"So geh' denn hin, mein Brief,

du weiße Taube, zu ihm . . ."

Der Brief in Liebesgedichten deutscher Dichter und Dichterinnen
des 17.-20. Jahrhunderts

 


Rudolf Epp (1834-1910)
Der Liebesbrief


 

Verzeichnis der Dichter:
 




  • Rudolf Baumbach (1840-1905)

    Der Liebesbrief

    Wie lieb' du mir, wie gut ich dir,
    Ich möcht' es gern dir schreiben,
    Doch eh' ich schreibe auf Papier,
    Viel lieber lass' ich's bleiben.

    Da geh' ich in mein Gartenland
    Und mustre Beet um Beet.
    Bei Tulipan und Amaranth
    Die weisse Lilie steht.
    "Frau Lilie, deine Blätter gieb!"
    "Für wen?" - "Ei, für mein trautes Lieb."
    Die Lilie thut sich neigen,
    Die Blättlein sind mein eigen.

    Du hältst mein Herz in enger Haft,
    Ich möcht' es gern dir schreiben,
    Doch nicht mit schwarzem Tintensaft,
    Viel lieber lass' ich's bleiben.

    Da schau' ich, wo auf nassem Feld
    Der Regenbogen ruht,
    Und hab' ich ihn, so wird gestellt
    Darunter flugs der Hut.
    "Von deinen Sonnenfarben gieb!"
    "Für wen?" - "Ei, für mein trautes Lieb."
    Da träufelt ohne Ende
    Die bunte Farbenspende.

    Ich denke dein, mein Herzgespiel,
    Und möcht' es gern dir schreiben,
    Doch nicht mit schnödem Gänsekiel,
    Viel lieber lass' ich's bleiben.

    Da geh' ich an das Himmelsthor -
    Der Weg ist freilich weit -
    Und lange mir ein Englein vor,
    Ob's zappelt auch und schreit.
    "Ach Englein, eine Feder gieb!"
    "Für wen?" - "Ei, für mein trautes Lieb."
    Da hört es auf zu hupfen
    Und lässt sich willig rupfen.

    Aus: Lieder eines fahrenden Gesellen
    von Rudolf Baumbach Vierte Auflage Leipzig
    Verlag von A. G. Liebeskind 1882 (S. 129-131)


  • Constantin Julius Becker (1811-1859)

    Der Liebesbrief

    Wollt' einmal dem Liebchen schreiben,
    Hatte gleich kein Briefpapier.
    Dacht' ich: gut! - da läßt du's bleiben -
    Gehst gleich lieber selbst zu ihr!

    So groß war meine Eile,
    Daß ich selbst als Liebesbrief
    Manche liebe lange Meile
    Nach dem fernen Liebchen lief.

    Und sie las den Brief geschwinde,
    Küßt' und herzt' ihn tausendmal!
    Doch ich gab dem holden Kinde
    Küsse wieder ohne Zahl.

    aus: Deutsche Lyriker seit 1850
    Mit einer litterar-historischen Einleitung
    und biographisch-kritischen Notizen
    Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
    Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887 (S. 53)


  • Udo Brachvogel (1835-1913)

    (An ein Packet Briefe, von blauem Bande zusammengehalten)
    Mit Schmerzen hatt' ich sie geliebet,
    Euch Briefe hatte sie gesandt.
    Vorbei ist Alles, ihr nur bliebet
    Und du verblich'nes, blaues Band.

    Ich mußte meinem Gram gewähren;
    O Zeit, wie warst du wunderbar,
    Da süßer mir des Kummers Zähren,
    Als je der Hoffnung Jauchzen war.

    Aus: Gedichte von Udo Brachvogel
    Wien 1860
    Druck und Verlag von Carl Gerold's Sohn (S. 286)


  • Peter Cornelius (1824-1874)

    Ich lag im stillen Zimmer

    Ich lag im stillen Zimmer
    Zur Nacht, doch eh' ich schlief
    Warf mir der Mond voll Schimmer
    Aufs Bett einen Liebesbrief.

    Und eh' an seinen Lettern
    Ich zuviel Zeit verlor,
    Sang mir mit hellem Schmettern
    Die Nachtigall ihn vor.

    Mein Lieb, mit welchem Solde
    Zahlst du die Dienste all,
    Dem Mond mit seinem Golde
    Und der süßen Nachtigall?


    Aus: Peter Cornelius Literarische Werke
    Erste Gesamtausgabe IV. Band: Gedichte
    gesammelt und herausgegeben von Adolf Stern
    Leipzig 1905 (S. 149)


  • Carl Ferdinand Dräxler-Manfred (1806-1879)

    Aus dem Buche der Liebe

    1. Der Brief
    Wenn die Liebe nun ein Brief ist,
    Der bedeutungsvoll und tief ist,
    Muß ein süßer Mund ihn siegeln,
    Sein Geheimniß streng zu zügeln;
    Schreiben muß ihn eine Seele,
    Daß ihm Innigkeit nicht fehle:
    Aber mit dem Herzen lesen
    Müssen ihn verliebte Wesen.

    Aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
    Frankfurt am Main 1838
    Druck und Verlag von Johann David Sauerländer (S. 177)
    _____


    Brief

    Kunde von dir, o Seligkeit,
    Sie trifft mein Herz wie Zauberschlag!
    So wie die Schwalbe Frühlingszeit,
    Wie Morgenroth den neuen Tag,
    So kündet was du mir geschrieben,
    Dein treu unwandelbares Lieben.

    Ein Blatt von dir,  o süßes Glück,
    Es zaubert wie ein holder Bann
    In meine Arme dich zurück,
    Die Heißgeliebte seh ich dann,
    In diesen Zügen ihre Züge,
    Mir aller Seligkeit Genüge.

    Ich lese dich und sehe dich,
    Dein süßer Odem weht mich an,
    Ich fühle plötzlich glücklich mich,
    Weil ich nur Liebe denken kann,
    Und weil mit ihren Engelschwingen
    Deine Gedanken mich umfingen.

    Ja Liebe, die so treu und heiß
    Und innig Herz am Herzen hängt,
    Sie steht in eignen Zauberkreis,
    Aus dem sie keine Macht verdrängt,
    Und selbst in Trennung und in Ferne
    Erglänzen ihr der Hoffnung Sterne.

    Aus: Freud' und Leid
    Lieder und Bilder von C. Dräxler-Manfred
    Hannover Carl Rümpler 1858 (S. 84-85)


  • Ludwig Eichrodt (1827-1892)

    Beglaubigung

    Ich liebe dich, das weißt du;
    Ob du mich wieder liebst?
    Mit klopfendem Herzen las ichs
    Im Briefe, den du schriebst.

    Doch erst wenn in die Arme
    Ich bald dich schließen kann,
    Dich küssen und dich herzen,
    Hab ich den Glauben dran.

    Aus: Leben und Liebe Gedichte von Ludwig Eichrodt
    Frankfurt a. M. Verlag Heinrich Keller 1856 (S. 31)


  • Ferdinand Falkson (1820-1900)

    Die Erinnerung

    Ein Greis und seine Gattin saßen
    Im Zimmer einst beim Abendschein:
    Ihr trübes Alter sie vergaßen
    Vor der Erinn'rung Zauberei'n.

    Die Briefe, die sie einst sich schrieben,
    Durchlasen sie mit trunk'nem Sinn;
    Ihr Glück, ihr Ahnen und ihr Lieben
    Wand sich durch gold'ne Zeilen hin.

    Es wölbte sich ob ihrem Haupte
    Der Himmel der Erinnerung:
    Was auch das Leben ihnen raubte,
    Jetzt wurden sie auf's Neue jung.

    Sie saßen, vor Entzücken trunken,
    Sie saßen glühend, Hand in Hand:
    Es war ihr ganzes Herz versunken
    In das entfernte Jugendland.

    Die Geister ihrer schönsten Jahre
    Durchschwebten jetzt des Himmels Raum,
    Es schmückte ihre Silberhaare,
    Als heil'ges Diadem, der Traum.

    Das erste Ahnen, erste Wissen,
    Das sich um ihre Herzen wob;
    Der erste Schmerz, der sie zerrissen,
    Die erste Lust, die sie erhob:

    Das zog vorbei im Sternenglänzen,
    Von Zauberscheine ganz umhüllt,
    Und schmückte noch mit Jugendkränzen
    Die greisen Häupter sanft und mild.

    Da fuhr ein Windzug durch das Zimmer,
    Der Zauber wich von ihrem Sinn,
    Und freundlich sah der Sterne Schimmer
    Auf die erwachten Träumer hin.

    Aus: Gedichte eines Königsberger Poeten
    [Ferdinand Falkson] Königsberg 1844
    Bei Theodor Theile (S. 27-28)


  • Johann Georg Fischer (1816-1897)

    Der Liebesbrief

    Der Bote kommt - o süße Schrift,
    Die, Liebster, du mir schriebst!
    Laß sehn dein ungeduldig Kind,
    Wie treu du es noch liebst.

    Du zitterst, Herz? o zittre nur
    Und hüpf' in sel'gem Lauf;
    Es zittert ja die Erde auch,
    Thut sich der Himmel auf.

    Die Welt weiß nicht, was er mir schrieb;
    Wie arm die Menschen sind!
    Doch was kein Mensch auf Erden weiß,
    Weiß, Einziger, dein Kind,

    Kann deiner Worte Glut und Glanz
    Vor Freuden kaum verstehn,
    Und möcht' in ihrer Lieblichkeit
    Vor Wonne fast vergehn.


