Geliebte, wenn ich dich entzückt betrachte . . .

Orientalische und fernöstliche Liebesdichtung
in Nachdichtungen von Hans Bethge (1876-1946)
 


Robert Delaunay (1885-1941)
Les Fenêtres simultanées (2e motif, 1ére partie)
(Die Simultanfenster 2. Motiv, 1. Teil) 1912
Solomon R. Guggenheim Museum New York


 




Liebeslieder des Hafis
(1320-1390)




Der glückliche Sklave

Da rühmen sich die Toren ihrer Freiheit
Voll Stolz und Hochmut, - ach, was haben sie
Von ihrer öden Freiheit, die sie langweilt?

Ich rühme mich voll Stolz der Sklaverei,
In der ich der entzückendsten Despotin
Gehorsam bin, - wie gerne bin ich Sklave!
(S. 6)
_____



Vom Stamm der Zedern

Mein Mädchen ist vom Stamm der Zedern. Zimmert
Mir einen Sarg aus Zedernholz. So werd ich
Die Ruhstatt haben, die mir ziemt. Ich werde
Gleichsam auf ewig in den Armen schlummern
Des Mädchens, das vom Stamm der Zedern ist.
(S. 6)
_____



Das wundervollste Licht

Es werde Licht! rief Allah
In die Nacht des Chaos hinein.
Da wurde das wundervollste Licht:
Deiner Augen Liebesschein.
(S. 6)
_____



Die Himmelsbogen

Ich kniete nieder zum Gebet und wandte
Den Blick zum Himmel: doch ich sah nur immer
Die Brauen deiner Augen, - stets nur sie.

Die Schönheit dieser kleinen Himmelsbogen
Nahm völlig mir die Aussicht auf den großen,
Azurenen Himmelsbogen Allahs. Lächelnd,

Ganz außerstande, meinen Geist zu sammeln,
Erhob ich mich und ließ das Beten sein.
(S. 7)
_____



Einst und jetzt

Ich bin ein elend Staubkorn auf den Wegen
Des Mädchens, das ich liebe. Ich, der sonst
Dem Löwen glich an Stolz und an hohem Mut,
Bin nun die kleine Nachtigall im Laubwerk,
Die leise flehend ihre Lieder schickt.
(S. 7)
_____



Die Göttin Liebe

Als von deiner Schönheit, Geliebte,
Ein Strahl durch alle Himmel fuhr,
Die sich golden verklärten, da wurde
Eine neue Gottheit geboren: die Liebe.

Die Göttin Liebe schwang ihre feurige
Fackel über den Himmel fort,
Aber die Engel blieben kalt und fühllos, -
Da wandte die Göttin sich zornig ab.

Sie flog zur Erde nieder, und sie bohrte
Tief in die Menschenherzen ihre Fackel, -
Nun lodert die Liebe, ein ganz unauslöschbares
Feuer, über die Erde hin!
(S. 8)
_____



Jetzt und immer

Solange meine Pulse schlagen,
Gehör ich dir. Wenn ich dereinst
Begraben bin, werd ich als Staub
Vom Grab her wirbeln und den Saum
Deines Gewandes küssen, voller Liebe.
(S. 8)
_____



Der verliebte Zecher

Es lehrt die Nachtigall zur Rosenzeit
Weisheit der Liebe mit gar süßem Schalle, -
Und Hafis lauscht beseligt ihrem Flöten.

Er schreibt in Versen nieder seine Meinung -
Und die ist: Wein in blühendem Rosengarten
Und dazu eine Freundin lachenden Munds!

O Wein und Liebe! Herrlichste der Güter!
Was wäre diese Erde ohne eure
Entzückung? Eine Wüste voller Qual.

Ich flehe auf zum Himmel: Allah, nimmer
Erlöse mich aus diesen süßen Banden,
Die sie die Sünde nennen: Wein und Liebe!
(S. 10)
_____



Weisheit des Hafis

Wie köstlich ist die Nacht! Sie blickt so heiter
Auf unsre Zecherrunde. Hört ihr, was
Die Lauten künden mit verklärtem Klang?

"Öffnet der Lust das Tor! Seid klug und lacht!
Und, aller Fesseln ledig, wickelt euch
In duftende Lockenfesseln selig ein!"

