Geliebte, wenn ich dich entzückt betrachte . . .

Orientalische und fernöstliche Liebesdichtung
in Nachdichtungen von Hans Bethge (1876-1946)
 


Robert Delaunay (1885-1941)
Fenêtres ouvertes simultanément (1ére partie, 3e motif)
(Fenster, sich gleichzeitig öffnend 1. Teil, 3. Motiv)
1912 Tate Gallery London
 




Der asiatische Liebestempel
Liebeslieder asiatischer Völker




Geliebte, komm!
Muhammad din Tilai (Mitte des 19. Jh.s)
Afghanistan

O komm, Geliebte! Immer wieder ruf ich:
Komm zu mir! Selbst die Papageien klagen
Und weinen laut nach dir. Geliebte, komm!

Die Lippen meines Mundes sind wie Zucker,
Wie Honig ist das Fleisch um meine Zähne,
Mein Herz erglänzt von Liebe. Komm, o komm!

Die Hyazinthe hat in deine Flechten
Den wundervollsten Duft gemischt. Dein Hals
Ist wie ein Blütenstengel schlank und fein.

Auf deinem Antlitz haben Rosen sich
Entfaltet, und ein Schönbeitsfleck vereint
Zu holdem Bogen deine Augenbraun.

Mein Leben ist wie Schutt und öde Trümmer,
Aus meinen Augen rinnen blutige Tränen,
Die Trennung tötet mich. Geliebte, komm!

Ich bin nicht meiner Herr mehr. Ich bin trunken
Und toll. Seit einem Jahr lieg ich im Sterben,
Und du nur kannst mich heilen, - Liebste, komm!
(S. 7)
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Der Verlassene
Rahchan Kayil (1853-1901)
Afghanistan

Obwohl du schön bist wie das Tal von Kaschmir
Bei Sonnenaufgang, treulose Geliebte, -
Glaub mir, ich bin auf deinen neuen Freund
Nicht eifersüchtig, der auf deinem Lager
Die nächste Nacht statt meiner ruhen wird.
Lad mich zu eurem Abendschmause ein!
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Sorge dich nicht, ich bring etwas zu trinken
Und essen mit. Die Liebkosungen machen
Den Menschen hungrig, und die Küsse trocknen
Die Kehle aus ... Dann sing ich euch die schönsten
Von meinen Liedern, die du einst mir lohntest
Mit deiner Tränen hellen Diamanten
Und mit den Glutrubinen deiner Küsse
Und mit den feinen Perlen deines Lachens ...
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Und heiß, gedörrt, zerrissen werd ich euch
Mein Herz auftragen, das durch die Verachtung,
Die du mir spendest, so verwandelt ward.
Und euren Durst zu löschen biet ich euch
In einem Kruge, statt der Milch, das Blut
Aus meinen Adern dar, damit die Liebe,
Nach deinem Wunsche, ganz aus mir entweicht.
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Und deinen Freund wird ich die Lieder lehren,
Die du so liebst. Wenn sie dein Innres treffen,
Reichst du die rote Schale deiner Küsse
Voll Sehnsucht dar. Noch gestern abend hab ich,
Der Wächter deiner Tür, sie dir gesungen,
Heut willst du sie aus anderm Munde hören.
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Und eine Strophe sing ich deinem Freunde,
Aus der er die geschickt-kunstvolle Art
Erfahren soll, das Haar dir aufzulösen,
Dir deine üppigen Flechten zu entwirren,
Die schwarz sind wie die Nacht und ganz beladen
Mit Wohlgerüchen und mit Goldgeschmeide,
Mit Blumen und dem Atem deiner Haut.
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

O dieser wundersame Duft, davon
Mein Sehnen überquillt! O Honigduft,
O Duft nach Rosenwasser, Milch und Sandel!
O Ambraduft von deinen runden Schultern,
Der bei den Liebefesten mich verwirrte!
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Ich werde deinem Freund vorsingen, wie
Man Küsse pflückt von deinen Lippen, Küsse,
Die süß wie Datteln sind, und wie man alle
Erblühten Blumen pflückt von deinem Busen:
Narzissen, Nelken, Rosen ohne Zahl,
Und wie man alle Früchte, reich an Ruch,
Von deinem Hals pflückt: Pfirsiche, Orangen.
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Vorsingen werde ich ihm, wie er das Haupt
Auf deine rechte Schulter schmiegen soll,
Du herrliche, wo stolz und schlank geformt
Das schwarze Schönheitspflästerchen sich dehnt,
Das einem finstern Stern im Lichte gleicht,
Das einer dunklen Nelke gleicht im Schnee.
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.

Anzünden will ich einen Liebesbrand
Im herzen deines Freundes, mächtig wie
Er in mir selber lodert. Morgen dann
Will ich ihn leiden sehn die fürchterlichsten
Qualen der Hölle, die ich heute leide.
Denn du wirst ihn verlassen, um zu mir
Zurückzukehren. Heute aber ladet
Mich ein zu eurer Abendschmauserei!
Noch trag ich deines Körpers Duft an mir.
(S. 8-10)
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Das fünfte Element
Rahchan Kayil (1853-1901)
Afghanistan

Da Allah nun das Wasser und die Erde, 
Das Feuer und die Luft geschaffen hatte,
Beschloß er noch ein Element zu bilden,
Das alle Elemente in sich schließt.

Er schuf die Liebe. Schneller als die Luft
Fliegt der Gedanke eines Liebenden
Zum Gegenstande seiner Leidenschaft,
Und weilte er am Ende dieser Welt.

Der Körper der Geliebten schließt die Schätze
Der ganzen Erde in sich: Holde Blüten
Sind ihre Lippen, ihre feinen Brüste
Sind reifen, schön gediehnen Früchten gleich.

Ihr Leib ist wie die Sonne, ihre Flechten
Sind wie die dunkle Nacht; ein Schatzbehälter
Für Perlen und Rubinen ist ihr Mund,
Gleich Diamanten blitzt ihr Augenpaar.

Der süße Zauber ihrer Liebkosungen
Ist tiefer als das Weltmeer. Der Geliebte
Taucht, an der Schulter seines Mädchens rastend,
In einen Ozean des Glückes ein.

Wie eine mächtige Flamme facht die Sehnsucht
Die Sinne an. Die Eifersucht entzündet
Die Augenlider, so, als wären sie
Durch eines jähen Feuers Glanz entbrannt.

Gleich allen Erdensöhnen trag auch ich
Dies flammende Element in meinem Herzen,
Zu meinem Glücke und zu meinem Leide:
Dies Element, das alle in sich schließt.
(S. 11-12)
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Die Liebe
Rahchan Kayil (1853-1901)
Afghanistan

Am schönsten strahlt der Herr des Himmels
Sein Wesen in der Liebe aus.

Der Liebe höchste Augenblicke,
Wenn sie auch schnell vorüberrauschen,
Umschließen jeder schauervoll
Die ganze dunkle Ewigkeit.
(S. 13)
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Leben und Tod
Rahchan Kayil (1853-1901)
Afghanistan

Wenn deine weißen Arme mich umschlingen
Und du von Liebe stammelnd an mir hängst,
Verdoppelst du mein Dasein, Herrliche.

Wenn deine weißen Arme mich umschlingen
Und du bist lau und deine Rede matt,
So gibst du mir den Tod, o Herrliche!
(S. 14)
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Du bist so schön ...
aus Annam

Du bist so schön wie eine Pfirsichblüte,
So zart wie eine junge Rosenknospe,
Die eben zaghaft durch die Schale bricht.

Du bist so frisch wie vom Hibiskusstrauche
Das erste Blatt. Wenn du mich nicht verschmähtest, -
Du Schönste, wie glückselig wäre ich!

Wenn du zum königlichen Tempel schreitest,
So wart ich schon auf dich am Wegesrande,
Und nahst du dann, füll ich mein ganzes Herz

Mit deiner Schönheit märchenhaftem Bilde,
Und kehrst du wieder heim, so geh ich
Und nehm dein Bild in meiner Seele mit.
(S. 21)
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Die Einsame
aus Annam

Ich armes junges Mädchen lebe ganz allein,
Ich schreibe lange Briefe, - doch ich weiß ja nicht,
An wen ich meine langen Briefe richten soll.

In meinem Herzen wachen zarte Liebesworte auf,
Ich flüstre sie den schlanken Bambusstämmen zu,
Die meinen Garten zieren, aber die verstehn mich nicht.

Und wachsam, aufrecht, von Erwartung ganz erfüllt,
Steh ich am Fenster, luge durch des Vorhangs Spalt
Und seh die Schatten schlanker Männer mir vorüberziehn.
(S. 22)
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Zurückgewiesene Werbung
aus Annam

Ich habe meinen Zähnen Glanz verliehen,
Damit ich einen Gatten finde. – "Mädchen,
Das trifft sich gut, - ich suche eine Frau!

