Geliebte, wenn ich dich entzückt betrachte . . .

Orientalische und fernöstliche Liebesdichtung
in Nachdichtungen von Hans Bethge (1876-1946)
 


Robert Delaunay (1885-1941)
Fenêtre (Fenster) 1912
 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf




Der persische Rosengarten
Persische Liebeslyrik



Wunsch
Umara (10. Jh.)

Dies ist mein Wunsch: in meine kleinen Lieder
Mich völlig zu verbergen. So, Geliebte,
Dürft' ich beseligt deine Lippen küssen,
So oft du meine kleinen Lieder singst.
(S. 6)
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An ein schönes Christenmädchen
Abu-Salich (10. Jh.)

Du bist zwar Ketzerblut, und höllisch ist
Dein Glaube, - aber himmlisch strebt dein Wuchs,
Und deines Auges Glanz entstammt dem Reh.

Wie Tulpen deine Wangen! Deine Lippen
Hat wohl ein Maler aus dem fernen China
Mit lieblichem Zinnober angetuscht.

Ein Hügelchen aus wundervoller Seide
Der Rücken deiner Nase! Wie ein Knoten,
In zarten Seidenfaden eingeknüpft.

Dein Haupt das Paradies; auf deinen Lenden
Der Frühling; und dazwischen ragt verwirrend
Das silberne Bergland deines Busens auf . . .
(S. 9)
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Rosen
Abu-Yschak (10. Jh.)

Nichts Holderes gibt es in dieser Welt
Als Rosen. Ihre Märchenschönheit brachte
Den Duft des Himmels nieder auf die Erde.
Törichter Rosenhändler, sag mir doch,
Warum verkaufst du deine edeln Blüten?
Damit du Geld verdienst? Was willst du denn,
Du Tor, mit dem verdienten Gelde kaufen,
Da es nichts Holderes als Rosen gibt?
(S. 10)
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Ein Beispiel ihrer Güte
Firdausi (940-1020)

Damit ich endlich auch einmal erführe,
Wie Gunst und Gnade meiner Liebsten tut,
Gab gestern mir ein Beispiel ihrer Güte
Die Liebliche. Sie sprach mich aller Sünden
Und Fehler frei, dann nahm sie meine Hand
Die Hand des demutvollsten ihrer Sklaven,
Und legte sie um ihren Hals, o Wunder,
Und lächelte mich an, daß ich erbebte.
(S. 14)
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Liebesnacht
Abu-Said (978-1062)

In der verflossenen Nacht lag meine Freundin
In meinen Armen, weiß und aufgelöst.
Zahllos die Küsse, die sie mir gewährte,
Zahllos die Bitten, die ich in ihr Ohr
Verwegen flüsterte. Dann kam der Morgen,
Erbarmungslos, zu früh für unser Glück.
Nicht daß die Nacht zu kurz gewesen wäre, -
Doch viel zu lang, weil gar nicht auszuschöpfen,
War das Geständnis unsrer Liebesglut!
(S. 17)
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Vorausbestimmung
Abu-Said (978-1062)

Bevor die Gottheit noch das schimmernde
Kristall des Firmaments errichtet hatte,
Als du und ich noch schlummerten im Nichts, -
Schon damals waren unsre beiden Namen
Verbunden durch die Gottheit, wunderbar.

Eh noch die Sterne waren und der Mond,
Eh Wasser war und Feuer und die Erde,
Eh deine Stimme war und dein Gedanke,
Schon damals war durch Gott vorausbestimmt
Das Schicksal unsrer Liebe, wunderbar.
(S. 18)
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Dereinst
Abu-Said (978-1062)

An jenem heiß ersehnten Tag, der uns
Dereinst vereint, werd ich den holden Engeln
Im Paradiese zu vergleichen sein.

Ruft man mich einst allein ins Paradies,
So wird mein Herz erkranken, denn es fehlt ja
Ein Teil von ihm: sein allerbestes Teil.
(S. 19)
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Liebestrunken
Emir Moasi (11. Jh.)

War ich vom Wein nicht schon betört genug?
Nun haben deine liebestrunknen Augen
Mich so berauscht, daß ich mich kaum noch kenne.

Ich werde Tag und Nacht von deinen Augen
Verfolgt; ich schmachte schlaflos auf dem Lager,
Ich winde mich, ich weiß nicht was ich tu.

Ich stöhne, meine Lippen glühn wie Feuer,
Mein Hirn ist wirr, mein Herz schlägt zum zerspringen,
Aus meinen Augen strömt es schwer wie Blut.

Ich fühl es wohl: ich bin nicht mehr ich selber,
Mein ganzes Wesen ist dir preisgegeben,
Die Glut verzehrt mich, ich bin willenlos.

So laß mein Dasein denn in dir verlodern!
Wie gern verzicht ich auf mein eignes Wesen,
Um aufzugehn in deinem Strahlenglanz!
(S. 20)
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Liebeslied
Enweri (gest. 1152)

Ich trage dieses Dasein länger nicht,
Getrennt von dir. Weh, Tag und Nächte rinnen
Wie Blei, ich zähle jeden Stundenschlag.

Statt Tränen fließt ein heißer Strom von Blut
Aus meinen Augen. Meines Herzens Garten
Ist ganz verwüstet durch der Sehnsucht Qual.