    Aus: Gedichte von J. G. Fischer
    Dritte vermehrte und aus verschiedenen Sammlungen vervollständigte Auflage
    Stuttgart Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung 1883(S. 17-18)


  • Ludwig Foglar (1819-1889)

    Briefe

    1.
    Verwische mit der Thräne
    Des Freundes Brief und Siegel,
    Doch nicht zu schließen wähne
    Der Schmerzerinn'rung Riegel.

    Ich wecke dich und schleiche
    Auch fern in deine Seele,
    Ich weiß, daß in dem Reiche
    Mein Platz mir niemals fehle.

    Wohl hemm' ich nicht dein Jagen
    Nach deinem Ideale -
    Denn du ersehnst das Tagen
    Im hellsten Sonnenstrale.

    Doch weiß ich, was uns bindet
    Mit liebemilden Ketten,
    Was Jeder von uns findet
    An heil'ger Vorzeit Stätten:

    Dort treffen wir uns wieder
    Zu manchen bangen Zeiten
    Im Schall bekannter Lieder
    Aus mondbeglänzten Weiten.

    2.
    Ich möchte dich umgeben mit aller Herrlichkeit,
    Womit das Erdenleben sich schmükt zur Blütezeit;
    Ich möchte dir verwandeln in Wonne jede Pein,
    Die unscheinbar verstolen sich schleichet bei dir ein:
    Ich möchte rauhe Pfade dir ebnen lind und weich.
    Dir zaubern jede Stunde an Segenswundern reich
    Und doch! wenn ich's vermöchte, was frommte Alles dir?
    Kann ich dich nicht befreien vom schlimmsten Gast, von mir;
    Kann ich den Bann nicht lösen, der lähmt den frohen Mut
    Und der auf unsern Seelen wie ein Verhängniß ruht.
    Geduld! Auch dies will reifen, es reift, eh' wir's gedacht,
    Vielleicht nur allzuschnelle, schon morgen, über Nacht.
    Mir graut vor dem, was folget, wenn gestern nicht mehr heut
    Wenn Keines von uns Beiden sich mehr auf Morgen freut.
    Uns wäre dann wohl besser, wir blieben unerweckt
    Im nächsten Morgenrote vom ew'gen Mohn bedeckt.

    Aus: Freudvoll & Leidvoll Neue Gedichte
    von Ludwig Foglar
    Leipzig Verlag von Heinrich Matthes 1867 (S. 246-248)
    _______


    Ihre Briefe

    Wandl' ich in des Gartens Räumen,
    Von des Herbstes Frost durchweht,
    Flattern von den alten Bäumen
    Falbe Blätter rings herab.

    Fallen her in meine Hände,
    Drin'n ein trauter Brief von Ihr;
    Und mein Traum, er ist zu Ende,
    Der mich eben trug zu Ihr.

    Denn wie mich die welken Blätter
    Jetzt vom Sinnen aufgeschreckt,
    Künden sie mir wilde Wetter,
    Blitzesflug und Wolkennacht.

    Scheinen mich daran zu machen,
    Was ein Sturm entführen kann.
    Und ich muß betrübter ahnen
    Meines Glück's Vergänglichkeit.

    Doch die Zeilen auf und nieder
    Eilt mein Auge nimmermatt,
    Und ich lese immer wieder
    Was mir sagt das theure Blatt.

    Welken wird dieß Blatt mir nimmer
    Weil es fort im Herzen lebt,
    Was da glüht, da glühet immer,
    Wird von keinem Sturm verweht!

    Aus: Cypressen Dichtungen von Ludwig Foglar
    Wien im Verlag des Jos. St. v. Hirschfeld 1841 (S. 176-177)


  • Theodor Fontane (1819-1898)

    Du siehst, es bleibt mit mir beim alten

    Du siehst, es bleibt mit mir beim alten,
    Trotz mancher bittern Neckerei;
    Versprechen - und Versprochnes halten -
    Ist mir noch immer zweierlei.

    Und daß dir alle Zweifel schwinden
    An meinem Unverändertsein,
    Stell' ich mich mit Entschuld'gungsgründen
    Ob meines Schweigens bei dir ein.

    Ich habe sechsmal Platz genommen,
    Sechsmal die Feder zugestutzt,
    Doch was mir in den Sinn gekommen,
    War immer dumm und abgenutzt.

    Von deutsch-katholischen Vereinen,
    Draus mancher Stoff in Masse fischt,
    Sag selber - wär' es nicht zum Weinen,
    Hätt' ich dir davon aufgetischt!

    Schon höhnt' ich mich und all solch Wissen,
    Als mir ein Kraftgedanke kam
    Und ich die »Sehnsucht, dich zu küssen«,
    Zum Stoffe meines Briefes nahm.

    Kaum aber hatt' ich angefangen,
    Packt' ich schon lächelnd wieder ein; -
    Ein Kuß - dies mündlichste Verlangen -
    Muß mündlich vorgetragen sein!


    Aus: Theodor Fontane, Sämtliche Romane, Erzählungen, Gedichte
    Nachgelassenes; Sechster Band;
    Herausgegeben von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger;
    Carl Hanser Verlag, München, 1978 (S. 399)


  • Ludwig Halirsch (1802-1832)

    Erste Liebe (9.
    Aug und Tag)

    Die Sonne schien gar hell und rein,
    Und doch schrieb ich beim Kerzenschein,
    Denn siegeln wollt' dies Briefchen ich,
    Dies Briefchen, Kind, für mich und dich:

    Da trat die alte Mutter ein:
    "Ei, Sohn, Du schreibst beim Kerzenschein?
    Gib acht, dies nimmt der Tag Dir kraus
    Du brennst ihm ja die Augen aus!" -

    Ich schwieg und merkte mir das Wort,
    Und als die liebe Mutter fort:
    Da setzt' ich zu dem Briefchen hier
    Noch diese kurzen Reime dir:

    Brennt auch ein armer Kerzenschein
    Dem Tage aus die Augen sein:
    So weiß zwei and're Augen ich -
    D'ran holt sein Licht er wieder sich!

    Aus: Balladen und lyrische Gedichte
    von Ludwig Halirsch
    Leipzig 1829 Verlag von Carl Focke  (S. 202-203)


  • Robert Hamerling (1830-1889)

    Rosenlied

    Duft'ge Flamme, süße Rose,
    Schöne Botin sel'ger Triebe,
    Die so prangend aus dem Schoße
    Neugebor'ner Erde steigt:
    O wie spräche zarte Liebe,
    Wenn sie sehnend mit Gekose
    Nicht in deinen Purpur schriebe,
    Was die Lippe scheu verschweigt!

    Ach, wer sendet aus der Tiefe
    Euch der Welt, ihr Liebesboten,
    Gleich als ob er sehnend riefe,
    Und ihr Ohr vernähm' es nicht?
    Ja, als ew'ger Güte Zeichen,
    Ew'ger Liebe duft'ge Briefe,
    Tretet ihr aus dunklen Reichen
    Jahr um Jahr ans gold'ne Licht!

    Grüne Auen, grüne Auen,
    Sie versteh'n die süßen Rosen,
    Wachen auf aus Wintergrauen,
    Wenn sie Rosenkunde trifft;
    Nur dem Menschen unbegriffen
    Steht, so weit die Himmel blauen
    Und so weit die Wolken schiffen,
    Jene süße Rosenschrift.

    Aus: Hamerlings Werke Volksausgabe in vier Bänden
    Ausgewählt und herausgegeben von Dr. Michael Maria Rabenlechner
    Mit einem Geleitwort von Peter Rosegger Zweite Auflage
    Dritter Band Hamburg Verlagsanstalt und Druckerei A.- G. (vorm. J. F. Richter) (o. J.)
    (S. 91)


  • Julius Hammer (1810-1862)

    Geliebte, deiner Schönheit Brief
    Hat Gott geschrieben inhalttief;
    Sollt' ich nun nicht mich sehnen müssen,
    Voll Inbrunst Gottes Hand zu küssen?
    (S. 9)
    _______


    Auf, glücklich Briefchen, schwinge dich in der Liebe Reich
    Mit ambraduft'gem Fittich, dem edlen Humaj gleich!
    Dem schönen Wundervogel, der hoch und höher schwebt,
    Der nie berührt die Erde, der nur von Aether lebt,
    Und dessen Zauberschatten, streift er ein Menschenhaupt,
    So mild weht, daß es plötzlich im Paradies sich glaubt.
    Flieg' hin, mein Liebesbote, Geheimnißhüter, treuer,
    Genährt, durchglüht, beflügelt von meines Herzens Feuer,
    Berühr' der Liebsten Wangen mit schmeichelndem Gefieder,
    Und laß dich ihr zu Füßen - du bist im Himmel - nieder.
    (S. 21)

    Aus: Unter dem Halbmond
    Ein osmanisches Liederbuch
    von Julius Hammer
    Leipzig F. A. Brockhaus 1860


  • Friedrich Hebbel (1813-1863)

    Der beste Liebesbrief

    Hat sie's dir denn angethan
    Im Vorüberschweben,
    So verfolge rasch die Bahn
    Zu dem neuen Leben.

    Hasche dir den Schmetterling
    Auf dem Rosenhügel,
    Nimm ihm mit dem blauen Ring
    Seinen weißen Flügel;

    Borge von der Biene dann
    Dir den Honigrüssel,
    Der zum Griffel dienen kann,
    Wie zum Blumenschlüssel;

    Laß das Blatt nun ohne Scheu
    Durch die Lüfte schnellen:
    Ist dir Amor hold und treu,
    Wird's der Wind bestellen.


