bangen Finsternissen
Du ihm verschüttet hast die Lebensbahn,
Ihm aus der Seele seinen Gott gerissen!

Drum flucht er nun empor mit wildem Spott,
Gequält vom tiefen Schmerz, an jener Stelle,
Wo er so selig einst gekniet vor Gott;
Drum irrt er, wie gebannt, um die Kapelle!

Aus: Nikolaus Lenau Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft
Band 1: Gedichte bis 1834
Band 2: Neuere Gedichte und lyrische Nachlese Wien 1995
(Band 1 S. 24-26)
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Marie und Wilhelm

Im Abendschein am Fenster saß
Allein mit ihrem Harme
Marie, das Antlitz welk und blaß
Gesenkt auf ihre Arme.

So saß das Mädchen still und sann,
Sann nach den alten Zeiten,
Und manche heiße Thräne rann
Den schönen alten Zeiten:

Als sie im trauten Hüttlein noch
Bei lieben Eltern wohnte,
Und süßer Gottesfriede noch
Der reinen Seele lohnte;

Als sie so fromm zur Kirche ging,
Und ihre Wange glühte,
Wenn jedes Aug' im Dorfe hing
An ihrer Jugendblüthe.

Als sie am lauten Erlenbach
Dem Wilhelm, freudetrunken,
Das erste Wort der Liebe sprach,
Und ihm ans Herz gesunken;

Und er sie nannte "süße Braut!" -
"Das Alles ist vorüber!"
So dachte sie, und schluchzte laut,
Ihr Herz ward immer trüber.

"Es kam der Feind im Sturmeslauf
"mit grimmen Todesstreichen;
"Das Hüttlein sank ein Aschenhauf,
"Die Eltern - wunde Leichen.

"Die Eltern todt! Er in die Welt!
"Die Träne rann vergebens!
"Ich in die Nacht hinausgestellt
"Des unbekannten Lebens!

"Da glänzt' ein milder Strahl daher
"Im hoffnungslosen Dunkel,
"Ein böses Irrlicht, lockend sehr
"Mit lieblichem Gefunkel:"

""Laß ab zu klagen, Kind, laß ab!
""Komm, folge deinem Sterne!
""Die Eltern kühlt und heilt das Grab,
""Den Bräutigam die Ferne!""

""Bald sollst du als beglückte Frau
""Genesen aller Leiden;
""Komm, folge mir zur Liebesau
""Voll ewig grüner Freuden!""

"Ich wischte mit treuloser Hand
"Die Tränen von der Wange,
"Und ging - und ging - das Irrlicht schwand
"Am furchtbar steilen Hange!

"Nun ist mein Herz so grabesdumpf,
"Verlassen wie die Wüste,
"Seit in den bodenlosen Sumpf
"Gesunken ich der Lüste!" -

Marie blickt in die Nacht hinein
Aus ihrem stillen Zimmer;
Schon ist am Himmel Sternenschein
Und sanfter Mondenschimmer.

Im Garten ruft die Nachtigall,
Sie scheint in bangen Weisen
Zu klagen um des Mädchens Fall,
Die Unschuld süß zu preisen.

Und leise kommt der Abendwind,
Der ihren Locken schmeichelt,
Als wollt' er trösten, ihr gelind
Die bleiche Wange streichelt.

Geh fort, o West, vom Mädchen, geh!
Laß ruhn den welken Flieder!
Du thust ihr mit den Blüthen weh,
Die du auf sie streust nieder! - -

Da öffnet sich das Kämmerlein:
Es ruft ein Mann: "Maria!"
Die Freude stoßt ihn wild herein:
"O meine Braut Maria!"

"Ich habe nun mein Glück erjagt,
"Mich durch die Welt getrieben;
"Hab' viel gelitten, viel gewagt,
"Und bin dir treu geblieben!"