In heiterer Gesellschaft trinkst du lachend
Aus vollen Bechern süßen Wein. Ich gieße
Den bittern Trank des Kummers in mein Herz.

Als höchste Gnade wünsch ich mir vom Himmel:
Mir Armen sei gestattet zu entrinnen
Der fürchterlichen Sehnsucht, die mich tötet!
(S. 21)
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Der Beglückte
Unbekannter Dichter

Das süße Wort, das deinem Mund entrann,
Bewahr ich wie ein Kleinod, Sulamith,
Du nanntest "Liebster!" mich zum erstenmal.

Nun leuchten alle Rosen, Nachtigallen
Frohlocken in den Büschen, alle Wiesen
Sind blütenbunt - und doch ist Winterszeit.

Wie ist mir denn? Mir ist als ob ich schwebe,
Ein Schmetterling, in übermütigem Taumel,
Durch Sonnenglanz und unerhörten Duft.

Die persische Welt ist Paradies geworden,
Die schönste Peri meines Paradieses,
Sanft schimmernd wie der Mond, ist Sulamith.

Das süße Wort, das deinem Mund entrann,
Bewahr ich wie ein Kleinod, Sulamith,
Du nanntest "Liebster!" mich zum erstenmal.
(S. 25)
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Nachtigall und Schmetterling
Unbekannter Dichter

Du prahlst mit deiner Liebe, Nachtigall,
Wenn du die Qualen, die dein Herz zerreißen,
Als schluchzende Lieder in die Nächte schickst.

Lerne vom Schmetterling, o Nachtigall,
Die tiefste Liebe! Er verbrennt zu Tode
An der geliebten Flamme, stumm und still.
(S. 27)
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Bei Nacht
Unbekannter Dichter

In tiefer Nacht lag ich auf heißem Pfühl.
Mein Herz schlug laut nach dir. Da leuchtete
Ein Stern durchs Dunkel, märchenhaft, und schwand.

Ich weiß, daß du beim Aufglanz unsres Sterns
So klar mich vor dir sahest wie ich dich,
Daß zum zerspringen wild die Brust dir schlug

Und du die Arme sehnend strecktest aus.
(S. 28)
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Was du vermagst
Unbekannter Dichter

Die Nacht lag dumpf und lastend auf der Erde,
Da kam ein Duft von deinem süßen Körper,
So daß der Geist der Frühe hold erwachte,
Mit goldigem Wehen streicht die Morgenluft.

Die Wasser lagen ohne Glanz und Leben,
Da kam ein Wort aus deinem süßen Munde,
Und zauberisch bewegt nun ziehn die Fluten
Und plaudern Worte, seelenvoll und zart . . .
(S. 29)
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Wie die Sonne
Unbekannter Dichter

Wenn du als Weiser leben willst, o Freund,
So folge meinem Ratschlag: trinke, küsse
Und scherze leichten Herzens früh und spät.

Nimm dir ein Beispiel an der Sonne, Freund:
Sie trinkt und küßt vom Morgen bis zum Abend,
Trinkt Blumendüfte, küßt die goldnen Gärten!
(S. 30)
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Bestimmung
Unbekannter Dichter

Auf deiner Stirne steht es klar geschrieben,
Ob du ein Mensch des Paradieses oder
Der Hölle bist. Du änderst nichts daran.

Was du auch anfängst, zweifelnd oder hoffend,
Zwei großen Dingen kannst du nicht entrinnen:
Nicht deinem Tod und deinem Schicksal nicht.

Wenn dir bestimmt ist, glücklich in der Liebe
Zu sein: so werden dich die Schönsten lieben,
Auch wenn du häßlich bist und ohne Geist.

Wenn dir bestimmt ist, von den Frauen nicht
Geliebt zu sein, so hassen sie dich alle,
Selbst wenn du schön bist und von Reichtum strotzest.
(S. 31)
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Paradies und Hölle
Unbekannter Dichter

Um meiner zügellosen Liebe willen,
Die mich für dich beseelt, ich weiß es wohl,
Hält mich die ganze Stadt für einen Narren.

Was kümmert's mich? Wenn deine Schönheit nur
Durch meiner Verse hingeströmte Seele
Verherrlicht wird, so bin ich schon beglückt.

Das Paradies ist nur ein Nachgeschmack
Der Seligkeit, die ich in deinen Armen,
An deines Busens Lilienfeld genieße.

Die Pein der Hölle ist nur Vorgeschmack
Der fürchterlichen Qualen, die ich leide,
Wenn ich getrennt von dir die Straße zieh.
(S. 32)
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Aus "Medschnun und Leila"
Nizami (1137-1200)

Eine Gazelle hatte sich im Fangnetz
Verstrickt, das von dem jungen Jäger Medschnun
Gestellt war. Wunderlieblich war das Tier,
Von seltner Feinheit ragten seine Glieder,
Und seine Augen glänzten voller Süße,
Da es den Kopf erhob. Der Jäger Medschnun
Gewahrt' es staunend, und er lief hinzu,
Gleich wie ein Vater eilt zu seinem Kinde,
Und so verwirrend mahnte die Gazelle
Ihn an die ferne Freundin Leila,
Daß er das schöne Tier beglückt umarmte
Und an sein Herz zog und es zärtlich küßte.