    Aus: Friedrich Hebbel Sämtliche Werke
    Historisch-kritische Ausgabe besorgt von Richard Maria Werner
    Sechster Band: Dramen VI. Demetrius (1864)
    Gedichte I. Gesamt-Ausgabe. 1857 - Gedichte II.
    Aus dem Nachlaß. 1857-1863 Siebenter Band: Gedichte III. Nachlese 1828-1859
    Berlin B. Behr's Verlag 1904 (Band 6 S. 285)


  • Paul Heyse (1830-1914)

    Sie schreibt

    Ach, warum von Land und Leuten
    Schreibst du mir aus deiner Ferne,
    Wie Gebirg und See dich freuten
    Und wie golden dort die Sterne!

    Liebesbriefe will ich lesen,
    Immer nur das selig Eine,
    Daß du mein gedenk gewesen,
    Daß du mein und daß ich deine.

    Ach, und tauchst an hellen Tagen
    Du aus deinen Kümmernissen,
    Sollst du mir es nimmer sagen,
    Denn ich will dich heiter wissen.

    Aber nicht dem Fremden neuen
    Dank es, nicht der fernen Sonne,
    Daß sie dein Gemüt zerstreuen
    Und dir spenden frische Wonne.

    Laß mich glauben, daß der Grüße
    Zauber, die ich zu dir sende,
    So das Leben dir versüße,
    Wie dereinst ein Druck der Hände.

    Daß mir, auch von dir geschieden,
    Jene stille Macht verbliebe
    Und du alle deinen Frieden
    Nur gewinnst durch meine Liebe!
    (S. 167-168)
    _______


    Amor in der Mauser

    Einsam, traurig und gefangen
    Sitzt der kleine Gott zu Haus,
    Und mit naßgeweinten Wangen
    Rupft er sich die Federn aus;

    Spitzt sie fein an seinen Pfeilen,
    Taucht sie in ein Tröpfchen Blut,
    Schreibt damit entflammte Zeilen,
    Brief’ und Lieder voller Glut.

    Ach, und kann’s ihm denn genügen,
    Daß er lahm die Feder führt,
    Da er einst in sel’gen Flügen
    Zweier Schwingen Kraft gespürt?

    Heil’ge Venus, laß geschwinde
    Hingehn diese Mauserzeit,
    Die dem armen Götterkinde
    Sichtbar kümmerlich gedeiht.

    Neu beschwing ihm das Gefieder,
    Das nun kriechend kritzeln muß:
    Blick und Wort statt Brief’ und Lieder,
    Statt der Siegel Kuß um Kuß!
    (S. 171)

    Aus: Paul Heyse Gesammelte Werke, Reihe III,
    Band 5 Gedichte und Übersetzungen
    (J. G. Cottasche Buchhandlung) Georg Olms Verlag
    Hildesheim Zürich New York 1991
    (Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1924


  • Hans Hopfen (1835-1904)

    Wenn du verraten mich am Tage,
    Und wenn du nimmer mein gedacht,
    Was kommst du weinend dann, o sage,
    Im Traume zu mir jede Nacht?

    Was streichst du mit den kleinen Händen
    Mir durch das Haar wie dazumal,
    Als deiner Augen süßes Blenden
    Mein Herz, mein Glück, mein Leben stahl?

    Wenn's wahr, was deine Briefe stammeln,
    Daß du mich lassen kannst und mußt,
    Warum auf's Haupt mir Dornen sammeln,
    Und Kohlen auf die wunde Brust?

    Laß mich in meinem Gram versinken!
    Laß mich in meinem Schmerz vergehn!
    Laß ab an's Ufer mir zu winken,
    Wo meiner Hoffnung Gräber stehn!

    Und doch, wenn dieses Scheinbild's Flehen
    Herüberschwebt in meinen Traum,
    Dünkt mich's wie goldner Schleier Wehen
    Und meine Sehnsucht zwing' ich kaum.

    Dann hör' ich wie aus feuchten Kissen
    Ein bitter weinend Nachtgebet
    Von sehnsuchtsvollem Gram zerrissen
    Nach meiner Ferne wandern geht;

    Dann kommt das Licht der alten Zeiten
    Und fließt um dich wie Glorienschein,
    Wie Glockentöne klingt's von Weiten
    Und in mein Herz zieht Frieden ein.

    Wenn du verraten mich am Tage
    Und wenn du nimmer mein gedacht,
    Wie käm dein Denken dann, o sage,
    Dein Sehnen zu mir jede Nacht?

    Aus: Gedichte von Hans Hopfen
    Viertes Tausend Berlin 1883
    A. Hofmann & Comp. (S. 21-22)


  • Gustav Wilhelm Jahn (1818-1888)

    Sankt Marien Kirchthurm

    Was mag bei strömenden Regen
    Im stillen Kämmerlein
    Das Mädchen am Fenster sinnen,
    So ganz mit sich allein?

    Hat die blauen Augen gefeuchtet
    Im Herzen Kümmerniß tief?
    Gefaltet ruhen die Hände
    Und drinnen ein zierlicher Brief.

    Genüber, von Sankt Marien
    Der Kirchthurm, wetterergraut,
    Durch die fallenden Regentropfen
    Bedenklich ins Antlitz ihr schaut.

    Er hat, als alter Bekannter,
    Von Wind und Wetter umrauscht,
    Manch Jahr in der einsamen Kammer
    Der Jungfrau Treiben belauscht;

    Hat gespiegelt in manchem Thränlein
    An ihren Wimpern sich schon,
    Wenn das Herz, das übervolle,
    In des Kämmerleins Stille geflohn.

    Und nie hat aus er geplaudert,
    Wenn zu ihm herüberscholl,
    Was betend der Seele Tiefen
    Voll Inbrunst drüben entquoll.

    Drum hätt auch des Briefes Geheimniß
    Der Alte gerne gekannt;
    Doch halten es fester und fester
    Der Jungfrau Hände umspannt.

    Es rauscht der Regen und rauschet,
    Das Mädchen sinnet und sinnt,
    Der Thurm blickt schweigend herüber -
    Und die flüchtige Stunde verrinnt.

    Jetzt endlich richten hellschimmernd
    Die Augen sich himmelwärts -
    Sie hebt den Brief an die Lippen
    Und preßt ihn innig ans Herz.

    Das Wetter verzog sich inzwischen,
    Aus der Wolken getheiltem Meer
    Fließt ein Strahl der scheidenden Sonne
    Auf die stillen Dächer umher.

    Im Abendschimmer steht heiter,
    Der Kirchthurm von Sankt Marien,
    Als hätt er doch nun erfahren,
    Was so geheimnißvoll schien.

    Aus: Neuer Frühling. Brautlieder von Gustav Jahn
    Zweite Auflage Magdeburg Heinrichshofen'sche
    Buchhandlung 1868 (S. 29-32)


  • Gottfried Kinkel (1815-1882)

    Als Brief

    Ihr flücht'gen Zeilen, hin zu ihr!
    Doch was habt ihr zu sagen?
    Nah ist die Stunde noch, da wir
    Uns in den Armen lagen.
    Wir sprachen's aus mit manchem Kuß,
    Mit Herz an Herzen Drücken,
    Wie wir im Liebesüberfluß
    Einander hoch beglücken.

    O zaubersüßer Liebestod,
    O heil'ge Macht der Minne!
    Sie kennt nicht Weigern noch Verbot,
    Ist wie ein Kind an Sinne,
    Das stets zu geben ist bereit,
    Was Mutter ihm geschenket,
    Das ohne Harm und ohne Neid
    Nur mitzutheilen denket.

    Wie du an dieser Brust geruht,
    In diesen Arm gesunken,
    Das klopft mir noch durch's junge Blut
    Und hält mich selig trunken!
    O fort dieß Blatt, ich mag es nicht,
    Daß es mein Glück mir spiegelt!
    Wie möcht' auch künden ein Gedicht,
    Was heiß der Kuß versiegelt?

    Aus: Gedichte von Gottfried Kinkel
    Sechste Auflage Stuttgart und Augsburg
    J. G. Cotta'scher Verlag 1857 (S. 210-211)


  • Karl Edmund Langer (1819-1885)

    Aus ihren Briefen

    I.
    Ich schreibe dir - die bösen Locken wallen,
    Als wollten sie den theuren Nahmen küssen,
    Auf's weiße Blatt, das ich mit tausend Grüßen
    An dich belaste, der mir lieb vor Allen! -

    Du ruhst vielleicht, von Schlummernacht befallen,
    In lichter Träume seligen Genüssen,
    Wo du die Lieder lernst, die zaubersüßen
    Die mir zur Lust von deinen Saiten schallen! -

    Ich aber will den leisen Stimmen lauschen
    Die heimlich mir im tiefsten Herzen rauschen
    Und will dir künden, was sie mich gelehrt: -

    Wohl mag die Welt mit deinen Liedern richten
    Doch dir allein gehört mein scheues Dichten,
    Und Liebe hält, was Liebe spendet, werth! -

    II.
    Wenn Stürme toben, labt uns der Gedanke:
    Die Sonne barg sich nur - sie ist nicht todt; -
    Wir wissen es: der Nacht folgt Morgenroth,
    Und starrem Frost des Frühlings grüne Ranke. -

    Des Schiffers Herz, daß es nicht furchtsam wanke
    Wenn schäumend ihm die nahe Welle droht,
    Belebt die Hoffnung, daß sein leckes Boot
    Zum Hafen bald, zum heimathlichen, schwanke! -

    So will ich gern die Sehnsucht überdauern
    Die mich umfangen hält mit stillem Trauern,
    Denn in die Ferne blick ich ahnungsvoll.