Wie wär es, wenn wir beide uns vereinten?
Begleite mich! Wir wollen Hochzeit machen
In meinem Dorfe, das Mo-Lao heißt!"

Wenn Äste am Bananenbaume wachsen,
Wenn an den Zwiebelstauden Rosen blühen
Und wenn die Turteltaube ihre Eier

Ins Wasser legt und in das Laub der Bäume
Der Aal emporsteigt, um sein Nest zu bauen, -
Dann will ich kommen, euer Weib zu sein!
(S. 23)
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Fragen und Antworten
aus Belutschistan

Komm, reizende Levkoje, die ich liebe,
Und streichle mir die Hände, sage mir,
Wo ist der holdeste der Himmel: dort
Zu unsern Häupten, wo die Sonne scheint,
Oder in deinen dunkelblauen Augen?

"Gern komm ich, um die Hände dir zu streicheln
Und dir zu sagen, daß der holdeste
Der Himmel nicht dort oben ist und nicht
In meinem Blick, - er lacht in den Türkisen
Des Halsbands, das du mir versprochen hast."

Komm, zaubervolle Rose, die ich liebe,
Und streichle mir die Schläfen; sage mir,
Wo ist die strahlendste der Sonnen: dort
Zu unsern Häupten an dem blauen Himmel
Oder im Grunde deiner blauen Augen?

"Gern komm ich, um die Schläfen dir zu streicheln
Und dir zu sagen, daß am schönsten nicht
Die Sonne strahlt, die dort am Himmel steht,
Noch meiner Augen Grund, - am schönsten schimmert
Der goldne Ring, den du mir schenken willst."

Komm, schöne Hyazinthe, die ich liebe,
Und küsse mir die Wangen, sage mir,
Was weißer ist: der Schleier, der dein Antlitz
Verbirgt oder des Mondes weiße Strahlen,
Die lächelnd über deine Stirne gehn?

"Gern komm ich, um die Wangen dir zu küssen
Und dir zu sagen, daß viel weißer als
Mein Schleier und das Mondlicht, das mir über
Die Stirne geht, der Silberschmuck erglänzt,
Den du mir in die Haare stecken wirst!"
(S. 24-25)
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Sulima
aus Belutschistan

Ich glaubte durch die Spalte einer Türe
Zwei rote Rosenblüten zu erblicken,
Doch scheint es, daß mein Auge mich betrog:

Was ich für zarte Rosenblüten hielt
An einem hochgewachsnen Stamm, es waren
Die wundervollen Wangen Sulimas.

Ich glaubte durch die Spalte einer Türe
Zwei Blüten einer Lilie zu erblicken,
Doch scheint es, daß mein Auge mich betrog:

Was mir als blendend weiße Lilienblüten
Zuerst erschien, es war der wundervolle,
Wie Blüten weiße Busen Sulimas.

Ich glaubte durch die Spalte einer Türe
Zwei Blüten des Granatbaums zu erblicken,
Doch scheint es, daß mein Auge mich betrog:

Was irrend ich für feuerrote Blüten
Eines Granatbaums hielt, es war das Glänzen
Der flammend roten Lippen Sulimas.

Sie ist die Königin der Fraun, sie schreitet
Gleich der Gazelle, tut der Holden kund,
Daß meines Hauses Gärten groß und kühl

Und voller Blumen sind in allen Farben
Und wie geschaffen für ein göttlich Wesen
Mit Fleisch wie Ambra und wie Elfenbein.

Und sagt ihr, daß ich heißer nichts begehre
Als ihrer Wangen, ihrer roten Lippen
Und ihrer Schultern Blütenherrlichkeit.
(S. 26-27)
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Mein Verlangen
Asmapur (etwa 1830-1890)
Burma

Du trägst ein herrlich flutendes Gewand,
Gewebt aus Gold und purpurroter Seide,
An deine vollen Hüften schmiegt sich's an,
Gerafft durch einen breit gestickten Gürtel,
Der deines Leibes wogende Kontur
Nachzeichnet. Wenn du so an mir vorüber
Lustwandelst, Weib, und deine kühnen Blicke
So siegsgewiß mich treffen, wenn du dann
Mir dein verführerisches Lächeln schenkst,
So fühl ich bebend, daß ich deinen Augen,
Die strahlend wie zwei Diamanten sind,
Daß ich dem süßen Lächeln deiner Lippen,
Die zauberisch nach jungem Sandel duften,
Daß ich dem Liebesreize deines Körpers,
Den dein Gewand, das flutende, umgibt,
Nicht länger widersteh. Ganz zügellos,
Ganz haltlos flammt der Wunsch in mir empor
Mit langen Küssen deine Augen, die
So herrlich klar mich ansehn, zu bedecken,
Mit langen Küssen deinen Mund zu treffen
Und deine Zähne, die von Betel glänzen,
Und lange, lange deinen wundervollen
Liebedurchströmten Körper zu umfangen,
Den dein Gewand, gewebt aus roter Seide
Und gelbem Gold, verlockend noch verhüllt.

So stark zieht dieser Wunsch mich zu dir, wie
Das Leben atmend an sich zieht den Hauch,
Wie Eichenkronen Blitze an sich ziehn.
Dein Auge und dein schönes Lachen reißen
Mein ganzes Wesen stürmisch zu dir hin,
Es ist, als hätten deine Hände Ketten
Geschmiedet an den Goldschmuck meiner Ohren
Und schleiften mich nun überall mit Macht
Hinter dem Schreiten deiner Füße nach.

So wie im Monat, der die Blüten bringt,
Der Schnee auf des Gebirges Kamm zergeht
Und in die Tiefen niederstürzt als wilder,
Schäumender Gießbach, der in seinen Strudeln
Hütten und Bäume mit sich reißt und Tiere
Und Menschen, ohne daß man seinem Lauf,
Dem ungestümen, Halt gebieten kann, -
So ganz unhemmbar ist auch meine Sehnsucht
Nach dir! Was ihr den Weg versperrt, das reißt sie
Hinweg und eilt mit Allmacht auf dich zu.
Selbst die Gesetze unsres großen Herrschers
Vom weißen Elefanten, die Gesetze
Des Buddha selbst erkennt sie nicht mehr an.

Ja, mein Verlangen, das mich zu dir treibt,
Geliebte, ist der Schöpfung tiefer Wille,
So wie der Sturzbach, der zu Tale stürmt,
So wie der Blitz, der in die Eichen schlägt, -
Wild braust in mir die Allmacht der Natur!
(S. 28-29)
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Höchste Glückseligkeit
Megdan (geb. 1840)
Burma

So wie ein Tropfen Tau, der von der Brust
Der duftenden, verliebten, an die ganze
Schöpfung mit Inbrunst hingegebnen Nacht
Hinabfällt auf die jungfräuliche Rose
Und dort in seiner winzigen Weltenkugel
Das ganze Werk des Brahma widerspiegelt,
Den ganzen Himmel und die ganze Erde:

So strahlt der Tropfen Tau, den deine Liebe
Auf meines Herzens Blütenblatt gesendet,
Den goldnen Himmel wieder, den die Seele
Sich so ersehnt: das himmlische Nirwana.
Durch deine Liebe durft ich schon auf Erden
Die höchste Lust der überirdischen Wonne
Empfinden, durch den Zauber deiner Liebe
Hab ich erkannt, daß meines Wesens Kern
Vom Paradiese stammt, daß ich ein Teil
Des Gottes bin, der diese Welt erschuf.
(S. 30)
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Liebeshymne
aus Dagestan

Die Berge von Beschparma sind gewaltig,
Doch viel gewaltiger ist meine Liebe.

Die Gletscher an den Hängen schimmern weiß,
Viel weißer leuchten deine jungen Brüste.

Die Antilope weint hellrotes Blut
Aus schlimmer Wunde, die mein Pfeil ihr riß.

Gleich roten Blumen netzt das Blut die Fluren,
Darauf der Schnee wie Jasminblüten liegt.

Dein Arm ist weißer als der Schnee. Dein Kuß
Flammt röter als das Blut der Antilope.

Die Berge von Beschparma sind gewaltig, -
Doch viel gewaltiger ist meine Liebe!

*
Der Sturm aus Rußland, der die Wälder beugt,
Ist nicht so machtvoll wie mein Drang zu dir.

Dein Körper duftet holder als das Harz,
Das in der Sonne aus den Pinien quillt.

Süß ist der Duft, darin der Lenz sich naht,
Die Frische deiner Lippen duftet süßer.

Wenn du an meiner Seite bist, erfüllt
Mich Wärme, wie die Sonne sie nicht schenkt.

Bist du nicht da, so hüllt mich Traurigkeit,
Schwarz wie Gewitternacht, in ihr Gewand.