Hurtig verband er seine Wunden, machte
Es aus der Schlinge frei und sprach zu ihm:
"Kehr heimwärts zu den Deinen, liebes Tier,
Du, dessen Blick so hold und zärtlich schimmert,
Wie meiner süßen Freundin Leila.
Sei glücklich! Keine Sorge je verdunkle
Die Schönheit deines Auges. Lebewohl!"
Sanft streichelt er noch einmal die Gazelle
Vom Kopf bis zu den Füßen, küßt noch einmal
Die treuen Augen, - darauf schickt er sie
Zurück in ihrer Freiheit Lustgefild.
(S. 38)
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Mystische Ode
Rumi (1207-1273)

Was bin ich denn? Ich bin die große Sonne
Und auch des Sonnenstäubchens Tanz im Äther,
Ich bin die Morgen- und die Abendröte,
Der Sang des Haines und das Meeresrauschen,
Ich bin der Mast des Schiffes und das Schiff,
Das Steuer und die Hand, die es regiert,
Und auch die Klippe, dran das Fahrzeug scheitert.
Der Vogelsteller, Netz und Vogel bin ich
Zugleich; der Spiegel und das Bild darin;
Der Schall und Widerhall; bin Rausch und Wein,
Der Klang der Flöte und der Mund des Bläsers,
Im Stein der Funke und das Gold im Erz.
Der Trinker bin ich und der Schenke. Kerze
Und Licht der Kerze und der Schmetterling,
Der schwärmend in dem Kerzenlicht vergeht.
Ich bin der Arzt, die Krankheit und der Kranke,
Das Gift und Gegengift, die Rose und
Die Nachtigall, berauscht vom Rosenduft.
Ich bin die Bitterkeit und auch das Süße,
Bin Krieg und Frieden, Sieg und Niederlage,
Bin Mörtel, Kelle und der Riß der Mauer
Und auch der Meister, der den Riß verschließt.
Ich bin der Grundstein und des Hauses First,
Sein Aufbau und allmählicher Verfall,
Der Löwe und die schüchterne Gazelle,
Das Lamm und auch der Wolf und auch der Hirt,
Der alle friedlich eint in seiner Hürde.
Ich bin des Mannes Sang, des Kindes Lallen,
Der Wind der Welt, das Steigen und das Fallen.
(S. 43-44)
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Liebe
Rumi (1207-1273)

Sei nur gerecht: erkenne, daß die Liebe
Das Höchste ist. Weh, alles Unheil kommt
Daher, daß du nicht recht zu lieben weißt.
Es ist nicht gut, daß deine Sinnenlust
Du mit dem Namen "Liebe" hast geschmückt.
Denn zwischen Sinnenlust und Liebe klafft
Ein Unterschied, unüberbrückbar groß.
(S. 45)
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Nur Gott
Rumi (1207-1273)

Daß du zwei Hände dein nennst und zwei Füße
Und auch zwei Augen, um damit zu schauen,
Ist wohl gemacht. Jedoch in deiner Liebe
Ist alle Zweiheit falsch und zu verachten.

Denn nur ein Vorwand ist ja die Geliebte,
Die wahre Liebe gilt dem Herrn allein.
Wenn du ein Wesen lieb hast neben Gott,
So bist du treulos bis zum Grund der Seele.
(S. 46)
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Veränderung
Rumi (1207-1273)

Mein Wesen ist durchglüht von tiefster Liebe
Zu Gott. Sie füllt mein ganzes Innre aus,
So wie das rote Blut die Adern füllt.
Ich bin nicht mehr derselbe, der ich war:
Gott wohnt in mir. Nur noch mein alter Name
Blieb übrig. Alles andre meines Wesens
Gehört der Gottheit jetzt und immerdar.
(S. 48)
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Seelenwanderung
Rumi (1207-1273)

Da ich als Stein einst starb, ward ich zur Pflanze;
Da ich als Pflanze starb, ward ich zum Tier.
Drauf starb als Tier ich, ward erhöht zum Menschen,
Neu wird erhöhen mich mein künftiger Tod.
Was werd ich sein? Gewiß werd ich ein Engel,
Auch Engel bleib ich nicht, mein ewiges Wesen
Ist ewigem Wachstum schicksalhaft verbunden;
So werd ich auch den Engel überwinden,
Etwas zu werden, das kein Blick mehr schaut.
Ich werde Nichts sein, wundervolles Nichts,
Ganz aufgegangen in Unendlichkeit.
So tönt die große Orgel: "Wahrlich! Wahrlich!
Zu Gott einst kehren selig wir nach Haus!"
(S. 49)
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Höchstes Glück
Ibn Jemin (gest. 1344)

Ein gutes Buch, ein Platz unter der Weide
An Baches Rand, ein Krug, gefüllt mit Wein,
Duftendes Brot, das heitere Geplauder,
Mit klugen Freunden und in Schulternähe
Das Haupt der Freundin: schenkt ein Gott mir dies,
So will ich niemand auf der Welt beneiden,
Auch nicht die Seligen im Paradies.
(S. 52)
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Liebestoll
Dschami (1414-1492)

Durch deine Schönheit bin ich so betört,
Daß ich vielleicht noch den Verstand verliere;
Ich hab mich so vergafft in deine Locken,
Daß ganz ich in Verwirrung bin wie sie.

