Robert Delaunay (1885-1941)
Les Fenêtres (Die Fenster) (Detail) 1912
The Museum of Modern Art New York
The Sidney and Harriet Janis Collection
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Die indische Harfe
Indische Liebeslyrik
An eine Schauspielerin
Kalidasa (5. Jh.)
Auf ihrer üppig schwellenden Hüfte läßt sie
Die Linke ruhen, die ein Armband ziert.
Die Rechte läßt sie lässig niederhangen,
Wie eine zarte Ranke niederhängt.
Sie wendet ihren Blick dem Boden zu,
Wo Blumenschmuck, durch ihren Fuß zerstreut,
Herumliegt: voller Anmut steht sie so
Und scheint fast schöner noch, die Herrliche,
Als wenn sie ihren Leib im Tanze biegt.
(S. 7)
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Tauzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Da sie auf ihren Brüsten Nägelmale
Und wunde Stellen an den Lippen fühlen,
Greifen die Mädchen lächelnd zu den Salben
Und malen sich von neuem Brust und Mund.
(S. 8)
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Tauzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Den süßen Wein, der so wie Lotos duftet
Und der die Sinne wollüstig erregt,
Trinken zur Nacht mit den geliebten Buhlen
Die Frauen, lachend und bereit zur Lust.
(S. 9)
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Tauzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Geschmückt mit Kränzen, Betel, Edelsteinen,
Gehüllt in Duft von Blumen und von Salben,
So treten nun die Frauen, voll Verlangen
Nach Liebeslust, in die Gemächer ein.
(S. 10)
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Tauzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Mit solcher Inbrunst haben junge Frauen
Die Nächte durch der Liebe sich ergeben,
Daß nun, da sich der Morgen grau erhebt,
Sie müde hingehn, mit gelösten Gliedern.
(S. 11)
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Winter
Kalidasa (5. Jh.)
Das Hirsefeld, darüber barsch und rauh
Der schneegekühlte Wind fegt, wird nun blaß:
So werden eines Mädchens Wangen fahl,
Wenn sich der Liebste heimlich von ihr stiehlt.
(S. 12)
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Winter
Kalidasa (5. Jh.)
Die Mädchen sehn auf ihre stolzen Glieder
Mit Lust hinab: da hat der Liebste sie
Umarmt, geküßt. Mit einem leisen Dehnen
Des Körpers gleiten sie in ihre Kleider,
Hinlugend durch das aufgelöste Haar.
(S. 13)
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Winter
Kalidasa (5. Jh.)
Und manche Frauen, die zu stürmisch sich
Der Lust ergaben, spüren nun Ermattung
Und leisen Schmerz in ihren jungen Gliedern
Und salben sorglich sich die Brüste, die
Zerküßt sind von des Liebsten wilder Glut.
(S. 14)
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Winter
Kalidasa (5. Jh.)
Der reife Reis, der auf den Feldern wogt,
Die Antilopen, die den Hain durchstreifen,
Der Schrei der Schnepfen aus der kühlen Luft
Erfüllen nun mit Sehnsucht jedes Herz.
(S. 15)
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Herbst
Kalidasa (5. Jh.)
Im Wasser spiegeln rosafarben sich
Die Lotosblüten, bunte Enten tauchen
Hinab, hinauf, am Ufer hocken Schwärme
Von Kranichen, es weht der weiche Wind
Das Singen eines fernen Schwans herüber –
Und Liebeslust stiehlt sich in jedes Herz.
(S. 16)
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Herbst
Kalidasa (5. Jh.)
Die roten Lilien öffnen ihre Kelche,
Vom lauen Licht des Morgens wach geküßt:
So lächeln Mädchen, die des Liebsten harren.
Die weißen Lotosblumen schließen sich
Im Morgengrauen vor dem Lichte zu:
So stirbt das Lächeln um den Mund der Mädchen,
Wenn sie ihr Liebster allzuschnell verließ.
(S. 17)
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Herbst
Kalidasa (5. Jh.)
Der Wind des Herbstes weht den feinen Duft
Von Lotosblumen durch die Nacht herbei.
Das Meer liegt hell und heiter wie Kristall,
Ganz wolkenlos spannt sich der Himmel aus
Und zeigt bei Nacht die leuchtenden Gestirne,
Und Mondlicht fließt hernieder, kühl und klar.
(S. 18)
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Herbst
Kalidasa (5. Jh.)
Reisfelder stehen mit geneigten Halmen
In Reife da. Der Wind wühlt in den Zweigen
Des Mangohaines, von den Wasserlilien
Weht Duft herüber, stiehlt sich in die Herzen
Der Jünglinge und läßt sie rascher schlagen
Und facht die Lust nach neuem Liebesspiel.
(S. 19)
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Regenzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Beschwert von Blüten, beugen sich die Zweige
Der Bäume nieder, silberne Regentropfen
Glänzen darüber hin, ein schwüler Duft
Ergießt sich durch den feuchten Raum und macht
Die Liebenden voll Sehnsucht nacheinander.
(S. 20)
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Regenzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Wenn wilder Donner aus den Wolken braust
Und angstvoll alle Frauenherzen schlagen,
Wie gern vergißt das Weib dann den Verdruß,
Um dessentwillen sie dem Gatten schmollte,
Und zitternd schließt sie ihre weichen Arme
Um ihn, der auf dem Lager bei ihr ruht,
Den schlafenden, und ihre Angst entflieht.
(S. 21)
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Regenzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Die Nacht hockt dunkel über Weg und Hain,
Der Donner des Gewitters grollt zuweilen
Hinab, und manchmal zucken Blitze auf
Und werfen grelles Licht über die Pfade,
Darauf ein Mädchen, deren Brust in Liebe
Und Angst erbebt, zu dem Geliebten eilt.
(S. 22)
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Regenzeit
Kalidasa (5. Jh.)
Nun naht die Zeit der dunklen Regenwolken,
Wie Elefanten schwärmen sie herauf,
Wie Könige, die in den Kampf sich stürzen
Mit ihrem Troß, - und statt der Pauken dröhnen
Des Donners Schläge, statt der Fahnen zucken
Die Blitze auf vor der gewaltigen Schar, -
Der Liebende frohlockt, die Qual entflieht.
(S. 23)
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Sommer
Kalidasa (5. Jh.)
