Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Moritz Saphir
(1795-1858)


Die Sage vom Helenenthale

"Seht Ihr dort die altergrauen
Schlösser Euch entgegenschauen,
Leuchtend in der Sonne Gold?"
Wo in wild zerfall'nen Trümmern
Bei des Abendrothes Glimmern
Durch's Geklüft der Uhu grollt?
Wo in off'nen Mauerritzen
Bleiche Nachtgedanken sitzen,
Wo in dunklen Tannenkronen
Märchenhafte Stimmen wohnen? -

Seht Ihr dort die Ueberreste
Jener hohen Wolkenfeste,
Wo am Fuß des Berges Blüthen zittern,
Blumen glühen hinter goldnen Gittern?
Seht ihr an des Waldes Saume,
Wie aus einem Morgentraume
Sich die Burg erhebt des siegesmüden
Ruhmgekrönten Nestoriden,
Und des Ruhmes Glanzgestalten
Wandeln in des Waldes Falten?

Dorten hoch auf Felsenklippe
Ragt annoch das Burggerippe
Aus der Tannen schwarzer Nacht;
Dort auf hohen Felsenspitzen
Sah man auch das Leben blitzen,
Sah man auch des Daseyns Pracht,
Sah man Riesenritter ringen,
Sah man schwere Speere schwingen.
Durch den Schall von ihren Lanzen
Drang der Ton doch von Romanzen,
Durch das Rauschen dunkler Rüstern
Zog der Liebe süßes Flüstern.

Helena, des Schlosses Perle,
Wandelt unter'm Dach der Erle,
In des Abends Dämmerschein,
Denn ein Zeichen weht herüber
Von der Veste gegenüber,
Von der Veste Rauhenstein.
Ja, die Nacht, sie ist verschwiegen,
Ihren leisen Athemzügen
Mag sich Liebe anvertrauen. -
Doch durch ihren Schleier schauen
Mond und Sterne aus dem Aether, -
Mond und Sterne, die Verräther.

Dunkle Nacht! du mohrengleiches,
Lendenbraunes, lockenweiches,
Wahrsagerisch' Zauberweib!
Schnürst in Dämm'rung die Sandale,
Finsterniß zum weichen Shawle
Schlägst du um den schwarzen Leib!
Doch das Haupt schmückst du dir gerne
Mit Juwelen lichter Sterne,
Und als Kron' im Haar, dem nächt'gen,
Trägst  du hoch den Mond, den prächt'gen, -
Und wie Perlen in dem Haar des Mohren,
Trägst du Stern' um Haupt und Ohren!

Doch der Mond, der bleiche Pilger,
Dieser Finsternißvertilger,
Zeigt dem Späher lichte Bahn,
Wenn er durch die blauen Wellen
Schifft mit seinem geisterhellen,
Lichtbeflaggten Silberkahn.
Bei der goldnen Sichel Schimmer
Sah der Vater aus dem Zimmer,
Wo die Tochter gibt ein Zeichen,
Und er naht mit leisem Schleichen,
Daß kein Blättlein möge rauschen,
Sie im Stillen zu belauschen

Bei des Gartens Endgeländern,
An des Felsens schroffen Rändern,
Hoch hinab in's tiefe Thal,
Steht Helena, horcht den Lauten,
Die vom Mund des Herzvertrauten
Halb der lose Zephyr stahl;
Unten steht er kecken Muthes,
Liebeglühend; heißen Blutes
Unter'm Schild der grünen Reiser
Klimmt er aufwärts, immer leiser,
An den steilen Felsenwänden,
Liebeswort emporsenden:

- 'Bist du es, Geliebte, und harrest du mein?
Schon schlafen die Bäume und wiegen sich ein,
Schon schließen die Blumen die Aeugelein zu,
Schon suchet die Grille die nächtliche Ruh',
Schon löscht das Glühwürmchen sein Fackelchen aus,
Schon ziehen die Sternlein zur Heerschau heraus,
Schon murmelt die Welle, als spräch' sie im Traum,
Schon zittern die Blätter am athmenden Baum,
Die Liebe allein, ach, die Liebe schläft nicht,
Sie träumet im Wachen, und sieht ohne Licht,
Und schweiget erst Alles, dann spricht sie allein:
Bist du es, Geliebte, und harrest du mein?'

- "Ich bin es, Geliebter, ich harre schon dein,
Laß schlafen die Bäume, die Lieb' schläft nicht ein!
Laß schließen die Blümlein ihr Aeuglein zu,
Mein Aug', meine Blume bist einzig nur du!
Laß suchen die Grille die Ruhe der Nacht,
Die Grillen der Liebe sind ewig zur Wacht!
Laß löschen Glühwürmchen sein Fackelchen aus,
Die Fackel der Liebe löscht Nachtthau nicht aus!
Laß ziehen die Sterne hinab und herauf,
Der Sehnsucht geh'n Sterne der Liebe nur auf.
Laß murmeln die Welle, als spräch' sie im Traum,
Für Schäume und Träume hat Liebe stets Raum!
Laß zittern die Blätter vom Schlummer so schwer,
Es zittert mein Herzblatt in Sehnsucht noch mehr!
So komm denn, Geliebter, die Lieb' schläft nicht ein,
Es wacht die Geliebte und harret schon dein!"