Mich dünkt, von meinem armen Geiste darf ich
Nichts mehr verlangen, er ist ganz zerstört.
Die Kräfte meines Hirns sind hingeschwunden,
Seit ich erglüh in Liebesqual zu dir.

Du sprichst zu mir: "Bekehr dich zur Vernunft,
Laß deine Leidenschaft dich nicht besiegen", -
Wie soll ich etwas tun, wovon ich weiß,
Daß ich's bereue schon in kurzer Zeit?

Ich wandle durch die Gärten hin bei Nacht,
Um meines Herzens Feuerbrand zu kühlen;
Mit meinen Klagen weck ich früh am Morgen
Die kleinen Vögel in den Zweigen auf.

Ich weine so entsetzlich, daß mein Haus,
Aus Lehm gebaut, aufweicht in meinen Tränen;
Es wäre mir willkommen, wenn es völlig
Zu Schutt zusammenbräche eines Tags.

Und wenn du selber zu mir kämst gegangen,
Mit mörderischem Stahl mich umzubringen, -
Das Knirschen deines Dolchs in meinem Fleische
Wär meiner Seele süßer Jubelklang!

Sie kommt! O welche Wonne meiner Augen!
Wie wölbt sich ihre Braue wundersam ...
Nun flammt mein Geist in völliger Verwirrung,
Was ist mir Allah oder Mohammed!
(S. 56-57)
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Sklave
Dschami (1414-1492)

So heiter und voll Glanz ist deine Schönheit,
Daß ich daneben doppelt häßlich scheine,
Nur dieses tröstet mich: daß ich durch dich,
Durch dich so elend und erniedrigt bin.

Was hab ich denn getan, daß du mich so
Verachtest? Mit den andern scherzest du
Und wandelst hin mit ihnen; aber mich
Lässest du einsam stehn in Dunkelheit.

Es war im Traum, in einem Traum des Glücks,
Daß ich dich fest in meinen Armen hielt;
O daß ich auch im Wachen noch einmal
Dies langersehnte Wunder kosten dürfte!

Ich würde mir die Adern willig öffnen
Im Staube vor der Schwelle deines Hauses;
Ich hoffe, daß du selbst mir noch einmal
Befehl gibst, diese blutige Tat zu tun.

Ich fänd es sinnlos, wollt ich aus den Fesseln
Der Liebe mich in öde Freiheit retten, -
Nein, hell und glückerfüllt ist meine Seele,
Da mir das Schicksal ward, dein Knecht zu sein!
(S. 58)
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Schatten
Dschami (1414-1492)

Den Sonnenstrahl beneid ich, o Geliebte,
Der dir zu Füßen liegt, und auch den Schatten,
Der sich in deinem Rücken wohlig dehnt.

Du folterst mich, - und dennoch dank ich dir,
Denn alle Schmerzen, die dein Stolz mir zufügt,
Sind immer noch wie Wohltat meinem Herzen.

Wo du im Sonnenlichte einsam wandelst,
Da wachsen Fichten und Zypressen schlanker,
Sie ahmen deines Schattens Schlankheit nach.

Mir schenkte selbst ein Haus im Paradiese
Kein Glück, wenn nicht der Schatten, o Geliebte,
Deiner Behausung warm darüber läg.
(S. 59)
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Der Trinker
Dschami (1414-1492)

Auf, Schenke! Wund ist meine arme Seele
Vom Reden und vom Denken. Bring den Becher,
Mit Wein gefüllt, er schließe mir den Mund.

Was ist denn Weisheit? Ich will lieber trinken,
Die düstre Tafel meines wunden Herzens
Sollst du mir sauber waschen, lieber Wein.

Wer kann von seinem trüben Ich sich lösen,
Solang er nüchtern ist? Wein her, o Schenke,
Daß in Betäubung überfließt mein Herz!

Im Weine nur kann meine Phantasie
Die Liebste voll Beseligung umarmen, -
Auf, Schenke, führ mich in das Land des Glücks!

Wein gieße man dereinst, wenn ich erblichen,
Auf meine Asche, daß geliebte Blumen
Weinduftend auferstehn aus meinem Grab!
(S. 60)
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Liebestrunken
Dschami (1414-1492)

Komm, setz dich nieder, daß ich in dein Antlitz,
Das lockenüberwallte, bangen Herzens
Wehklage meines Jammers Übermaß.

Laß in mein Herz, das düster ist vor Kummer,
Die Strahlen deines Angesichtes leuchten,
Damit die Freude einkehrt in mein Herz.

Ich bin verliebt in deinen schlanken Körper,
Daß die Zypressen ich im Feld umarme,
Glückselig, deiner Schlankheit eingedenk.

Seit ich dereinst dich über einen Kranken
Voll Mitleid sah gebeugt, hat mich die Sehnsucht,
Mich krank zu stellen, oftmals heimgesucht.

Aus deinen Haaren steigen Moschusdüfte,
Süß und verwirrend, - welcher Händler hätte
Wohl Moschus, so beglückend wie dein Haar?