Der Pfau, um den die roten Sonnenstrahlen
Gleich einem Opferfeuer flammend sprühn,
Stöhnt auf, - und ganz erschlafft, hält er es nicht
Für wert, sich nach den Schlangen, seinem Mahle
Zu bücken, die im Schatten seines Schweifes,
Des farbenübersäten, sorglos ruhn.
(S. 24)
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Sommer
Kalidasa (5. Jh.)
Der Duft nach Sandel, den die seidnen Fächer
Über die Brüste schöner Frauen wehn,
Die Perlen auf der braunen Haut, Gesänge,
Der Klang der Harfen und das Lied der Vögel –
Das alles weckt den Gott der Liebe auf,
Und neue Lust und neue Qual beginnt.
(S. 25)
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Sommer
Kalidasa (5. Jh.)
Der Nächte dunkle Schatten sind verschwunden,
Es glänzt der Mond wie Gold. Die Wasserkünste
Verbreiten Kühle durch die Marmortüren,
Und Mädchen, in dem Schmuck von Edelsteinen,
Ruhn aus und dehnen wollüstig die Glieder
Durch die ersehnte frische Luft der Nacht.
(S. 26)
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Sommer
Kalidasa (5. Jh.)
Mit ihrer jungen Leiber Lustgestalten,
Darum sich seidne Gürtelbänder schlingen,
Mit ihren Brüsten, die nach Sandel duften
Und in dem edeln Schmuck der Perlen prangen,
Mit ihren Haaren, den von Bad und Salben
Erglänzenden, verkürzen nun die Frauen
Die Glut des Sommers dem geliebten Mann.
(S. 27)
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Frühling
Kalidasa (5. Jh.)
Gar mannigfach zeigt sich der Liebesgott
Jetzt bei den Menschen: in verwirrten Augen,
Die wie vom Weine trunken sind, in bleichen
Und müden Wangen, in gedehnten Brüsten,
Im Fleische, das vor Frühling blüht, und dann
Im Gang, der nicht mehr aufrecht ist wie sonst.
(S. 28)
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Frühling
Kalidasa (5. Jh.)
Die Frauen, deren Wollust nun erwacht,
Umspannen sehnend ihre schweren Hüften
Mit goldig-roten seidenen Geweben,
Und ihre schönen Brüste hüllen sie
In Schleier ein von blütenhaftem Gelb.
(S. 29)
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Frühling
Kalidasa (5. Jh.)
Nun liegen Kränze um die schönen Brüste
Der Mädchen, feucht von der Essenz des Sandel,
Und Betel hauchen ihre Lippen, und
Um ihre Hüften funkeln Gürtelbänder, -
So schreiten furchtlos sie dem Liebesgott,
Der lang ersehnten Seligkeit, entgegen.
(S. 30)
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Frühling
Kalidasa (5. Jh.)
Jetzt ist die Zeit, die um die grünen Ränder
Der Teiche bunte Blumen sprießen läßt,
Die blassen jungen Mädchen, schön wie Monde,
Gehen unter Blüten in den Mangohain.
(S. 31)
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Viel lieber
Bhartrihari (7. Jh.)
Viel lieber laß ich mich von einer Schlange,
Von einer länglichen, beweglichen,
Die bläulich schimmert wie die Lotosblumen,
Anblicken, als von eines Weibes Aug,
Das auch so blau erstrahlt: Bin ich gebissen,
So find ich sicher einen Arzt, der gerne
Mich heilen wird; wer aber heilt mich wohl
Vom Liebesblicke einer schönen Frau?
(S. 32)
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So lange ...
Bhartrihari (7. Jh.)
So lange geht ein Mann auf rechtem Pfad,
So lange bleibt er seiner Sinne Herr,
So lange hütet er sein Schamgefühl
Und ist in seinem Wandel sittenrein:
Bis daß der losen Mädchen Augenpfeile
Verwunden seine Brust und ihm die Fassung
Der Seele rauben, - jene Augenpfeile,
Die das Gefieder schwarzer Wimpern tragen
Und von den Bogen holder Brauen schwirren.
(S. 33)
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Die Siegerinnen
Bhartrihari (7. Jh.)
Durch Lächeln und den Ausdruck ihres Stolzes,
Durch holde Scham und Furcht und halbe Blicke,
Durch Blicke, die beiseit gerichtet sind,
Durch Worte, Scherz und eifersüchtiges Zanken:
Durch alles fesseln Frauen unser Herz.
(S. 34)
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Hindernisse
Bhartrihari (7. Jh.)
Der Pfad durch dieses Leben wär nicht weit,
Wenn nicht die großen, hinderlichen Ströme
Dazwischenlägen, die sich Weiber nennen:
Darüberhinzukommen, das ist schwer!
(S. 35)
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Die Unergründlichen
Bhartrihari (7. Jh.)
Sie plaudern mit dem einen, einem Zweiten
Werfen sie buhlerische Blicke zu,
Ihre Gedanken weilen bei dem Dritten,
Deß Bild in ihren wankelvollen Herzen
Errichtet ist. Wer wirklich der Geliebte
Der Frauen ist, - wem wäre das wohl klar?
(S. 36)
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Glückseligkeit
Bhartrihari (7. Jh.)
Glückselig der, welcher den Honig trinkt
Vom Lippenpaar einer geliebten Frau,
Die über seine Brust gebreitet liegt,
Mit wirren und herabgesunknen Haaren,
Mit Augen, welche müd geschlossen sind,
Mit Wangen voller Perlen feinen Schweißes,
Erzeugt von dem erregten Liebesspiel.
(S. 37)
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Im Wind
Bhartrihari (7. Jh.)
Zur kühlen Zeit des Jahres wehen Winde,
Die sich den Mädchen wie verliebte Buhlen
Zu nahen wissen: sie verwirren ihnen
Die Locken, machen ihre Lippen beben
Und küssen ihre Wangen heiß und rot,
Sie reißen vor der Brust das Mieder auf,
Ein Rieseln überkommt die feine Haut
Des vollen Busens, und die Schenkel zittern,
Und um die Hüften lockert sich der Schurz.
(S. 38)
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Liebe
Bhartrihari (7. Jh.)
Ein Hund, der mager ist, einäugig, lahm,
Am Schwanz verstümmelt, räudig, ohrenlos,
Von Eiter feucht, mit Hunderten von Würmern
Bedeckt, durch Hunger ausgemergelt, alt,
Geplagt durch eine Scherbe, die im Hals
Ihm stecken blieb: ein solcher Hund noch läuft
Der Hündin nach. Auf einen fast schon Toten
Schlägt noch der ewige Gott der Liebe los.