Der Sturm aus Rußland, der die Wälder beugt,
Ist nicht so machtvoll wie mein Drang zu dir!
(S. 31-32)
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Winters Ankunft
aus Dagestan

Der Winter naht, o strahlende Geliebte,
Mit weißen Rossen jagt er durch den Sturmwind,
Den eisigen, der sein Haar mit Schnee bedeckt.

Die Bäume werfen ihre Blätter nieder,
Seufzend, als seien's Tränen, sie beweinen
Den Tod der Blumen und den Tod der Nester,

Die aus den Zweigen stürzen. Sieh, der Wind
Trägt die dabingeweinten Blätter fort,
Die überall das Sterben nun verkünden

Der kleinen Nester und der zarten Blüten.
Was kümmert's mich? An deiner Seite, Liebste,
Bleibt mir das Ungemach des Winters fern.

Es schwebt das Lied, das aus den Nestern klang,
Weiter in deiner Stimme, deine Augen
Bewahren allen goldnen Sonnenschein.

Der Zauber deiner tiefen Blicke läßt
In meiner Brust den schönsten Flor erblühen
Von Hyazinthen, Tulpen, Rosen, Nelken,

Und deine Stimme weckt mit süßem Klange
Das liebliche Gezwitscher, das die Wälder
So hold durchklang, in meinem Innern auf.

Dank deiner Stimme, deinen Augen, Liebste,
Berg ich in meinem Herzen einen Garten
Voll Licht und Sang und Duft für alle Zeit.
(S. 35-36)
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Die Huris
aus Georgien

Im Paradiese des Propheten hausen
Die schönsten Frauen, welche Allah schuf,
Um die Erwählten würdig zu belohnen,
Die auf der Erde seiner Lehre folgten,
Und Huris werden diese Fraun genannt.

An jedem Tage, unermüdlich, bieten
Den Männern sie in seliger Umarmung
Den Atem ihres jungfräulichen Wesens
Mit aller Liebe, aller Sehnsucht dar.

An jedem Jage, wenn die Morgenröte
Heraufkommt, haben sie für ihre Liebsten
Durch Allahs große Gnade eine neue
Jungfräulichkeit zu neuem Glück bereit.

Sie sind so unberührt an jedem Morgen,
Als ob ihr Herz noch niemals Liebe fühlte,
Als ob ihr Sinn nicht wüßte, was denn Liebe
Bedeuten will, - und die Erinnrung an
Vergangner Nächte Lust schwand ihnen ganz.

Vor kurzem hatt ich einen holden Traum
Von jenem Paradiese Mohammeds,
Und meine Augen sahen - wie im Traume
Von einem Traum - die schimmernden Gestalten
Der jungen Mädchen, die man Huris nennt.

Wie herrlich waren sie! Waren es wirklich
Nur Mädchen? Sie erschienen mir wie Blüten
Des Apfelbaums, wie goldne Sonnenstrahlen,
Wie Düfte schwebten sie dahin, wie Sterne, -
So weiß wie Schnee, wie Milch war ihre Haut.

Und wie sie alle dir so ähnlich waren!
In ihrer Nähe spürt ich wundervoll
Die Gottesgunst, die Allah den Erwählten
Für alle Ewigkeit gespendet hat.

Ja, sie gemahnten mich an deine Schönheit,
Jedoch nicht eine war wie du verlockend,
Und keine hatte deine Lilienhüften
Noch deinen Hals, der weißer ist als Schnee.

Und keine, keine hatte auf den Lippen
Das Duften deines rosenfarbnen Mundes,
Und keine jene Sterne, die erglänzen
Auf deiner großen Augen dunkelm Grund,

Und keine war so frauenhaften Wesens
Wie du und wußte so verliebt zu schmeicheln
Und immer wieder lächelnd zu umarmen
Mit aller Sehnsucht, so wie du es tust.

Dich lieb ich, weil dir niemals das Gedächtnis
An unsre Liebesglut geschwunden ist,
Weil sich dein Herz zu jeder Zeit erinnert
Des Glückes, das so lange schon uns eint.

Dich lieb ich, weil du taumelst von den Küssen,
Die an den letzten Abenden wir tauschten,
Und weil du jedem neuen Kuß den Zauber
Der frühern Küsse einzuhauchen weißt.

Mein Paradies erblüht auf dieser Erde
In deinem Schatten, Herrliche! Die Liebe,
Die du mir schenkst, ist tiefer als die Liebe
Der schönsten Himmelsfrauen Mohammeds!
(S. 37-39)
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Die Angebetete
Rustwell (Schota Rustaweli 1172-1216)
Georgien

Du bist die Quelle unbegrenzter Freuden,
Die Quelle unbegrenzter Qual bist du
Für den Entflammten, der den Blick auf dich
Zu richten wagt. Du bist wie eine Rose,
Und deine Blütenschönheit überstrahlt
Das Glänzen aller Rosen dieser Welt.
Kein Dichter kann dich ansehn, Himmlische,
Ohn daß er nun in Liedern sonder Zahl
Bis an sein Ende deine Schönheit preist.
(S. 40)
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Der Liebende
Rustwell (Schota Rustaweli 1172-1216)
Georgien

Du willst vor mir entfliehn? Du strahlst ja wie
Die goldne Sonne, wenn sie morgens aufgeht,
Und Sonne flieht nicht: sie erhellt die Erde.

Wüßt ich, daß du mit deinem süßen Schimmer
Für immer mich umgäbst, - ich würde mich
In Dornen wälzen, wenn du es begehrst.

Und meine Seele wird ich einst verdammen,
In später Zeit, wenn meine alten Augen
Den Glanz, der von dir ausgeht, nicht mehr sehn.
(S. 41)
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Bitte
Abrü (18. Jh.)
Hindustan

Du bist mir unbegreiflich, o Geliebte!
Da du mein Herz verschmähst, - wie kommt es denn,
Daß du das arme dennoch knechten willst?

Da du als meine Feindin dich erklärst, -
Wie kommt es denn, daß du mir dennoch Blicke,
So lange, zauberhafte Blicke schenkst?

Wär es denn möglich, daß du gütig sein
Und gnädig meinem Wunsch willfahren wolltest,
Mir deiner Lippen Wunder darzubieten?

Du hast mein Herz in eine Feuerstätte
Verwandelt, meine Seufzer, die zu dir
Sich wenden, lodern hell wie Flammen auf.

So fürchterlich zerstört das Feuer mich
Der Sehnsucht, daß dich meine Freunde anflehn,
Nun endlich, endlich mild zu mir zu sein.

Warum mich martern, der ich ohne Schuld
Und ohne Kraft bin, dir zu widerstehen?
Erbarme dich, nimm diese Qual von mir!
(S. 42)
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Die Stolze
Dilsoz (18. Jh.)
Hindustan

Dort schwebt sie hin in ihrer weichen Sänfte,
Die stolze Schöne, die ich flammend liebe.
Wenn sie das Auge zu erheben sich
Bequemen würde, säh sie in der Ferne
Mich, den Entbrannten, wie ich ihr zu Fuß
Und voller Demut ganz beseligt folge.

So wie die weißen Tuberosenknospen
Im tiefsten Dunkel einer Nacht erglänzen,
So schimmern ihre feinen weißen Zähne,
Wenn lachend sie den dunkeln Betel kaut.

Wenn sie sich badet im kristallnen Flusse,
Nachdem sie ihre Fingerspitzen rot
Mit Henna färbte, - herrlich sieht es aus,
Als flamme rotes Feuer in den Wogen
Und schlängle sich behende durch die Flut.
(S. 43)
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Die Spröde
Inscha (18. Jh.)
Hindustan

Da sie mich kommen sah, die Strahlende,
Die schön wie eine schlanke Huri ist,
Lief sie geschwind davon, vor Angst die Lippen

Zusammenbeißend. Und ich folgte ihr,
Und da sie meine Schritte nahen hörte,
Hat sie, die schön wie eine Huri ist,

Mit hurtiger Hand den Flügel einer Türe
Geöffnet, und dahinter sank sie schweigend,
Von jäher Ohnmacht überwältigt, hin.

Schnell war ich bei ihr, und mit milden Worten
Begann ich wegen ihres spröden Sinnes
Sie auszuschelten, und sie zitterte

Vor tiefer Scham und fühlte wohl, daß ich
Mit Recht sie schalt und senkte ihre Augen
Und wollte immer noch sich mir entziehn ...

*
O weh, o weh, warum hast du, o Hahn,
So frühe schon gekräht? Verwünschter Hahn!
Du hast das Glück der Nacht mir arg verkürzt.

Dies kleine Lied ist für die Herrliche,
Die strahlt wie eine Huri, nur ein Rauch,
Der in dem Frühlingswind zu Nichts verweht.
(S. 44)
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Der Glückliche
Mir Taki (18. Jh.)
Hindustan

Denk ich an deine langen, schwarzen Flechten,
So füllt das Glück die Augen mir mit Tränen,
Die rollen mir gleich Perlen auf die Brust.