Wer ohne Liebe atmet unter uns,
Dem wollen wir, als sei er schon gestorben,
Tiefsinnig halten einen Grabsermon.

Trinkt! Legt die Arme um die silbernen Hüften
Der Mädchen, die ihr liebt! Das nenn ich leben!
Der Rest ist Unsinn. Glaubt dem alten Hafis!
(S. 11)
_____



Wünsche

Ich wollt, ich wär ein morgenklarer See
Und du die Sonne, die sich darin spiegelt.

Ich wollt, ich wär ein Quell im Wiesengrunde
Und du die Blume, die sich darin anlacht.

Ich wollt, ich wär ein grüner Dorn am Busche
Und du die Rose, die ihn rot umschimmert.

Ich wollt, ich wär ein kleines Korn im Sande
Und du der Vogel, der es schnell, schnell aufpickt!
(S. 12)
_____



Liebe

Ich wollte ein Stein werden
In steiniger Behausung,
Um die Liebe zu fliehn, -
Aber auch aus Stein
Sprangen die Funken der Liebe!
(S. 13)
_____



Herzdieb

Wahrlich, du bist ein kecker Dieb! Im Lichte
Des hellen Morgens, der auf deinen Wangen
Bestrickend aufgeht, stiehlst du Herz auf Herz
Im Fangnetz deiner wundervollen Haare!
(S. 14)
_____



Genesung

Der dummen Weisheit und der albernen Tugend
War ich zu lange nachgegangen, - nun
War ich gar müde meiner jungen Tage.

Da kamest du und sprachest: Her zu mir!
Bei mir ist heitre Torheit! Pflücke dir
Die Sünde ab von meinen Rosenlippen
Und meinen Brüsten, die vor Jugend starren!

Da kam ich, voller Glück, daß du mir hold warst,
Und tat, wie du geheißen, - und genas.
(S. 16)
_____



Kostbarkeiten

Das sind die Kostbarkeiten dieser Erde:

Ein Saitenspiel, ein Becher Wein, ein Tanz
Schlankbeiniger Mädchen, einer Liebsten Gunst
Und dann ein Schweigen - ja, ein tiefes Schweigen.
(S. 16)
_____



Die brennenden Tulpen

Einst aus meinem Grabe werden
Ungezählte rote Tulpen,
Rote Tulpenflammen sprießen.

Staune nicht ob dieses Wunders,
Sondern, Herrliche, bedenke,
Welche ungeheuren Gluten,

Dir geweihte Liebesgluten
In dem Lebenden einst brannten,
Da der Tote noch so glüht!
(S. 17)
_____



Das Schönste

Du fragst mich, wo mein Glauben ist? Versunken.
Und meine Tugend? Ganz und gar vertrunken.
Das Schönste aber ist mir treu geblieben:
Betrunken sein und lieben, lieben, lieben.
(S. 17)
_____



Nachtigall und Rose

Die Nachtigall, von Liebe für die Rose
Ganz überwältigt, flötet süß und klagt, -
Doch unerhört bleibt all ihr Liebessehnen.

Die stolze Rose schickt den allerschärfsten
Von den Dornen in das Herz der Armen,
Bis daß sie todeswund vom Zweige sinkt.

Noch einmal richtet sie sich auf und flüstert
Brechenden Auges: Du bist schlecht zu mir;
Ich bin nicht schön, ich weiß es, holdes Wesen.

Doch meine Seele, die du auch verachtest, -
Fühlst du nicht, daß sie blüht gleich einer Rose,
Gleich dir so schön, nur gütiger und wärmer?

Sie sprach es leise, schmerzlich - und verschied.
(S. 18)
_____



Die lange Wanderung

Ihr meint, das Leben sei zu kurz. Ihr irrt.
Ihr meint, daß die Genüsse allzu hurtig
Vorüberrauschen, - glaubt mir doch: ihr irrt.