(S. 39)
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Regen
Bhartrihari (7. Jh.)
Der Regen gießt herab: der Jüngling kann
Die Wohnung seines Mädchens nicht verlassen, -
Da drückt sie den Geliebten fest ans Herz,
Vor Kälte zitternd. Und ein Wind hebt an
Und schüttelt kühle Wassertropfen auf
Die beiden aus und sänftigt die Ermattung,
Die nach dem Spiel der Liebe sie umfing.
So wird den Glücklichen und froh Vereinten
Ein Regentag zum schönsten Sonnentag.
(S. 40)
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Vom Wesen der Frauen
Bhartrihari (7. Jh.)
Das Herz der Frauen ist so wenig faßbar
Wie ein Gesicht im Spiegel. Ganz uneben,
Gleich einem schmalen Pfade im Gebirg,
Ist ihre Art, die nie ergründet wurde.
Ihr Sinn ist haltlos wie ein Wassertropfen
Am Blütenblatte einer Wasserrose.
Mit allen Fehlern wuchs das Weib heran,
So wie das Schlinggewächs mit seinen Giften
Üppig heranwächst. (S. 41)
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Die wenigen
Bhartrihari (7. Jh.)
Die Erde ist nicht reich geschmückt mit solchen,
Die unfreundlicher Rede sich enthalten,
Die an dem eignen Weib Genüge finden
Und es vermeiden andere zu tadeln.
(S. 42)
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Glück
Bhartrihari (7. Jh.)
Glückselig ist, wer müde vom Genuß
Des Liebesspieles, an dem duftenden,
Safrangesalbten, hochgewölbten Busen
Seiner Geliebten sich gebettet hat
Und so, von ihren Armen eingeschlossen,
Besiegt vom holden Schlaf, die Nacht verbringt.
(S. 43)
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Im Sommer
Bhartrihari (7. Jh.)
Mädchen mit Augen, wie die Rehe haben,
Mit Händen, die vom klaren Sandelwasser
Befeuchtet sind, - dann Badehäuser, Blumen,
Mondschein, gelinder Wind, ein kühler Söller:
Das sind die Dinge, die zur Sommerzeit
Den Rausch der Wonne und der Liebe mehren.
(S. 44)
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Unmöglich
Bhartrihari (7. Jh.)
Die weisen Männer lehren uns – auch sie
Mit Worten nur! -, man soll die Liebe meiden.
Wer aber könnte wohl den schlanken Hüften
Der Mädchen mit den hellen Lotosaugen
Entsagen, - jenen Hüften, die mit leisem
Geklirr umschlossen sind von schönen Gürteln,
Daran verlockend rote Perlen glühn?
(S. 45)
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Immer mehr
Bhartrihari (7. Jh.)
Ist sie nicht da, so wünscht man Eines nur:
Daß sie erscheine. Wenn sie dann erschien,
So wünscht man Eines nur: sie zu umarmen.
Und hat man sie umarmt, so wünscht man wieder
Nur Eines: mit ihr selig Eins zu sein.
(S. 46)
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Mond
Amaru (7. Jh.)
Der Mond hat in dem Weine sich gespiegelt.
Du hast, o Reizende, das süße Naß
Mitsamt dem Mondenglanz hinabgeschlürft:
Da hat der Mond, in deines Busens Dunkel
Den Groll gelöscht, der dort erst waltete,
Und wieder heiter strahlt dein Angesicht.
(S. 47)
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Die Furchtsame
Amaru (7. Jh.)
Du hast mit einer klingenden Perlenschnur
Den Busen dir geschmückt. Ein Gürtelband,
Davon das Läuten kleiner Glocken ausgeht,
Schmiegt sich um deine wundervollen Hüften,
Und an den Füßen trägst du einen Zierrat
Von bunten Edelsteinen, welche klirren.
Da du, o Törin, mit so lauten Waffen
Den Angriff auf den Vielgeliebten wagst, -
Warum erbebst du nun vor Furcht so heftig
Und blickst so scheu nach allen Seiten hin?
(S. 48)
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Die Neuvermählte
Amaru (7. Jh.)
Schmiegt sich der junge Gatte an ihr Kleid,
So neigt sie scheu und sittsam das Gesicht;
Will er von ihr umarmt sein, so bewegt sie
Den Körper seitwärts, voller Schüchternheit;
Sie wendet ihre Blicke hilfeflehend
Den Freundinnen entgegen, welche lächeln;
Es möchte bei des Gatten kleinstem Scherze
Die Neuvermählte voller Scham vergehn.
(S. 49)
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Missverständnis
Amaru (7. Jh.)
Meine Geliebte war vom Wein berauscht.
Da sie nun jenes kleine Mal entdeckte,
Das sie mir selber mit dem Fingernagel
Verursacht hatte, brach sie eiligst auf,
Von Eifersucht gequält; ich hielt sie noch
An ihres Kleides Saum zurück, - doch sie
Entgegnete, zurückgewandten Hauptes,
Indessen Tränen ihrem Aug entströmten
Und ihre Lippen zitterten vor Gram:
"O laß mich, laß mich!", - Worte, so verzweifelt,
Daß niemand sie vergißt, der sie vernahm.
(S. 50)
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Die Einsame
Amaru (7. Jh.)
Schlank liegt sie da, mit feinen, müden Gliedern,
Indeß der Gatte fern auf Reisen weilt.
Da hebt um Mitternacht ein Donnern an,
Und Blitze zucken, - und die Holde gleitet
Vom Lager nieder, ihre Freundinnen
Umarmen sie beschwichtigend, sie aber
Weint ohne Unterlaß und voll Verlangen,
Und während heiß die Tränen niederstürzen
Auf ihren schönen Busen, lallt sie Worte
Der Liebe und der Sehnsucht, fassungslos.
(S. 51)
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Bitte
Amaru (7. Jh.)
Dein Liebster sitzt geneigten Hauptes draußen
Und zeichnet in den Sand, von Kummer schwer,
Sieh, deine Freundinnen, die keine Nahrung
Mehr zu sich nehmen, haben trübe Augen,
Verschwollen von dem allzu vielen Weinen;
Die Papageien haben ihr Gelächter
Und ihrer Worte Heiterkeit verlernt,
Dein eigner Zustand ist erbarmungswürdig, -
Mach doch ein Ende diesem dumpfen Jammer,
Gib, Schreckliche, dein Zürnen endlich auf!
