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Christoph August Tiedge
(1752-1841)
Inhaltsverzeichnis der Balladen:
Robert und Klärchen
Auf dem Anger war's luftig, und duftig im Hain,
Und röthlich verglimmte der Abendschein
An wehenden Halmen und Zweigen.
Das Nachtlied der Grille vom blumigen Rain
Durchtönte das heilige Schweigen.
In dem ruhigen Frieden der stillen Natur
Ging Robert mit Klärchen hinab in die Flur;
Sie kamen zum Haine der Quelle,
Wo Robert sich Klärchen auf ewig verschwur.
Das war eine weihende Stelle.
Dort umnickten sich Blumen, als küßten sie sich;
Ein zärtliches Flüstern der Huld umschlich
Die lieblich entflatternden Blätter:
Das machte die Stelle so heimlich, und glich
Dem Wandeln der seligen Götter.
Und die Nachtigall schlug und die Echo schlug nach;
Der Vollmond sah lüstern durch's Ulmendach
Vom abendlich dunkelnden Himmel.
Und Robert und Klärchen ergetzte der Bach
Mit fröhlichem Wellengetümmel.
Zwei verschwisterte Blumen brach Klärchen jetzt ab,
Und warf in die Fluth sie vereint hinab,
Und sahe, wie traulich sie schwammen.
Doch eine löst bald von der andern sich ab;
Sie schifften nicht weiter zusammen.
O, da seufzte Klärchen das traurige Wort:
"Mein Robert, ach! sahst du die Blumen dort
Sich trennen und eine verschwinden?"
""Da drüben,"" sprach Robert, ""vielleicht ist der Ort,
Sich wieder zusammen zu finden!""
Da verhüllte das Mädchen das schöne Gesicht;
Ihr flimmerte traurig das Mondenlicht;
Vom Waizenfeld ächzte die Grille.
""Mein Klärchen,"" sprach Robert, ""o weine du nicht!
Die Zukunft deckt heilige Stille."" -
Es verschwanden sechs Monden, sie flogen vorbei;
Da wüthet der Krieg, und das Kriegesgeschrei
Ruft wild den Geliebten zum Streite.
Er weinet: ""Mein Klärchen, ich bleibe dir treu!""
Und reißt sich ihr weg von der Seite.
Doch sie flehet mit thränenbeströmtem Gesicht:
"Mein Liebster kann lieben nur, tödten nicht!
Fühlt, Männer des Krieges, Erbarmen!" -
Vergebens! Die Männer der eisernen Pflicht
Entreißen ihn wild ihren Armen.
Die Verlassene ringet mit Weh und mit Ach;
Ihr Treuer läßt fern schon am Wiesenbach
Sein schneeweißes Thränentuch wehen.
Sie ruft noch ein weinendes Wörtchen ihm nach,
Und Robert ist nicht mehr zu sehen.
Sie verläßt jeden Abend ihr mütterlich Haus;
Sie geht in die stürmende Nacht hinaus,
Und setzt auf den Bergen sich nieder;
Da streckt sie die Arme nach Roberten aus.
Ihr Liebster kommt nimmermehr wieder.
An dem Zaune das Bächlein, es rinnet und rinnt,
Der Sommer verglühet, der Herbst beginnt,
Die Sonne geht auf, sie geht nieder,
Hin über die Berge ziehn Wolken und Wind;
Nur Robert kehrt nimmermehr wieder.
Wie ein bleichendes Röschen verwelkt sie hinfort.
Einst gieng sie zur Quelle des Hains - ach! dort,
Dort sah sie die Blumen verschwinden.
"Wo ist nun das Drüben? Wo ist nun der Ort,
Wo Robert und Klärchen sich finden?"
So erliegend dem schmerzlichen, liebenden Sinn,
Sank nieder an's Ufer die Dulderin,
Von himmlischen Träumen umgeben.
Der Kuß eines Engels nahm Klärchen dahin,
Enthaucht' ihr das trauernde Leben.
Still besuchet ihr Grabmal die säuselnde Luft;
Zwei Linden umblüh'n es; in Lindenduft
Ist Klärchen zur Ruhe bestattet.
Da schläft sie den Schlaf in der Gruft,
Von Sinngrün und Veilchen beschattet.
Nach verschollenen Jahren kam Robert zurück,
Mit schwindendem Leben im düstern Blick,
Mit Wunden vom blutigen Streite.
Sein Klärchen ist hin. Er erliegt dem Geschick,
Und schlummert nun Klärchen zur Seite.
An den Gräbern zieht abends ein Nebel dahin.
Einst sah eine blühende Schäferin
Den Nebel sich langsam entfalten;
Sie sah mit begeistertem, liebendem Sinn
Zwei dämmernde, stille Gestalten.
(S. 42)
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Romanze
Auf dem Berge dort oben, da wehet der Wind,
Da sitzet Mariechen, und wieget ihr Kind.
Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,
Den Blick in die Ferne hinaus gewandt.
In die Ferne hinüber schweift all ihr Sinn;
Ihr Lieber, ihr Treuer, der ging dahin!
Sonst ging er, sonst kam er; nun kommt er nicht mehr!
Nun ist's um Mariechen so todt und so leer!
In den Busen da fallen die Thränen hinein,
Da trinket ihr Kindlein sie saugend mit ein;
Es schmeichelt der Mutter die kindliche Hand;
Ihr Blick ist hinaus in die Ferne gewandt.
Ach, wie sausend wehet der Wind und kalt:
'Mariechen, dein Liebster ging aus in den Wald!
Ihm reichten die tanzenden Elfen die Hand;
Er folgte der lockenden Schaar und verschwand!'