Ich bin ein Dichter, meine Worte brennen,
Als flösse Lava fort aus meinem Herzen, -
Erbarme dich und lösche diese Glut!
(S. 61)
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Unglückliche Liebe
Dschami (1414-1492)

Wohl weiß ich, wehe, wehe,
Wie's mit meiner Liebsten steht.
Wohl weiß ich,
Daß ihre reizenden Augen
Andern Männern nachschaun.

Wenn ich um einen Liebesblick
Demütig sie anfleh, -
Schnell zieht sie den Schleier vor,
So wie ein Geizhals zuschlägt
Vor dem Bettler die Tür.

Neidisch schmälert sie mir
Die Liebesstunden,
Da sie so spät kommt.
Schnell geht sie wieder,
Ewig erscheint mir der Trennung Nacht!

Steh am Altar ich, zu beten,
Plötzlich lacht mich ihr Haupt an,
Und der Schwung ihrer Brauen
Verwirrt mir die Seele –
Fahrwohl, o Gebet!

Hold ist sie zu andern,
Wie Tau zu den Blumen,
Mich aber flieht sie,
Weh,
Wie das eisige Wasser die Glut.
(S. 62-63)
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An die schlafende Geliebte
Dschami (1414-1492)

Die roten Rosenblätter deiner Wangen
Sind durch des Schlafes Hitze dir entfärbt.

Wie du so daliegst in dem Arm des Schlummers,
Gleichst einem Aug du, das sich selig schloß.

Ich bin die schlanke Braue, die gekrümmt
Sich über deines Auges Frieden neigt.
(S. 67)
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Der wahre Freund
Dschami (1414-1492)

Der ist ein wahrer Freund, des edles Herz
Nur immer heißer glüht, wenn auch der andre,
Den seine Seele liebt, ihm Böses antut.
Und trifft auch tausendmal der Stein des Unrechts,
Geschleudert von dem Freunde, an sein Haupt:
Nur immer höher, immer strahlender
Führt er den Turmbau seiner Liebe auf.
(S. 68)
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Von Halsbändern
Dschami (1414-1492)

Schön ist ein goldnes Halsband, das ist wahr.
Mir, dem Verliebten, scheint ein silbernes
Noch köstlicher: der weiße, volle Arm
Der Freundin, der um meinen Hals sich schmiegt.
(S. 70)
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Rosenfarbe
Dschami (1414-1492)

Die Rose blüht nicht herrlicher als du,
Geliebte. Aber da ihr Übermut
Sich frevelnd mit dir maß, so hat der Ostwind
Zur Strafe sie an einen Zweig gehängt,
Dort stieg das Blut in ihr geneigtes Antlitz
Vor Scham: drum leuchtet strahlend sie wie Blut.
(S. 71)
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Bitte
Dschami (1414-1492)

Wenn es das Schicksal will, daß du mich tötest,
So sei es nicht mit einem Schlag, Geliebte:
Nein, zweimal, dreimal, oftmals schlag mich nieder,
Daß ich auskoste bis zum Rest die Wonne
Der Schmerzen, die dein liebes Herz mir schenkt ...
(S. 72)
_____



In der Frühe
Dschami (1414-1492)

An jedem Morgen wandl ich in den Garten,
Dem Frühwind gleich; dort tret ich zu den Rosen,
Den frisch erblühten, ihren Ruch zu atmen,
Der mich an deines Körpers Duft gemahnt.
So bin ich bei dir schon, eh du es ahnst,
Indes der Schlaf des Morgens dich noch fesselt.
(S. 73)
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An die verstorbene Geliebte
Dschami (1414-1492)

So oft der Frühling kommt und aus dem Schoße
Der Erde sich die roten Rosen heben
Mit keuschem Glanz, besuche ich dein Grab,
Geliebte; denn die Hoffnung macht mich selig,
Daß in dem Reigen der geliebten Blumen
Auch du erstehst, o holde Rosenblüte!
(S. 74)
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In Fesseln
Dschami (1414-1492)

Ich entflieh dir. Aber hinter mir her
Jagt das Heer deiner Reize und überholt mich,
Daß ich von neuem in deinen Banden schmachte.
Wehe! Wie komme ich los von dir?
(S. 75)
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Verführerin
Dschami (1414-1492)

Ich wandelte den guten Weg der Gnade,
Da sah ich dich in deiner Schönheit Schimmer
Am Wege stehn, so Holdes sah ich nimmer,
Und mählich kam ich ab von meinem Pfade.
(S. 77)
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Die Liebesharfe
Dschami (1414-1492)

Sieh, meinen Leib hab ich gekrümmt zur Harfe,
Nun hoff ich, daß du deine Locken opferst
Als Saiten dieses mächtigen Instrumentes, -
Wie wird es tönen! Niemals wurden Lieder
Der Liebe so voll Leidenschaft gespielt!
(S. 79)
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Ich und Du
Dschami (1414-1492)

Ich bin die Frühlingswolke. Endlos fließt
Der Regen meiner Tränen in die Tiefe.

Du bist ein Rosenblatt und glänzt und lächelst,
Und meine Tränen machen dich noch schöner.
(S. 80)
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Allein
Dschami (1414-1492)

Ich wandre nicht aus Lust an der Natur
Ins Feld und die erblühten Berge, - nein,
Weil mir die Stadt zu eng ward ohne dich.