    In deine Hand hab' ich mein Loos gegeben -
    Dein ist mein Lieben - dein mein ganzes Leben,
    Und dein die Zukunft, die vergelten soll! -

    III.
    O sprich, mein Herz! wirst du wohl mein vergessen?
    Wirst du wohl einst für fremde Liebe schlagen,
    Uneingedenk des Schwur's in jenen Tagen,
    Wo ich dich ganz und ungetheilt besessen? -

    Zu schmerzlich wär's, fremd jeglichem Ermessen,
    Müßt' ich dem süßen Zauber einst entsagen,
    Der mich mit sel'ger Blindheit hat geschlagen
    Daß ich so ganz des einst'gen Gram's vergessen! -

    Ach! - ohne dich - wie leer, wie todt das Leben -
    Es glich' dem Strom, der unterm Eise schleicht, -
    Der Rose, die des Samums Odem bleicht; -

    Der Lerche, die, gewohnt im Licht zu schweben,
    Gefangen klagt im engen, finstren Bau
    Um des verlornen Himmels sonnig Blau!

    IV.
    So geh' denn hin, mein Brief, du weiße Taube
    Zu ihm, der einsam schifft auf nächt'gem Meere -
    Bring' ihm der Liebe süße Gotteslehre,
    Auf das sein Herz an schön're Tage glaube!

    Doch wahre dich, daß du nicht selbst zum Raube
    Den Stürmen wirst, die in der dunklen Leere
    Allnächtlich lauern, kühne Räuberheere: -
    Sie drohn auch dir, du arme, weiße Taube! -

    Doch zage nicht! - denn dir auf allen Wegen
    Folgt meiner Liebe brünstig heißer Segen
    Verhüthend, daß kein böser Blick dich trifft: -

    So spann' denn aus die lilienweißen Schwingen
    Den grünen Zweig des Friedens ihm zu bringen,
    Der einsam durch des Lebens Wogen schifft! - - 

    Aus: Im Hafen. Lyrische und epische Dichtungen
    von Marlo [Ps. von Karl Edmund Langer] Wien 1849
    In Commission bei Kaulfuß Witwe, Prandel & Compagnie (S. 24-27)
    _______


    Der Entfernten

    Ob Du auch fern - ich klage nicht,
    Wenn gleich mein Herz an Sehnsucht kranket,
    Und an Dein holdes Angesicht
    Mein Blick so gern sich aufwärts ranket.

    Ob Du auch fern - ich trag' es still,
    Wenn gleich die Hoffnung, Dich zu sehen,
    Trostlos in mir ersterben will -
    Sie muß ja wieder neu erstehen! -

    Und bauen die Gedanken nicht
    Von mir zu Dir den Brückenbogen,
    Der siegend Berg und Thal umflicht,
    Wie eines Bächleins Silberwogen? -

    Die Briefe Deiner lieben Hand,
    Sind's Tauben nicht mit weißen Schwingen,
    Die mir aus fernem Wunderland
    Gar süße, schöne Kunde bringen! -

    D'rum - ob du fern - ich klage nicht;
    Wenn auch mein Herz von Sehnsucht kranket,
    Und an Dein holdes Angesicht
    Mein Blick so gern sich aufwärts ranket!

    Aus: Immergrün. Taschenbuch für das Jahr 1844
    Achter Jahrgang Wien Verlag der Carl Haas'schen Buchhandlung
    (S. 269-270)


  • Karl Gottfried Ritter von Leitner (1800-1890)

    Ihr Bothe

    Stille war's lang' und Nacht, ich hatte die Leuchte verlöschet,
    Nur das Mondlicht floß dämm'rig in's dunkle Gemach.
    Horch! - da regte leise die Thür', und geheim auf den Zehen
    Schlich ein freundlicher Knab' trippelnd zu mir an das Bett.
    "Bin ein Bothe," begann er flisternd, "und komm' aus der Ferne,
    Bringe dir Grüße mit, ach! - und wohl Süßeres noch."
    Du mit dem flaumigen Haar, blaßgolden und kraus, du Bothe.
    Dacht ich, liebliches Kind, zart wie ein Elfe des Hain's!
    Doch ein Briefchen fürwahr erhob er lächelnd, und sagte:
    "Sieh, das bring' ich von Ihr!" Himmel, welch freudiger Schreck.
    Sprachlos, selig entzückt dem holden Kleinen entriß ich,
    Stürmisch an Lippen und Brust drückt' ich das knisternde Blatt.
    Weiß wie Lilien war's, und rosig glühte das Siegel,
    Rosig, als hätt' ihr Kuß wonnig zur Gluth es entflammt.
    Doch ob Lilien auch das Aug' ergetzen und Rosen,
    Süßer jedoch berauscht, innen verborgen, der Duft.
    Schnell auch wollt' ich darum entfalten das niedliche Briefchen,
    Doch - schon wieder hinweg riß mir's der Schalk, und verschwand.
    Wollt' er mich necken nur, wie oder hat er zuvor mich
    Armen verkannt, und es galt einem Beglücktern der Gruß?
    Drum so prüfe genauer hinfort und strenger, o Liebchen!
    Wem du vertrauest; denn sieh! dieser war leider - ein Traum.
    (S. 163-164)
    _______


    Der Zank mit der Rose

    Ich sah die Flur, den Wald in grüner Hülle
    Und obenhin den Himmel blau und frey,
    Da floh ich rasch des wirren Volkes Fülle,
    Heraus mich schleichend in den blum'gen May.
    Und tief in Einsamkeit und süße Stille
    Verbirgt mich nun des Parkes Siedeley,
    Die selbst in Eichengrün und Rosenhecken
    Das braue Dach sucht sorgsam zu verstecken.

    Gedämpft durch dunkles Laub, ergießet innen
    Sich grünlich bleich des Tages goldner Schein,
    Und ladet sanft zu süßem Liebesinnen,
    Wie Mondenlicht im stillen Zwielicht, ein.
    Gleich Silber hallt der fernen Quelle Rinnen,
    Des Waldes Zweige schauern lieblich d'rein,
    Und flötend singt und klingt's aus tausend Kehlen
    Und lehrt mich hold die schönsten Weisen wählen.

    Was schimmert dort im Lenzgesproß der Linde?
    Ein Restchen Schnee, das zögernd noch nicht schmolz?
    O nein! - Es girret, und mein Täubchen finde
    Ich nachgeflogen hier im jungen Holz.
    Seht! - flatternd prüft den Fittich schon im Winde
    Der Liebe Bothinn, auf ihr Aemtchen stolz;
    Sie äugelt her, und sperret voll Verlangen
    Das Schnäblein auf, ein Briefchen zu empfangen.

    Bald, bald! - Beginnend mahl den lieben Nahmen
    Auf's weiße Blatt ich schon mit gold'nem Stift;
    Dann halt' ich ein, - wie ob des Arms Erlahmen, -
    Und küsse froh bethört die eig'ne Schrift.
    Was füg' ich nun in bunter Reime Rahmen?
    Ein schmeichelnd Lied von zarter Liljen-Trift
    Des Busens, und von weichen Lippenrosen? -
    Wie soll mit Worten ich die Ferne kosen?

    Und wie ich lispelnd so von Rosen spreche,
    Hebt Eine schon den schlanken Hals im Nu,
    Und späht durch's Fenster auf des Tisches Fläche
    Und neigt sich lauschend an's Gesims herzu.
    Ey! theilst du auch der andern Mädchen Schwäche?
    Pfui! - Schäme dich, rothbäckig Dirnlein du! -
    Verstohlen so in fremde Briefe blicken,
    Das will sich nicht für hübsche Leutchen schicken.

    Schon wieder? - Neckisch Ding! von solcher Tücke
    Laß baldig ab, und sey auf deiner Huth,
    Daß ich nicht plötzlich dich und strafend pflücke.
    Ertappt, ertappt! - Sie läßt es nicht. Schon gut!
    Ob sie auch bergend nun sich duck' und bücke,
    Verräth sie doch der Wangen hohe Gluth.
    O spare nur der Thränen schöne Wellen,
    Es rührt mich nicht, wie sie auch schmachtend quellen.

    Weh! - Arge! - Seht! sie sticht nach meinen Händen,
    Und brennend quillt das Blut aus feinem Born;
    Doch hoffe nicht dein strenges Loos zu wenden,
    Der scharfe Stahl verhöhnet solchen Zorn,
    Und kann ich gleich das Briefchen nimmer enden
    Mit wunder Hand, verletzt durch deinen Dorn:
    So mögen schnell des Täubchens leichte Schwingen
    Entschuldigend dich selbst der Lieben bringen.

    Dann kerkert sie, die Frevelthat zu büßen,
    Dich in die Haft des eignen Mieders ein;
    Da stirbst du bald, doch wird dein Todesküssen
    Wie Dunen weich, und weiß wie Schwäne seyn.
    Nun, Täubchen! eile flink mit tausend Grüßen
    In's stille Thal noch vor dem Mondenschein,
    Und schläft sie schon, so warte vor dem Fenster,
    Und picke nicht; - sie glaubt ja an Gespenster.
    (S. 194-197)
    _______


    Entschuldigungs-Briefchen

    Du zürnest wohl, daß ich die letzte Woche
    Versäumt den Posttermin; doch, Liebchen, koche
    Zu arge Rache nicht im kleinen Herzen,
    Und geh', ich rathe dir, zu hastig nicht,
    Es möchte dich die Eile schmerzen,
    Mit deinem Vielgetreuen in's Gericht.
    Vernimm, eh' du mich legst in Acht und Bann,
    Die Gründe der Versäumniß; dann erst, dann,
    Wenn du's vermagst, - verdamme mich.