(S. 52)
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Stilles Leiden
Amaru (7. Jh.)
"Woher, Geliebte, diese Magerkeit
Und dieses Zittern deiner jungen Glieder?
Woher die bleichen Wangen, sag mir doch,
Du Törichte?" – Auf ihres Gatten Fragen
Erwiderte die Schlanke: "Alles dies
Kam so von Ungefähr ..." Dann ging sie still
Beiseite, und sie seufzte tief, und Tränen
Entstürzten unaufhaltsam ihrem Aug.
(S. 53)
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Zu gleicher Zeit
Amaru (7. Jh.)
"O Freundin! Da die Liebe meines Liebsten
So launenhaft und unbeständig ist,
Kehr ich mich ab von ihm. Der Liebesgott
Mag mir das Herz zerbrechen, - mit dem Freunde
Hat meine Seele fürder nichts gemein."
Laut sprach es die Gazellenäugige
Im Übermaße ihres Zorns. Jedoch
Zu gleicher Zeit ließ sie voller banger Unruh
Den Blick auf jenen Weg hinüberschweifen,
Der meistens den Geliebten zu ihr trug.
(S. 54)
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Die Verschmähte
Amaru (7. Jh.)
Sie hatte schüchtern zu ihm aufgesehen;
Dann hatte sie mit flehender Gebärde
Die Hände ihm geboten. Endlich aber
Hat sie an seine Schärpe sich geklammert
Und hat ihn frei und ohne Falsch umarmt.
Er aber, dessen Herz verhärtet war,
Wies alle ihre Liebe kalt zurück
Und ging hinweg. Da hat sie still dem Leben,
Doch ihrer Liebe nimmermehr, entsagt.
(S. 55)
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Der Rat der Freundin
Amaru (7. Jh.)
"Einfältige! Sei doch so selbstlos nicht
Zu dem Geliebten! Sei verschlagnen Sinnes
Und zeige Selbstgefühl und nahe dich
Dem Freunde nicht auf allzu geradem Weg!"
Entsetzen faßte sie, da ihre Freundin
So zu ihr sprach, und sie erwiderte:
"Sprich leise, bitte, der Geliebte wohnt
In meinem Herzen, - o nicht auszudenken,
Wenn er den Frevel deines Rats vernähm!"
(S. 56)
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Die Betrogene
Amaru (7. Jh.)
Sein Hals zeigt deutlich eines Armbands Abdruck,
Um seinen Mund liegt schwarze Augenschminke,
Und an den Augen zeigen Spuren sich
Von Betel. Da des Morgens die Geliebte
Mit den Gazellenaugen solchen Schmuck
Des ungetreuen Freundes staunend wahrnimmt,
Entsteigen tiefe Seufzer ihrer Brust,
Und eine Wasserrose, die zum Spiele
Ihr diente, hält sie ängstlich vor den Mund,
Die Seufzer in der Blüte zu ersticken.
(S. 57)
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Ratlos
Amaru (7. Jh.)
Wenn ich ihn sah, so neigte ich das Antlitz
Und richtete den Blick auf seine Füße;
Die Ohren, die so sehr Verlangen trugen
Nach seiner Rede, schloß ich standhaft zu.
Den feinen Schweiß auf meinen Wangen und
Das Rieseln meiner Haut hab ich bedeckt
Mit diesen Händen. Doch was soll ich nun
Beginnen, da die Nähte meines Mieders
An hundert Stellen auseinanderreißen
Vor meines Herzens ungestümem Schlag?
(S. 58)
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Nächtliche Szene
Amaru (7. Jh.)
Ein junges Weib blickt scheuen Augs umher,
Ob niemand sonst im Schlafgemache weile;
Dann hebt sie sich ein wenig von dem Lager,
Betrachtet zärtlich das Gesicht des Gatten,
Der sich so stellt als ob ihn Schlaf umfange,
Und küßt ihn voller Lust und ohne Scheu.
Da aber merkt sie plötzlich, o Entsetzen,
Am Spiele seiner Mienen, daß er wacht;
Und ganz beschämt neigt sie das Antlitz nieder,
Ihr Liebster aber schließt sie fröhlich lachend
In beide Arme, und er küßt sie lange.
(S. 59)
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Die rücksichtsvollen Freundinnen
Amaru (7. Jh.)
"O wisse, Freundin mit den schönen Augen:
Erst wenn du von dem Mieder dich befreist,
Verwirrt mir deine Anmut ganz das Herz."
So sprach der Freund und legte seine Hand
Leis an die Miederbänder der Geliebten,
In deren Augen ein Frohlocken stieg,
Indeß sie auf dem Rand des Lagers saß.
Da nun die Freundinnen das Glück der beiden
Neidlos erkannten, fanden sie gar schnell
Vorwände, daß sie sich entfernen müßten,
Und sagten Lebewohl und zogen plaudernd
Und lächelnd sich aus dem Gemach zurück.
(S. 60)
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Verkleidung
Amaru (7. Jh.)
Heut in der Abenddämmerung hat mich
Mein Liebster, der ein Schelm ist, hintergangen.
Beleidigt durch ein Wort der Kränkung, hatte
Ich ihn gebeten, mich allein zu lassen.
Er ging, zog die Gewänder meiner Freundin
Sich hurtig an und kehrte dann zurück.
Im Glauben, daß es meine Freundin sei,
Begrüßt ich ihn und flüsterte ihm zu,
Daß es mein Wunsch sei, mit dem Liebsten wieder
Mich zu versöhnen und ihn zu umarmen.
Da sprach er: "Das wird ganz unmöglich sein,
Zu sehr, o Törin, hast du ihn betrübt!" –
Und lachend zog er mich an seine Brust.
(S. 61)
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Glück
Amaru (7. Jh.)
Auf lange leuchte dir das reizende
Gesicht des schlanken Mädchens: Beim Genuß
Der Liebe schweb es vor dir, eingerahmt
Von den in Unordnung geratnen Locken,
Geschmückt mit Ohrgehängen, welche Schwanken,
Und auf der Stirn bedeckt mit feinen Perlen
Wollüstigen Schweißes, und die Augen glänzen
Gar süß ermattet nach dem Liebesspiel ...
