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Wilhelmine Gräfin Wickenburg-Almasy
(1845-1890)
Wana Isa's Fackel
Eine esthnische
Sage
Wo laut in grauen Wogen am schroffen Felsenstrand
Der Ostsee Fluten branden, da liegt das Esthenland.
Dort breitet ihren Schleier die mondenlange Nacht,
Dort glüht vom Himmelsbogen des Nordlichts rothe Pracht.
Es schlagen rauhe Stürme den Lenzhauch in die Flucht,
Es reift ein kurzer Sommer des Feldes karge Frucht,
Es starrt die kahle Haide, von bunten Blumen leer,
Und in den Wäldern hausen das Elenn und der Bär.
Dort lebt' in alten Zeiten ein Mann gar wunderbar,
Der aller Zauberkünste und Zeichen kundig war.
Er las in den Gestirnen und jedes Kraut der Flur
Erschloß dem Seherauge ein Rätsel der Natur.
Man nannt' ihn Wana Isa und seines Namens Klang
Verkündet manche Märe und mancher Bardensang.
Die Geister in den Lüften und in der Erde tief
Verließen Gruft und Wolken, wenn seine Stimme rief.
Es schloß in vollen Garben die Saat auf seinem Grund,
Indeß die dürren Felder verkümmerten im Rund;
Ihm senkten sich die Zweige von bunter Früchte Last,
Wenn an des Nachbars Bäumen verdorrte jeder Ast.
So häuft er blanke Heller und Schätze mannigfalt,
Doch Eines war sein eigen, das ihm weit mehr noch galt,
Ein Kleinod, auserlesen von Gold und Edelstein:
Er hat im Land der Esthen das schönste Töchterlein.
Die Mutter war gestorben, da sie das Kind gebar,
Das Wanna Isa's Herzen nun Eins und Alles war.
Nur Einer war's im Hause, dem noch der Alte gut:
Der beste seiner Knechte, ein braves, junges Blut.
Koit war der Knecht geheißen, das Mädchen Aemarick,
Die wußten wohl zu lesen in Wana Isa's Blick.
Die durften auch betreten das Zauberkämmerlein,
Wo er berief die Geister bei einer Fackel Schein.
Die steckte jeden Morgen der treue Diener an,
Und hütet ihre Gluthen bis spät die Nacht begann:
Dann schlich mit leisen Tritten sich Aemarick durch's Haus
Und blies an jeden Abend die rothe Fackel aus.
Und so befahl der Alte die Flamme ihrer Hut,
An der sich still entfachte geheime Liebesglut!
Ihr Funke hat dem Jüngling sich in das Herz gesenkt,
Und ihre junge Liebe hat ihm die Maid geschenkt.
Der Alte hat's errathen, und liebt er auch den Knecht,
So weit sich zu erdreisten, das, wahrlich, war nicht recht!
So trennt er denn die Beiden, und in sein Kämmerlein
Trat Koit nur früh am Morgen, und sie beim Sternenschein.
Ihm quält der Schmerz die Seele, daß er nicht schlafen mag,
Und er entzündet früher die Fackel jeden Tag.
Das Mädchen wacht und weinet bis Nacht bedeckt den Strand,
Und immer länger glühen läßt sie der Fackel Brand.
Sie tauschen keine Küsse, sie halten das Gebot,
Und tragen tief im Herzen der jungen Liebe Noth.
Sie wechseln keine Worte, sie tauschen keinen Blick,
Doch Loit steht ernst und traurig und bleich steht Aemarick.
Sie bringt der Jugend Tage in stillem Kummer hin,
Ein unbezwinglich Sehnen erfüllt ihr Herz und Sinn,
Der Arbeit Müh' verdrießt sie, und er mit wilder Hast
Vergönnt in seinem Schmerze sich immer kürz're Rast.
An einem Sommerabend noch spät am Fensterlein
Saß Aemarick, die blonde, und träumt im Dämmerschein
Vom dunklen Wald herüber erklang mit süßem Schall,
Wie eine Liebesklage, das Lied der Nachtigall.
Mit süßem Hauch umwehte sie Lindenblüthenduft,
Um ihre Schläfe spielte die Sommerabendluft.
Halb wach und halb in Träumen verdämmert ihr die Zeit
Und wiegt die junge Seele in süßem Liebesleid.
Da fährt sie auf erschrocken - noch glüht der Fackel Schein!
Und mit beschwingten Tritten eilt sie in's Kämmerlein,
Schließt hinter sich die Pforte, greift nach der Fackel still,
Die nur noch düster flackert und schon verlöschen will.
Da flüstert ihr zur Seite ein wohlbekannter Laut:
"Zu spät bist Du gekommen, Du wunderholde Braut!
Die Fackel zu entzünden war ich gekommen schon,
Und sah noch ihren Schimmer in letzten Gluthen loh'n."
Da treffen sich die Blicke, da legt sich Hand in Hand,
Entfacht von ihren Seufzern glüht neu der Fackel Brand.
Sie halten sich umschlungen, es zittert Mund an Mund.
Vom Rosenroth der Liebe erglänzt die Welt im Rund!
O namenloses Sehnen, o süße Liebesmacht,
Bezwungen und verachtet hast du die dunkle Macht,
Daß sie, vom Erdenkreise verbannt, in's Weite irrt,
Und wie ein Siegesreigen das Lied der Lerche schwirrt.
Doch ach, das Lied der Lerche drang an des Alten Ohr,
Und seine Stimme schreckte die Liebenden empor:
"Du pflichtvergess'ner Diener, verlaß mein Hausgesind!
Und Dir den Fluch der Götter, Du ungerath'nes Kind!"
Da sinkt auf's Knie das Mägdlein ohn' einen Klagelaut:
"Die Schuld, ich will sie büßen - als Bräutigam und Braut;
Laß uns durch's Leben schreiten in ew'gem Liebesleid,
In Sehnen und in Thränen bis in die Ewigkeit! -
Doch eine einz'ge Gnade sei uns von Dir gewährt:
Wenn in dem Lauf der Monde der heut'ge Tag sich jährt,
Laß mich den Liebsten sehen, und was ich leiden muß,
Ich will's geduldig tragen um einen einz'gen Kuß!" -
Vom Zorne noch erzitternd stand Wana Isa da,
Doch Mitleid wider Willen ergreift sein Herz: "Nun ja!
Die Buße soll genügen und für ein Jahr der Pein
Soll eine süße Stunde stets Euer Eigen sein!" -
So kam's! Im Kreis der Jahre, an einem Tage nur,
Wenn in des Sommers Prangen sich kleidet die Natur,
Dann, was es auch gelitten ein langes, banges Jahr,
Ein's in des Andern Armen, vergißt das treue Paar!
Da ward von solcher Treue das Götterherz gerührt,
Sie haben sich die Beiden zu Lieblingen erkürt,
Und haben sie erhoben zu sich in's Himmelreich
Und schufen, voll der Gnade, Unsterblichen sie gleich.
Und wenn zur Sonnenwende die Schaar der Menschen meint:
Es hat die Abendröthe dem Morgen sich vereint,
Dann hängt das treue Mägdlein an ihres Liebsten Blick,
Dann küssen liebesselig sich Koit und Aemarick!
Aus: Deutschlands
Dichterinnen.
Blüthen deutscher Frauenpoesie
aus den Werken deutscher Dichterinnen
der Vergangenheit und Gegenwart
ausgewählt von Karl Wilhelm Bindewald
Osterwieck / Harz o. J. [1895] (S. 270-272)
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