    Ein Mädchen, blond mit blüthenrothen Wangen
    Und sanftem Aug', das fast dem deinen glich,
    Hielt liebend mich im Liljenarm umfangen.
    Wir saßen süßvertraut im Mondenscheine
    Gesehen nur vom stillen Liebessterne;
    Sie nannte sich wohl tausend Mahl die Meine
    Und küßte mich, und ich, - ich litt es gerne.
    Ich zog sie selbst an meine Brust, und herzte
    Den kleinen Schelm, und küßte, lacht' und scherzte.

    Wie konnt' ich da zur Trennung mich entschließen,
    Des Brief's gedenken, den ich dir versprach?
    Es konnte leicht das liebe Kind verdrießen,
    Wenn sein Gekos' ich scheidend unterbrach.
    D'rum wirst vergeben du, daß ich geblieben;
    Und nicht, wie ich verheißen, dir geschrieben.

    O ziehe nicht das glühende Gesichtchen
    In finst're Falten! - Offenbar
    Entschuldiget mich obiges Geschichtchen.
    Sey freundlich, Liebchen! - Du wirst doch nicht gar
    Den kleinen Fehler schon so strenge strafen;
    Hab' ich doch sonst die Stunde nie versäumt.
    Und wahrlich! - hätt' ich nicht von dir geträumt,
    Ich hätte nicht gewagt, sie zu verschlafen.
    (S. 200-201)

    Aus: Gedichte von Carl Gottfried Ritter von Leitner
    Wien gedruckt bey J. P. Sollinger 1825


  • Heinrich von Levitschnigg (1810-1862)

    Der Scheidebrief

    Du schriebst mir kalt mit wohlbekannter Hand: "Wir sind geschieden,
    Zerrissen ist das duftgewobne Band - wir sind geschieden!
    Zerstoben ist der wundervolle Traum, der mich berückt,
    Und dichte Asche deckt den Flammenbrand - wir sind geschieden!
    Die Blumen, die ich einst in wärm'rer Zeit für dich gepflückt,
    Gib mir zurück; was soll der Treue Pfand, da wir geschieden?" - -
    So sprach dein Brief. Wohl hast du recht; ich fühlte selbst es tief,
    Todt sei das Herz, so spricht nur der Verstand, wenn man geschieden.
    Wenn, Flatterhafte, das Gefühl in deiner Brust entschlief,
    Was soll mir der Erinn'rung duft'ger Tand, da wir geschieden?
    So nimm es immer hin, des kurzen Frühlings welkes Kind,
    Das deutsam deine Liebe, mir gestand, eh' wir geschieden.
    Sein süßer Duft ist jahrelang bereits verweht im Wind,
    So wie dein Schwur, der nicht fürs Leben band, da wir geschieden
    Doch gib mir auch zurück, was ich - o namenloser Schmerz! -
    An dich verlor, und nimmer wieder fand, wenn auch geschieden;
    Denn sage mir, was hat die Südnatur, mein heißes Herz,
    Bei dir zu thun im winterlichen Land?! Wir sind geschieden!

    Aus: Gedichte von Heinrich Ritter von Levitschnigg
    Wien Verlag von Pfautsch & Compagnie 1842 (S. 164-165)


  • Detlev von Liliencron (1844-1909)

    Briefwechsel

    Im Garten, heute Morgen,
    Als ich deinen Brief erbrach,
    Fand ich drin verborgen
    Ein Rosenblatt.
    Ein Rosenblatt, deinen Locken entsunken.
    Als ich es trunken
    Mit den Lippen berührte,
    Kam ein Windhauch und entführte
    Den holden Gast.
    Nun segelt es lustig zu dir zurück.
    Gleich einer Krone trägt es mein Glück
    Auf tiefrotem Samt - und verblaßt.

    Aus: Detlev von Liliencron:
    Gesammelte Werke. Band 2 und 3.
    Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart
    Berlin Leipzig 1923 (Band 2 S. 289)


  • Hieronymus Lorm (1821-1902)

    Briefwechsel

    I.
    Er schreibt:
    Jetzt, da mein Leben schon zerstört, verwittert,
    Bist du, ein Licht des Friedens, mir erschienen,
    Wie auf in Staub zerfallende Ruinen
    Ein bleicher Mondesstrahl versöhnend zittert.

    Wie oft ist meine Seligkeit zersplittert
    An blöden Herzen schnellbethörter Phrynen,
    Bis mir mit deinen wunderbaren Mienen
    Ein Himmel ward, den Zweifel nicht verbittert.

    Ich liebe dich! Mit schmerzlicher Geberde
    Erheb' ich segnend über dich die Hände,
    Ich fühl's, wie bald ich dir entfliehen werde.

    Erhörung fleht das Wort nicht, das ich sende,
    Nur wissen sollst du, Herrlichste der Erde,
    Daß du der Trost in einem Menschenende.

    II.
    Sie schreibt:
    Umhüllt vom reichsten Glanz, wie bin ich elend!
    Wie schmerzt mein Haupt, gedrückt vom Diademe!
    Indeß ich gern der Hirtin Kränze nähme,
    Des Dorfes stillen Frieden mir erwählend.

    Zur Seite geht mir, meine Thränen zählend,
    Ein Mann, für den ich kaum den Haß bezähme,
    Indeß ich gern zu dir mit Schätzen käme,
    Mein todtes Glück durch deine Lieb' beseelend.

    Und dennoch, laß' uns muthig weiter leben!
    Uns eint ein Schmerz, ob Alles sonst uns trennt.
    Laß' von der Lieb' Bewußtsein uns umweben!

    Wie weit der Stern auch von der Blume brennt,
    Ist ihm der Strahl und ihr der Duft gegeben
    Zum heimlichen Verkehr, den Gott nur kennt.


    Aus: Gedichte von Hieronymus Lorm
    Siebente, vermehrte Auflage
    Dresden und Leipzig
    Verlag von Heinrich Minden 1894 (S. 109-110)


  • Eduard Mörike (1804-1875)

    Lose Ware

    »Tinte! Tinte, wer braucht? Schön schwarze Tinte verkauf ich!«
    Rief ein Büblein gar hell Straßen hinauf und hinab.
    Lachend traf sein feuriger Blick mich oben im Fenster,
    Eh ich michs irgend versah, huscht er ins Zimmer herein.
    Knabe, dich rief niemand! - »Herr, meine Ware versucht nur!«
    Und sein Fäßchen behend schwang er vom Rücken herum.
    Da verschob sich das halbzerrissene Jäckchen ein wenig
    An der Schulter und hell schimmert ein Flügel hervor.
    Ei, laß sehen, mein Sohn, du führst auch Federn im Handel?
    Amor, verkleideter Schelm! soll ich dich rupfen sogleich?
    Und er lächelt, entlarvt, und legt auf die Lippen den Finger:
    »Stille! sie sind nicht verzollt - stört die Geschäfie mir nicht!
    Gebt das Gefäß, ich füll es umsonst, und bleiben wir Freunde!«
    Dies gesagt und getan, schlüpft er zur Türe hinaus. -
    Angeführt hat er mich doch: denn will ich was Nützliches schreiben,
    Gleich wird ein Liebesbrief, gleich ein Erotikon draus.
    (S. 80-81)
    _______


    Jägerlied

    Zierlich ist des Vogels Tritt im Schnee,
    Wenn er wandelt auf des Berges Höh:
    Zierlicher schreibt Liebchens liebe Hand,
    Schreibt ein Brieflein mir in ferne Land'.

    In die Lüfte hoch ein Reiher steigt,
    Dahin weder Pfeil noch Kugel fleugt:
    Tausendmal so hoch und so geschwind
    Die Gedanken treuer Liebe sind.
    (S. 19)

    Aus: Eduard Mörike Sämtliche Werke in vier Bänden.
    Erster Band: Gedichte. Carl Hanser Verlag München 1981
    (Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Herbert G. Göpfert)


  • Wolfgang Müller von Königswinter (1816-1873)

    Ewig dein!

    Der Lenz ist da, der schöne Fant,
    Er ziert und schmücket alles Land,
    Er weckt in Wald und Feld und Luft
    Der Vögel Lied, der Blumen Duft;
    Voll Sehnsucht muß ich fern dir sein:
    Und ich bin ewig, ewig dein!

    Da steh' ich unterm Apfelbaum,
    Er streut aufs Haupt mir Blütenflaum;
    Ich pflücke rasch sein erstes Blatt,
    Es ist von jungem Grün so satt;
    Mit flücht'gen Zügen schreib' ich drein:
    Und ich bin ewig, ewig dein!

    Dort schießt die Schwalbe hin in Eil',
    Ein leichtbeschwingter Frühlingspfeil;
    Sie senkt sich aus den Lüften tief,
    Ich geb' ihr meinen grünen Brief,
    Daß er dich grüß' am fernen Rhein:
    Und ich bin ewig, ewig dein!

    Wenn sich mein Vogel niederschwingt,
    Und dir die frohe Botschaft bringt,
    Dann siehst du wol im Gartenland,
    Zerpflückt die Blumen mit der Hand,
    Und fragest sie: Gedenkt er mein?
    Und ich bin ewig, ewig dein!