So lang dir dieses wird, was brauchst du da
Vischnu und Schiwa und die andern Götter?
(S. 62)
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Veränderung
Amaru (7. Jh.)
Das köstliche Verhältnis unsrer Liebe
Schwand ganz dahin. Ehmals galt uns ein Runzeln
Der Brauen schon als Zorn, Stillschweigen war
Schon Strafe, und ein gegenseitig Lächeln
War schon Versöhnung und ein Blick schon Gunst.
Heut aber liegst du zu meinen Füßen
Und flehst mich an. Jedoch ich Böse lasse
Nicht ab vom Zorn. Wie anders war es einst!
(S. 63)
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Bestechung
Amaru (7. Jh.)
Der Papagei hat nachts den Liebesworten
Des jungvermählten Ehepaars gelauscht.
Nun, da am Morgen die bejahrten Eltern
Der jungen Frau herbeigekommen sind,
Beginnt der Vogel all die kühnen Worte
Der Liebe, die er in der Nacht vernahm,
Mit lautem Plärren in die Luft zu schrein.
Die junge Frau weiß kaum, was sie vor Scham
Beginnen soll. Den Schwätzer zu bestechen,
Reißt flugs sie einen zierlichen Rubin
Aus ihrem Schmuck und steckt ihn in den Schnabel
Des Vogels, in der Hoffnung, dieser nehme
Ihn hin als der Granatfrucht süßen Kern.
(S. 64)
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Aus Eifersucht
Amaru (7. Jh.)
Die Schöne hat mit einer Wasserrose
Den eignen Liebsten in das Angesicht
Geschlagen, da sie voll Entrüstung sah,
Daß eine Andre seine roten Lippen
Zerbissen hatte. Mit geschloßnen Augen
Stand er nun melancholisch da, als hätte
Der Blütenstaub die Augen ihm verletzt.
Da fing die Schöne ängstlich an zu zittern
Und blies ihm zärtlich aus gespitztem Munde
Den Atem in das Antlitz, - aber er
Umarmte sie und zog sie lachend an sich
Und küßte ihren Mund ohn Unterlaß.
(S. 65)
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Verwirrt
Amaru (7. Jh.)
Das Schicksal hat mir über mitgespielt.
Als ich in meiner Liebsten Gegenwart
Den Namen ihrer Nebenbuhlerin,
Ohn daß ich's wollte, ausgesprochen hatte,
Erschrak ich sehr und neigte das Gesicht
Und war verlegen und begann etwas
Mit meinem Stocke in den Sand zu zeichnen.
Und siehe! diese Striche wandelten,
Ich weiß nicht, wie es kam, mit aller Klarheit
Sich in das feine Bildnis jenes Mädchens,
Deß Name meinem Mund entflohen war,
Und ganz beschämt und haltlos stand ich da.
(S. 66)
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Heuchlerin
Amaru (7. Jh.)
Da fragte der Geliebte voll Verdruß
Die Dienerin der Angebeteten,
Warum denn seine schöngeäugte Liebste
So fest mit ihrem Gürtel das Gewand
Geschlossen habe und schon wieder schlafe.
Und die Geliebte hörte diese Worte
Und sprach, wie ärgerlich: "Er läßt mir auch
Im Schlafe keine Ruhe mehr, o Mutter!"
Dann drehte sie sich seitwärts, so als wollte
Sie ruhen, - und auf diese Weise machte
Dem Freunde sie in ihrem Arme Platz.
(S. 67)
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Der Sehnsüchtige
Amaru (7. Jh.)
Zwar weiß der Wanderer, daß die Geliebte
Sehr ferne weilt, wohl hinter hundert Flüssen
Und hinter Wäldern und gewaltigen Bergen,
Und daß es ganz unmöglich ist, ihr Bildnis
Zu schauen, - aber dennoch reckt er sich
Verlangend in die Höhe, er berührt
Mit halben Füßen flüchtig nur die Erde,
Und seine Augen, die von Tränen schimmern,
Läßt er begierig in die Gegend schweifen,
Wo sie verblieb, - und so verharrt er lange,
Tief in Gedanken und vor Sehnsucht heiß.
(S. 68)
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Erste Liebe
Amaru (7. Jh.)
Wer ist der Glückliche, o schönes Mädchen,
Den du mit liebeüberströmendem,
Verräterischem Blick betrachtest? Bald
Siehst du ihn an, dann schließest du die Augen,
Dann lugst du wieder scheu zu ihm hinüber,
Dann blickst du schamvoll hin und her und wendest
Auf eine Weile ganz dich ab, - und alles
Verrät, daß durch dein junges Herz die wirren
Empfindungen der ersten Liebe ziehn.
(S. 69)
_____
Die Harrende
Amaru (7. Jh.)
Ihr Gatte ist auf Reisen. Unermüdlich,
So weit ihr banges Auge tragen will,
Späht sie den Weg hinab, auf dem der Liebste
Heimkehren soll. Da nun der Tag sich neigt
Und sie die Pfade in der Finsternis
Nicht mehr erkennt, wird sie des Harrens müde
Und wendet ihre Schritte trüben Sinnes
Dem Hause zu; da aber meint sie plötzlich:
"In diesem Augenblick naht er sicher" –
Und wendet schnell den Kopf, - schaut wieder hin.
(S. 70)
_____
Sein Schicksal
Amaru (7. Jh.)
Seht diese mit den langgestreckten Augen
Und mit der festen, schöngewölbten Brust,
Seht wie sie schreitet, sich im edeln Schwunge
Der Hüften wiegend, langsam und mit Stolz:
Ich liebe sie – und sterbe einst an ihr.
(S. 71)
_____
Schelmisches Spiel
Amaru (7. Jh.)
Ein Schelm, der seine beiden Freundinnen
Plaudernd auf einer Bank beisammen sieht,
Schleicht sich von hinten voller List heran
Und hält der Einen beide Augen zu;
Und während er so tut, als wolle er
Ein Spiel mit ihr beginnen, neigt er sich,
Indeß die Haut ihm rieselnd überläuft,
Der Andern zu und küßt sie auf die Lippen,
Und sie erschauert, und ihr Angesicht
Leuchtet vor unterdrücktem Lachen auf.
(S. 72)
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Befürchtung
Amaru (7. Jh.)
