Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Elise Sommer
(1761-1836)


Benhalem und Thirza

Das Abendgold der Sonne sank in's Meer,
Dort wo der Nil die reichen Fluren wässert;
Aus seid'nen Abendlüften wiegten sich
Die dunkelrothen Blüthen der Granaten;
Des langen, heißen Tages Gluth verschwamm
Im Nebel, der um dunkle Tamarinden
Und trauernder Cypressen Zweige flog.

Da sank in der Umlaubung lichten Räumen
So lieblich-feierlich, wie schönen Seelen
Die Phantasie die Lauben Edens malt,
Benhalem zwischen gold'ner Lotus Kelche,
Die dort der Flur voll Lilienduft entblüh'n;
Er kühlte sich nach heißer Tagesschwüle
Die Stirne, göttlicher Gedanken Tempel.
Benhalem war ein Mann von selt'nem Geist,
Im schönsten Blüthenalter seiner Tage;
Die edle Stirne frei und hochgewölbt
Von dunkler Lockenfülle überschattet;
Das seelenvolle Aug' voll Himmelsruh',
Und leuchtend von dem hohen innern Leben;
Um seine Lippen schwebt anmuthsvoll
Bald Ernst und Trotz' und bald Verstand und Güte.
An heil'ger Quelle, wo die Wahrheit strömt,
Die ewig wahr das Göttliche bezeichnet,
Die nur geweihten höhern Seelen strahlt,
Trank seine Seele früh mit durst'gen Zügen.
Das Glück, das Sterbliche so selten krönt,
Die die Unsterblichen im Busen tragen,
Gab ihm verschwenderisch des Reichthums Macht,
Vertraute seinem Herzen Gold die Fülle;
In eigner Größe hohem Selbstgefühl
Verlacht er stolz des äußern Glanzes Schimmer;
Die Thränen, die geschützter Unschuld Dank,
Dem blassen Gram entriss'ne Arme weinten,
Wob schön're Perlen in sein Diadem,
Als dort des Reichen Turban strahlend zieren;
Ihm gab sein Herz, Natur und Saitenspiel,
Die schönsten Freuden, die dies Leben schmücken.
Jetzt lag er nach vollbrachtem Tagewerk,
In süßer Ruhe seligen Gefühlen,
In seiner Welt; die äuß're sank dahin,
Wie vor der Morgenröthe Nebel fliehen.

Da schwebte auf des Abends gold'nem Strahl,
Sanft angehaucht von Iris holden Farben,
Der Träume seligster auf ihn herab
Und trug ihn in den höhern Lebensäther,
Wo sich der Wahrheit und der Schönheit Quell,
Umstrahlt von Uranus und von Pleionen,
Im Sphärentanz durch lichte Räume wälzt;
Er hörte Orpheus sel'ge Melodieen,
Bald leis', wie Aeol's Geisterharfe tönt,
Dann laut, wie die Harmonika sie jauchzet.
Er sah die Früchte jeder guten That
An ewiggrünen Lebensbäumen prangen,
Und seine holde Thirza, jung und schön,
Auf einer Rosenabendwolke schlummern;
Dort, wo der edlen Liebe Heimath ist,
Wo die verwandten Seelen sich begegnen,
Trug ihn sein Genius mit sanftem Arm
Der Heißgeliebten hochentzückt entgegen.
Da rauschte sausend durch die Abendluft
Ein Pfeil, in Gift getaucht, nach Halems Herzen;
Mit Thirzas Namen auf den Lippen, schloß
Sein Auge sich zu ew'gem Todesschlummer.

So unbesorgt eilt des Gerechten Geist
Aus süßen Träumen in die Nacht des Todes.
O, würde eines ruhigen Gewissens
Triumph der Tugend schon im Prüfungsthal!

Bochorus war sein Mörder und sein Feind;
Durch der Verwandtschaft Bande ihm genähert,
Verbarg er falsch und schlau in seiner Brust
Den Haß, den Eifersucht und Neid erregten.
Wie leicht umstrickt mit feingewebtem Netz
Die Bosheit nicht den unbesorgten Guten!
Erfahrung schützt weit leichter vor dem Fall
Als Unschuld, wenn die Tugend sie begleitet.
Der Edle sah die bunte Schlange nicht,
Die giftig unter seinen Rosen lauschte;
So sinket mancher mit Vertrauen hin
An eines Lasterhaften falschen Busen,
Und seiner Menschenliebe holde Frucht
Geht mit dem Glauben an die Menschheit unter.

Bochorus hatte sich um Thirza's Gunst
Schon längst bemüht, er haßte den Beglückten;
Auch ohne ihn wär' sie dem rauhen Mann
Auf ewig fremd und ungerührt geblieben;
Nie kann der Seele süße Sympathie
Und nie das Edle sich dem Laster einen,
Um jenes Glück, das reine Liebe beut,
Von ungeweihten Händen zu empfangen,
Die Liebe giebt der Liebe nur sich hin,
Das wahre Schöne huldigt nur dem Schönen;
Auch kann auf wenig Augenblicke nur
Des Himmels off'nen Glanz der Sünder tragen,
Bochorus liebte Thirza's Seele nicht,
Mit wildem Blick verschlang er ihre Reize;
Sie senkte ernst das lebensvolle Aug',
Von Grazien mit holder Scham beschattet,
Und höher hob sich die beklommne Brust,
Wenn er sich ihr mit frechen Blicken nahte
Und seiner heißen Liebe Gegengunst
Mit schlecht verhalt'ner wilder Gluth erflehte.
Heut' hatte sie ihm ernst und fest erklärt,
Daß sie Benhalen ewig angehöre;
Da schuf die Rache jenen gift'gen Pfeil,
Und ihr zum Opfer fiel der Heißgeliebte.
Der edlen Liebe eines Halem werth
War des Kalifen hochgesinnte Tochter.
Ihr hatte die Natur den höchsten Reiz,
Die Götter jene Lieblichkeit gegeben,
Die nur aus schönen Augen schöner strahlt,
Vom Zauber sanfter Grazie umflossen;
Ihr Geist, für jede Tändelei zu groß,
Erhob sich früh zu edleren Genüssen;
Die zarte Blüthe der Bescheidenheit
Verwelkte nie an ihrem reinen Herzen.
Mit einer Liebe, ewig neu und warm,
Wie sie die bessern Seelen nur empfinden,
Lag sie an ihres Halems treuer Brust,
Und sog aus seinem Blick des Himmels Wonne.
Wer malet ihr Entsetzen, ihren Schmerz,
Als sie die Trauerbotschaft überraschte.
Acht Tage schwebte zwischen Sein und Tod
Ihr Leben hin, dann nahte sich ihr Engel
Und trug sie sanft, wie ihre Seele war,
In Lichtgefilde zu dem Tiefbeweinten.

Bochorus blieb die Geißel seiner Welt,
Der Unschuld Mörder, Schöpfer eigner Qualen,
Und ward erst spät gerechter Rache Raub.

Dort wird sich einst das große Räthsel lösen,
Warum hier hoffnungsvolle Blüthe welkt;
Warum in seinem thatenvollen Wirken
Dem edlen Mann die ernste Stunde naht
- Geschaffen, Millionen zu beglücken,
In ihrer Wonne selbst ein Gott zu sein -
Warum der Bösewicht in grauen Haaren,
Vom Glück gepflegt, den bessern Mensch zertritt,
Auf edeln Boden Thränensaaten streuet,
Warum er darf mit kühnem Frevel frei
Die Geißel über seine Brüder schwingen
Und seiner Herrschsucht Hekatomben weih'n.

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 35-36)

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