    Aus: Dichtungen eines Rheinischen Poeten
    von Wolfgang Müller von Königswinter
    Erster Band Leipzig F. A. Brockhaus 1871 (S. 147)


  • Wilhelm Raabe (1831-1910)

    "Ein Briefelein
    An meinen Schatz
    In weiter, weiter Ferne,
    Das schrieb' ich fein
    Und legte drein,
    Was ich ihm gäb' so gerne:
    An jedes Ecklein
    Einen Kuß,
    Und in die Mitte
    Tausend Gruß,
    Viel Bangen, Hoffen, Seufzerlein,
    Mein ganzes, ganzes Herzelein -
    Eia, eia, ei, ei, eia!"

    Aus: Wilhelm Raabe Sämtliche Werke
    Band 20: Hastenbeck / Altershausen / Gedichte
    Bearbeitet von Karl Hoppe
    Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht 2001 (S. 347)


  • Hermann Rollett (1819-1904)

    Brief

    Das war ein Balsam für mein wundes Herz,
    Das war ein kühler Thau für meine Seele,
    Die, schon verschmachtend, trank den heißen Schmerz,
    Daß nicht der kalte Gram zu Tod sie quäle.

    Das war ein Wehen milder Abendluft
    Nach heißem Tag, an dem ich sterben wollen,
    Es war ein Klang, es war ein Strahl, ein Duft,
    Der aus dem Himmel deiner Lieb' gequollen.

    Wie einer Blume zaubervoller Schein
    Ist meinem Aug' ein jedes Wort gewesen, -
    So mag den hellen Sternen oben sein,
    Wenn sie die Blumenschrift der Erde lesen.

    Und so auch mag dem Frühlingshimmel sein,
    Wenn er es sieht, wie durch sein heißes Küssen
    Die Blumenengel aus dem Knospenschrein
    Mit Blüthenflügeln auferstehen müssen.
    (S. 55-56)
    _______


    Vollendung

    Der Geist der Liebe hat die hohe Sendung
    Daß er das Leben bringt erst zur Vollendung.
    Noch niemand hat erfaßt des Lebens Tiefe,
    Der nicht gelesen in der Liebe Briefe;
    Der sehnend nicht den Brief der Lieb' entsiegelt
    In dem sich licht der Gottheit Antlitz spiegelt,
    In dem sich liebereich der Geist entfaltet,
    Der alles Leben weihevoll gestaltet. -

    Und mir auch ward erst klar der Gottheit Wesen
    Als ich in deinem Auge Lieb' gelesen.
    Auch mir erschloß sich erst des Lebens Tiefe,
    Als ich gelesen in der Liebe Briefe,
    Als ich mein Herz gebadet in dem Bronnen,
    Dem alles Leben einstens reich entronnen,
    Auch mir ward es erst licht in meiner Seele,
    Seit ich dir, Kind, von meiner Lieb' erzähle!
    (S. 64)

    Aus: Gedichte von Hermann Rollett
    Auswahl. Mit dem Bildnis des Dichters
    Leipzig Franz Wagner 1865


  • Max Schaffrath (1813-1877)

    Ein Brandopfer

    Sei stark mein Herz! Sie hat es ja befohlen!
    Sind dir die todten Lettern noch so lieb?
    Es muß geschehn! So sinkt denn in die Kohlen,
    Ihr lieben, süßen Briefe, die sie schrieb!

    Ein seltner Schatz wird euch vertraut, ihr Flammen,
    In welchen nie ein fremdes Auge sah.
    O bergt ihn gut, schlagt über ihm zusammen
    Und tilgt die Spur von allem, was geschah!

    Dann bin ich frei und vor Verrath geborgen -
    Ich frei? Was soll's mir? Wünscht' ich das zu sein? -
    Doch sie ist frei - frei von den bangen Sorgen
    Und darf sich frei der neuen Liebe weihn . . .

    Der erste Brief! - Wie schwammst du in Entzücken!
    Herz, wie du pochtest, da du ihn empfingst!
    Und wie du dann mit festgebannten Blicken
    An jedem Wort, an jedem Schriftzug hingst!

    O lies nicht wieder! Willst du ganz verbluten?
    Schnell! . . . Wie das flackert! Stille doch, mein Herz!
    Gleich ist's gethan! Schon senken sich die Gluten,
    Leis knisternd stäuben Fünkchen niederwärts.

    Herz, laß das Flehn und Sträuben! Hier ein zweiter . . .
    Dies weiche Zögern mehrt ja nur die Qual!
    Ein dritter . . . vierter . . . weiter! immer weiter!
    Noch einen Blick zum letzten, letzten Mal!

    Und wieder einer! . . . Fort, nur fort geschwinde! . .
    Noch liegt er unversehrt . . Die Flamme spielt
    So zart um ihn, als ob sie mit empfinde,
    Wie unbeschreiblich Süßes er enthielt.

    Und der! . . . Er bäumt sich gegen die Vernichtung!
    Drin steht ein Schwur für Zeit und Ewigkeit.
    Ha, Ewigkeit! - Sie blüht nur in der Dichtung -
    So starke Lieb' auch unterlag der Zeit!

    Rasch Brief und Brief gehäuft, daß sich's vollende . . .
    Vorbei! vorbei! . . . Ich sinn' und blicke still
    Bald in die Glut, bald auf die leeren Hände,
    Und sinn' umsonst, was ich beginnen will.

    Das Feuer sinkt . . . Wie mocht' ich thöricht wähnen,
    Sie bliebe mein! - Fahr hin, du schöner Traum! . .
    Da plötzlich zischt es in die Glut - - Wie, Thränen? -
    O Gott, ich weine leis und weiß es kaum!

    Aus: Dichtungen von Max Schaffrath
    Düsseldorf Verlag von Breidenbach & Comp. 1875 (S. 123-125)


  • Adolf Schults (1820-1858)

    Taubenpost

    Wenn ich doch zwei Täubchen hätte,
    Die für mich auf Reisen gingen,
    Ei, wie sollten um die Wette
    Lustig sie die Flügel schwingen.

    Flattern sollten sie und schwirren,
    Wenn sie vor Dein Haus gekommen,
    Und vor Deinem Fenster girren,
    Bis Du sie hereingenommen.

    Und zwei Brieflein, feingefalten,
    Goldgerändet, fein beschrieben,
    Sollten sie im Schnabel halten,
    Meldend, daß ich treu geblieben.

    Waizenkörner, rund und golden,
    Müßten dann das Paar erquicken;
    Furchtlos sollten Dir die Holden
    Aus der lieben Hand sie picken.

    Und wenn sie gelabt die Speise,
    Sollten sie die weißen Schwingen
    Wieder regen zu der Reise,
    Deine Antwort mir zu bringen.

    Aus: Gedichte von Adolf Schults
    Dritte vermehrte Auflage
    Iserlohn Julius Bädeker 1857 (S. 70)


  • Ludwig Seeger (1810-1864)

    Was schnürt mein Lieb mit Seide da zusammen?

    Was schnürt mein Lieb mit Seide da zusammen?
    Papiere, viel verborgen und zerknittert,
    Ein Bündel voller Funken, voller Flammen,
    Bei deren Anblick mir das Herz erzittert.

    Die Briefe sinds, die ich ihr einst geschrieben,
    Und wohl auch Verse, die mit unterliefen;
    Das Bischen Witz, das Prosa noch geblieben,
    Du hättst es gern in Liedern statt in Briefen?

    Wohl ist es eine mir bekannte Sprache,
    Auch weiß ich das Original zu schätzen;
    Und wenn auch spaßhaft, neu ist nicht die Sache,
    Sein eigen Fabrikat zu übersetzen.

    Und doch, sie sollen bleiben, wie sie waren:
    Laß meine Briefe ruhen bei den deinen,
    Und wie sie sind, sie sollen uns nach Jahren,
    Ich hoffe, doch nicht ungereimt erscheinen.
    (S. 264)
    _______


    Der Page

    O hätt' ich niemals sie gesehn,
    Die göttlichste der Frauen!
    Ich trag' es nicht . . . o könnt' ich gehn!
    Mich hält, ich kann es nicht verstehn,
    Ein tödtlich süßes Grauen.

    Sie naht . . . wie heißer Sonnenbrand
    Durchrinnt es mir die Glieder,
    Wie rauscht, wie schimmert ihr Gewand!
    Sie drückt den Brief mir in die Hand,
    Bückt sich zu mir hernieder . . .

    Sie flüstert . . . Rosendüfte weht
    Ihr Hauch, sie drückt mir leise
    Die Schulter, ha, sie bittet, fleht,
    Die Herrin! . . . Schloß und Halle dreht
    Um mich sich wirr im Kreise.

    Der Abend kommt . . . Der Ritter stimmt
    Die Harfe . . . flicht die Hände
    Ihr um den Hals . . . das Licht verglimmt . . .
    O Gott ich weiß nur Eins - das nimmt,
    Das nimmt kein gutes Ende!
    (S. 369)

    Aus: Ludwig Seeger's gesammelte Dichtungen I. Liederbuch
    Stuttgart Druck und Verlag von Emil Ebner 1863


  • Jegor von Sivers (1823-1879)

    Einsame Liebesklage
    (Estnisches Volkslied bei Fellin)

    "Mit deinem Lebewohle
    Schied alle Freude mir."
    A. Böttger's Gedichte

    Meinen Schatz entführten Wogen,
    Fluten zogen ihn nach Rußland,
    Lüfte wehten ihn nach Harjen,
    Winde zu dem Türkenlande.
    Wolken sandten ihn nach Polen,
    Nebel ihn an deutsche Strande.

