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Gustav Pfizer
(1807-1890)
Inhaltsverzeichnis der Balladen:
Der verschüttete Bergknappe
Laut durchtönt das Gerücht die zerstreuten Hütten der Thalschlucht:
"Schaut! sie haben entdeckt einen verschütteten Mann!"
Eilig strömt auf den Ruf neugierig die Menge zusammen,
Wo auf erhöheten Pfühl man den Gefundnen gelegt.
Staunend betrachteten Alle die Tracht aus älteren Zeiten;
Aber das Haar war blond, jugendlich war die Gestalt.
Tückisch hatte ein Sturz überrascht den strebenden Knappen,
In der erstarrten Hand hielt er das Fäustel noch fest.
Wunderbar hatte der Schacht, Egyptens Künste beschämend,
Vor der Verwesung Grau's sorglich die Leiche verwahrt.
Spurlos schwankten der Männer Vermuthungen; aber die Weiber
Weinten dem herben Geschick reichliche Thränen noch nach.
Mühsam schleppte herbei sich eine gebrechliche Greisin,
Die im trüben Gemach zitternd die Kunde vernahm.
Und jetzt sah sie die Leiche, die Tracht und den Wuchs und die Züge,
Sah am Finger den Ring, der ihn noch locker umschloß;
Ueber den Leichnam stürzte sie hin; so lag sie bewußtlos,
Doch bald rang sich der Schmerz aus der Betäubung empor.
"Frido!" schwebte das erste Wort von den Lippen, den blassen,
Als der erschütterte Geist wieder Besinnung gewann;
"Frido! kommst du zurück? doch später, als du verheißen!
Siebenzig Jahre zu spät zu der verlassenen Braut!
O Geliebter! du hast zwei Menschenalter verschlummert,
Und im Rachen des Grabs bliebst du lebend'ger als ich.
Schämst du dich jetzt, o du, der noch ein Jüngling geblieben,
Dessen Locken noch blond, meiner, der Zitternden nicht?
Ach, im Trotze der Liebe verwegen, hattest den Goldring,
Als in die Grube du stiegst, du an den Finger gesteckt.
Und ich warnte vergebens: die Geister ertragen das Gold nicht;
Laß das Ringlein zurück, wenn du befährest den Schacht!
Kühn entgegnetest du: dieß Gold - ich hab' es erobert,
Und nun laß im Triumph ich mit der Beute mich seh'n!
Und du selbst, mein Mädchen, du müßtest ja zürnen dem Bräut'gam,
Der von dem heiligen Pfand ewiger Treue sich trennt!
Und mich freute dein Muth und die zuversichtliche Liebe,
Doch nicht wurde das Herz banger Besorgnisse los.
Tückische Geister, erzürnt vom Glanz des erbeuteten Goldes,
Hielten in gräulicher Nacht meinen Verlobten zurück.
Doch du rettetest dir im Tode die Farbe des Lebens;
Reichen die Zauber der Zeit nicht in die Tiefe des Bergs?
Mich, die Lebende, traf das traurige Loos der Verwandlung;
Kräftiger Jüngling! es trennt uns die entsetzlichste Kluft!
Diese noch frische Gestalt - sie könnte die Seele bereden,
Was sie niemals des Bachs spiegelnder Welle geglaubt:
Daß im Wechsel der Zeit aus der Welt das Wesen verschwunden,
Das dein freundlicher Mund "meine Sigunde" genannt.
Immer noch meinen die Menschen, von irrigem Wahne bestricket,
Daß nur Einmal der Tod raffe das Leben dahin.
Lang nun hab' ich gelebt, und tausendmal bin ich gestorben -
Glaubt ihr dem Zeugnisse nicht dieses verkümmerten Leibs?
Nicht die Hülle nur welkt; die gealterte Seele bekennet
Selbst zu der welken Gestalt als zu der ihrigen sich.