Und plötzlich wird der selige Gedanke
An eine dunkle Nacht in mir lebendig,
An Regentropfen und ein schimmernd Lied.

Die Freunde lachen, da mein schmales Antlitz
So bleich geworden, - mögen sie nur lachen!
Wenn sie erführen, himmlisches Geschöpf,

Daß deiner Liebe holder Überschwang
Wie gelbe Rosen meine Wangen färbte, -
Es füllten ihre Herzen sich mit Neid!

Wenn wir uns heiß umarmen und die Tropfen
Silbernen Schweißes dir im Haare schimmern,
So mein ich eine Schar beglückter Sterne

Durch eine dunkle Herbstnacht ziehn zu sehn.
(S. 45)
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Der Grabstein
Schah Selim (18. Jh.)
Hindustan

Ich will, daß man dereinst auf meinem Grab
Errichte einen rosenfarbnen Stein
Als Sinnbild für das steinern harte Herz
Und das wie Rosen farbne Angesicht
Der Schönen, die mich jagte in den Tod.
(S. 46)
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Die Übeltäterin
Hatifi (18. Jh.)
Hindustan

Es hat genügt, daß deiner Augen Glänzen
Und deiner Flechten Üppigkeit du zeigtest,
Um abzuwenden alle Welt von Gott.

Nun schwanden Glück und Glauben aus den Herzen
Und Frömmigkeit und Demut sind gewichen,
Und alles nur um dich, du Schreckliche!
(S. 47)
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Die Grausame
Isch (18. Jh.)
Hindustan

Grausame du! Nachdem du nur Verwirrung
Und Qual durch dein verführerisches Wesen
In deines Liebsten Herz geschleudert hast,

Setzt du dich nieder, ruhig, teilnahmlos,
Und bringst die Locken deiner schwarzen Haare
In Ordnung, mit kokett erhobner Hand.

Seh ich dich so beschäftigt, denk ich wohl
An einen Pilger, der nach langem Marsche
Im Karawanengasthof angelangt,

Selbstsüchtig nur auf Ruhe sinnt und Pflege
Und sich um die Genossen nicht mehr kümmert,
Die müd und schwach noch auf der Wandrung sind.

Wenn ich dich sehe, denk ich an die Erde,
Die völlig fühllos, völlig teilnahmlos
Die Tränen qualzerrißner Herzen trinkt.
(S. 48)
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Klage
Mir Hassan (18. Jh.)
Hindustan

Noch niemals hatt ich über meinen Feind
Mich zu beklagen, den ich grimmig hasse.

Doch muß ich klagen über meine Freundin,
Die grausam mich und seelenlos behandelt,
Obgleich mein ganzes Fühlen ihr gehört.
(S. 51)
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Die Herzlose
Sakib (18. Jh.)
Hindustan

Herzloser war wohl nie ein Weib als die
Geliebte des Sakib. Um ihretwillen
Gab sich ihr Freund den Tod. Da sie dann sah,
Wie man den Sarg vorübertrug, da fragte
Vermessen sie das trauernde Gefolge:
Wer denn der Mann sei, den sie plärrend da
Zu Grabe trügen.
(S. 52)
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aus Kafiristan

Wassermelonen sind dir ja bekannt:
So schwarz wie ihre Kerne sprüht dein Aug,
Rot wie ihr Fleisch erstrahlen deine Lippen,
Dein Leib ist glatt, wie ihre Schalen sind.

Ich möchte deine Herrlichkeit vergleichen
Mit der gepriesnen Schönheit meiner Stute:
Du gehst auf ehernen Fesseln, so wie sie,
Dein Rücken ist, gleich ihrem, stark und fest.

Setz dich an meinen Herd. Um deine Ankunft
Zu feiern, wähl ich unter hundert Herden
Von hundert Lämmern, die am Fuße des
Himalaja auf Weide sind, zwei Tiere

Und zwar die schönsten, seidigsten heraus,
Davon sei eins als Opfer dargebracht
Im Tempel des gewaltigen Gottes Pandu,
Daß er einst viele Kinder dir beschert.

Das andre will ich schlachten; unzerteilt
Werd es geröstet, und ein Rosenstock
Soll ihm als Bratspieß dienen, meine Freunde
Lad ich zu diesem Festmahl alle ein.

Und während sie drei Tage sich mit Essen
Und Trinken laben, leg ich Silberspangen
Um deine Arme, deine feinen Knöchel,
Und flechte edeln Goldschmuck in dein Haar.
(S. 53)
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Der Spiegel
Kalmukisch

Ich habe deinen schwarzen Hengst gesattelt,
Des Beine so erregt zu tänzeln wissen,
Und Schwert und Büchse hab ich dir geputzt.

Da es denn sein muß, reite in den Krieg,
Du süße Freude meiner Augen, aber
Vergiß mich nicht in all dem Kampfgebraus!

Versprich mir, daß mein Bild in deinem Herzen
Sich spiegeln wird, wie in dem kleinen Spiegel,
Den du mir einst vom Markte heimgebracht.

Eh du hinweggehst, gib mir das Versprechen,
Daß du in jeder Nacht zur elften Stunde
Den Mond betrachten wirst, der einem großen,

Silbernen Spiegel gleich, am Himmel steht,
Auch ich will jede Nacht zur elften Stunde
Deiner gedenkend in das Mondlicht sehn.

So wird uns beiden jeden Abend sein,
Als ob sich unsre Augen still begegnen
Im Licht des Mondes, der gleich einem großen,

Silbernen Spiegel in den Wolken steht.
Wer weiß, vielleicht wird gar der Mond, gerührt
Durch unsre Blicke, die sich sehnlich suchen,

An einem Abend sich in Wirklichkeit
In einen großen Silberspiegel wandeln,
Der nun vom Himmel zu uns niederstrahlt.

Dann werd ich dich wahrhaftig sehn, Geliebter,
Wie du auf deinem schwarzen Hengste reitest,
Ein stolzer Krieger, der Vernichtung sät.

Du aber wirst dich überzeugen können,
Daß ich erfülle, was ich dir gelobe:
Dir Treue zu bewahren bis zum Tod!
(S. 54-55)
_____



Zwiegespräch
aus Kambodscha

"Wenn du da bist, erzittern meine Hände
Und meine Lippen und mein ganzes Wesen,
So wie die Zweige eines Apfelbaumes,
Durch dessen Glanz der Wind des Frühlings weht."

"Des Apfelbaumes Zweige zittern nicht,
Geliebtes Mädchen, - sie erschauern nur
Unter der Zärtlichkeit des Windes, der
Berauscht ist durch den feinen Duft der Blüten.

Komm mit mir, Liebste, heute abend unter
Den Apfelbaum: wie seine Zweige sollst du
Erschauern unter meinen Zärtlichkeiten,
Und deiner Küsse Duft soll mich berauschen,
So wie der Wind an Blüten sich berauscht."

"Ich werde kommen. Was wirst du mir schenken
Für meine Küsse?" "Immer Küsse, Küsse."
"Und für mein Herz?" - "Mein eignes Herz, Geliebte."
"Und was für meine Liebe?" – "Deiner Liebe
Weih ich mein ganzes Leben bis zum Tod."

"Wohlan, Geliebter! Küsse, Herz und Leben,
Ich nehm sie an und gebe mich dafür
In deine Hände, und noch heute Nacht
Werd ich mit Zittern kommen, meine Küsse
Dir darzubieten unterm Apfelbaume,
Durch den der Lenzwind mit Frohlocken fährt,
Berauscht vom feinen Duft der jungen Blüten."
(S. 56)
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Die Sehnsüchtige
aus Kambodscha

Dreimal geliebter Freund! Wenn du dies Blatt
Des Palmenbaums mit meinen Liebesworten
Erhalten hast, so wisse, daß mein Sinnen
Dich ganz umfängt, so wie der Duft die Blüte
Einhüllt, aus der er gnadenvoll entstieg.

Seitdem du fort bist, ist mein Kummer groß,
Ich denke immer nur an dich, die Sehnsucht
Vernichtet mich, - sieh, meine goldnen Spangen
Sind schon für meine Arme viel zu weit.

Was könnte mich denn trösten? Die Erinnrung
An unsre Liebe mehrt nur meine Qualen
Und steigert meine Angst und läßt die Tränen
Gleich Bächen rinnen aus umflortem Aug.

Denkst du an mich? Kannst du denn andres tun
Als an mich denken? Immer ruft mein Herz
Nach dir, nach dir! - Trotz meines großen Kummers
Bin ich noch schön wie nur die schönste unter
Den Jungfraun ist, - du würdest mich begehren,
Wie an dem ersten Tag, da du mich sahst.

