Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Luise Rieter 
(1828-1879)


Die arme Spinnerin

Es drängen sich in die Kammer
Die goldenen Strahlen ein,
Zum Jammer, zum stillen Jammer
Gesellt sich der Sonnenschein.
Hin wirft die Spindel sie leise
Zu ewigen Ringeltanz,
In trauriger, trüber Weise,
Ein Schatten im hellen Glanz -
Die arme Spinnerin.

die feinsten Fäden gelingen
Der zitternden, schlanken Hand.
Sie will ja dem Liebsten bringen
Das Beste zum Festgewand.
Dem Faden, lang wie ihr Sehnen,
Giebt heimlich sie Kuß auf Kuß,
Und näßt ihn mit ihren Thränen,
"Weil zähe er werden muß".
Die arme Spinnerin.

"Das Weben wird bald begonnen,
Ich webe für ihn allein,
Und webe, die ich gesponnen,
Die lustigen Thränen mein".
Und heiser klinget ihr Lachen,
Sie schauet mit starrem Blick,
Als müßte sie erst erwachen
Und kehren zur Welt zurück.
Die arme Spinnerin.

Der feine Flachs ist zu Ende,
Sie lehnt sich still an die Wand:
Ob anderer Flachs sich fände? -
Es greift nach der Stirn' die Hand.
Sie stellt zur Seite den Rocken:
"Nun muß mein Webstuhl herbei -
Mein Webstuhl? ... hi - lacht sie trocken -
Den brachen sie mir entzwei".
Die arme Spinnerin.

"So will ich den Flachs mir holen,
Ich sä'te auf gutes Land -
Den Flachs? - und sie nickt verstohlen -
Den Flachs für sein Festgewand.
Wo sind die üppigen Saaten,
Die grünen, die mir gehört?
Oh! - spottende Buben zertraten
Und haben mein Feld zerstört".
Die arme Spinnerin.

"Es flüstert kosend, ich wende
Beim Tanze mich spindelleicht" ...
Nun springt sie auf, hat behende
Die Mitte der Kammer erreicht.
"Ich selber bin eine Spindel!"
Sie wirbelt im Kreis und lacht.
Zu Schluß hat ein jäher Schwindel
Den traurigen Tanz gebracht.
Die arme Spinnerin.

Da wiederkehren die Sinnen
Befühlt sie sich Kopf und Herz,
Es fluthet und wogt tiefinnen
Und sie - erkennt ihren Schmerz.
Sie ruft und sinkt ächzend nieder:
"O Gott" in erstickender Noth,
"Es sind, ich weiß Alles wieder,
Zehn Jahre seit mein Liebster todt!"
Die arme Spinnerin.

Doch wie die Worte voll Kummer
Den Lippen entwichen sind,
Umfängt erlösender Schlummer
Das tollgewesene Kind.
Wo spinnend gern sie sich setzte,
Ruht still nun ein blaß Gesicht,
Wegküsset der Thränen letzte
Das strahlende Sonnenlicht -
Der todten Spinnerin.

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 100)

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