Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Friedrich Rückert
(1788-1866)


Inhaltsverzeichnis der Balladen:
 





Die goldne Hochzeit

"Brechet auf den Felsenschacht,
Der geruht hat lang;
Zieht hervor aus seiner Nacht
Goldnen Ueberschwang!
Sprenget auf den Grubengang,
Daß die Wunderpracht,
Die er längst in sich verschlang,
Sei ans Licht gebracht!"

Höret ihr, wie auf den Höhn
Zitterspielt der Geist,
Wie uns lockend sein Getön
Hier zur Bergwand weist?
Rühret Arm' und Waffen dreist,
Wühlet mit Gedröhn,
Bis der Fund, den er verheißt,
Daliegt goldenschön! -

Und die Schaar der Knappen bringt,
Sonder Zeitverlust,
Schaufel, Karst und Hack', und schwingt
Sie mit Macht und Lust,
Bis ihr Fleiß den tauben Wust
Des Gesteins bezwingt,
Und entgegen Erzgekrust
Ihren Streichen springt.

Aber aus dem offnen Spalt,
Was man sich verspricht,
Zieht man itzt den Reichgehalt
Schweren Goldes nicht;
Staunend aus der Nacht ans Licht
Zieht man die Gestalt
Eines Jünglings, von Gesicht
Schön, doch todeskalt.

Und da liegt er jung und zart,
Wie ein Lilienreis;
Ihn bewundernd steht geschaart
Rings ein weiter Kreis.
Recht als ob zu Gottes Preis
Er sei aufbewahrt,
Liegt er da, geschmückt mit Fleiß,
Wie nach Bräut'gams Art.

Gold ist seiner Schuhe Rand,
Goldstoff wunderklar
Wirkt sein schlichtes Leibgewand
Ihm zum Festtalar;
Golden schlingt der Ringe Paar
Sich um jede Hand,
Und um sein schon goldnes Haar
Spielt ein goldnes Band.

Kann die Erd' im stillen Raum,
Wo sie Wunder thut,
Wandeln so in goldnen Traum
Staub, Gebein und Blut?
Selbst der Strauß, der ihm geruht
An des Busens Saum,
Blüht verwandelt wohlbehut
Dort als goldner Baum.

Wer sagt an, wie lang es mag
Seyn, daß er verscholl?
Schlaget eure Chronik nach,
Die es wissen soll!
Seht, da steht: Im Berggeroll
Heut ein Knapp' erlag.
Heut? ja fünfzig Jahre voll
Zählts bis heut zum Tag.

Niemand mehr, der ihn gekannt,
Der befreundt ihm war?
Dem er Bruder war genannt,
Oder Liebster gar?
Hätt' umsonst ihn wunderbar
Uns der Geist gesandt?
Halt! hier stellt sich eines dar,
Dem er ist verwandt.

Durch den Strom der Menge bricht,
Die mit Staunen weicht,
Eine Greisin; stört sie nicht,
Wie sie näher schleicht!
Die, wie sie den Platz erreicht,
Thränend ihr Gesicht
Zu dem Jüngling niederneigt,
Dann es hebt, und spricht:

Nein! ob schweigen auch der Mund
Eurer Bücher mag,
Eine treue Todeskund'
Ist ihm blieben nach;
Treu, wie er bewahret lag
In des Felsen Schlund,
Lag er auch bis diesen Tag
Mir in Herzens Grund.

Die ihr mich von Haupt und Haar
Zitternd und ergraut
Sehet, heut vor fünfzig Jahr
War ich eine Braut.
Er hier, den ihr vor mir schaut
Liegen goldenklar,
Sollt' als Bräut'gam mir vertraut
Werden am Altar.

Wartend stand das Brautgemach
Auf den Bräutigam,
Als mit ihm die Bergschlucht brach,
Ihn hinunter nahm.
Nicht einmal zu Ohren kam
Mir sein letztes Ach,
Statt des Bräut'gams kam der Gram
Zu mir tausendfach.

Fünfundzwanzig Jahr ist viel,
Wer sie zählt wie ich;
Langsam zählt' ich, bis zum Ziel
Fünfundzwanzig schlich.
Als das Haar schon silberlich
Um die Stirne fiel,
Fand die Silberhochzeit mich
Ohne Tanz und Spiel.

Fünfundzwanzig noch einmal
Gingen mir vorbei,
Daß ich heut, gebückt und kahl,
Goldhochzeitrin sei.
Welche Wunderzauberei
Bringt an Tages Strahl
Mir zur Goldhochzeit herbei
Golden den Gemahl?

Aber, weh, darf ich mich nahn
Dir mit Liebkosung?
Du bist schimmernd angethan,
Golden, schön und jung.
Barg dich Grabes Dämmerung
Vor der Zeiten Zahn?
Doch mich traf Verwitterung
Auf des Lebens Bahn.

Himmelsmächte, deren Schluß
Aus des Todes Reich
Ihn zu hochzeitlichem Gruß
Sendet schimmerreich;
Ach was hilft's, wenn todesbleich
Ich ihm bleiben muß,
Braut dem Bräutigam nicht gleich
Wird im Liebeskuß!

Also ruft sie, schweigt und bückt
Sich dem Jüngling nah,
Auf die frische Lippe drückt
Sie die welke, ha!
Eh sie weiß, wie ihr geschah,
Hat es sie durchzückt,
Schön verwandelt steht sie da,
Jugendlich geschmückt.