Wenn meine Hand durch das gelöste Haar,
Das ganze, endlos lange weiche Haar
Meiner Geliebten hingewandert ist, -

Was soll ich dann, nach dieser schönsten Wandrung,
Noch tun in dieser Welt? Das Leben war
Mir lang genug, - und gerne werf ichs ab.
(S. 21)
_____



Gebrochenes Herz

Jawohl, man nahe andachtsvoll und fromm
Den Heiligen sich, - doch einem Herzen, das
In Liebe brach, naht euch mit tiefster Ehrfurcht,
Denn es ist heiliger als die Heiligen alle.
(S. 21)
_____



Ungerührt und stolz

Der Mond steigt auf und leuchtet durch die Mainacht,
Er hängt im Laub wie eine Blutorange,
Die Lilie schickt ihm sehnsuchtsvollen Duft.

Die Nachtigall schickt ihm die ganze Sehnsucht
Der schönsten ihrer Lieder in den Äther, -
Er zieht vorüber, ungerührt und stolz.

Du bist der Mond, Geliebte, und die Sehnsucht
Der Lilie ist die Sehnsucht meines Herzens,
Und meine Lippen sind die Nachtigall.

Sie flehn zu dir in allen Frühlingsnächten,
Du aber, wie der Mond im kühlen Nachthauch,
Ziehst stumm vorüber, ungerührt und stolz.
(S. 22)
_____



Die Allmächtige

Die höchste Macht der Erde sitzt auf keinem Thron.
Sie blüht in deinem Angesicht, du Herrliche!

Der Tag wird durch die goldne Sonne nicht erhellt, -
Aus deinen Augen fließt das wundervolle Licht!

In deinen schlanken Händen ruht die Macht des Lebens
Und auch die dunkle Macht des Todes, - wie du willst.

Du Schlimme tust des Bösen ein gehäuftes Maß.
Tu es getrost, - der Himmel zürnt dir nicht.

Der Engel Pflicht wär, aufzuschreiben, was du Böses tust, -
Sie walten ihres Amtes nicht. Sie lieben dich.
(S. 23)
_____



Holde Entschädigung

Der Priester hat mit vielen drohenden Worten
Geeifert gegen mich und meine Sünden,
Doch zürn ich seinem Wüten weiter nicht, -

Denn, Gott sei Dank, das zarte Kind des Unholds
Hat mich geküßt, da ich von ihm hinwegging, -
Geküßt, daß ich noch ganz im Rausche bin!
(S. 24)
_____



Das Herz des Hafis

Wenn mein heißes Herz in tausend Stücke
Brechen wird, so wirst du sehn, Geliebte,
Daß ein jedes dieser tausend Stücke
Liebt wie tausend unversehrte Herzen!
(S. 25)
_____



Ihre Augen

Deine gewölbten Brauen, o Geliebte,
Sind Paradieseslauben, drunter lächelnd
Die holden Engel deiner Augen wohnen.

Der Glanz, der durch die Welt gebreitet ist,
Geht aus von diesen Engeln, die den Schimmer
Mitbrachten aus der Flur des Paradieses!
(S. 26)
_____



Längst gekannt

Da dich das erste Mal mein Auge sah,
Erschrak ich und erschauerte aufs tiefste
Vor deiner Schönheit himmlischer Erscheinung.

Doch meiner Seele war, als hätte sie
Dich längst gekannt, als ruhtest du schon lange
In ihr beschlossen, schon seit Ewigkeiten.

Und würdest jetzt nur plötzlich Fleisch und Blut.
(S. 28)
_____



Chaos der Liebe

Es lohnt sich nicht zu staunen über alle
Die Seltsamkeiten in dem Reich der Liebe.

Vernunft und Logik brechen ganz zusammen
Zu wüstem Chaos in dem Reich der Liebe.

Der Nüchterne steht da und rügt bedenklich
Das wüste Chaos im dem Reich der Liebe.

Wie wundervoll ist dieses wüste Chaos
Für den Verliebten in dem Reich der Liebe!
(S. 29)
_____



Tag und Nacht

Dich preis ich, Allah, weil du den Tag und die Nacht
Schufest so einzig wunderbar:

Den Tag auf den Wangen meiner geliebten Freundin,
Die Nacht in ihrem duftenden Lockenhaar.
(S. 29)
_____



Liebesgluten

O weh, mein kleiner Rosenkranz zersprang,
Da ich die Arme allzu heiß und heftig
Um meines Mädchens schöne Hüften preßte.