Und doch ruft aus der Tiefe der Brust eine mächtige Stimme:
Glaube! du bist es noch stets, die dieser Todte geliebt!
Schönheit und Kraft ist dahin, verwandelt sind Wunsch und Gedächtniß;
Doch ein beständiges bleibt kenntlich, die Treue, zurück.
Ja, ich bin's! Ich fühle, wie meine erloschene Seele
Süße Erinnerung stärkt, Röthe der Jugend entflammt!
Scheltet mich nicht, ihr Männer und Weiber! ein seltsames Schicksal
Reißt mich über das Maaß ängstlicher Sitte hinaus!
Eine Greisin seht ihr und höret ein zärtliches Mädchen;
Zweifel bewegen das Herz, welchem der Sinne ihr glaubt?
Scheltet mich nicht! es bricht der Jugend verschüttete Liebe,
Wie aus der Asche die Glut, flammend noch einmal hervor.
In zwei Hälften seh' ich mein eigenes Wesen getheilet,
Zwischen ehmals und jetzt schwankt der zerrissene Geist.
Ist nicht mein der Todte? Der Ring, der goldne, bezeugt es;
Diese verknöcherte Hand trägt den Genossen dazu.
Aber die schlanke Gestalt ist der zitternden Greisin entfremdet;
Seht, er schüttelt das Haupt vor dem gewaltsamen Bund.
Ach! so haben dich doch die Geister der Tiefe verblendet,
Haben im Herzen das Bild deiner Geliebten zerstört?
Gebet, o gebet den Jüngling dem Schooße der grünenden Erde,
Welche in gleichen Staub Greise und Jünglinge löst.
Aber der Staub wird wieder von göttlichem Hauche beseelet,
Und das Leben, verjüngt, wächst aus Verwesung hervor.
Alter und Jugend verschmelzen im Leibe der Wiedererstandnen,
Rastlos eilende Zeit biegt sich zum ewigen Ring."
Leuchtend strahlte die Stirn der Begeisterten; als sie geendet,
Sank sie plötzlich erschöpft über den Todten dahin.
Staunen und Schauer erfüllten die Herzen; heilige Stille
Schwebte, von Seufzern erschreckt, über dem trauernden Volk.
Glückliche Bräute bekränzten der Greisin Sarg mit der Myrthe;
Männer, viel jünger als er, trugen den Jüngling ins Grab.
Friedlich ruhn sie, gesellt in der sanft ausgleichenden Erde,
Tröstlich zu schau'n, doch selbst nimmer bedürftig des Trosts.
Aber der lebende Geist denkt nie gleichgültige Ruhe;
Leiseres Lebensgefühl ruft er im Todten noch an.
Und wir schelten ihn nicht - den holden, freundlichen Irrthum,
Der mit versöhnender Hand feindliche Marken verknüpft.
Aus: Gedichte von Gustav Pfizer
Neue Sammlung
Stuttgart 1835 Verlag von Paul Neff (S. 215-221)
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Der Schmuck
"Reich' mir das Kleid von Seide,
Mit Purpurfluth getränkt,
Das, zu der Mädchen Neide,
Der Fremdling mir geschenkt.
Es werden alle Gäste,
Erschein' ich so, entrückt;
Der Vater sieht bei'm Feste
So gern sein Kind geschmückt!"
""Du freust dich am Gewande;
Laß dir erzählen, Kind,
Wie man im fernen Lande
Solch theures Kleid gewinnt:
Es ist geschickt zu weben
Die Raupe, schwach und klein;
Sie zieht ihr ganzes Leben
Die Fäden silberrein.
Da flüstert eine Stimme
In ihres Herzens Ruh':
In weicher Hülle schwimme
Du der Verwandlung zu!
Sie wendet alle Schätze
Auf's schimmernd weiße Haus;
Sie spannt die linden Netze
Zum Schlummerkleide aus.
