Liebes-Balladen, Romanzen u. ä.

Frederic Leighton Der Fischer und die Sirene um 1856-58



Karl Streckfuss
(1779-1844)


Des Narzissus Verwandlung

Narziß, der schönste Hirt der Flur,
Von reicher Anmuth Glanz umstrahlet,
Sucht überall der Schönheit Spur,
Die sich in seinem Innern malet.

Was formlos ihm im Herzen wallt,
Will zum Gedanken er erwecken,
Bestrebt, im Spiegel der Gestalt
Das Namenlose zu entdecken.

So irrt er über Berg und Thal,
Geäfft von irrer Hoffnung Schimmer,
Ermattet von der Sehnsucht Qual,
Und findet das Gesuchte nimmer.

Einst sieht er unter jungen Mai'n
Im Rasen eine Quelle spielen;
Sanft lispelnd ladet sie ihn ein,
Sein glühend Herz an ihr zu kühlen.

Narzissus folgt dem Ruf, und giebt
Dem Blumenbord die holden Glieder,
Da strahlet hell und ungetrübt
Ihm seiner Formen Zauber wieder.

Er sieht's und staunt, die Schönheit lacht
Aus stillen Wellen ihm entgegen,
Er fühlet ihre Göttermacht
Sein wonnetrunknes Herz bewegen,

Und er vergißt sich selbst, er sieht
Nur sie, die der Olymp geboren,
Der, wild von Ahnungen entglüht,
Er ew'ge Huldigung geschworen.

An seine Brust voll Liebesgluth
Will er das Heißersehnte reißen,
Doch wie er naht der stillen Fluth,
Zerrinnt es schnell in ihren Kreisen.

"O weile, weile, süßes Bild,
Nur Einmal ruh' an meinem Herzen,
Das du von Ewigkeit erfüllt,
Von Ewigkeit mit Lust und Schmerzen!"

Er ruft's, und aus dem Quell hervor
Scheint neu das Bild - und, o Entzücken!
Es streckt zu ihm die Arm' empor,
Und schaut ihn an mit Liebesblicken.

Und wie er lächelt, lächelt's ihm,
Und wie er weint, vergießt es Thränen,
Und wie es nahet, naht es ihm,
Und scheint entglüht von seinem Sehnen.

Da stürzt er mit der Liebe Wuth
Noch einmal zu der Quelle nieder,
Und schnell von der getrübten Fluth
Entweicht das holde Bildniß wieder. -

Narzissus sinkt an's Ufer hin,
Und fleht zum Zeus: "Laß mich vergehen,
Soll nicht mein Geist und jeder Sinn
Besitzen, was ich hier gesehen!"

Und Zeus erblickt von seinem Thron
Des reinen Jünglings heilig Beben,
Ihm will er Trost und schönen Lohn
Für die geweihten Flammen geben.

Denn wer sein Herz dem Schönen weiht,
Der weiht es ewig auch dem Guten,
Der läutert sich zur Göttlichkeit
Durch beider nie getrennte Gluthen.

Und Zeus gebeut: ""Was dich durchwallt,
Kann nicht die Erde dir gewähren,
Und langsam würde die Gestalt
Der wilden Sehnsucht dich verzehren.

Das Schöne stürbe beim Besitz,
Wollt' ich es deinen Wünschen geben,
Drum, hoher Jüngling, soll mein Blitz
Dich über Wunsch und Trieb erheben.

Doch eine Blume blühe da,
Wo einst, zur Quelle hingesunken,
Dein Blick das Tiefempfundne sah,
In wunderbaren Schauen trunken.

In voller Blüthe soll die Macht
Des Sturmes ihren Stengel knicken,
Sie soll, wenn neu der Lenz erwacht,
Auch neu erblüht der Quelle nicken.""


Aus: Deutschland's Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849 (S. 290)

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