    Winde, bringt ihm Wohlergehen,
    Wolken, schenkt ihm langes Leben,
    Himmel, eine treue Seele,
    Schloßen, werft ihm zu die Briefe,
    Nebel, bring ihm meine Küsse,
    Viele, viele Herzensgrüße.

    Wochenlang dich nimmer schauen!
    Mondenlang von dir nichts hören!
    Wie viel Wälder wol uns trennen?
    Wie viel hohe Ebereschen,
    Wie viel wilde Apfelbäume? -

    Wo dein Roß auch stürm' und setze,
    Wachs ein Häuschen aus dem Boden.
    Wo dein Thier sich immer tummle,
    Baue sich die Futterkrippe.
    Und wohin dein Roß sich wende,
    Thürme sich ein friedlich Kirchlein.
    Gott behüte dich im Schlummer,
    Könnt ich dir das Lager schmücken,
    Deine Hand, Geliebter, drücken!


    Aus: Palmen und Birken
    Dichtungen von Jegor von Sivers
    Zweite durchgesehene und stark vermehrte Auflage
    Leipzig Verlag von J. J. Weber 1853 (S. 142-143)


  • Franz Stelzhamer (1802-1874)

    In der Fremde

    VI.
    O, daß die Schrift erfunden,
    Und daß es Post und Boten gibt!
    Sonst stürb' an Sehnsuchtswunden
    Manch' armes Herz, das ferne liebt.

    Ich wäre selbst verschieden,
    Gewiß des Kummers schon,
    Denn aller Trost und Frieden
    Ist längst in Seufzern mir entflohn.

    Doch fehlte Schrift und Bote,
    Ich zöge dann von Liebchens Ort
    Um's Gold im Morgenrothe
    Nicht über Steinwurfweite fort!

    So aber kann ich schreiben,
    Wie mir um's treue Herze sei,
    Und fleh'n, Sie möge bleiben
    Dem treuen Herze hold und treu.

    Kann sagen Ihr und fragen,
    Was in der weiten Welt geschieht,
    Und was sich zugetragen
    Bei Ihr, seit Sie mich nimmer sieht?

    Kann schreiben und Sie necken
    Als hätt' ich dies gehört und das,
    Kann schreiben und Sie schrecken,
    Als gäb' es mit mir selber was.

    Mein ganzes Herz ausgießen,
    Gar weinen kann ich ins Papier,
    Ein Löckchen Haar beischließen,
    Das mehret keine Postgebühr.

    Das Alles kann ich treiben
    Und schreiben; treib' und schreib' es auch:
    Das Liebesbriefchenschreiben
    Ist doch ein schöner alter Brauch!
    (S. 158-159)

    VII.
    Im Posthof weile ich am Schalter,
    Wo man die Briefe giebt hinein,
    Wie an der Blume weilt der Falter -
    Mein Brief darf nicht der erste sein!

    Sieh, ein Hebräer kommt und wälzet
    Hinab sein mächtiges Packet;
    Dann kommt ein Dandy angestelzet
    Mit einem zierlichen Billet.

    Commis', Lackeien, Mägde, Buben,
    Leicht aufgeschürzt, wie sie zu Haus
    In ihren Buden geh'n und Stuben,
    Die packen hier ihr Krämchen aus.

    Und husch! wirft Eines nach dem Andern
    Sein Briefchen in die Kastengruft -
    Ein Weilchen Ruh', dann heißt es wandern,
    Die Peitsche knallt, das Posthorn ruft -

    Nach Ost und West, nach beiden Polen,
    Dahin nach allen Radien,
    Müßt Kunde bringen, Kunde holen
    Aus allen Lebensstadien!

    Jetzt schwankt daher mit Gramgeberde
    Ein Jüngling - sieh, ein Sämann streut
    Sein Körnlein zagend in die Erde,
    Fast hat die Aussaat ihn gereut!

    Der Brief - wem der wohl zugehöret? -
    Doch sieh! ein herzig Mägdlein naht,
    Ei, ei, das hat die Lieb' bethöret,
    Wie roth es ward, wie scheu es that!

    Die Lieb' bethört! - mit Blitzesschnelle
    Dann fliegt mein Briefchen auch hinein,
    Daß es sich engstens beigeselle
    Die Liebespein der - Liebespein!
    (S. 160-161)

    VIII.
    Wenn dann mein Herz in Sehnsuchtsgluten
    Sich hat versenget und verbrannt,
    Da kommt auf einmal von der Guten
    Ein zartes Brieflein eingesandt -

    Ein Brief! ein Brief!
    Ertönet jede Leibesfiber,
    Des Lebens Elemente klingen,
    Die Pulse hüpfen froh und singen:
    Ein Brief! ein Brief!
    Ein ganzer Himmel zieht vorüber.

    Gepresset an den Mund,
    Gedrücket an die Brust,
    Ist mir schon magisch kund
    Des Briefes inn're Lust.

    Und erst, wenn schon verrauschet
    Der Sturm, erbrech' ich das Sigill
    Und stelle mich schön unbelauschet,
    Und lese tiefgeheim und still.

    Auf daß in Keines Ohren dränge
    Des süßen Liebeshauches Weh'n;
    Damit es Niemand's Aug' gelänge
    In meinen Bildersaal zu seh'n.

    Ein güld'nes Kästchen wenn ich hätte
    Besetzt mit Steinen auf und um,
    Das müßte sein die Liegestätte
    Für Liebchens Evangelium.
    (S. 161-162)

    Aus: Gedichte von Franz Stelzhamer
    Stuttgart und Augsburg
    J. G. Cotta'scher Verlag 1855


  • Theodor Storm (1817-1888)

    Im Volkston

    Einen Brief soll ich schreiben
    Meinem Schatz in der Fern;
    Sie hat mich gebeten,
    Sie hätt's gar zu gern.

    Da lauf ich zum Krämer,
    Kauf Tint' und Papier
    Und schneid mir ein' Feder,
    Und sitz nun dahier.

    Als wir noch mitsammen
    Uns lustig gemacht,
    Da haben wir nimmer
    Ans Schreiben gedacht.

    Was hilft mir nun Feder
    Und Tint' und Papier!
    Du weißt, die Gedanken
    Sind allzeit bei dir.

    Aus: Theodor Storm, Sämtliche Werke Gedichte
    Märchen und Spukgeschichten, Novellen
    Aufbau Verlag Berlin und Weimar, 1972 (S. 115-116)


  • Adolf Strodtmann (1828-1879)

    Henni 9.

    Nein, Das heiß' ich mir ein Wunder,
    Wie es nur die Liebe thut!
    Steht die kühle Maid jetzunder
    Schon in lichter Flammengluth!

    Während sonst dein Herz mit Bangen
    Jedem Brief entgegen sah,
    Fragst du jetzo voll Verlangen
    Täglich: "Ist kein Briefchen da?"

    Wolltest lange nicht erwarmen,
    Jeder Kuss erschreckte dich -
    Aber heut, mit weichen Armen
    Mich umhalsend, küsst du mich!

    Und derweil ich deine Grüße
    Sonst zu holden Liedern spann,
    Fängt mir selber meine süße
    Henni jetzt zu dichten an!

    Ja, wir haben unsre Rollen
    Mählich ganz und gar vertauscht,
    Und ich hab' an deinen tollen
    Versen köstlich mich berauscht.

    Muss ich nun die Kunkel nehmen,
    Kinder wiegen, Köchin sein?
    Oder willst du dich bequemen,
    Auch noch Diesem dich zu weihn?

    Engelskind aus Paradiesen,
    Unsichtbare Zauberkraft,
    Liebe, Liebe, sei gepriesen,
    Welche solche Wunder schafft!

    Aus: Gedichte von Adolf Strodtmann
    Zweite, stark vermehrte (Gesammt-) Ausgabe
    Hamburg Hoffman und Campe 1870 (S. 259-260)


  • Julius Sturm (1816-1896)

    Sie sprach

    Sie sprach zu mir mein Liebchen klagend:
    "Setz' ich mich zu schreiben hin,
    Liebster, ach! dann fühl' ich zagend,
    Wie so ungelehrt ich bin.

    Schreib' ich dir in schlichter Rede,
    Was die Tage mir gebracht,
    Wie ich liebend im Gebete
    Früh und Abend dein gedacht;

    Wie ich dir so herzlich danke
    Für den Brief, den du mir schriebst,
    Wie's mein seligster Gedanke,
    Daß du mich so innig liebst:

    Liebster, ach! dann muß ich klagen,
    Daß ich keine Worte fand,
    Um recht schön dir auch zu sagen,
    Was mein Herz so tief empfand."

    Und ich sprach: Die schlichte Rede
    Ist's, mein Liebchen, die dich quält?
    Hast du ja wohl im Gebete
    Unter Worten lang gewählt?

    Und so schreibe mir, o Liebe,
    Nur recht fleißig fort und fort;
    Worte schmücken nicht die Liebe,
    Aber Liebe schmückt das Wort.


    Aus: Gedichte von Julius Sturm
    Leipzig F. A. Brockhaus 1850 (S. 9-10)


  • Richard von Volkmann (1830-1889)

    Brief

    Wie hier sich's lebt, des Glücks so ganz entkleidet,
    Ich brauch' es dir, Geliebte, nicht zu sagen:
    Die Stunden kleben und die Wünsche jagen,
    Seit mich von dir der Pflichten Mißgunst scheidet.

