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Friedrich Gottlob Wetzel
(1779-1819)
Inhaltsverzeichnis der Balladen:
Der Schmetterlingskönig
O Lilia, o Lilia!
Dein Leid geht mir zu Herzen,
Doch ist vielleicht der Balsam nah
Für deine Liebesschmerzen.
Als ich ein kleines Kind noch war,
Ich ging in Vaters Garten
Am schönsten Morgen früh im Jahr,
Der Blumen wohl zu warten.
Und als ich kam zum Mandelbaum,
Er stund in voller Blüthe,
Ich hör' ein Singen aus dem Baum,
Das rührt all' mein Gemüthe.
Ich schaue wohl zum Wipfel auf,
Von wannen kam das Singen,
Saß hoch ein Sommervogel drauf
Mit großen, goldnen Schwingen.
Hatt' auch ein Krönlein goldenklar
Auf seinem Haupte schweben,
Sein Lied das klang so wunderbar:
'O Lilia, süßes Leben!'
Und: 'Lilia, ach Lilia,
Daß ich dich endlich fände!
Ich suchte dich wohl fern und nah
Bis an der Welt ihr Ende.' -
Das hört die junge Königin:
"Er ist es, den ich meine!
Nach ihm nur steht mein Herz und Sinn,
Nach ihm ich täglich weine.
In unsrer Kindheit lebten wir
Geschwisterlich beisammen,
In Einer Blume blühten wir
In goldnen Sonnenflammen.
Da kam ein buhlerischer Wind,
Nahm ihn von meiner Seite,
Ich sah ihn ein geflügelt Kind
Verschweben in die Weite.
Wohl brach für Leid mein armes Herz,
Wär' schier in Gram vergangen,
Am Boden wurzl' ich fest für Schmerz
Mit lilienblassen Wangen.
O Floramor, o Floramor!
Hör' mich in deiner Ferne!
Neigst du nur Einmal mir dein Ohr,
Ich sterbe dann wie gerne!" -
Dem König däucht', es ist ein Traum,
Sie aber ruft ihn wieder -
Da sank er wohl vom Mandelbaum
In ihren Schooß hernieder.
(S. 283-284)
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Die Untrennbaren
Das Reichsheer lag in selber Stadt;
Ein Kaufherr gar ein schön Töchterlein hat;
Da herbergt' ein Hauptmann gar schön und klug,
Der ein stilles Neigen zur Jungfrau trug.
Die Jungfrau gab ihm kein Gehör,
Deß wird er traurig mehr und mehr,
Bis er verfällt in stillen Wahn,
Daß man zu den Irren ihn hat gethan.
Die Reichmacht ward geschlagen schwer,
Zur Stadt kommt König Friedrichs Heer;
Beim Kaufherrn mit dem schön' Töchterlein
Kehrt wieder ein junger Hauptmann ein.
Und wie es dem Ersten ergangen war,
Geschieht's dem Andern auf ein Haar,
Sie bringen ihn in dasselbe Gemach,
Darin sein Unglücksbruder lag.
Und wie sich auf die Thüre thut,
Springt dieser auf in frohem Muth:
"Sie bringen meinen Bruder dort!"
Es war seit Monden sein erstes Wort.
Von Stund' an scheidet sie nichts mehr;
Kaum lieben Brüder sich so sehr
Als eine Seele in Beider Leib;
Das thut das wundersüße Weib.
Genüber einander sitzen sie
Am Tisch und schreiben spät und früh
Lieb'sbriefe dem allerschönsten Kind
In Zeichen, die Niemand kenntlich find't.
Sie leben viel lange Jahre so
In stiller Liebe fromm und froh,
Sie sterben Beide zu Einer Stund',
Ruhn wohl beisammen im kühlen Grund.
(S. 289)
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Aus: Deutschland's
Balladen- und Romanzen-Dichter
Von G. A. Bürger bis auf die neueste Zeit
Eine Auswahl des Schönsten und charakteristisch Werthvollsten
aus dem Schatze der lyrischen Epik
in Balladen und Romanzen, Mären, Legenden und Erzählungen
nebst Biographieen und Charakteristiken der Dichter
unter Berücksichtigung der namhaftesten kritischen Stimmen
von Ignaz Hub Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Auflage
Karlsruhe Verlag von Wilhelm Creuzbauer 1849
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