Unfähig bin ich zum Gebet. Wie könnte
Den Geist ich sammeln zum Gebet, da alles
In mir erglüht von grenzenloser Liebe!

Nie hat ein Herz gelodert so wie meins,
Seitdem die Liebe in die Welt gekommen
Und ihre Allmacht in den Herzen übt.

Die Sonne, die am Himmel steht, ist nur
Ein abgesprengter Funken dieses Feuers,
Das ganz zerrüttend mir die Brust durchwühlt!
(S. 31)
_____



Bitte um Entschuldigung

Die Frauen Persiens zürnen meinem Liede -
Und das mit Recht. Ich habe es gewagt,
Die Süße ihrer Lippen mit dem Zucker
Ägyptens zu vergleichen. Der ist zwar
Der süßeste der Zucker, dennoch war es
Ein alberner, beschimpfender Vergleich,
Denn auch Ägyptens allerfeinster Zucker
Ist schal und matt gegen die Lippensüße
Der persischen Frauen, die berauschend ist.
(S. 32)
_____



Der Liebende

Der wahrhaft Kluge setzt mit Leichtigkeit
Sich über alle Welt hinweg; er weiß,
Daß alles eitel ist und voller Trug.

Ich armer Tor! Ich werd es nie verstehn,
Mich nur über das allerfeinste Härchen
Hinwegzusetzen von dem wundervollen

Gelockten Kopfe meiner Sulamith!
(S. 32)
_____



Vom Verstande

Wenn der Verstand es wüßte, wie unendlich herrlich
Es sich in Liebeswahnsinn beieinander ruht, -
Ich glaube wohl: wenn das der Ärmste wüßte,
Verlör er ganz und völlig den Verstand!
(S. 33)
_____



Liebeshymne

Geliebte, deine großen Mandelaugen
Sind schön wie Huris in dem Garten Eden,
Und deine Wangen gleichen Rosenbeeten

Des Paradieses, - ach, und deine Locken
Verwirren wie ein Zauberwald, daraus
Man nimmer heimwärts findet, alle Welt.

Der Hauch, der deinem schimmernden Mund entströmt,
Ist ein verklärter Liebeshauch des Jenseits
Und heilt die wilden Qualen meines Herzens.

Die Hügel deiner Brüste sind zwei Felder
Schneeweißer Lilien, darauf ganz matte
Syringenblüten blaue Adern ziehn.

Es schweben deine Füße wie zwei Wesen
Des Feenlandes, die von Erdenschwere
Nichts wissen, über unsern Häuptern hin.

Und deine Seele? Deine zarte Seele
Ist eine Strophe aus dem Blau des Himmels,
Ein wundervoller Vers, den Allah schrieb.

Und meine Seele, diese arme, gänzlich
Zerrüttete? Sie ist ein Opferkraut,
Geworfen in den ungeheuren Brand

Verzückter Liebe. Da verglüht es und
Verduftet und steigt selig auf zum Himmel
Zu Deiner Ehre, Fürstin dieser Welt!
(S. 35-36)
_____



Der Verschmähte

Ich weiß: in diesem Zimmer ruht sie jetzt
An eines andern Brust. Ich liege hier
Auf ihrer Schwelle, wie ein Sturm erregt.

Ich weiß: es wäre das Verständigste
Und so, wie es die gute Sitte will,
Wenn ich jetzt ginge, da sie mich verachtet.

Ich weiß: ist diese Welt auch groß und weit,
Es gibt für mich nur eine Stelle: hier!
Und gibt nur einen Weg: von hier ins Grab!
(S. 38)
_____



Hafis, der Besiegte

Nicht jene sind gefährlich mir, die mit
Dem Schwerte drohn. Nicht jene, die mit Blicken
Des Grimmes und des Hasses um sich werfen.

Jedoch ein roter Mund ist mir gefährlich
Und eine Locke, die auf weißem Hals liegt,
Und dunkle Augen unter dunkeln Brau'n.

Solchen Bezwingern bin ich nicht gewachsen!
Gern würd ich fliehn, doch ists so süß zu bleiben,
Besiegt zu sein von Locke, Aug und Mund.