Auf gleicher Lagerstätte ruhen sich
Zwei Liebende. Während des Plauderns nennt
Er unbedacht den ihr verhaßten Namen
Der Nebenbuhlerin. Da wendet sie
Dem Freund geärgert ihren Rücken. Er
Sucht sie durch gütige Worte zu versöhnen,
Doch weist sie ihn mit stummem Groll zurück.
Dann aber, da er schweigend sich zur Seite
Hinkehrt, der vielen Worte überdrüssig,
Richtet sie schnell den Hals empor und schaut ihm
Ins Angesicht: es überkommt sie Angst,
Er möchte schon zum Schlaf entschlossen sein.
(S. 73)
_____
Versöhnung
Amaru (7. Jh.)
Mit schmollend abgewendetem Gesicht
Ruhn Er und Sie auf gleicher Lagerstätte.
Sie wechseln nicht ein Wörtlein miteinander, -
Sie sind verstimmt. Obwohl in ihren Herzen
Die Liebe wohnt, tun sie doch voller Stolz
Gekränkt. Allmählich aber, ganz allmählich
Kehren die Blicke sie einander zu,
Und da sie sich nun treffen, flieht der Groll
Mit Hast hinweg. Sie lachen und umarmen
Einander selig, voller Leidenschaft!
(S. 74)
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Brandstifterin
Aus dem Pantschatantra
Man pflegt das Haus, darin man wohnt, voll Sorge
Und Obacht zu behüten. Du, Geliebte,
Bewohnst mein Herz: Anstatt es zu behüten,
Steckst du es frevelnd lichterloh in Brand, -
Weh dir, o reizende Verbrecherin! (S.
80)
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Letzter Wunsch
Aus dem Kavjadarscha
Geh, o Geliebter, wenn ich länger dich
Nicht halten kann. Und Glück auf deine Reise!
Was mich betrifft, so habe ich, die jetzt
Aus Gram dahinstirbt, nur noch einen Wunsch:
Dort wieder zu erwachen, wo der Wille
Der Götter dich in Zukunft atmen läßt.
(S. 81)
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Zeichensprache
Aus dem Kavjadarscha
Da nun das Mädchen sah, daß der Geliebte
In Gegenwart der vielen Menschen nicht
Imstand war sie zu fragen, wann sie beide
Sich wiedersehen würden, schloß sie schweigend
Die Wasserrose, die als Spielzeug sie
In Händen hielt, mit ihren Fingern zu,
Wodurch sie ihm erklärte, daß sie sich
Beim Untergang der Sonne, wenn die Blumen
Des Wassers sich verschließen, sehen könnten.
(S. 82)
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Verzweifelt
Aus dem Kavjadarscha
Als der Geliebte schonend nun begann
Ihr mitzuteilen, daß er eine Reise
Antreten wolle, - fiel sie jäh in Ohnmacht.
Da sie aus der Betäubung dann erwachte,
Sprach sie zu ihm mit selig heiterm Blick:
"Bist du schon lang zurück, o mein Geliebter?"
(S. 83)
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Zu gleicher Zeit
Aus dem Kavjadarscha
Drei Dinge sind zu gleicher Zeit geschehen:
Du stecktest eine blaue Wasserrose
Dir hinters Ohr; der Gott der Liebe schoß
Den schärfsten seiner Pfeile auf mich ab;
Und in mir regte, düster wie noch nie,
Sich der Gedanke, daß ich sterben müsse.
(S. 84)
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Die Besiegerin
Aus dem Kavjadarscha
Dein Haar ist schwarz, gleich einem Schwarm von Bienen,
Die Blässe deines Angesichts weckt
Die Eifersucht der Wasserrosen auf.
Du hast die Macht, die sonst der Göttin nur
Der Schönheit wurde: du beherrscht uns so,
Daß man uns für verrückt und toll erklärt.
(S. 85)
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Gleichnis
Aus dem Schringaratilaka
Dies Mädchen ist ein Jäger: ihrer Augen
Gewölbte Brauen dienen ihr als Bogen,
Die Blicke ihrer Augen sind die Pfeile,
Und die Gazelle, die sie jagt: mein Herz.
(S. 86)
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Ursache
Aus dem Taramgini
Weil bei den Frauen innerhalb des Herzens
Kein Platz ist für das Edle: darum hat
Der Schöpfer ihnen außerhalb des Herzens
Der runden Brüste edeln Schmuck verliehn.
(S. 87)
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Die Verlassene
Aus dem Sahitja Darpana
Du hieltest mich umfangen. Plötzlich aber
Vernahmest du das Klirren der Juwelen,
Die eine andere am Gürtel trug.
Da, o Verräter, lösten deine Arme
Sich ab von meinem Hals ...
Wem künde ich
Nun meinen Jammer, da selbst meine Freundin
So trunken ist von deiner süßen Rede,
Daß sie auf nichts mehr achtet, was ich sage?
(S. 91)
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Vor der Abreise
Aus dem Sahitja Darpana
"Nun werde ich verreisen, liebe Freundin."
"So reise, Freund." "Gib dich nicht allzu sehr
Der Trauer hin, Geliebte." "Warum sollte
Ich trauern, Freund, wenn du auf Reisen gehst?"
"Wie kommt es dann, daß deine Tränen fließen?"
"Weil du nicht schnell genug von dannen eilst."
"Woher denn diese Hast, mich fortzuschicken?"
"Weil es mich drängt, das Leben fortzuwerfen,
Sobald du deine Schritte von mir lenkst."
(S. 92)
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Trostlos
Aus dem Sahitja Darpana
Die blaue Wasserrose, deren Glanz
Dem Funkeln deiner großen Augen gleicht,
Ist in die Flut hinabgetaucht; der Mond,
Der, o Geliebte, wie dein Antlitz strahlt,
Ist von dem Zug der Wolken ganz verhüllt,
Und die Flamingo, deren Gang mich an
Das Schreiten deiner schlanken Schenkel mahnt,
Entflogen weit. Nicht einmal dieses gönnt
Das Schicksal mir: daß sich mein Aug ergötze
An dem, was deiner Schönheit ähnlich sieht.
(S. 93)
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Verräterisch
Aus dem Sahitja Darpana
Die Teile deines Körpers, welche Spuren
Von deiner Freundin Fingernägeln tragen,
Verbirgst du mit dem Kleide. Deine Lippen,
Die deine Freundin arg zerbissen hat,
Verhüllst du immer wieder mit der Hand.