Ich bringe meine Tage hin mit Liebe
Und Andichdenken und mit großem Leide,
Und meine Sehnsucht hüllt dich schmeichelnd ein,
So wie der Mond von seinen Silberstrahlen
Umschmeichelt wird auf seinem mächtigen Lauf.
(S. 57)
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Drohung
Mohammed Tschomak
Kirgisisch

Nimm dich in acht, o Weib, und überwache
Dein Zimmer gut; an jedem Abend schließe
Mit Sorgfalt deines Zeltes Türe ab.

Denn wenn ich jemals, auf der nächtigen Runde,
Auf deinem Lager einen Mann erspähte,
Und sei's ein Stammesführer oder Fürst, -

Glaub mir: Bevor ihr Zeit zu fliehen fändet,
In Windeshast der Stuten durch die Steppen;
Würdet ihr beide, mit des Blitzes Schnelle,

Die Spitzen meiner giftgetränkten Pfeile
In eurem Fleische spüren, meiner Pfeile,
Die langsam töten, doch mit Sicherheit.

Hat euch der Tod dann gnadenlos umfangen,
So bett ich euch auf einen Scheiterhaufen,
Und alle Sklavinnen ruf ich herbei:

Es soll ein wilder Schauer sie durchrinnen
Vor meiner schnellen Tat, sie sollen wissen,
Wie furchtbar ich bestrafe den Betrug.

Dann aber steck ich euren Scheiterhaufen
Mit eignen Händen an. Dein Buhle soll,
An dich geschnürt, langsam mit dir verkohlen,

Und ich, mit meinem Stamm, seh lachend zu!
(S. 58)
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Die Trennung
aus Korea

So wie das Wasser durch das Flußbett eilt,
So eilt die Zeit dahin, und meine Augen
Sind deines Bildes immerdar beraubt.

Noch gestern blühten alle Sommerblumen
So feurig rot, heut sind sie schon vergangen
Und liegen auf der Erde müd umher.

Der Herbst ist nahe, durch die kühle Luft
Dringt klagend das Geschrei der wilden Gänse,
Die unter einen mildern Himmel ziehn.

Ach, keine Nachricht von der Liebsten bringen
Sie her zu mir, ich höre Regen rauschen
Ganz unablässig und mit trübem Klang.

Wann, Liebliche, wird unsre Trennung enden?
Daß ich doch wenigstens ein Mondstrahl wäre,
Dann dürft ich still durch deine Kammer gehn.

Daß ich das Holz von deiner Laute wäre!
Dann würde ich von deinem Arm umschlossen
Und ruhte mich an deinem Herzen aus.

Wenn alle Meere sich verwandelt hätten
In Kontinente, wenn die letzte Träne
Aus meinem Aug hinweggetrocknet wär:

Ich würde dennoch nicht genug der Klagen
Gejammert haben, die mein Herz zerreißen, -
So furchtbar ist's, von dir getrennt zu sein!
(S. 59-60)
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Traum
aus Korea

Drei lange Nächte lag ich ohne Schlaf,
Erst in der vierten Nacht bin ich hinüber-
Gedämmert, und im Traume sah mein Aug

Die Herrliche, an die mein Herz im Wachen
Denkt ohne Unterlaß, ich wollte ihr
Von meinen Qualen sprechen, - aber, ach,

Eh nur ein Wort von meinen Lippen kam,
Bin ich erwacht. Auf einen Augenblick
Glaubt ich ihr rosenfarbnes Angesicht

Und ihre Schläfen, die wie Jade glänzen,
An meiner Seite lieblich zu erblicken:
Doch nur von kurzer Dauer war die Täuschung,

Denn gleich darauf erkannt ich um mich her
Gewaltige Berge und gewaltige Meere,
Bis an die Horizonte hingedehnt.

Derselbe Mond gießt seine milden Strahlen
In unsre beiden Herzen, aber wehe,
Das Meer trennt uns mit seinem Wogenschlag.

So fürchterlich sind dieses Meeres Wogen,
Daß sich bis heute noch kein Schiffer fand,
Der solchen Mächten Trotz zu bieten wagt.
(S. 61)
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Zora
Gahuan-Beyg (1850-1885)
Kosakisch

Zora, warum verschmähst du mich? Vielleicht
Weil mir ein Arm vom Leib geschlagen wurde?
So laß dir sagen: Tamerlan der Große
War auch einarmig, dazu hinkte er,
Und dennoch ward er der Eroberer
Des ganzen großen Reiches dieser Welt.

Zora, warum verschmähst du mich? Vielleicht
Weil mir ein Arm vom Leib geschlagen wurde?
Sieh her: der andre Arm ist mir geblieben,
Um dich zu schützen! Gegen meine Brust
Werd ich mit diesem Arm dich zärtlich pressen
Und töten den, der dich zu lieben wagt!

Wie kommt es, daß mein Arm verstümmelt ward?
Um deinetwillen! Weil ich gegen die
Kirgisen dich verteidigte, die dich
Als schönes Prunkstück mit sich führen wollten,
Wie sie's mit vielen Frauen schon getan.
Daß ich dich schützte, schlug mir übel aus.

Mit einem Schlag hieb der Kirgisenfürst
Den linken Arm mir ab, - noch an der Erde
Durchlief den toten, blutgenäßten Stumpf
Ein Zucken, so als wollt er dich beschützen,
Und lange hatt ich fürchterliche Schmerzen
An der gewaltigen Wunde auszustehn.

Seitdem, Geliebte, deine schwarzen Augen,
Die ich mit reifem, dunklem Wein vergleiche,
Mein armes Herz, das sich nicht wehren konnte,
Im Netze ihrer seidnen Wimpern fingen, -
Seitdem leid ich an einer schlimmern Wunde:
Mein Herz ist wund. Erbarmst du dich denn nicht?
(S. 62-63)
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Djemileh
aus Kurdistan

O meine Freunde! Kennt ihr Djemileh,
Die Nelke, den Türkis, das schönste Mädchen,
Das Bagdad sah? Sagt, Freunde, kennt ihr sie?

O meine Freunde! Wie der Mond erglänzt
Ihr süßes Antlitz. Eine Sonne scheint
In jedem ihrer Augen, meine Freunde.

O meine Freunde! Ihre Brust ist herrlich
Und hält sich aufrecht gleich zwei Pfirsichen,
Die fest und noch nicht reif sind, meine Freunde.

O meine Freunde! Wie zwei Festungstürme,
Die schlank gebaut und uneinnehmbar sind,
So ragen ihre Marmorschenkel auf.

Seht, meine lieben Freunde! Djemileh
Schreitet vorüber, golden wie ein Kuchen
Der Festzeit, sie entzündet jedes Herz.

Sie schreitet von den Bergen, liebe Freunde,
Und in den Armen trägt sie kleine Blumen,
Die sie gepflückt hat und die nie verwelken.

Seht, liebe Freunde, wie der Wind ihr Kleid,
Das rosaschimmernde, mit aller Macht
An ihren Leib preßt und sie schlanker macht.

Seht, liebe Freunde: Djemileh kommt zu uns,
Um uns die kleinen Blüten zu verkaufen,
Die nie verwelkenden, aus dem Gebirg.

Und während sie die Blüten feilhält, - seht,
Wie sie umschwärmt wird von den jungen Burschen,
Die sie begehren mit verzücktem Aug.

Gar viele Hände streicheln sie und kosen,
Sie lächelt, und es leuchten ihre Zähne,
Da sie den Schleier von dem Antlitz zieht.

Jetzt hat sie alle Blüten aus den Bergen
Verkauft, und ihre Mitgift ist gewachsen, -
Wem wird sie einst gehören, liebe Freunde?
(S. 64-67)
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Das Paradies
aus Kurdistan

Geliebte Freundin! Jenes Paradies,
Das Mohammed uns zugesichert hat,
Wenn wir gestorben sind, - es ist sehr hoch

Und weit von hier, und keiner sah es je,
Und daß dereinst ich darin hausen soll,
Es will mir ganz und gar nicht in den Sinn.

Bei Gott, ich will nicht lästern, doch ich weiß
Müßt ich dort oben wohnen ohne dich, -
Vor Langeweile fände ich den Tod.

Was sollen alle Huris mir, von denen
Nicht eine deiner Schönheit Glanz erreicht?
Was soll ich unter jenen großen Bäumen,

Verschwenderisch mit safterfüllten Früchten
Beladen, die mir wertlos sind, da ich
Mit dir, Geliebte, sie nicht teilen darf?

Was soll die holde Frische mir der Bäche,
Der lieblich rauschenden, in denen, ach,
Mein Bildnis ohne deines widerstrahlt?

Und schlimmer wär es noch, wenn ich mit dir
Zugleich im Paradiese wohnen würde:
Da du so schön bist, würden die Erwählten

Dich schnell umwerben, und wer weiß, ob nicht
Gar Mohammed, wenn er dein Antlitz sähe,
Dich ganz für sich allein begehren würde.

Wie aber sollt ich meine Liebe dann
Verteidigen, du Wonne meiner Augen?
Sollt ich mich wenden gegen Mohammed?