Wie gern trink ich das holde Gift des Mundes,
Wie gern verbrenn ich in den schönen Gluten,
Die deine Augen sprühn! Und du, o Locke,

Du fein geschwungne, die auf weißem Hals liegt,
Umschnüre mich, bis mir der Atem ausgeht, -
Ich kenne keinen neidenswertern Tod!
(S. 39)
_____



Der schönste Tod

Ich bin ein armes, ölgenährtes Lämplein,
Das trübe in der Nacht schwelt, kaum gesehn.

Du bist das üppige Morgenlicht, das strahlend
Am Horizont heraufkommt, wunderbar.

Vor dir erlischt mein kleines Lichtlein. Aber
Ich klage nicht, wenn ich auch sterben muß.

Du bist so unaussprechlich schön. Wo stürbe
Ich lieber als in deiner Herrlichkeit?
(S. 41)
_____



Die Perlen meiner Seele

Die Perlen meiner Seele
Haben keinen andern Sinn, du Süße,
Als daß ich sie hinstreue,
Hinstreue
Vor deine kleinen, launischen Füße.
(S. 41)
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Der Duft aus deinem Haar

Der eitle Ostwind meint, er sei der Geist
Alles Lebendigen. Er irrt sich sehr.
So spricht zu ihm der Duft aus deinem Haar:

"Die Seele der Natur bin ich, nicht du.
Wenn ich nicht wäre, würde diese Welt
In Trümmer stürzen. Dunkle, wüste Nacht

Bedeckte dann das Chaos - und auch dich."
(S. 42)
_____



Der Demütige

Sei nicht zu hold zu mir! Der Übermut
Erfaßt mich sonst, - vielleicht verlier ich gar
Die Herrschaft über mich und mein Gefühl.

Gestatte nur, daß ich den Staub, darauf
Dein Fuß geruht, mir auf den Scheitel lege,
Wie Könige mit ihren Kronen tun.
(S. 42)
_____



Der verliebte Ostwind

Ich Unglückseliger! Wer gibt mir Nachricht
Von meiner Liebsten? Zwar der Ostwind kam
Und raunte hastig Botschaft mir ins Ohr,

Doch raunte er so stammelnd und verwirrt,
Daß ich ihn nicht verstand, - ich weiß es wohl:
Er selber ist, der Ärmste, ganz betrunken

Und geisteswirr durch meiner Liebsten Schönheit.
(S. 43)
_____



Der Verbrannte

Ich bin nicht mehr. Ich bin einmal gewesen.
In meiner Liebe Flammen ging ich auf,
Ein ungeheurer Brand. Die leichte Asche
Stob in die Lüfte, - darauf sank sie zärtlich
Als kleine Opfergabe dir zu Füßen.
Zertritt sie nicht. Mein Herz pocht noch in ihr.
(S. 43)
_____



Der Entwurzelte

Mächtige Stürme reißen
Bäume mit ihren Wurzeln aus.

Mich aber - o Wunder - riß
Mit allen Wurzeln
Aus der Alltäglichkeit des Daseins
In ein seliges Reich empor
Ein leises, süßes, liebevolles Lüftchen:

Der Atem deines Mundes!
(S. 44)
_____



Die Freundin des Hafis

Zur Schule ging die Holde nie.
Sie hat zu schreiben nie begehrt,
Sie hat vor einem Lehrer nie
Gelernte Sprüchlein aufgesagt.
Ich weiß es wohl, ihr Wissen war
Nie meisterlich, - und dennoch wurde
Sie aller Meister Meisterin!
(S. 44)
_____



Jugend im Alter

Was bedeutet meines Herzens wildes Klopfen?
Ach, das Herz des alten Hafis liebt wie immer,
So auch heute.

Was bedeuten der Suleima Schelmenblicke?
Ach, der alte Hafis wird geliebt, wie immer,
So auch heute.

"Aber Hafis, du bist alt und nah dem Grabe!"
Ach, des Hafis altes Herz ist jung, wie immer,
So auch heute.