Seitdem du mich verließest, hab ich allen
Verkehr gemieden; wenn mir hundert Menschen
Zur Seite wandern, bin ich doch allein.

Kein Ort scheint mir zu einsam und zu öde
In weiter Flur. Wohin ich mich auch wende,
Dein Bildnis geht in meinem Herzen mit.

Doch wenn mein Fuß auch über Rosen wandelt
Und Seide, - er spürt dennoch nichts als Kiesel,
Denn, weh, die Wandrung führt ja nicht zu dir!
(S. 81)
_____



Enttäuschung
Dschami (1414-1492)

Du hast zu mir gesagt: "Ich liebe dich", -
Doch liebtest du mich nie. "Die andern meid ich",
So sprachest du, - doch miedest du sie nicht.

In allen Gärten duftet es nach Rosen,
Das ist auch dein Duft. Ach, ich suche, suche
Und finde meine süße Rose nicht.

Am Abend schien der Vollmond in mein Fenster,
So lächelnd und so weiß, - ich meinte erst,
Es sei dein Antlitz, doch du warst es nicht.

Im Traume stand ich vor dir, trunkne Worte
Der Liebe schluchzend, - da ich dann erwachte,
Wollt ich dich greifen, doch ich fand dich nicht.
(S. 82)
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In Verzweiflung
Dschami (1414-1492)

Sag, wo du wohnst, wo ich von dir ein Zeichen
Erhalten kann, wo ich dich treffen darf,
O, sag mir, wo, - die Sehnsucht bringt mich um.

Sag mir, du Quell des Lebens, wo dein Wasser,
Das silberne, entspringt? Wo in der Wüste
Zeigt die Fata Morgana deinen Glanz?

Weh, zu den andern, heißt es, bist du gütig,
Mich meidest du; wo fang ich deine Worte
Endlich einmal? Die Sehnsucht bringt mich um.

Ich bin von dir berauscht, Erbarmungslose,
Die Freuden meiner Jugend sind gewichen,
Ich denke dich und weiter nichts als dich.

Von dir getrennt, seh ich die Welt in Dunkel
Und Schmerzen liegen. Süßes Licht der Sonne,
Wo funkelst du in goldner Klarheit auf?

O zeige dich, ich trag es länger nicht,
In Nacht zu wandern. Lächelnd, ohne Schleier
Durchleuchte meine Nacht, - erbarme dich!
(S. 83)
_____



Sehnsucht
Dschami (1414-1492)

Wie soll ich von dir sprechen? Welche Klänge
Vermöchten zu lobsingen deine Schönheit?
Mir fehlt das Wort, dich würdig auszudrücken.

Nur du bist wahr, nur deine Schönheit ist
Nicht trügerisch, nur du kannst nie enttäuschen, -
Durch dich nur hat das Dasein einen Sinn.

Getrennt von dir die Tage zu vertrauern,
Ist mein Geschick. Zu Gleichnissen und Bildern
Greif ich, um auszumalen deinen Glanz.

Wie bitter schmeckt der Becher meiner Leiden,
Aschfahl sind meine Wangen, meine Tränen
Sind blutig, öder Schutt liegt um mich her.

Wie wünsch ich mir ein Wort aus deinem Munde,
Und wär es kränkend auch und voll Verachtung,
Schon deine Stimme wär mir Seligkeit!
(S. 84)
_____



Das Götterbild
Dschami (1414-1492)

Seitdem es mir vergönnt war, o Geliebte,
Ins Innre dir zu schaun wie einer Rose,
Ragst du wie Rosenschönheit vor mir auf.

Für deine zarten Glieder sind die Kleider
Zu schwer und drückend, - Blätter von Jasmin
Und Irisblüten sollten dich umhüllen!

Du bist ein Götterbild, vor dem ich mich
Anbetend neige. Keinem Hindu ist
Sein Götterbild so heilig wie du mir.

Wenn du dich mit den andern schwingst im Reigen
Und ich muß ferne bleiben, - hat das Leben
Fortan für mich noch irgend einen Sinn?
(S. 85)
_____



Voll Sehnsucht
Dschami (1414-1492)

Das Glück, dir nachts in deine Märchenaugen
Zu blicken, ward mir leider nie vergönnt.
Begnügen muß ich mich, an deinem Fenster
Das Licht der Kerzen nächtens zu betrachten.

Modr ich dereinst im Grabe, o Geliebte,
So komm und wandle über meine Stätte
Und wehre wenigstens dem Staube nicht,
Zu küssen deines Kleides edeln Saum.