Er würde mich, damit er deiner Schönheit
In Ruh genösse, in die tiefsten Schlünde
Der Hölle stürzen, wo nur Jammer herrscht.

Dort würde meine Haut verbrennen, würde
Erneuern sich, um wieder zu verbrennen,
So immer fort, - und unter lauter Mördern

Und schrecklichem Gesindel würd ich hausen,
Da ich kein andres Übel doch beging,
Als dich zu lieben, meiner Seele Stern!

Du wärst im Paradies, ich in der Hölle,
Wo mir's versagt wär, Allah je zu bitten,
Daß er mir Gnade widerfahren ließe.

Geliebte Seele meiner Seele! Du,
Die all mein irdisches und himmlisches
Entzücken ist! Du mein geliebtes Gut!

Wir wollen uns auf dieser Erde lieben,
Unbändig lieben, wollen uns umarmen,
Verwöhnen, küssen, uns mit Liebe ganz

Umhegen und den Augenblick genießen,
Denn wisse: unsre große Liebe ist
Die Himmelsflur, die Allah uns verhieß.
(S. 68-70)
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Feuer und Liebe
aus der Mandschurei

Wenn du nicht willst, daß dein Herz
Werde im Feuer gedörrt,
So wie das Lämmlein am Spieß, -
Fliehe die Liebe der Frau!
Feuer brennt nur in der Näh,
Liebe, weh!, brennt auch von fern.
(S. 71)
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Das Geheimnis der Herzen
aus der Mandschurei

Nie kann ein Mensch verkünden, was sein Freund
In seiner Brust verschließt, noch weniger,
Was er in seinem eignen Herzen birgt.

Doch sollt er einmal eines Weibes Herz
Geöffnet sehn, - so eil er schnell hinweg
Und schweige von dem Grauen, das er sah.
(S. 72)
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Gleichnis
aus der Mandschurei

Pflück dieses Baumes schönste Aprikose,
Leg sie behutsam auf ein seidenes Tuch, -
Nach dreien Tagen wird der seidene Glanz
Beschmutzt sein durch den Saft der edeln Frucht.

Die tugendhafteste der Frauen nimm
Und tu sie in dein Herz, - sofort, sofort
Wird deines Herzens Kammer durch Gedanken,
Die häßlich sind und niedrig, ganz befleckt.
(S. 73)
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Leila
aus Nepal

Drei Dinge birgt dein Mund, o Leila:
Die köstlichste der Perlenschnüre Nepals
Und einen Schluck vom süßen Schiras-Weine
Und den Geruch des Moschus von Tibet.
Der holde Ruch des Moschus ist dein Atem,
Der Schiras-Wein ist deines Mundes Nässe,
Und deine Zähne sind die Perlenschnur.

O Leila!

Drei Dinge birgt dein Aug, o Leila:
Die schwarzen Diamanten Hindustans,
Die glanzerfüllte Seide von Lahore,
Des Futschi-Yama wilde Lavaglut.
Die Lavaglut ist deines Auges Schimmer,
Die Seide von Lahore seine Milde,
Die Diamanten seine tiefe Nacht.

O Leila!

Drei Dinge birgt dein Herz, o Leila:
Die gelben Schlangen Burmas wohnen dort
Und alle giftigen Pilze aus Bengalen
Und alle giftigen Blumen aus Nepal.
Die giftigen Blumen, das sind deine Schwüre!
Die giftigen Pilze, das sind deine Küsse!
Die Brut der Schlangen, das ist dein Verrat!

O Leila!
(S. 74)
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Verzweifelt
aus Siam

Ich suchte dich mein ganzes Leben lang.
Da ich dich endlich dann gefunden hatte,
Erfaßte mich Verwirrung, grenzenlos.

Mir war, als ob aus allen Adern sich
Mein Blut ergösse, daß mein Leben schwände,
Daß ganz mein Herz in deinem unterging.

Sag, will auch dein Herz in mir untergehn?
Ich liebe dich. Dies Wort klingt fast wie Lüge,
Denn es ist schwächlich gegen mein Gefühl.

Ich liebe dich! Mir ist, du seist der Mond,
Ich bin in eines Baumes hohe Krone
Emporgestiegen, um dir nah zu sein.

Du aber bist so fern, daß ich dich nicht
Erreichen kann. O daß ich Flügel hätte!
Ich schwänge mich mit Macht zu dir empor

Und hielte dich und streichelte dich lange.
Geliebte Freundin! Meine Leidenschaft
Folgt unbedenklich dir in alle Fernen,

Selbst bis zum Himmel, - bist du doch der Mond!
Doch wehe, da kein Flügelpaar mir wuchs,
Wird es mir nie bestimmt sein, ganz mit dir

Vereint zu sein. O Himmel! Guter Mond!
Seid mir barmherzig! Eint mich endlich, endlich
Mit der Erwählten, der mein Herz gehört!
(S. 75-76)
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Mädchenlied
aus Siam

Ich liebe dich, nie hör ich auf zu denken,
Daß ich dich liebe. Denkst du auch an mich?
Ich denke deiner so mit aller Macht,

Daß es mich schmerzt, anstatt mich zu entzücken,
Durch alle Tage hin, durch alle Nächte
Atm' ich nach dir und immer nur nach dir!

Die Krallen heißer Sehnsucht haben sich
Gesenkt in meinen Busen und durchwühlen
Ihn voller Unrast immer-, immerzu.

Nur deine Gegenwart, nach der ich schmachtend
Verlange, kann die Qualen meines Herzens
Besänftigen. Wann wird mein Wunsch erfüllt?

Wann werden deine Wünsche sich mit meinen
Vereinigen? Wann werden unsre Herzen
Zusammenschlagen in beglücktem Takt?

Ich will, geliebter Freund, daß meine Liebe
Dir nichts als Wonnen schafft, - viel größre Wonnen,
Als deine Armut je erträumen mag.

Komm zu mir, nimm den Platz an meiner Seite,
So laß uns immer bleiben, und die Blume
Der Liebe wird in goldnem Glanz erblühn.

Vom ewig blauen Himmel stammt die Blume
Der Liebe: nimm sie hin aus meinen Händen,
Nimm meine Wangen, meine roten Lippen -

Ja, nimm Besitz von mir, denn ich bin dein!
(S. 77-78)
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Der Demütige
aus Siam

Wenn du im Flusse deine schlanken Glieder
Gebadet hast, am dritten Tag des Mondes,
So schreitest noch begehrenswerter du
Einher, von seidenem Gewand umflossen,
Das deiner zarten Haut an Farbe gleicht.

Drei Becher Safran, - werden sie genügen,
Um deinen Hals, du Reizende, zu schminken,
Und deine Arme und dein Angesicht?

Kein Mädchen unsres Volkes weiß wie du
Die Männer zu betören. Wenn im Schatten
Der Palmen du lustwandelst gegen Abend,
So hast du Gesten, die erregender,
Und Augen, die verführerischer sind
Als man sie je bei andern Frauen sah.

Du bist von einer Frische, einem Glanz,
Daß du der Liebsten mehr besitzen könntest
Als Zufluchtsstätten sich in deinem Hause
Befinden, wo du sie verstecken kannst.

Des Morgens, wenn ich komme dich zu schauen
Auf der Veranda, um des einzigen
Vergnügens willen: leis mit dir zu plaudern,
Des Abends, wenn ich in das Hühnerhaus

Zu schlüpfen suche: um dir nah zu sein,
Des Nachts, wenn meine Hand durch jenes Loch
Des Mauerwerkes nahe deinem Lager
Zu dringen sucht, dich liebend zu umfangen, -

Ach möge deine Mutter gegen mich
Dann Flüche schleudern und Beleidigungen,
Ich nehme alles voller Demut hin.

Ich werde nicht gekränkt sein, werde sie
Nicht tadeln, nein, ich werde alles dulden,
Glaub, was ich dir verspreche, Liebste du.

Um eins nur fleh ich sehnsuchtsvoll: gestehe
In deinem Hause einen kleinen Winkel
Mir zu, wo ich mich still verbergen darf.
(S. 79-80)
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Der Einsame
aus Siam

Ob, ich bin einsam, einsam. Ich verbringe
In Einsamkeit die Tage und die Nächte,
Ich gleiche einem tiefen, dunkeln Walde,
Von keinem Weg und keinem Pfad belebt.

Sprich mir von trügerischen Hoffnungen,
Geliebte, nicht! Hoffnungen gehn vorüber,
So wie ein Windstoß, der die Bäume schüttelt, -
Und viele Blätter rascheln müde nieder,
Vom Atem der Vernichtung angeweht.