Hör ich auch die Grabesglocken schon von ferne,
Schlag ich doch die Laute, küsse kühn, wie immer,
So auch heute!
(S. 45)
_____



An die Ungläubigen

Ihr Toren, die ihr nicht an Liebe glaubt:
Kommt an mein Grab, sprecht dort den Namen aus
Des Mädchens, das ich liebte, - und mit Schaudern
Werdet ihr ungeheure Klagelaute
Aus meines Grabes Tiefen klingen hören.
(S. 48)
_____



Die Macht der Schönheit

Du hellster Stern am Firmament der Schönheit,
Komm, lasse deinen Zauber walten, hülle
Die eiteln Toren in dein Lichtmeer ein!

Sie meinen, daß sie widerstehen könnten, -
Beraube sie mit Lachen ihrer Fassung:
Sie sollen lernen, daß die Macht der Schönheit

Gewaltiger ist als alles, was auf Erden
Sich stark nennt, daß sie der Gesetze Ordnung
Und alle Tugend umbläst wie ein Nichts.

Komm, reiße allen heuchlerischen Frommen
Die eitle Würde aus verderbtem Busen,
Die aufgeblasne Weisheit bring zu Fall!

Sie alle, die des Hochmuts sich vermaßen,
Sie sollen dir zu Füßen schmachten, bettelnd
Um einen Gnadenblick aus deinem Aug!
(S. 50)
_____



Sieghafte Schönheit

Ein schönes Kind macht mir die Seele trunken!
Das ist nicht seltsam. Gibt es Heilige doch,
Die liebend alle Tugend von sich warfen.

Die Schönheit zwingt mit Lachen sich den Hochmut
Vor ihre Füße, sei er noch so eitel, -
Der Erdkreis schwankt, wo schöne Augen glühn!
(S. 53)
_____



Du und ich

Niemals kommen wir zusammen, du und ich.
Was ich dir zu Liebe tu, verschmähst du.
Gram, den du mir zufügst, streif ich ab.
Schmück ich dich mit allen Kostbarkeiten,
Zürnst du mir. Und deine Zornesworte -
Lächelnd nehm ich sie wie einen Gruß der Gnade auf.
(S. 53)
_____



Ihre Kränkungen

Du meinst mir Kränkendes zu sagen.
Du irrst dich. Deine Bitterkeiten
Gehn über Lippen, die so süß sind,
Daß alles, was mein Ohr erreicht,
Nur liebevolles Schmeicheln ist.
(S. 54)
_____



Fromm erregt

Du ahnst nicht, wie unwandelbar und tief
Die Treue ist, die in der Brust mir wohnt.

O wüßtest du, wie ich die Freuden alle
Der Welt verachte, die mich dir entfernen.

Was man auch Übles von mir spricht: die Liebe,
Die in mir brennt, ist eine reine Flamme.

Ich scheine dir zu spielen? Nein, mein Wesen
Ist fromm erregt ins Tiefste - nur durch dich!
(S. 55)
_____



Bitte

Ich fleh dich an: mitunter lächle mir
Ein wenig zu. Mitunter fächle mir
Ein wenig Kühlung, daß ich nicht verbrenne.
Dann will ich gern dich alles treiben lassen,
Was meiner Liebe diese Qualen schafft!
(S. 55)
_____



Trauriger Frühling

Der Frühling ist erschienen. Hyazinthen
Und Tulpen und Narzissen steigen lachend
Aus allen Beeten auf. Doch wo bleibst du?
Die Erde hält dich fest in ihrem Dunkel.
Ich werde weinen gleich der Frühlingswolke,
Vielleicht daß du dann doch aus deiner Tiefe
Emporsteigst, als des Lenzes schönste Blume!
(S. 56)
_____



Die Seele des Hafis

Gern schenkt ich meine Seele dir, Geliebte,
Doch hast du sie ja längst, seit ewig schon.
Nie war sie wirklich mein. Der Himmel hat sie
In dich gepflanzt, mich schuf er ohne Seele.
Die mir gehörige Seele gab er dir.
(S. 56)
_____



Sehnliches Begehren

Willst du meinen Wunsch, nur einen flüchtigen
Blick ins Paradies zu tun, erfüllen:
So befiehl dem Ostwind, daß er gütig
Heb den Schleier auf von deinem Antlitz!
(S. 56)
_____



Unwiderstehliche Schönheit

Durch deine schönen Locken werden
Die Heiden und die Glaubensstarken
In gleicher Weise sinnverwirrt.

