Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58


 

Henriette Strauß
(1845-nach 1882)


Der Haideknabe

Schwül war der Tag! Die Sonne schied,
Die glühend heiß gebrannt,
Auf Wald und Flur, auf Berg und Ried,
Auf's dürre Haideland!
Das lag jetzt in der Dämm'rung Grau,
Noch dünstend Hitze aus,
Trägt Sümpfe nur und Moor zur Schau,
Und gar ein einsam Haus.

Als Haideschenke war's bekannt!
Doch kehrt drin Niemand ein,
Todt war der Wirth, der's so benannt,
Ließ in der Welt allein
Vor manchem Jahr den jungen Sohn;
Der schön und schmuck hervor,
Als wär' er Erbe einem Thron,
Tritt aus des Hauses Thor.

Doch was erfüllt ihn so mit Schmerz?
Die Rosen in der Hand,
Was preßt er sie so heiß an's Herz,
Blickt darauf unverwandt?
Des Grafen schönem Töchterlein
Bestimmt war dieser Strauß,
Stets mit dem ersten Sonnenschein
Zog er zum Herrenhaus,

Wo auf dem Söller sanft und mild,
Vom Morgenhauch umweht,
Ein kindlich süßes Engelsbild,
Brunhild sein harrend steht!
Die Blüthengabe sacht er legt
Ihr vor den zarten Fuß,
Sie grüßt ihn hold und stürm'scher schlägt
Sein Herz ob solchem Gruß!

Doch diesen Morgen öde stand
Die Burg, der Söller leer,
Sie winkt nicht mit der weißen Hand,
Will keine Blumen mehr!
Deß dacht' der Haideknab mit Pein,
Zerpflückt den Rosenschwall:
"Ihr blühtet bei der Sonne Schein,
Nacht ist's, verwelket all'!"

Er spricht's, und auf die Blätter sinkt
Sein Haupt ermüdet hin;
Der Sterne Silberschaar erblinkt
Und kühl're Lüfte zieh'n
Durch's schwüle Land und wiegen lind
Den Jüngling in den Schlaf,
Deß Auge Traumgotts Hand geschwind
Mit seinem Mohne traf!

Alsbald fleucht eine Lichtgestalt
Durch's brand'ge Haideland!
Ein zarter Schleier sie umwallt,
Die vor dem Knab' jetzt stand
Und sich zu ihm herniederbeugt,
Sanft flüsternd ihm in's Ohr:
"Wenn sich der Tag zu Ende neigt
Steigst du zu mir empor!"

Der Knab' erwacht ob diesem Wort;
Rust sehnsuchtsvoll: "Brunhild",
Doch ach, es schied von ihm sofort
Das holde Geisterbild!
Er rafft sich auf: "Was ist gescheh'n?"
So fragt er ahnungsvoll;
"Ich will hinauf zur Veste geh'n,
Ach, dort nur wird mir wohl!"

Und er enteilt der Haide schnell,
Durch Binsen führt sein Weg,
Irrlichter ziehen, leuchtend hell,
Mit ihm auf diesem Steg!
Er sieht die falschen Führer nicht,
Die ihn umtanzen wild;
Er sieht nur vor sich ein Gesicht,
Der hehren Liebsten Bild.

Erstiegen war das hohe Schloß!
Am Ziel der Knabe stand!
Nicht hindert ihn der Diener Troß,
Das Thor er offen fand!
Ein Licht, das ihm entgegen glänzt,
Bescheint den Söller kaum,
Den er mit Blumen oft umkränzt!
Ist's Wachen? Ist's ein Traum?

Ein düst'rer Klagesang erschallt
Von dorther durch die Nacht.
Er zum Gemache bebend wallt,
Es öffnend zag und sacht.
Weh, da in einer Blüthenschicht,
Selbst Blüthe, zart und rein,
Lag, todtenbleich das Angesicht,
Des Grafen Töchterlein.

Des Haideknaben Herz erbebt:
"Brunhilde - ruft er - weh!
Hast darum du mich licht umschwebt,
Daß ich dich also seh'?
Leb' wohl denn, Kind, den letzten Gruß
Mußt du mir zugesteh'n!"
Und weihend ihr den letzten Kuß,
Ruft er - "auf Wiederseh'n!" -

Er stürmt hinaus auf berg'ge Höh',
Den Waldpfad suchend schnell;
Dort liegt ein großer tiefer See,
D'rauf schien der Mond gar hell.
Dort blühten Lilien, weiß wie Schnee,
Und Weidenbäume schlank,
Dort oft das müdgehetzte Reh
Aus kühler Bergfluth trank.

Dort blühten wilde Rosen auch,
Jasmin, Vergißmeinnicht;
Es nähert sich dem Blüthenstrauch
Der Haideknabe dicht
Und nähert sich somit dem See,
Der spiegelglatt geruht,
Und starrt hinab mit bitt'rem Weh
In die umkränzte Fluth.

Da däucht ihm, daß ein blasses Bild,
Umstrahlt vom Mondenlicht
Im See erscheint, das gleicht Brunhild!
Und ach, der Arme spricht:
"Entschwandst du auf der Haide mir?
Du sollst's nicht wieder thun!
Ich halt' dich fest nun für und für,
Will dir am Busen ruh'n!" - -

Drauf neiget er sich sehnsuchtsvoll
Entgegen seinem Grab!
Die Woge schäumt, das Wasser schwoll!
Ihn schlingend wild hinab! -
So hat des Todes Hand vermählt
Der Haide dürft'gen Sohn
Mit ihr, die hundert Ahnen zählt,
's ist gleich vor Gottes Thron!

Aus: Deutschlands Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 40-41)

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