Sieh meine Hände flehentlich erhoben
In brünstigem Gebet, - sie sind voll Sehnsucht,
An Stelle deines frommen Amulettes
An deinem silbernen Halse auszuruhn!
(S. 86)
_____



Beharrlichkeit
Feghani (1450-1519)

Verachte mich, ja, stoße mich zurück, -
Ich dulde schweigend, was du an mir sündigst,
Denn die Beharrlichkeit in meiner Liebe
Währt ewig; und ich weiß, daß du dereinst
Mein Stolz sein wirst, die Sonne meines Herzens
Und all mein Glück. Heut nehm ich alle Qualen
Geduldig hin, die deine Grausamkeit
Und deiner Laune Bitternis mir zufügt, -
Denn eines Tages, dieses fühlt mein Herz
Gewiß, wirst meine tiefe Liebe du
Erkennen, und dann wirst du voll Verwirrung
Dich vor mir neigen und mit reuigen Worten
Mich anflehn, immerdar dein Freund zu sein!
(S. 89)
_____



Abwesen
Feghani (1450-1519)

Gewiß, der schönen Frauen gibt es viele.
Was soll mir ihre Schönheit? Wenn mein Aug
Sie anblickt, weilt mein Herz ja ganz wo anders:
Bei dir, bei dir und immer nur bei dir.

Die Freunde laden mich an jedem Abend
Zu ihren lustigen Gelagen ein;
Sie lachen, zechen, singen froh zur Laute, -
Ich aber sitz in ihrem bunten Kreise
Einsam und traurig: denn die liebliche
Erinnerung an dich singt durch mein Herz.
(S. 90)
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Der Liebende
Feghani (1450-1519)

Die Liebe hält mich ganz in ihrem Bann,
Es treibt mich nichts mehr in den Kreis der Frommen,
Was schert mich Gott und Kirche! Liebe Engel,
Vermeidet mich, die Reinheit meiner Seele
Ist weg für immer, in mir wühlt ein Feuer,
Entzündet durch die tulpenschönsten Wangen, -
Ich habe keine Angst mehr vor der Hölle
Und keine Lust ins Paradies zu ziehn.
(S. 91)
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Die Ueberwundene
Hussein Ali Mirza

Ich bat: O Freundin, reich mir deine Hand!
Da grollte sie: Nicht gar so kühn, mein Freundl!
Ich flehte sanft: So gib mir deine Lippen!
Sie lächelte: Nein, das erlebst du nie.
Nun bat ich: Kannst du dich denn nicht entschließen,
Mich einmal zu umarmen, liebe Freundin?
Da höhnte sie mich aus: Eh wird die Sonne
Erblinden und vergehn, eh das geschieht!

Nun warf ich meine Sanftmut hinter mich
Und wurde kühn und schlug mir eine Brücke
Hinüber zum Gestade der Erfüllung.
Ich trat vor sie und legte meinen Arm
Um ihren schönen Leib und preßte sie
Mit aller Inbrunst an mich, daß sie bebte,
Und meine Lippen glühten voll Verlangen
Auf ihren roten Lippen, - und sie wehrte
Sich nicht, o Wunder, lächelnd ließ sie alles
Geschehn, und ihre Augen sahn mich an,
Verzeihend, voll erstaunter Seligkeit!
(S. 94)
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Fragen der Liebe
Hussein Ali Mirza

Wenn ich ein Diamant wär, o Geliebte,
Was wärest du? - "Ich wär ein goldner Reif,
Geschmückt mit deinem Strahlenglanz, o Freund!"

Wenn ich nun die Stadt Schiras wär, Geliebte,
Was würdest du dann sein? - "Ich wär der Mai
Und schmückte dich mit tausendfachen Blüten."

Und wenn ich nun das Meer wär, o Geliebte,
Was würdest du dann sein? - "Ich wär ein Schwan,
Voll Sehnsucht auf dem lieben Meer zu fahren."

Und wenn ich nun der Himmel wär, Geliebte,
Was wärst du dann? - "Ein freundliches Gestirn
Und würde wohlig dir im Schoße schimmern."

Und wenn ich immer bleibe, was ich bin,
Wie steht es dann mit dir? - "So würd ich rufen:
Nimm an dein Herz mich, du mein Stolz und Glück!"
(S. 95)
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Es werde!
Hussein Ali Mirza

Als Allah seinen Ruf "Es werde!" tat,
Da wogten alle Lüfte goldig auf,
Die Sonne und die Erde lösten aus
Dem Chaos sich, der Lenz fing an zu blühen,
Die Rosen und die Nachtigallen wurden,
Die Sehnsucht wurde, und die schönsten Verse
Ganz uferloser Liebe stiegen selig
Wie Rosenblühn aus meinem Herzen auf!
(S. 96)
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Geleitwort (von Hans Bethge):
Die Perser pflegten Rosengärten bei ihren Häusern. In ihrer Mitte schickte ein Springbrunnen seinen perlenden, Kühlung verbreitenden Strahl in die Luft, Tulpen und Narzissen blühten in den Beeten, und in den Rosenbüschen schlug Bülbül, die Nachtigall, die von unglücklicher Liebe zur Rose verzehrt wurde. In diesen Gärten brachten die vornehmen Perser die Stunden ihrer Muße zu, plauderten und spielten Schach, hier feierten die Liebenden Stunden des Glücks, hier dachten die Gelehrten beim Becher Wein ihre besten Gedanken, in diesen Rosengärten sind ohne Zweifel viele der schönsten Strophen gedichtet worden, die man in den Diwanen von Hafis, Sadi, Omar Khayam und der anderen persischen Klassiker findet. Der Rosengarten war in Persien zu einem Begriff geworden, der weltstillen Frieden, Zurückgezogenheit, Beschaulichkeit, Muße, Poesie, das Glück der Liebenden und das gedankenvolle Betrachten des Daseins umschreibt.

