Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Wolfgang Menzel
(1798-1873)


Magdalene

1.
Aus der Venus Marmorhallen
Lächelnd tritt die Priesterin:
Weiß ich doch, daß diesen Allen
Ich die Göttin selber bin.

Ihren Augen zu begegnen,
Stößt den Nachbar man zurück,
Rosen läßt sie niederregnen,
Sie zu haschen, welch ein Glück!

Daß sie nur die Seine wäre,
Wünscht sich heimlich jeder Mann.
Doch die liebliche Hetäre
Sieht sie alle gütig an.

Glaukon, der zur Venusfeier
Seine schönste Hymne sang,
Wirft in's Meer die goldne Leier,
Denn die hellste Saite sprang.

Zürnend spricht er: Meine Töne
Seid verstummt, verstummt mein Schmerz,
Diese zauberische Schöne
Hat in ihrer Brust kein Herz.

2.
Vor Massilia's Mauerthürmen
Steht der Franke Klodio.
Wie heran die Wogen stürmen,
Wird des Kriegers Seele froh.

Da mit leichtem Nymphenschritte
Kommt die Liebliche daher,
Sieht sich auf des Weges Mitte
Nach ihm um von ungefähr.

Schlug ein Blitz so plötzlich nieder,
Oder war es nur ein Blick?
Heftig zittern ihre Glieder
Und dahin ist all' ihr Glück.

Wie vermagst du, stolzer Franke,
Sie so ruhig anzusehn?
Diese schöne Liebeskranke
Lässest du in Gram vergehn?

Weinend will zu deinen Füßen
Diese zärtliche Gestalt
Wie Cyanens Quell zerfließen,
Und, Barbar, du bleibst so kalt?

3.
Kriegerische Hörner schallen,
Streiter kehren aus der Schlacht.
Einer hört sie, sei gefallen,
Nur an ihn hat sie gedacht.

Ist es hier, wo sie geschlagen
Die Barbaren, gräßlich roh?
Die Gerippe will ich fragen:
Wer von euch ist Klodio?

Wo die Todtenschädel blinken
In dem bleichen Mondesstrahl,
Sieht man sie zu Boden sinken
In der heißen Liebesqual.

Und von Wahnsinn tief umnachtet
Sitzt sie noch des Morgens früh,
Einen Todtenkopf betrachtet,
Lächelt an und küsset sie.

4.
Einst begegnet der Verirrten
Ein betagter Eremit,
Theilet fromm der Sinnverwirrten
Jesu Christi Tröstung mit.

Die im Wahnsinn doppelt Schöne
Kniet bezwungen vor ihm hin,
Mit dem Namen Magdalene
Taufet er die Sünderin.

Ihrer Augen Schleier fallen,
Da sie betet inniglich,
Engel zu ihr niederwallen
Und der Himmel öffnet sich.

Von dem Glanze seines Thrones
Wird gerührt ihr Augenlicht,
Und sie schaut des ew'gen Sohnes
Sonnengleiches Angesicht.

Da erkennet sie mit Beben,
Glüht jungfräulich morgenroth:
Dieser ist das ew'ge Leben,
Mein Geliebter war der Tod!

5.
Und die Menge strömt zusammen,
Ihrer Predigt glaubet man,
Ihrer Augen schöne Flammen
Zünden tausend Herzen an.

Alle folgen ihren Worten
Und dem Kreuze, das sie trug,
Zu der Venus Tempelpforten
Wälzet sich der dunkle Zug.

Und sie schreitet stolz vor Allen
Mit der Fackel in der Hand,
Und die weißen Säulenhallen
Färbt der purpurrothe Brand.

Alle Tempel sinken nieder
In der schönen Stadt am Meer,
Und der Götter Marmorglieder
Liegen ausgestreut umher.

Da sieht Glaukon die Geliebte,
Die als Heil'ge man verehrt,
Hört die Wunder, die sie übte,
Aber er wird nicht bekehrt.

"Keinem ist sie treu geblieben,
Ewig wächst das Herz ihr neu,
Wird sie noch im Himmel lieben,
Bleibet sie auch Gott nicht treu."

6.
Wo im Berg, in dem uralten,
Heimlich tief in Waldesnacht
Sich die grauen Felsen spalten,
Hat sie sich ein Grab gemacht.

Stiehlt ein Sonnenstrahl sich nieder
Durch das kalte Felsenmoos,
Sieht er ihre weichen Glieder
Lieblich ruhen hüllenlos,

Weil im Glauben neugeboren
Sie die Unschuld wieder fand,
Die uns Eva erst verloren,
Da sie mißte das Gewand.

Emsig in den heil'gen Schriften
Lies't die schöne Büßerin.
Vögel schweben aus den Lüften
Zu der Höhle Eingang hin.

Wölfe lassen ab vom Raube,
Kommen alle fromm herbei,
Bei dem Adler sitzt die Taube,
Bei der Hindin ruht der Leu.

7.
Einst nach manchem langen Jahre
Hat ein König sie entdeckt,
Wandelnd in dem goldnen Haare,
Das sie wie ein Mantel deckt.

Und entflammt für ihre Schöne,
Die in ew'ger Jugend blüht,
Folgt er ihr, doch Magdalene
Zu den höchsten Bergen flieht.

"Holdes Wunder, weile, weile!"
Der entzückte König sprach;
Das Gefolge drängt in Eile
Sich der Unbekannten nach.

Rückwärts blickt sie und verachtet
Unaussprechlich diese Welt,
Und ihr glühend Auge schmachtet
Nach dem blauen Himmelszelt.

Leise Stimmen hört sie singen,
Und der unsichtbare Chor
Trägt auf weichen Engelschwingen
Zu den Wolken sie empor.

An der Stelle, wo die Reine
Also auf zum Himmel fuhr,
Sieht man eingedrückt dem Steine
Ihres rechten Fußes Spur. -

Daß dir nicht das Herz entbrenne
In zu bitt'rer Liebespein,
Auf den Bergen zu Vienne
Suche diesen heil'gen Stein.

Sieh, ob Thau zurückgeblieben
Morgens in des Füßchens Raum,
Und geheilt bist du vom Lieben,
Netzest du die Lippe kaum.


Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 524-525)
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