Du bist für mich die Wolke, die entflieht ...
Sie naht, und kaum daß eine kurze Weile
Zu Häupten sie der Palmenkronen stand,
Zieht sie schon weiter, eilig, und entschwindet
Am fernen Himmel und kehrt nie zurück.
(S. 83)
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Der Verschmähte
aus Syrien

Wenn du noch weiter fortfährst, meiner Sehnsucht
Zu spotten und mir Höllenqualen schaffst,
Da ich das Paradies schon nahe glaubte, -

Wenn täglich mir dein hoffärtiges Wesen
Den Tod verleiht, der schlimmer ist als Tod,
Da ich ja meine Qualen überlebe, -

So bitt ich flehend: habe Mitleid, schenke
Statt vieler Leiden mir ein größtes Leid
Und jenen Tod, der alle Tode krönt.

Nimm meine Büchse, lade sie, der Funken
Springt hurtig aus dem Stein, und hier sind Kugel
Und Pulver, und nun lege auf mich an!

Doch rat ich dir, nicht auf mein Haupt zu zielen,
Denn hinter meiner Stirne wohnt dein Bild,
Dir selber also gäbest du den Tod.

Auch rat ich dir, nicht auf mein Herz zu zielen,
Grausame, denn in meinem Herzen wohnt
Dein Herz, das du doch auch nicht treffen darfst!
(S. 84)
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Hochzeitsgesang
Dschangardji Tschack
Tatarisch

O Weib! Auf dich und deine Sippe mögen
Die Segnungen des Herrgotts niedertauen,
Der Segen aller guten Himmelsgeister,
Die Segnungen der Greise unsres Stamms.

Dein Nachwuchs sei so zahlreich wie die Halme
Der Gräser, die in warmer Regenzeit
Auf unsern unbegrenzten Steppen sprießen,
Wo ungezählte Herden weiden gehn.

Dein Nachwuchs sei so zahlreich wie die Herden
Der Lämmer, die wir züchten, wie die Scharen
Der Rosse, zahllos wie der Silbersand,
Der wirbelnd in der Wüste Gobi weht.

Dein Nachwuchs soll aus lauter Heldenmenschen
Bestehn, die ihre Schwerter, ihre Büchsen
Als Meister führen, tollkühn in der Schlacht,
Und unsrer Rasse stets den Sieg verleihn.

Und du sollst leben, bis die ganze Fülle
Unsres Geschlechtes in die Erde sank
Und bis das kommende Geschlecht versank:
Das höchste Alter werde dir beschert.

Die Schätze dieser Welt sollst du besitzen,
Und solche Gnade werde dir zuteil:
Wenn deine Hand um einen Stein sich fügt,
So quelle Milch aus seinem Innern vor.
(S. 85)
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Der Honig
Tatarisch

Wenn du den Honig kosten willst,
Der an des Messers Schneide klebt,
Und deine Zunge gleitet auf
Der Schneide hin, so wirst du dir
Abschneiden deine Zunge!

Wenn du den Honig kosten willst,
Der auf dem Kusse einer Frau
Verwirrend lockt, so koste ihn
Nur flüchtig von dem roten Mund,
Sonst reißt du dir das Herz entzwei!
(S. 86)
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Immer nur sie
aus Turkestan

Da dein hochmütig Herz dem Diamanten
An Härte gleicht, so zog ich in den Krieg,
Um zu vergessen, daß dein Lieben ganz
Erloschen ist und daß du mich verachtest.

Jedoch der Tod entflieht vor meinem Schatten,
Und jeder neue Sieg, den wir erringen,
Läßt tausend dunkle Tode mich erleiden,
Viel fürchterlicher als der Eine Tod.

In jeder neuen Schlacht läßt das Gefunkel
Der Schwerter, die sich kreuzen, deiner Augen
Verführerisches Glänzen neu erstehen
In meines Herzens unruhvoller Nacht.

Das Blut, das um mich her in Bächen rinnt,
Erinnert mich an die Granatbaumblüten,
Die, von der Röte frisch vergoßnen Blutes,
So zauberhaft auf deinen Lippen blühn.

Und wenn ich sehe, wie zwei todgeweihte
Feindliche Krieger wütend sich umschlingen,
So wird mir unversehens die Erinnrung
An die Liebkosung deiner Arme wach.

Und lauter als das schreckliche Gewieher
Der Pferde, die, bedeckt von Wunden, fliehn,
Viel mächtiger als das Geklirr der Schwerter
Und als das wilde Stöhnen Sterbender

Erbraust in meiner Brust dein hoher Name:
Er füllt das Herz mir an wie Donnerschlag
Und knechtet mich, daß ich an meiner Siege
Gewaltigstem mich nicht mehr freuen mag!
(S. 87-88)
_____



Eifersucht
aus Turkestan

Gott hat für alle Welt den Glanz der Sonne
Geschaffen, doch die Schönheit meiner blonden
Suleika und die Sonne ihrer Liebe
Schuf er für mich und nur für mich allein!

Ich rat euch nicht, mit euren kecken Augen
Die Grazie ihres Körpers zu liebkosen, -
Mein Dolch ist schnell zur Hand, um eure Augen
Furchtbar zu strafen für so frevles Spiel!

Ich rat euch nicht, mit euren kecken Lippen
Das kleinste Wort der Liebe ihr zu flüstern, -
Mein Dolch ist schnell zur Hand, um zu verhindern,
Daß eurer Lippen Echo zu ihr dringt.

Ich rat euch nicht, mit euren kecken Händen
Zu streifen ihre schimmernden Gewänder, -
Mein Dolch ist schnell zur Hand: mit eurem Herzblut
Wasch ich das Kleid der Liebsten wieder rein!
(S. 89)
_____



Geschosse
aus Turkestan

Alle Steine meiner Schleuder,
Alle Kugeln meiner Flinte
Treffen, was sie treffen sollen,
Sei es noch so weit entfernt.

Aber schneller als die Steine,
Als die Kugeln meiner Flinte
Sind die Pfeile, die enteilen
Deinem mörderischen Aug!

Feinde, die durch meine Steine
Und durch meine Kugeln sterben,
Haben keine Qual zu dulden,
Denn der Tod fällt sie sofort.

Doch mein armes Herz, getroffen
Von den fürchterlichen Pfeilen
Deiner großen Augen, leidet
Tausend martervolle Tode, -
Ohne daß es sterben kann.
(S. 90)
_____



Vergleich
Hussein Baikrani
Turkestan

Dein Angesicht, das sich in einem Tropfen
Hochroten Weines feurig widerspiegelt,
Gleicht meiner aufgewühlten Seele, die
Aus einem Tropfen heißen Blutes blickt.
(S. 91)
_____



Die Flucht
aus Zirkassien

Ja, wenn du willst, Geliebte, - komm!
Auf meinem Rappen mit der Blesse
Laß uns entfliehen deinen Eltern
Und deinen Brüdern, die nicht wollen,
Daß Liebe zwischen uns gedeiht.

Ich habe meinen Flintenlauf
Gereinigt, und drei Feuersteine
Hab ich zum Wechseln, und mein Degen
Steckt frisch geschärft in seiner Scheide,
Voll Ungeduld, daß ich ihn zieh.

Mein wundervolles Schwert aus Temruk,
Daß du mir zum Geschenke machtest -
Die feine Klinge glänzt im Schmucke
Der Goldeinlagen: dich zu schützen,
O Fatme, ist das Schwert bestimmt.

Mein Aug zielt sicher, meine Hand
Hat im geringsten nie gezittert,
Wo es den Feind zu treffen galt,
Und wenn uns deine Brüder folgen
Auf Pferden, schneller als der Wind,

Und wenn sie wirklich uns erreichen
Und mit Gewalt aus meinen Armen
Dich reißen wollen, - meine Flinte
Wird früher als die ihre dröhnen,
Und meine Klinge trifft zuerst.

Die Kugel meiner Flinte ist
Für dich bestimmt, für dich allein,
Du meine herrliche Geliebte,
Sie wird dein junges Herz durchbohren,
Du weißt ja: meine Hand zielt gut.

Und meine Klinge ist für mich,
Für mich allein, ich habe nimmer
Gezittert, wenn es galt zu treffen,
Und werde schnell die Stelle finden,
Wo in der Brust dein Bild mir lacht.

Was wäre uns ein Dasein nütze,
In dem wir Herzen nicht noch Lippen
Vereinen dürfen! Da das Leben
Uns feind ist, mögen unsre Seelen
Vereinen sich in süßem Tod.

Sie werden beide aufwärts steigen
Zu Allah, frei und voller Jauchzen,
Und Allah wird zu einer Seele
Vermählen sie in seinem Garten,
Wo alles glänzt von Sternengold!
(S. 92-93)
_____



Die Rache
aus Zirkassien

Grausamer Mensch! Du hast es wohl gewußt,
Daß ich die schöne Aischa, deine Tochter,
So liebe wie sonst nichts auf dieser Erde, -
Du geiziger, herzloser Mensch, den ich
Zu meiner Schande Oheim nennen muß!