Die frühe persische Lyrik hat einen stark didaktischen Zug. Von der heiteren Sinnlichkeit der Inder, von der blumenhaften Zartheit der Japaner, der großen Innigkeit und elegischen Ruhe der Chinesen findet sich wenig in ihr. Die persischen Dichter lieben es vor allem, Spruchweisheit zu kristallisieren, ihre Gedichte spitzen sich mit Vorliebe sentenzenartig zu, sie sind denkerisch, voller Abstraktionen, reich an philosophischen Maximen, und die tiefsten, frömmsten unter ihnen ragen in die verklärten Wolken einer religiösen Mystik hinein, am mächtigsten Dschelaleddin Rumi, aus dem der ergreifendste Gottesmystiker des Orients spricht.

Das persische Geistesleben steigerte sich zu seiner ersten Blüte im zehnten Jahrhundert, unter der Dynastie der Samaniden, die der Dichtkunst eine besondere Liebe entgegenbrachten. Firdausi, einer der leuchtendsten Namen nicht nur Persiens, sondern des ganzen Morgenlandes, steht gleich am Anfang, alle Zeitgenossen verdunkelnd, so wie Homer am Anfang der griechischen Dichtung steht. Firdausi hat die altpersischen Helden- und Königssagen in seinem "Buch der Könige" (Schah - Nameh) neu gedichtet, und dieses klassische, üppig flutende, homerisch phantasievolle Werk ist zum Nationalepos der Perser geworden.

Firdausi ist der zuerst emporgestiegene Stern jenes berühmten Siebengestirns, das den Himmel der persischen Dichtung verklärt und dessen sechs andere Sterne heißen: Enweri, Nizami, Rumi, Sadi, Hafis und Dschami. Diese Namen bezeichnen eine auf- und abschwellende Entwicklung von fünf Jahrhunderten, welche die klassische Poesie Persiens umschließt. Omar Khayam ist von seinem Volke nicht unter das Siebengestirn der Klassiker versetzt worden, aber der Ruhm und die Popularität dieses weinseligen Skeptikers, bei dem sich die Heiterkeit der Seele mit der Erkenntnis des Unzulänglichen alles Irdischen paart, sind im ganzen mittleren Orient allgemein.

Nach der ersten, durch Firdausi repräsentierten Blütezeit kam eine zweite und letzte Epoche des Glanzes im vierzehnten Jahrhundert, charakterisiert durch Hafis. Zwar war Hafis das einzige überragende Genie jener Zeit, aber das ganze dichterische Niveau des vierzehnten Jahrhunderts ist außerordentlich hoch, und eine Fülle glänzender Talente tritt auf den Plan. Es ist die Zeit des reinsten künstlerischen Gestaltens und Empfindens, die Persien erlebt hat, und das ganze Volk nahm Anteil an der mächtigen und edlen Welle der Kunst, die das Land überflutete. Es ist natürlich, daß eine solche allgemeine Geschmackskultur einen Dilettantismus in der Gefolgschaft hatte, der zu seiner spielerischen Betätigung die schönsten Formen und Gedanken vorfand, die er nun trivialisierte. Mit dem Tode Hafis' ging die Zeit der schöpferischen Dichtung zu Ende, ein Epigonentum kam zur Herrschaft, das von den Formen und Ideen verklungener Zeiten zehrte und das freilich im fünfzehnten Jahrhundert noch einmal eine weithin sichtbare und reizvolle Blüte trieb: Dschami, der als ein Erbe und fruchtbarer Eklektiker den überkommenen Besitz größerer Epochen mit geschickter Hand zusammenzuraffen wußte und aus dessen Munde man bald Sadis, bald Khayams, bald Hafis' Stimme zu vernehmen meint.

Nach Dschami kam dann im sechzehnten Jahrhundert der gänzliche Verfall. Äußerlich geschicktes Reimen, die Glätte längst abgestorbener Formen, ein rein schulgemäßes Versebauen traten an die Stelle schöpferischen Gestaltens, die Dichtung erstarrte in einer geistigen und formalen Dürre, aus der nur hier und da vereinzelt eine bescheidene Knospe hervor sprießt. Schließlich ging das Land auch politisch zugrunde, durch unglückliche Kriege und fortwährende innere Unruhen, Handel und Gewerbe verfielen, leibliche und geistige Kultur erstickten in der allgemeinen Dekadenz. Was man in dem vorliegenden Buche an Versen vereinigt findet, sind jene Strophen der klassischen Zeit, die mir für unser europäisches Empfinden von besonders lebendigem Atem erschienen.

Die Verse gehen zurück auf die deutschen Vorlagen, die ich bei Joseph von Hammer-Purgstall, Friedrich Rückert, Karl Heinrich Graf, Moriz Wickerhauser, Wilhelm Bacher, Schlechta-Wschehrd und M. R. Schenk in ihren zumeist um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erschienenen Werken vorgefunden habe. Auch französische Prosavorlagen aus den Büchern von Georges Frilley und Adolphe Thalasso habe ich benutzt.
Hans Bethge
(S. 98-101)
 

Aus: Hans Bethge Der persische Rosengarten
Nachdichtungen persischer Lyrik
Herbert Schult Verlag Heidenheim 1980



 

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