Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Georg Rapp
(1798-1868)


Die Braut vom Bergsee

Musik erklingt zum Hochzeitschmaus,
Sie tanzen im erhellten Haus,
Und draußen trüb im Sternenlicht
Der junge Waidmann zu sich spricht:
"Ob Manche mir das Herz beklemmt,
Sie thun mir drinnen Alle fremd;
Ob Geig' und Flöte Alle freut,
Mir hat sie den Verdruß erneut."

Da tritt zu ihm ein Mägdlein zart,
Gekleidet nicht nach Landesart;
Wie Silber fließet ihr Gewand,
Wie Gold ihr Haupthaar ohne Band,
Wie sanfte Wellen schwebt ihr Schritt:
'Und willst du nicht zum Tanze mit?'
So redet sie und blickt dazu
Dem Stern gleich aus der Himmelsruh.

Sie schwelgen in des Tanzes Lust,
Sie schmiegt sich leis an seine Brust,
Wie eine Blume, kaum erwacht,
An ihres Stammes Blättermacht.
Sie ruht ihm matt in seinem Arm,
Er führt sie weg vom Tänzerschwarm,
Er wiegt sie schaukelnd auf den Knie'n,
Doch scheu und bebend will sie fliehn.

Sie eilt zu Wald und Fels hinauf,
Er faßt sie sanft in ihrem Lauf.
Sie seufzt: 'Der dunkle Vater droht,
In meinem Hause wohnt der Tod!
O blieb' ich Brust an Brust mit dir,
Und Beide liebend stürben wir!
Doch weh, mein Herz so wach und voll -
Und keine Seele lieben soll!"

"Hier Büchs und Fänger mit mir spricht:
Wir fürchten Tod und Hölle nicht!" -
'Der Nix im See mein Vater dort,
Und Menschenliebe bringt mir Mord!
Die Morgenröthe trinkt mein Blut,
Bin ich bei ihm nicht in der Fluth.
Es tagt, es tagt! Nun sterben muß!
Den liebsten gib, den letzten Kuß!'

Der Drossel froher Ton verhallt,
Und zornig braust der Tannenwald.
Im Halbkreis starrt die Felsenhöh,
In ihrem Kessel stürmt der See.
Und aus des Jünglings Armen reißt
Die bleiche Braut der greise Geist.
Er wirft sie donnernd in die Fluth,
Die blutig dann im Frühling ruht.

Der Jäger sitzt am Wogenschein,
Und schaut mit starrem Haupt hinein.
Vom Gipfel sieht der Auerhahn,
Vom Schilf der Hirsch ihn sicher an.
Der See versiegt, der Wald verdorrt,
Der Jäger sitzet immerfort.
Dort harrt sein Geist bis diesen Tag,
Ob ihn die Braut erlösen mag.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
(S. 542-543)
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