Die schwachen Seelen stürzen taumelnd
In deiner Wangen holde Grübchen,
Die starken Seelen stürzen nach.

Dein Aug, das von der Schwarzen Kunst
Geschaffen ward, lenkt aus den Wolken
Des Adlers Flug zu sich zurück.

Die zarte Nachtigall, die nicht
Aufsteigen kann in Wolkenfernen,
Ist ganz und gar in deinem Bann.

Hafis vergaß um deinetwillen,
Die Morgen- und die Nachtgebete,
Klar ist sein Seelenuntergang!
(S. 57)
_____



Geständnis

Ich, Hafis, bin kein Heuchler in der Kutte, -
Ich zeige euch im Rausch mein ganzes Herz.

Ich lauf am liebsten aus dem Dunst der Kirche
Stracks in die Schenke, wo mir Frohsinn winkt.

Nicht nur dem Trunk erlieg ich, auch die Liebe
Macht sittenlos mein leicht empfänglich Herz.

Ein schönes Aug, rubinenrote Lippen, -
Und meine Seele lodert, ich gestehs.

Beug ich mein Knie vor dem Altar: im Geiste
Stell ich das Bild der Liebsten mir darauf.

Die Kammer meiner Liebsten rein zu fegen,
Raub ich als Besen mir das Lockenhaar

Der Huris aus dem Garten Eden! Wurde
Je ein geliebtes Mädchen so geehrt?
(S. 58)
_____



Die verlorene Seele

Laß mich in deinen Locken wühlen, laß mich!
Es treibt mich, meine Seele aufzusuchen,
Die arme Seele, die sich liebestrunken
In diese tiefen, labyrinthischen Gänge,
In deiner Locken schöne Nacht verlor.
(S. 60)
_____



Wunsch

Ich möchte aus deinem Haar
Eine endlose Flechte formen,
Um mich hinzuschwingen von Stern zu Stern,
Um allen kreisenden Welten
Frohlockend
Deine Schönheit zu künden.
(S. 60)
_____



Wie kommt es

Wie kommt es, daß dein Haar so märchenschön
In Locken prangt? Wie kommt es, daß der Schlaf
So hold dich küßt? Du trägst kein Rosenblatt
An dir, - wie aber kommt es, daß ein Duft
Nach Rosen von dir ausgeht, wunderbar?
(S. 61)
_____



Ermahnung

Lächle nicht so wundervoll, Geliebte,
Daß die kleinen Engel nicht vom Himmel
Niederstürzen, - denn sie könnten meinen,
Daß der Himmel, ihre strahlende Heimat,
Hier in deinem holden Lächelnd sei!
(S. 61)
_____



Deine Stimme

Die heiligste der Quellen: Selsebil,
Die in dem Paradiese Mohammeds
Melodisch den beglückten Ohren rauscht,
Ist nur ein matter Abglanz deiner Stimme,
Mit der verglichen alles in der Welt,
Was es an Wohllaut gibt, nur Mißklang ist.
(S. 61)
_____



Die liebende Nachtigall

Mein vollerblühter Rosengarten ist
Der Nachtigall geliebter Aufenthalt.

Ich darfs nicht wagen, eine Rose nur
Zu pflücken, - denn ein schwermutvolles Lied,

Das mir die Seele ganz zusammenschnürt,
Kommt dann wie hilfeflehend durch die Luft.

Sie ist verliebt in meinen Rosenflor,
Die holde Träumerin. Ich sah es selber,

Wie sie dem Duft so wollüstig sich hingab,
Daß sie berauscht wie tot vom Zweige fiel.
(S. 62)
_____



Die Geißel

Ich bin in deiner Hand wie weiches Wachs.
Du kannst mich formen ganz nach deiner Laune, -
Ich wehr mich nicht. Ich hasse die Askese,
Doch wüßt ich deine Geißel, die ich selig
Schwäng gegen mich: dein wundervolles Haar!
(S. 62)
_____



Unglückliche Liebe

Ich will den Gram ersäufen
Beim Klang der Silberbecher
Im edeln Wein von Schiras.