Du hast die Herrliche für ekles Geld
Verkauft an Händler, die sie auf dem Markte
Des Menschenfleisches nun verschachern werden,
Du hast die freie Tochter unsrer Berge
Als Sklavin in die rauhe Welt geschickt.

Nun wird sie einem Feinde unsrer Rasse
Zur Lust gereichen, einem wüsten Burschen
Mit feistem Bauch, darüberhin er kaum
Die eignen Füße sieht, und die Umarmung
Der Liebe bringt solch Scheusal kaum zustand.

Sie ist verkauft, die Schlanke, die so leicht
Wie eine Antilope unsrer Berge
Dahinschritt durch die sommerlichen Gluten,
Um sich zu baden in dem Tereck-Flusse,
Sie, deren glatter Leib dem Vollmond glich!

Sie, deren seidiges Haar aus feinstem Golde
Gemacht schien und dem Honig so genau
An Farbe glich, daß Bienen es umschwärmten,
Sie, deren rote Lippen hold erglänzten
Wie Blüten des Granatbaums in der Sonne.

O Fluch! Sie wird verkümmern und verderben,
Gleich einer jungen Pflanze, gleich so vielen
Unseligen Frauen, die verdorben sind,
Beraubt der Liebe und des Lichts zum Leben,
Hinter des Harems dichtem Gitterwerk.

Du aber sonnst dich schon in dem Gedanken,
Daß dermaleinst vielleicht der Padischah
Sie unter vielen Frauen wählen wird,
Damit sie dem Kalifen einen Erben
Beschere, den du Enkel nennen darfst.

In deinem dicken Gürtel birgst du das
Verfluchte Gold deines gemeinen Handels
Und kündest aller Welt nun deine Freude
Und kümmerst dich um Aischas Tränen nicht
Und nicht um meine qualenreichen Tränen.

Du hast das ekelhafte Gold gestohlen!
Du hast das Wundervollste uns entrissen,
Was es in unsern Bergen gab. Die Freiheit
Der eignen Tochter und des Neffen Liebe
Sind schmachtende Gefangne deiner Gier.

Die Freuden unsrer Kindheit, unsre Spiele
Am Fuß des Elburs, unsrer Jugend Lust,
Das Glück von gestern und die schöne Hoffnung
Auf morgen sind für immer nun begraben
In deines Gürtels widerwärtigem Gold.

Nimm deinen Hals in acht, mein lieber Ohm!
Denn einer von uns beiden ist zuviel.
Ich mag nicht ohne meine Liebe leben, -
Verteidige dich gut! Sonst wählt mein Schwert
Als Scheide sich dein hassenswertes Herz!

*
O Allah, Dank! Hier halte ich den Gurt,
Drin meine Liebe eingekerkert war.
Ein Pferd gesattelt! Und mit Windeseile
Den Sklavenhändlern nach! Mit diesem Golde
Und meinem Dolche mach ich Aischa frei!
(S. 94-96)
_____


 

Anmerkungen (von Hans Bethge):
Die Gedichte dieses Buches sind zumeist Volkslieder. Wo die Dichter bekannt sind, nennt sie das Inhaltsverzeichnis.

AFGHANISTAN. - Muhammed din Tilai, um die Mitte des vorigen Jahrhunderts in Indien geboren, lebte zumeist in Naushara. Tilai nennt sich die Kaste der Ölverkäufer, der er angehörte.
Rahchan Kayil, geb. 1853, ist der populärste der neueren Dichter Afghanistans. Er hat große Reisen durch Asien unternommen und auch Europa besucht. Gelegentlich einer Verschwörung gegen den persischen Schah, in die er verwickelt war, wurde er 1901 zu Teheran festgenommen, zum Tode verurteilt und gehängt.

ANNAM  - Die Lieder Annams sind stark beeinflußt durch den Geist der Poesie Chinas. Sie werden von Trauen bei Festlichkeiten und Mahlzeiten vorgetragen.

BURMA - Asmapur (etwa 1830-1890) konnte weder lesen noch schreiben, er war ein berühmter Improvisator und pflegte den wandernden Schauspielertruppen durch das Reich zu folgen.
Megdan wurde gegen 1840 in Rangun geboren.

DAGESTAN  - Dagestan besitzt keine geschriebene Literatur, es gibt nur Lieder wandernder Volkssänger, die in großer Armut leben. Ein solcher Sänger heißt "Scheir", d. h. der Berühmte. Die Lieder Dagestans sind durch die armenische Dichtung beeinflußt, die überhaupt für alle kaukasischen Länder von Bedeutung geworden ist.

GEORGIEN - Rustwell [
Schota Rustaweli (1172-1216)] ist der berühmteste Dichter des Landes, er lebte in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, und sein Epos "Tariels Liebesabenteuer" ist in Georgien so populär wie im ganzen Orient die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

HINDUSTAN - Die hindustanischen Dichter sind, gleich den persischen, zumeist Derwische und gehören der Sekte der Sufis an. Sie verfassen glühende Gedichte zum Lobe der Frau, und in ihren Versen zum Preise Allahs pflegen sie die gleichen Worte der Liebe anzuwenden, die ihnen aus ihren irdischen Liebesstrophen her geläufig sind. Für die Sufis ist alles, was geschaffen ist, im Grunde gleich wertvoll, denn es ist ja alles von Gott gewollt. Die Liebe aber, auch von Gott gewollt, gehört zum Höchsten alles Geschaffenen, denn sie gibt dem Menschen das Bewußtsein von dem göttlichen Wesen seiner Seele, sie macht ihn fähig, gleichsam das Unendliche zu umarmen, sie ist für den Sufi die nächste Verbindung zwischen ihm und Gott.
Alle hier vertretenen Dichter lebten im achtzehnten Jahrbundert, der Blütezeit hindustanischer Poesie.

KIRGISISCH- Die Kirgisen sind einer der wildesten und gewalttätigsten Stämme Zentralasiens; ihre Lieder singen am liebsten von Eifersucht und Rache.

KOSAKISCH - Die Kosaken Zentralasiens stehen den Kirgisen an Wildheit und Grausamkeit nicht nach. Gahuan-Beyg, der als der bedeutendste kosakische Dichter gilt, ist gegen 1850 geboren, er war einer der gefürchtetsten Stammesführer seines Volkes und wurde 1885 von den Kirgisen niedergemetzelt.

KURDISTAN - Die Kurden sind ausgezeichnete Improvisatoren, von starkem Realismus und großzügiger Freiheit des Ausdrucks, wie die beiden Proben dieses Buches zeigen.

SIAM - In keinem der Kulturländer Asiens gibt es freiere Liebessitten als in Siam. Dort werden öffentliche Liebesfeste gefeiert, z. B. in der neunten Nacht vor und nach dem Vollmond, Feste, bei denen die jungen Leute singend in die Natur ziehen, nicht selten von ihren Eltern begleitet, um sich draußen, unter Palmen, Orangenbäumen und Jasminbüschen lagernd, sehr ungezwungene Stelldicheine zu geben. Die Liebeslieder dieser Nächte werden von den Tönen der siamesischen Flöte begleitet, eines Instrumentes aus sieben Bambusrohren, der Pansflöte ähnlich.

TATARISCH - Die Rhapsoden des Landes nennt man Dschangardjis, sie fehlen bei keiner Festlichkeit und pflegen die Überlieferung der alten, nicht niedergeschriebenen Volkspoesie, der Liebeslieder sowohl wie der größeren heldischen Gesänge.

TURKESTAN - Auch Turkestan besitzt keine geschriebene Literatur, die Lieder der Volkssänger sind zumeist kriegerisch, auch die Liebeslieder sprechen gern von der Freude am Krieg und holen ihre Bilder und Vergleiche am liebsten aus Kampf und Schlachtgetümmel.

ZIRKASSIEN - Die Zirkassierinnen, berühmt im ganzen Orient durch ihre blasse, stolze Schönheit, waren von je die Favoritinnen in den Harems der Reichen zu Konstantinopel, besonders im Serail des Sultans, Lieder der Rache gegen die türkischen Aufkäufer und gegen die herzlosen Eltern, die ihre Töchter für Geld hergeben, sind im Lande allgemein. Die Zirkassier sind grausam, leidenschaftlich, blutdürstig, und mit demselben Atemzug, mit dem sie von Liebe reden, reden sie auch vom Tod. Ihre Liebeslieder sind zugleich Lieder der Rache, der Eifersucht, des Todes.

Die Verse dieses Buches gehen auf französische Prosatexte zurück, die vor allem dem Werke von Adolphe Thalasso Anthologie de l'amour asiatique (Paris 1906) entnommen sind.
(S. 99-101)
 


Aus: Hans Bethge
Der asiatische Liebestempel
Liebeslieder asiatischer Völker
in Nachdichtungen
Freundsberg Verlag Berlin 1941 (2. Auflage)



 

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