- Plötzlich aus der Bäume Mitten
Tritt mit schnellen Tigerschritten
Jetzt der Vater wild heran.
Seine hohlen Wangen glühen,
Aus den Flammenaugen sprühen
Haß und Wuth und Rachewahn;
Blut und Mord und Wahnsinns Hadern
Schwellen seiner Stirne Adern,
Gräßliche Gedanken brütend,
Fasset er die Tochter wüthend,
Schleppt sie näher an's Geländer,
An des Felsens steile Ränder.

- "Ich bin es, Geliebte, und harre schon dein,
Laß schlafen die Bäume, doch ich schlaf' nicht ein!
Laß schließen die Blumen ihr Aeugelein zu,
Ein väterlich Auge hat ewig nicht Ruh'!
Laß suchen die Grille die Ruhe der Nacht,
Die Rache im Busen hat Nächte durchwacht!
Laß löschen Glühwürmchen sein Fackelchen aus,
Ich lösche im Blute die Schande heraus!
Laß murmeln die Welle, als spräch' sie im Traum,
Ich träumte, sie machte im Grunde dir Raum!
Laß schweigen das Weltall, laß schlummern das Blatt,
Es schreiet die Rach' in der Brust sich nicht satt!
Bist unten, Geliebter, und harrest du ihr?
O steig nicht herauf, ich sende sie dir!
Streck' aus nur die Arme, streck' aus sie mit Lust,
Ich leg' dir die Liebste ja selbst an die Brust!" -

- Und mit Lachen und mit Höhnen,
Daß die Felsen rings erdröhnen,
Schleppt er mit gewalt'ger Hand,
Und mit Flüchen, die zu hören,
Herz und Ohr zugleich empören,
Sie hinauf zur Felsenwand,
Wo dann senkrecht Felsenklippen
Senken ihre nackten Rippen,
Strecken ihre Zackenglieder
In das gähe Thal hernieder,
Daß Entsetzen faßt und Grauen
Alle, die hinunter schauen.

Und er schleift am seid'nen Haare
Hinter sich zur Felsenbahre
Helena dann mit sich fort,
Ungerührt von ihrem Jammern,
Fühlt er seine Knie' umklammern,
Höret er ihr flehend Wort.
"Konntest meinen Feind erwählen,
Will dich selbst mit ihm vermählen,
Will in's Brautbett selbst dich bringen,
Hochzeit gibt's! da muß man springen!
Bräutchen, spring hinab jetzt munter!" -
Spricht's - und stürzt sie jäh hinunter.

Und im Sturze sie den Mund noch regt
Zu der Heiligen, von der sie ihren Namen trägt:
"Dir befehl' ich meine Seele,
Sie ist rein von Schuld und Fehle,
Lieb' war meine Schuld allein,
Liebe kann nicht Sünde seyn!" -
Plötzlich fühlet sie den Sturz sich hemmen; -
Wo zwei Felsen an einander sich klemmen,
Raget eine Eiche, steinentsprossen,
Aus Geklüft emporgeschossen,
Streckt sie ihre Zweige, voller Blätter,
In die Lüfte, wie ein Retter,
Fängt sie auf. Die Zweige knicken,
Doch die starken, grünen Aeste stricken
Sich zum Netz um ihre Glieder,
Und entwurzelt senkt der Baum sich nieder,
Langsam rollend durch's Geklüfte.
Ihm gesellen sich die Lüfte,
Tragen dienstbar die Gewänder,
Und des Schleiers Saum und Ränder,
Tragen so mit leisem Odem
Sanft die Stürzende zu Boden,
Legen so die unversehrten Glieder
Zu den Füßen des Geliebten nieder. -
Und dies Liebeswunder feiert
Jetzt das Thal rings, nachtumschleiert,
Denn durch alle Felsenritzen
Zuckt's von wunderbaren Blitzen,
Wasserlilien sprießen helle
Aus des Baches klarer Welle,
Zweige, die von Blüthen glänzen,
Flechten sich zu Liebeskränzen;
In der Bäume grünen Hallen
Wachen auf die Nachtigallen,
Wohllaut tönt durch alle Lüfte,
Und im Thal, dem heimlich schmalen,
Dampfen, wie aus Opferschalen,
Ambra rings und Myrrhendüfte,
Und seit jener Wunderstunde
Erbte sich's von Mund zu Munde,
Jenes Thal, das All' wir kennen,
Das Helenenthal zu nennen.


Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 527-528)

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