Ich will den Nachtigallen
Den Krieg erklären, - albern
Sind ihre Liebeslieder.

Denn Untreu ist die Losung
Auf dieser Erde, - Treue
Wohnt nicht in Weiberbusen.

Ich will den Gram ersäufen
Beim Klang der Silberbecher
Im edeln Wein von Schiras

Und will mit einem Steine
Die Nachtigall erschlagen,
Die aus den Myrten flötet,

Als wär die Welt voll Glück!
(S. 63)
_____



Betrunken

Hafis, du bist betrunken,
Ich sehe an deinem Schatten,
An diesem Taumelschatten,
Der sich so toll gebärdet,
Als käm er aus dem Tollhaus!

Ei, welch verrückter Schatten
Im allzu hellen Mondschein!
Das fuchtelt und das biegt sich
Und stolpert hin und reckt sich
Aufwärts und nach den Seiten, -
Ei, welch grotesker Schatten,
Welch indiskreter Mondschein!

Nie hab ichs glauben wollen,
Wenn scheltend mich Suleima
Beschwor, ich sei betrunken, -
Jetzt muß ichs wahrlich glauben:
Ich bin ein würdeloser,
Ein jeder Anmut barer,
Ein ganz betrunkner Trinker
Mit einem Taumelschatten
Im indiskreten Mondschein!
(S. 65)
_____



Lockt mich nicht in eure Welt!

Einen Kranz von blühenden Mandelzweigen
Wind ich meiner zärtlichen Suleima
In der Locken aufgelöster Nacht.

Bei dem Springbrunn lassen wir uns nieder
In dem Rosengarten meines Hauses,
Und ich hebe selig den Pokal!

Aus dem Silberstrahl des Springbrunns plätschern
Kleine Liebesworte uns entgegen,
Und im Busche schlägt die Nachtigall.

Lauft in die Moscheen, fleht zu Allah, -
Feilscht in den Basaren um die Wette, -
Aber lockt mich nicht in eure Welt!

Mir ist diese Welt alleine wertvoll
In dem Rosengarten meines Hauses,
In dem Arm der zärtlichen Suleima!
(S. 66)
_____



Deiner Brüste Lilienhügel

Deiner Brüste Lilienhügel
Sind des Hafis schönster Traum.
Um auf diesen mondscheinblassen
Blütenhügeln eine Nacht nur
Auszuruhen, - dafür gäbe
Hafis unbedenklich seiner
Seele Seeligkeit dahin.
Ja noch mehr: von seinem Becher,
Seinem vielgeliebten Becher
Nähme er auf ewig Abschied
(Das bedeutet viel, bei Allah!),
Wenn er auf den mondscheinblassen
Lilienhügeln deiner Brüste
Eine Nacht nur ruhen dürfte!
(S. 68)
_____



Liebeslied

Deine Lenden, Sulamith,
Sind zwei rosa seidne Kissen,
Drauf ich träume nächtelang.

Deine Lippen, Sulamith,
Sind ein roter Quell des Himmels,
Dran ich trinke nächtelang.

Deine Brüste sind zwei Hügel,
Hügel aus dem Garten Eden,
Drin ich wandle nächtelang.

Deine Augen, Sulamith,
Sind zwei wundervolle Rätsel,
Dran ich rate nächtelang.

Deine Haare, Sulamith,
Sind die Nacht der großen Liebe,
Drin ich gerne sterben will!
(S. 70)
_____


Aus dem Geleitwort von Hans Bethge:
(...) Von meinen Nachdichtungen, für die ich alten deutschen
und französischen Vorlagen verpflichtet bin, sei nur gesagt,
daß es nicht mein Bemühen war, ihnen einen philologischen
Wert zu verleihen, was ja auch gar nicht in meiner Macht stand,
sondern daß ich mich bestrebte, sie für unser Gefühl lebendig
zu gestalten. Wenn mir dies gelungen sein sollte, wäre meine
Aufgabe erfüllt.


Aus: Lieder des Hafis
Nachdichtungen von Hans Bethge
Im Insel-Verlag Leipzig [o. J. ca 1940]




 

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