"Wenn schier mein Herz vor Leide brach
"An lieblos fremdem Orte,
"So dacht' ich an den Erlenbach,
"Ich dacht' an deine Worte!"

Er preßt sie selig an das Herz;
Sie aber muß sich wenden,
Sie hüllt, zerknickt von ihrem Schmerz,
Das Antlitz mit den Händen.

Und leichenblaß und zitternd bricht,
Sie hin zu seinen Füßen;
Er weint, er deckt ihr Angesicht
Mit feurig bangen Küssen.

"Mir nicht den Kuß! bin sein nicht werth;
"Tief sank ich ins Verderben!
"Bin treulos, Wilhelm, und entehrt!
"Zieh fort, und laß mich sterben!" -

Wie also sie zu Wilhelm sprach,
Da schied er, schwer beklommen,
Ging still hinaus zum Erlenbach,
Der ihn mit fort genommen.

Aus: Nikolaus Lenau Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft
Band 1: Gedichte bis 1834
Band 2: Neuere Gedichte und lyrische Nachlese Wien 1995
(Band 1 S. 74-77)
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Heloise

Im Klostergarten steht ein steinern Bild,
Ein Crucifix so ernst, versöhnungsmild.
Oft in der Nacht, der ungestörten, späten,
Geht Schwester Heloise hin, zu beten.
Auch heute kniet sie dort am Marmorstamme
Und fleht um Kühlung ihrer Herzensflamme:
"O Gott! nachdem du hast für uns gelitten,
Geklagt, geweint, empfangen Todeswunden,
Wird unglückliche Liebe noch gefunden?
Hat sie nicht ausgeweint und ausgestritten?
Hilf! rette mich aus diesen Finsternissen
Der Zweifel, die mein blutend Herz umnachten!
Nach Ihm, nach Ihm nur muß ich ewig schmachten;
O Gott! hier liegt mein Herz vor dir zerissen!
Umsonst, daß ich empfing den frommen Schleier,
Daß ich zum strengen Orden mich bekannte,
Noch immer seh' ich meinen süßen Freier,
Wie er beim letzten Lebewohl sich wandte.
Du selbst hast ihn zum Gatten mir erkoren;
Oft wenn ich Wort' und Küsse mit ihm tauschte,
War mir, ob Himmelsbeifall uns umrauschte,
Kannst du mich trösten, daß ich ihn verloren?
Du kannst es nicht, muß zitternd ich bekennen,
Ich sterbe hin in meiner Leidenschaft,
Es muß mein Herz mit seiner letzten Kraft,
Dir abgewandt, in dieser Glut verbrennen.
Und wenn ich das Verlorne und Versäumte,
Als hätt' ich es, in süßen Nächten träumte,
Verzeih, mein Gott! daß ich in meinem Schrecken,
Wenn kalt die Schwestern mich zur Hora wecken,
Nach Truggestalten strecke meine Hände,
Vergötternd mich zu meinen Träumen wende.
Verzeih, wenn ich oft knieend am Altare
Zu knieen mein' an meiner Freudenbahre,
Und daß in mir verlornes Mutterglück
Aufschreit: gib mir den Bräutigam zurück!
Im Mondlicht seh' ich hier dein Bildniß schimmern,
Die Winde seufzen durch den Blütenstrauch;
Ich kam zu beten, doch im Windeshauch
Hör' ich mein unempfangnes Kindlein wimmern.
Ich bin so arm, verlassen und beraubt,
Nichts kann ich mehr zum Opfer und Geschenke
Dir bringen, Gott! als daß mein müdes Haupt
Ich hier zu deinem heil'gen Kreuze senke,
Daß ich die Wange kühl' an deinem Steine,
Wenn ich die Nacht um Abälard verweine.

Aus: Nikolaus Lenau Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe.
Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Lenau-Gesellschaft
Band 1: Gedichte bis 1834
Band 2: Neuere Gedichte und lyrische Nachlese Wien 1995
(Band 2 S. 13-14)
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