Womit jedoch willst du die Wohlgerüche
Verbergen, die so üppig um dich fließen
Und die verraten, daß du noch soeben
Im Arme deiner Freundin selig warst?
(S. 94)
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In Betrübnis
Aus dem Sahitja Darpana
Obwohl ich schuldig bin, ich Schrecklicher,
Spricht die Geliebte doch kein hartes Wort
Zu mir und runzelt ihre Brauen nicht
Und wirft den Blumenschmuck nicht auf die Erde,
Nur ihre tränenvollen Augen wendet
Sie auf die liebe Freundin, welche draußen
Am Fenster unsres Schlafgemaches steht.
Nur ihre Freundin sieht sie traurig an.
(S. 95)
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Frauen und Blutegel
Unbekannter Herkunft
Es haben Menschen von geringer Einsicht
Die Frauen wohl mit Blutegeln verglichen.
Wer nur ein wenig nachzudenken weiß,
Merkt, welch ein Abgrund zwischen beiden klafft.
Die Blutegel entziehen nichts als Blut
Den Menschen, - doch ein Weib nimmt Alles fort:
Verstand, Vermögen, Kraft und Glück und Alles.
(S. 96)
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Zwiegespräch
Aus dem Scharngadhara Paddhati
"Gedenke meiner, o Geliebte du."
"Ich werde deiner nicht gedenken, Freund."
"Pflicht deines Herzens ist es, zu gedenken."
"Du hast mir ja mein Herz geraubt, o Freund."
(S. 98)
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Gewitter
Aus dem Mrikkhakatika
Erdröhne, Donner! Regen, stürze nieder!
Ihr Blitze, zittert ohne Unterlaß
Durch die erregte Luft: Ihr werdet dennoch
Die Mädchen, die zu ihren Liebsten eilen,
Nicht hindern den gewohnten Weg zu tun.
(S. 100)
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Aufforderung
Aus dem Ratnavali
Dein Antlitz ist wie Mondschein, deine Augen
Sind blauerblühten Wasserlilien gleich,
Wie Pisang-Bäume ragen deine Schenkel,
Wie Lotosblüten schimmern deine Hände,
Und deine Arme sind lianen-zart:
Komm, da dein Körper so in Wonne
Erstrahlt, und nimm mich fest an deinen Busen
Und kühle meiner Glieder Liebesglut!
(S. 101)
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Windsbräute
Aus dem Kathasaritsagara
Windsbräuten sind die Frauen zu vergleichen:
Sie sind gleich jenen unstät, angefüllt
Mit Leidenschaft, und fügen Wanderern,
Die still in Frieden ihres Weges ziehn,
Nun Unheil zu. (S. 102)
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Einst und Jetzt
Aus dem Vikramakarita
Dereinst, Geliebte, als du meine Wünsche
Noch nicht erfülltest, strich so langsam mir
Die Nacht dahin, als ob sie endlos sei.
Wie selig würd ich sein, wenn sie auch jetzt
So langsam mir verginge, da du nun
Mein Lager teilst, o reizende Geliebte.
(S. 103)
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Sehnsucht
Aus dem Schringararasaschtaka
Wann wird die Zeit sein, da ich ganze Tage
Wie einen Augenblick verbringen werde,
Im Zimmer der Geliebten, hingestreckt
Auf einem Lager düfteschwerer Blumen,
Indessen die Geliebte über mir
Gebreitet liegt mit ihres Busens Schönheit,
Ich aber rufe: Süße, Mondlichtschöne
Mit den gewölbten Brauen, holdes Wesen,
Sei du mir gnädig! – ach, wann wird das sein?
(S. 104)
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Frühlingshymne
Aus dem Gitagovinda
Heil dir, o Frühling, der du strahlend eingehst
In alle Formen! Machtlos weicht die Schlange
Vor deinem Fuß zurück. Mit Blütenkränzen
Umschmückst du deine Glieder. Hingedehnt
An die von Fruchtbarkeit gestrafften Brüste
Der Erde, schleuderst du den Riesen-Diskus
Der Sonne hoch zum Himmelszelt hinan, -
Dann wieder schwebst als frische Wolke du
Weit über dem Gebirge, das sich dir
Entgegenhebt, wie eine steigende Lerche.
Als Wasser sinkst du nieder, in den Blättern
Keimst du empor. Als Sonne gießest du
Lichtstrahlen über alle Sorgen aus,
Daß sie entschwinden. Wie ein Schwan ziehst du
Auf dem azurenen See des Himmels ein,
Du Glück der Menschen und du Lust der Götter,
Du Heiligstes der Welt, gepriesner Frühling!
(S.105)
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Geleitwort (von Hans Bethge):
Die Dichtung der Inder wird überragend repräsentiert durch die alten
großen religiös-philosophischen Werke, deren Verfasser tief im Dunkel
früher Zeit stehen. Die Lyrik ist zunächst nur ein Rankenwerk, das hier
und dort aus den großen Werken emporblüht. Erst später, zur Zeit der
nachchristlichen Kunstpoesie, die durch berühmte Namen wie Kalidasa,
Bhartrihari, Amaru vertreten wird, hat sie sich zu einem selbstständigen
Kunstzweig von sehr apartem und holdem Wuchse entwickelt. Diese klassische
Blüte der indischen Lyrik und der indischen Kunstdichtung überhaupt fällt
in die Zeit zwischen dem vierten und siebenten Jahrhundert. In ihr
herrscht eine völlig weltliche Atmosphäre, im Gegensatz zu der
philosophisch-geistlichen Luft der vorchristlichen Epen. Die indische
Lyrik ist Liebeslyrik, heiß, dabei voll Anmut, farbenschillernd,
leidenschaftlich, von einer nie versiegenden Sinnenfreude. Sie ist der
künstlerische Ausdruck einer immer mehr zunehmenden Verweltlichung
indischen Lebens und Denkens, die wieder eine sehr natürliche Reaktion auf
die Zeiten der großen religiösen Bewegungen war.
