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Marie Schmidt
(1829-1901)
Die Allerheiligennacht
In stiller Allerheil'gennacht,
In mitternächt'gem Grau'n,
Wo heimlich nur die Liebe wacht,
Des Liebsten Bild zu schau'n -
Denn heut' ist's, wo ein kräftger Spruch
Aus zauberkund'gem Mund,
Erschließt des dunklen Schicksals Buch
Und macht Entferntes kund -
Da tritt zum Weisen, der beim Schein
Der Lampe einsam schafft,
Ein Ritter schmuck und keck herein
In feur'ger Jugendkraft.
Stolz ist sein Gang und kühn sein Aug'
Und nervig seine Hand,
Die, wie des Schwertes Künste, auch
Der Saiten Kunst verstand.
"Sprich, weiser Meister, wenn der Geist
Dich solche Kenntniß lehrt,
Ob Du den Gast zu nennen weißt,
Der zu Dir eingekehrt?"
Da spricht der Greis mit raschem Wort -
Er sann fürwahr nicht lang:
"Wer kennt nicht Surrey's edlen Lord
Und seines Namens Klang?
An Englands Hof der Männer Zier
In ächtem Ritterthum,
Ein Held im Lied wie im Turnier
Zu seiner Dame Ruhm".
"Wohlan! so schaff' mir, was mein Herz
Von Deiner Kunst begehrt,
Eh' sich's in heißem Sehnsuchtsschmerz
Und Zweifelsqual verzehrt.
Die Dame, die ich hehr und hoch
Vor allen andern pries,
Gedenkt sie ihres Ritters noch,
Dem sie einst Huld erwies?
Zu lang schon, ach! von ihr getrennt
Irr' ich auf fremder Flur;
O zeig', wonach das Herz mir brennt,
Ihr süßes Bild mir nur!""
Und sieh! ein Vorhang thut sich auf
Vor einem Spiegel klar,
Und in des Spiegels Grunde d'rauf
Stellt sich ein Bildniß dar.
O Surrey, mehr als Du ersehnt,
Ist dir vergönnt zu schau'n:
Auf ihres Lagers Pfühl gelehnt
Die Lieblichste der Frau'n.
Ihr Haupt, vom weißen Arm gewiegt,
Scheint wie ein Stern der Nacht;
Um ihre Schultern kosend schmiegt
Sich dunkler Locken Pracht.
Noch schloß der Schlaf ihr Auge nicht,
Es hängt wie festgebannt,
An einer Schrift, die zu ihr spricht
Wie Gruß aus fernem Land.
Glücksel'ger Sänger! 's ist Dein Lied,
Das Schlummer scheucht von ihr,
Und schläft sie dann, im Traume sieht
Sie Dich, und lächelt Dir.
Entzückt spricht Surrey: "Deine Kunst
Soll hoch gepriesen sein!
Gewähr' mir nun noch eine Gunst,
Und reicher Lohn sei Dein.
Laß mich noch schau'n, was in dem Schooß
Der Zukunft aufgespart,
Ob dort ein sel'ges Himmelsloos
Der treuen Liebe harrt".
""Verweg'ner Jüngling! - warnt entsetzt
Der Greis in Treu und Pflicht -
Laß Dir genügen an dem Jetzt,
Versuch' das Schicksal nicht.
Ein Thor nur läßt das Glück entflieh'n,
Das ihm die Stunde beut.
Der Zukunft Schleier aufzuzieh'n
Hat Manchen schon gereut"".
"Was ich gesagt hab', ist gesagt!
- Ruft jener ungeschreckt -
Kein Howard hat sich je verzagt
Vor nächt'gem Spuk versteckt.
Wenn ich mir Fluch erbeten hab',
So ist's mein eigner Fluch.
Ich will's!" Da reckt der Greis den Stab
Und murmelt seinen Spruch.
Es ist geschehn. Der Vorhang weicht,
Im Spiegel dämmert's schon.
O Howard, wenn die Wang Dir bleicht,
Wer spräch' Dir darum Hohn?
Er sieht mit Schaudern hin, er glaubt
Den eignen Augen kaum:
"Ein Block - ein Beil - ein fallend Haupt -
Aefft mich ein böser Traum?"
Doch sieh! zu dem Gefall'nen, mild
Versöhnend sein Geschick,
Neigt sich ein hohes Frauenbild
Mit thränenvollem Blick.
So bleich die liebliche Gestalt,
Wie blühend sie einst war;
Als Trauerschleier um sie wallt
Ihr aufgelöstes Haar.
Sie küßt und netzt mit Thränen reich
Das Haupt in ihrem Schooß
Und klagt und weint, der Nymphe gleich,
Die einst zum Quell zerfloß.
D'rauf Surrey spricht mit festem Muth:
"Hab' Dank, mein Meister werth!
Fließt auch von Henkers Hand mein Blut,
So fließt's doch nicht entehrt.
Was sich im Leben nicht vereint,
Bleibt treu im Tod sich noch.
Wenn Geraldine um mich weint,
So sterb' ich selig doch".
Aus: Deutschlands
Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 64-65)
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