Sie übet treu die Gabe;
Doch hat sie's nicht Gewinn:
Sie schafft am eignen Grabe,
Die fleiß'ge Spinnerin.
Und endlich ganz beschlossen,
Ruht sie im engen Raum;
Es ist der Leib zerflossen
Zu einem Hoffnungstraum.
Der Mensch, mit gier'gem Muthe
Sieht er das zarte Haus,
Und löscht mit kühlem Blute
Des Lebens Funken aus.
Er tilgt das stille Hoffen,
Das jene Hülle barg,
Und wirkt zu theuren Stoffen
Den silberhellen Sarg.
Die Kön'ge selber trachten
Darnach um theuren Sold;
Die Seide hoch sie achten
Und köstlicher als Gold.""
"Gar artige Geschichten
Erzählst du mir fürwahr!
Gewiß, du weißt zu dichten
Die Märchen wunderbar.
Gib zu dem Kleid von Seide
Die Perlen licht und klar,
Flicht sie mir als Geschmeide
In's dunkle Lockenhaar."
""Ich will dir auch erzählen,
Woher die Perle stammt,
Die aller Menschen Seelen
Mit Sehnsucht heiß entflammt.
Die Muschelthiere schliefen,
Bei dunkelem Gestein,
Ganz in des Meeres Tiefen,
In ödem Schlummer ein.
Einst drangen lichte Strahlen
Hinab in ihre Ruh';
Da schlossen sie die Schaalen,
Die Lichtberauschten, zu.
Da ward in ihrem Kerne
Ein Feuer angefacht;
Da flogen goldne Sterne
Durch ihre trübe Nacht.
Sie harrten auf den Morgen,
Zu steigen aus der Fluth;
Sie trugen ja verborgen
In sich schon Morgengluth.
Da stürzen kecke Schwimmer
Sich nieder in die Fluth,
Gelockt vom edlen Schimmer,
Der in der Tiefe ruht.
Das eigne Leben wagen
Sie um den hohen Kauf;
Die theuren Muscheln tragen
Vom Grunde sie herauf.
Sie tödten in die Wette
Mit raubbegier'ger Hand,
Und eine Leichenstätte
Wird schnell der grüne Strand.
Das Leben zuckt in Schmerzen;
Sie achten es nicht groß,
Sie brechen aus dem Herzen
Die edlen Perlen los.
Wie lichte Sterne leuchten
Sie in der Locken Nacht,
Doch auch wie Thränen feuchten
Sie der Gewande Pracht.
Es fügte sie der Meister
Zum strahlenreichen Kranz;
Sieh zu, ob nicht die Geister
Nich zittern in dem Glanz!""
"O weh, mich so zu quälen!
Gar hübsch ist es erdacht;
Doch was hat bei'm Erzählen
So traurig dich gemacht?"
""Ich habe dir mit Scherzen
Gedeutet deinen Schmuck;
Doch lastet auf dem Herzen
Ein ernster, banger Druck.
Ich kann nicht mehr verschließen
Das Weh' in meiner Brust;
Es will hinüberfließen
Und küssen deine Lust.
Nach einer Spindel Rauschen
Neigt sich mein banges Ohr;
Der Wehmuth Perlen lauschen
Mir aus der Brust hervor.
Es wird, wie ich dich schaue,
Dein holdes Antlitz blaß;
Von heller Thränen Thaue
Ist deine Wange naß!
O rede, Süße, Bleiche! -
Sie sinkt in meinen Arm,
Sie ist schon eine Leiche,
Berührt von meinem Harm.
So war's kein eitles Wähnen,
Was mir das Herz bedroht!
Ja, Perlen deuten Thränen,
Und Seide deutet Tod.
Den Purpur um die Lenden,
In's Haar der Perlen Pracht -
Dir ward von kühnen Händen
Ein Leichenschmuck gebracht!""
Aus: Deutschland's
Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 715-716)
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