Kalidasa, der gefeiertste unter den Dichtern Indiens, lebte im
fünften oder sechsten Jahrhundert, sein Leben verliert sich ganz in der
Legende. Er soll durch die Hand einer Frau ermordet worden sein. Die Inder
haben kaum etwas Tatsächliches aus dem Leben ihrer großen Dichter in der
Erinnerung bewahrt, und es ist bezeichnend, daß die Phantasie, mit der sie
nachträglich jene verrauschten Lebensläufe ausgeschmückt haben, zumeist
aus erotischen Vorstellungen erblüht. Es sind fast immer Liebesabenteuer,
die der Volksmund aus dem Leben der großen Dichter legendarisch berichtet.
Von Kalidasa, dem Liebessänger, erzählt man folgendes. Der König hatte die
erste Hälfte einer Strophe gedichtet und dem eine hohe Belohnung
versprochen, der sie am besten zu ergänzen verstünde:
Aus einer Blum' ist eine zweite Blume
Ersprossen; wem ist kund, wie das geschieht?
Kalidasa fügte hinzu:
Aus deines Antlitz' weißem Lotos, Schönste,
Der Augen dunkles Lotospaar erblüht.
Er kritzelte diese Verse im Zimmer seiner Geliebten an die Wand. Diese
ermordete ihren Freund, um sich der Verse zu bemächtigen und sie dem König
darzubieten. - Kalidasa ist Indiens größter Dramatiker, seine schönsten
lyrischen Strophen finden sich in dem Gedicht "Die Jahreszeiten" (Ritusamhara),
- von dem freilich nicht einmal mit Sicherheit feststeht, daß es Kalidasa
zum Autor hat: die meisten Datierungen und Zuschreibungen der indischen
Literaturgeschichte sind ziemlich ungewiß.
Auch von Bhartrihari, der vermutlich im siebenten Jahrhundert
lebte, erzählt man eine charakteristische Legende. Es heißt, daß er
zwischen Weltlust und stiller Frömmigkeit fortwährend hin und her
getaumelt sei: Siebenmal soll er Mönch geworden und siebenmal zu den
Freuden der Welt zurückgekehrt sein. So oft er im Kloster lebte, ließ er
draußen einen Wagen warten, der immer bereit war, ihn den irdischen
Freuden wieder zuzuführen, wenn ihn das Verlangen danach überwältigte. Es
gibt kaum ein treffenderes Symbol für das Sinnlich-Übersinnliche in
Bhartriharis Kunst als dieser fortwährend vor dem Kloster wartende Wagen.
Drei Zenturien sind von dem Dichter erhalten: hundert Strophen der Liebe,
hundert der Weltweisheit und hundert der Weltentsagung. Seine schönsten
Verse hat er der Liebe und der Entsagung geweiht, dieser schwache, weiche,
ewig schwankende Inder.
Amaru ist der konsequenteste Dichter der Liebe, er hat überhaupt
nichts anderes besungen, als sie. In seiner berühmten Sammlung der hundert
Liebesstrophen ergeht er sich in immer neuen Variationen über das
unerschöpfliche Thema Weib. Seine Phantasie ist voll entzückender
Situationen der Liebe, die anschaulich, voll zarter Abtönungen, mit der
Kunst prägnant umreißender Zeichnung, wiedergegeben werden. Man wird
mitunter an die kurzen, wie kleine Plastiken in der Erinnerung
verbleibenden Liebesgedichte der griechischen Anthologie gemahnt. Die
Legende erzählt, wieso Amaru zu dieser intimen Kenntnis der Liebe und des
Wesens der Frauen gelangt ist. Er wurde hundertmal als Weib geboren, ehe
er als Dichter auf die Erde kam. Als Dichter hat er dann in jeder seiner
hundert Liebesstrophen eine Erinnerung aus seinem verklungenen hundert
Frauenleben mit überlegener Erfahrung dargeboten.
Die Lyrik der Inder ist niemals Ich-Lyrik, die Dichter sprechen, in einem
verfeinerten künstlerischen Schamgefühl, nie von sich selbst, sie lösen
vielmehr ihre Empfindungen von sich los, kleiden sie in Situationen und
lassen so ihren Schmerz und ihre Lust scheinbar einen andern erleben.
Diese Kunst objektiviert also, sie zeichnet, beschreibt, gibt immer
Darstellung. Sie scheint unpersönlich und ist es nicht. Denn diese
Objektivierung ist nur ein Kunstgriff, durch den der Dichter in die Lage
versetzt ist, nun kühner und restloser auszusprechen, was ihn erfüllt; es
trifft ihn jetzt keine Verantwortung mehr, denn er spricht ja von der
Leidenschaft oder dem Erleben eines andern. In Wirklichkeit freilich
pocht, wie könnte es anders sein, in jeder Strophe das sehr persönliche
Herzblut ihres Dichters.
In dieser Lyrik weht nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich eine
tropische Luft, man ist gleichsam umschmeichelt von einem lauen Bad, die
Glieder lösen sich, der Wille dämmert ein. Es herrscht eine wie von Gold
und Sandelduft umflossene, ganz unverschleierte Sinnlichkeit, eine
glühende Pracht exotischer Farben. Diese Kunst ist reich an geistvollen
Spielen mit Worten und Gedanken, eine blühende Ornamentik der Form ist ihr
zu eigen, schwelgerische Phantasie, weiche Üppigkeit und oft ein
unwiderstehlicher, die Seele wie ein Liebesrausch erregender Zauber. Es
ist die Dichtung eines sinnlich verfeinerten, doch im Grunde seines Wesens
unmännlichen Volkes. Nirgends trifft man auf die untergründigen Klänge
menschlichen Jammers, nirgends auf das tragische Ringen verzweifelnder
Seelen. Kein Inder ist bis in die letzten tragischen Schächte der
menschlichen Brust hinabgestiegen, - dieses Wandern in die schmerzlichen
und zerrütteten Tiefen des Gefühls blieb auch den besten Vertretern dieses
sinnlich-heiteren Volkes versagt.
Die Verse des vorliegende Buches gehen zum größten Teil auf die deutschen
Prosatexte zurück, die Otto Böhtlingk in seinem dreibändigen Werk
Indische Sprüche zugleich mit den entsprechenden
Sanscrit-Texten dargeboten hat. Das Böhtlingksche Werk wurde herausgegeben
von der ehemals kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St.
Petersburg, mir lag in den Jahren 1870-73 erschienene zweite Auflage vor.
Hans Bethge
Aus: Hans Bethge Die
indische Harfe
Nachdichtungen indischer Lyrik
Im Verlag Morawe & Scheffelt Berlin 1920
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