Leuchtend, wie ihr Junggesell,
Selbst ein Jungfraunbild,
Steht sie da, ihr Aug' ein Quell,
Der von Feuer quillt.
Ihrer Wange Rose schwillt;
Und der Locken Well',
Weils der goldnen Hochzeit gilt,
Wallet golden hell.

Also steht sie dort, und hebt
Sanft den Blick auf ihn,
Und ein täuschend Lächeln webt
Flüchtig über ihn;
Wie sie so sieht lächeln ihn,
Schrickt sie auf und bebt,
Ihre Leiche sinkt auf ihn,
Ihre Seel' entschwebt.

Die bewegte Meng' umkreist
Still das ruh'nde Paar,
Das, an Jahren hochergreist,
Jung gestorben war.
Fern herüber hell und klar
Zitterspielt der Geist
Ueber der erstaunten Schaar,
Die sein Wunder preist.

Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 410-411)

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Liebesromanze von Fräulein Luft und Junker Duft

Es kam das zarte Fräulein Luft
Vom Himmel her entstiegen,
Und sah in Blumenwiegen
Den zarten Knaben liegen,
Den zarten Knaben Duft.

Es sah das zarte Fräulein Luft
So hold und so verschwiegen
Die Blättlein her sich schmiegen,
Sich um das Kind herbiegen
So zierlich abgestuft.

Da rief das zarte Fräulein Luft
Und ließ sein Stimmlein fliegen:
Zu dir komm' ich gestiegen;
Wie lange willst du liegen
In deiner stummen Gruft?

Da sprach der zarte Knabe Duft,
Der bis daher geschwiegen;
Still blieb er dabei liegen
In seinen sanften Wiegen,
Und sprach: Wer ist's, der ruft?

"Ich bin das edle Fräulein Luft,
Es sei dir nicht verschwiegen;
Ich die kann gehen und fliegen
Und mich auf Flügeln wiegen,
Ich bin's, mein Junker Duft."

Da lächelte der Knabe Duft,
Und blieb nicht ruhig liegen
In seinen engen Wiegen;
Sein Haupt thät er vorbiegen:
Was willst du, Fräulein Luft?

"Ich will, o süßer Junker Duft,
Aus deinen engen Wiegen
Will ich dich lehren fliegen,
Und Flügel sollst du kriegen
Wie ich, das Fräulein Luft."

Da lächelte der lose Duft
So fein und hold-verschwiegen:
Ich habe längst vom Fliegen
Geträumt, vom Flügelkriegen,
In meiner stillen Gruft.

Voll Lüsternheit der Knabe Duft
War seinen blum'gen Wiegen
Mit halbem Leib entstiegen;
Es dachte schon zu siegen
Das list'ge Fräulein Luft.

Da duckte sich der kleine Schuft
Zurück sich in die Wiegen,
Sich tiefer drein zu schmiegen:
Und willst du mich betrügen,
O holdes Fräulein Luft?

In meiner engen stillen Gruft
Konnt' ich so ruhig liegen,
Mich sanft auf Blättlein wiegen;
Wohin soll ich nun fliegen
Mit dir, o Fräulein Luft?

"Durch Feld und Wald, durch Berg und Kluft,
Wo schöne Schätze liegen,
Die Brünnlein nie versiegen;
Dahin nun sollst du fliegen
Mit mir, o Junker Duft.

"Da sollst du, holder Junker Duft,
Zum Himmel hoch gestiegen,
Zu sehn, zu hören kriegen,
Was ewig hier verschwiegen
Dir blieb' in deiner Gruft.

"So folge mir, die dich beruft,
Und laß dein furchtsam Schmiegen;
Sonst muß ich weiter fliegen,
Und du mußt ewig liegen
In deiner Gruft, o Duft!"

Hold schmeichelte das Fräulein Luft
Und ließ ein Seufzen fliegen:
"Ich will dich nicht betrügen;
O komm aus deinen Wiegen,
Sonst sterb' ich, süßer Duft!"

Doch sträubte sich der Knabe Duft,
Da ging es an ein Kriegen;
Es stritten um die Wiegen,
Darin er wollte liegen,
Sich Duft und Fräulein Luft.

Da wehrte noch der kleine Schuft
So streng sich und gediegen;
Er mußte doch erliegen,
Es wußt' ihn zu besiegen
Das starke Fräulein Luft.

In Blättlein hoch und tief gestuft
Wie er sich mochte schmiegen,
Sie wußte sich zu biegen
Und ihn hervor zu kriegen
Aus der geheimen Schluft.

Da faßte sich ein Herz der Duft:
Nun lebet wohl, ihr Wiegen!
Sollt' ich im Kuß versiegen,
Keck will ich jetzt mich schmiegen
An meine Freundin Luft.

Ihn küßt' und nahm in Arm die Luft,
Stolz war sie auf ihr Siegen;
Doch traurig mußten liegen
Die Blättlein, deren Wiegen
Entnommen war der Duft.

Hinflogen freudig Duft und Luft;
Und es ist uns verschwiegen,
Ob sie zum Himmel stiegen,
Ob noch zusammen fliegen
Durch Feld und Wald und Kluft.

Aus: Friedrich Rückerts Werke
in sechs Bänden. Hrsg. von Dr. Conrad Beyer
Verlag Max Hesse 1900 Band 2 (S. 272-275)
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