Auf den Bergen dort oben, da wehet der Wind;
Da sitzet Mariechen, und wieget ihr Kind,
Und schaut in die Nacht hin mit weinendem Blick. -
Dahin ging ihr Liebster, und kehrt nicht zurück.
(S. 42)
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Die Blume der Lauenburg
Seht ihr die alte Lauenburg
Hoch auf dem Harze schimmern?
Durch Wildniß geht der Weg hindurch
Zu ihren wüsten Trümmern.
Da blühet ein Blümchen um Mitternacht,
Das schimmert in blendender Lilienpracht.
Es leuchtet einen Stundenschlag
In's finstre Thal hinunter;
Dann geht es, wie ein stiller Tag
Der Unschuld, heilig unter;
Dann ist es, als wandelten Geister dort
Um einen geweiheten Friedensort.
Und eine sanfte Lichtgestalt,
Umweht von Himmelsdüften,
Schwingt sich empor, und wallt, und wallt,
Und schwindet in den Lüften.
Es wehet und säuselt, wie Ferngetön,
Herab aus den Lüften um Thal und Höh'n.
Im Thal stand einst ein Hüttchen, klein,
Und grün umrankt und moosig;
Da blühte Bertha still und rein,
Ein Mägdlein zart und rosig,
Es mochte gern über den grünen Zaun
Die spielenden Lämmer der Wiese schaun.
Der Junker jagte durch das Thal
Nach Hirschen und nach Rehen,
Da sah er früh, im Morgenstrahl,
Am Zaun das Mägdlein stehen.
"Was schaust du hier," sprach er, "am grünen Zaun?
Komm mit mir! Dort oben ist mehr zu schaun!
Du sollst mein trautes Liebchen seyn,
Zu schön für eine Hütte." -
Doch Bertha sprach: 'Das kann nicht seyn!'
Und floh in ihre Hütte.
Da fand sie die Mutter am stillen Herd:
'Ach, Mutter! der Junker hat mein begehrt.' -
"Ob auch der Junker dein begehrt:
Laß dich sein Schloß nicht blenden!
Schon manche Jungfrau kam entehrt
Zurück aus seinen Händen.
O, bringe den Jammer nicht über mich!
Mein Töchterlein, säume nicht, rette dich!" -
'Wohin, o Mutter, retten mich
Vor seinem Dienerschwarme?'
So weinte sie, und stürzte sich
Der Mutter in die Arme. -
"Ein Kloster, mein liebliches Töchterlein,
Das hüllt dich in ruhige Schatten ein.
Da schmücket dich mit keuschem Glanz
Die Hochgebenedeite;
Da prangst du mit dem Myrthenkranz
Im Chor der Himmelsbräute;
Da wirst du in graulicher Mitternacht
Von schirmenden Engeln getreu bewacht." -
'So führ', o Mutter, führe dann
Dein Kind zur Klosterstille,
Daß vor der bösen Welt fortan
Der Schleier mich verhülle!'
Da führte die Mutter das Töchterlein
Zur Stille des Klosters getrost hinein.
Und als der Junker das vernahm,
Gebot er seinen Leuten,
Das Mägdlein, das ihm still entkam,
Gewaltsam zu erbeuten.
Da wurde das Kloster wohl hart bedrängt,
Und krachend das eiserne Thor gesprengt.
Die wilden Räuber scheuten sich
Nicht vor der heil'gen Stelle;
Sie rissen Bertha freventlich
Aus der geweihten Zelle.
Sie ward in der grausigen Mitternacht
Zur Lauenburg stürmend hinauf gebracht.
"Willkommen!" rief des Junkers Spott,
Den all' ihr Fleh'n nicht rührte,
"Ich nahm ja nur vom lieben Gott
Zurück, was mir gebührte.
Drum trockne nur immer dein schön Gesicht!
Es kostet das liebliche Leben nicht!" -
'Du, Sohn Maria's!' rief sie laut,
'Du Gottessohn, o sende
Mir Hülf' und rette deine Braut,
Daß keine Schmach sie schände!
Ihr Lüfte des Himmels, ihr Blumen, sprecht!
O sprecht, wenn kein Rächer die Unschuld rächt!
Doch still! Ich hör' ein leises Wort;
Ich darf Erlösung hoffen.
Ein Engel kommt! - Ich sehe dort
Den lichten Himmel offen!'
Begeistert schon blickte sie himmelwärts,
Und leiser und leiser verstummt' ihr Herz.
Entronnen aller Erdennoth
Und aller Schmach entronnen,
Führt ihren Geist der Engel Tod
In's stille Land der Frommen.
Es war eine lichte Gestalt zu sehn;
Da wollten die Räuber vor Angst vergehn.
Und wo sich Bertha's Auge schloß,
Den Raum weiht' eine Blume,
Die lichtvoll aus dem Boden sproß,
Zu einem Heiligthume.
Wenn die der verspätete Wandrer schaut,
Dann ruft es ihm nach wie ein Seufzerlaut.
Sie blinkt alljährlich nur einmal
In nächtlich dunkler Feier,
Still, wie ein schauerlicher Strahl,
Vom öden Thurmgemäuer.
Ein Lüftchen umweht sie, das flüstert schwach
Die sterbenden Laute der Unschuld nach.
Seht hin! Wo einst die Feste stand
Mit ihren stolzen Thürmen,
Trotzt öde nur noch eine Wand
Der Zeit und ihren Stürmen.
Da blühet das Blümchen um Mitternacht
Im Schimmer der blendenden Lilienpracht.
(S. 43)
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Aus: Deutschland's
Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
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