    Doch was mir die Erinn'rung fast verleidet,
    Das Trennungslos am schwersten läßt ertragen,
    Ist der Gedanke, daß in schön'ren Tagen
    Bei dir ich sündlich meine Zeit vergeudet.

    Ich konnte sicher, mahnt mich das Gewissen,
    Noch hundertmal dich, Heißgeliebte, küssen,
    Und tausendmal die stille Hand dir drücken.

    Und hunderttausendmal, wo ich's versäumet,
    Am Strahle deiner Augen mich entzücken.
    Sag', träum' ich jetzt; hab' ich zuvor geträumet?
    (S. 212-213)
    _______


    Dem Säumer

    Kommst du morgen Geliebter? Ich will dich festlich empfangen;
    Zärtlich sollst auf den Knien du mir, Verhätschelter, ruh'n!
    Schwatzen sollst du, und wolltest von tausend nichtigen Dingen
    Du mir erzählen - es kann's keiner so reizend wie du -
    Niemand soll mir herein, dich zu stören! Ich harre ja lang' schon
    Deiner! So komme mir nun sehnlich erwarteter Brief!
    (S. 216)

    Aus: Richard Leanders [Richard von Volkmann]
    Sämtliche Werke Leipzig 1899
    Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel


  • Vincenz Zusner (1803-1874)

    Die Briefe

    Deine Briefe, mir so theuer,
    Uebergab ich heut' dem Feuer,
    Daß die Menschen nie erfahren
    Was wir uns auf Erden waren.

    Schweigend sah ich in den Gluthen
    Deine theuren Zeilen bluten,
    Und mit ihren Träumen allen
    Nach und nach in Staub zerfallen.

    Doch der Flamme leises Knistern
    Schien mir heimlich zuzuflüstern:
    "Dieser Blätter stumme Klagen
    Will ich still nach Oben tragen."

    "Dort der Himmel soll es wissen,
    Wie man euer Glück zerrissen,
    Und für eure herben Zähren
    Wird er einst Ersatz gewähren."
    (S. 99)
    _______


    Die Wolke

    Das Schicksal will mir's untersagen,
    Dir schriftlich meinen Schmerz zu klagen,
    D'rum wähl' ich mir zum Liebesbrief
    Die Wolke, die im Osten schlief.

    Siehst Du sie Früh vom Alpenrücken
    Durch's feuchte Grau zur Ferne blicken,
    So zeig' sie Dir, daß oft bethaut
    Mein Auge auch hinüber schaut.

    Siehst Du sie Morgens feurig strahlen,
    So soll sie Dir mein Lieben malen,
    Das nur von Dir den Strahl erhält,
    Und ohne Dich in Nacht zerfällt.

    Erhebt die Wolke sich in's Blaue,
    So zeig' sie Dir, auf wen ich baue,
    Und melde Dir das Tröstungswort:
    "Was hier getrennt, vereint sich dort!"

    Und muß sie dann, vom Sturm ergriffen,
    Durch's weite All verlassen schiffen,
    So zeig' sie Dir, vom Himmelsplan,
    Mein eigen Loos auf Erden an.

    Und weint die Wolke, nachtumfangen,
    Weil ihre Sonne heimgegangen,
    So zeig' sie Dir zu dieser Frist
    Was ohne Dich mein Leben ist.
    (S. 114-115)

    Aus: Gedichte von Vincenz Zusner
    Zweite Auflage Schaffhausen
    Verlag der Fr. Hurter'schen Buchhandlung 1858


  • Otto Julius Bierbaum (1865-1910)

    Zwei Liebesbriefe

    1.
    Über die Ferne hin,
    Täler hin, Berge hin,
    Durch alle Tage und Nächte hin,
    Sing ich zu dir, o Geliebte.
    Hörst du mich?

    Lausche dem Rauschen der Bäume im Regen,
    Lausche dem Winde, der über die Halme
    Mit dem zärtlichen Fittiche hinstreift,
    Lausche dem holden Munde der Nacht;
    Lausche in dich.

    Lausche geschlossenen Auges, höre,
    Höre dein Herz, das rauschende, höre,
    Höre dein Blut: es trägt meine Stimme,
    Trägt meine Liebe durch all dein Leben:
    Zu dir, um dich
    Tönt mein Rufen,
    Tönt meine sehnsuchtsvolle Seele,
    Die dich sucht.

    Über die Ferne hin,
    Berge hin, Täler hin,
    Durch alle Tage und Nächte hin
    Sing ich zu dir, o Geliebte,
    Singt meine Seele zu dir.

    2.
    Wenn mein Herz auch müde ist,
    Müde von zu vielen Schmerzen,
    Ist dies müdeste der Herzen
    Doch zu dir in Glut entbrannt.

    Ach, daß du mir ferne bist.

    Doch mein Herz ist deiner Güte,
    Wie dem Himmelslicht die Blüte,
    Sonnenstrahlenzugewandt.

    Und so wird durch deine Strahlen
    Aller Schmerzen, aller Qualen
    Bald mein Herz entladen sein,
    Denn der Liebe Licht heilt schnelle.
    Sende, spende deine Helle,
    Du mein lieber Sonnenschein.

    Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.
    Um etliche Gaenge und Lauben vermehrt.
    Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,
    Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1905
    von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906 (S. 57-58)
    _______


    Alter Glückszettel

    Zwischen Hetzen und Hasten,
    In Lärmen und Lasten,
    Von Zeit zu Zeit
    Mag gerne ich rasten
    In Nachdenklichkeit.

    Fliege, fliege, mein Denken, zurück,
    Suche, suche: in heimlichen Ecken
    Dämmerbrauner Vergangenheit
    Mag wohl von verklungenem Glück
    Blinkend ein Blättchen stecken.

    Und ich suche in meinem Andenkenkasten.
    Zwischen Bändern und Briefen,
    Die lange schliefen,
    Aus trockenen Blumen und blassen Schleifen
    Will ich mir was Liebes greifen.

    Da fand einen Zettel ich, bleistiftbeschrieben,
    Der hat mir die Wärme ins Herz getrieben.
    Was stand denn da?
    Von meiner Hand:
    I mag Di gern leid'n; Du: Magst Du mi aa?,
    In schmächtigen Zügen darunter stand:
    Ja.

    In Lärm und Last,
    In zager Zeit
    War mir ein Gast
    Aus Glückseligkeit
    Dies kleine Ja der Vergangenheit.

    Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe.
    Verliebte launenhafte und moralische Lieder
    Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1900
    Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 142-143)


  • Emanuel von Bodman (1874-1946)

    Der Brief

    Ich sitze auf dem Fensterrand,
    Das gießt, das badet Busch und Sand
    Und jagt die Blütenflocken.
    Doch wenn auch Regen, Regen rinnt,
    Mein Herz will lachen. Da, dem Wind,
    Dem greif ich in die Locken.

    Was hat mein Herz? Die liebe Hand,
    Die hat mir einen Brief gesandt
    Mit einem Veilchenstrauße.
    Und morgen im Kastaniengang
    Erwartet sie mich heiß und bang
    Nach langer, langer Pause.

    Kastanie blüht, Kastanie schneit.
    Sie trägt ihr weißes Sommerkleid,
    Das mit der roten Schleife.
    O Sonne, flute durch das Grün!
    Wenn ihre jungen Wangen glühn,
    Ich nach der Hand ihr greife!

    Aus: Emanuel von Bodman
    Die Gesamten Werke Band 1 und Band 2
    Im Auftrage von Clara von Bodman
    Herausgegeben von Karl Preisendanz
    Philipp Reclam jun. Stuttgart 1960 (Band 1 S. 229)


  • Hans Böhm (1876-1946)

    Mädchenbriefe

    1.
    Liebster, heut bin ich den langen
    Langen Weg zu dir gegangen
    Und ich traf dich nicht zu Haus.
    Hab mich rasch darein gefunden
    Ging zurück die vielen Stunden
    Und ich fand und kostets aus:
    Wie das süß ist, für den andern -
    Nein für dich nur! - so zu wandern
    Ohne Nutzen oder Dank;
    Ein klein wenig Opferwehmut
    Und viel Seligkeit und Demut . .
    Schön war dieser Liebesgang.

    2.
    Was du mir für süße Worte weißt!
    Liebster, sie umklingen mich und schmeicheln
    Gleich wie Hände die mich liebend streicheln
    Und ich laß dir willig Leib und Geist.

    Ich bin froh daß ich dich gleich zuerst
    Liebte - eh du was gesagt geschrieben.
    Denn ich müßte dich jetzt sicher lieben
    Wenn du nicht schon lang mein Liebster wärst.

    3.
    Weißt du Liebster wie mir war
    Als wir durch die Heide gingen
    Dicht in Duft und Schmetterlingen
    Und der Himmel wunderklar?

    Dann die Föhre kurz und fest -
    Und ich konnte mich nicht lassen:
    Mußte greifen mußte fassen
    Und nun war ich im Geäst.

    Liebster ach du weißt es ja:
    Saß und sang und schwang mich oben
    Wie zum Himmel weggehoben,
    Doch ich wußte, du warst da.

    4.
    Wie gut wie klug daß dich es gibt:
    Man sitzt zu Haus und ist betrübt
    Und plötzlich fällst du einem ein,
    Das ist wie lauter Sonnenschein.
    Ich schließ die Augen bin bei dir -
    Ach Liebster, wärst du wieder hier!

    5.
    Ich wußte nicht daß man so lieben kann
    So selig sein.
    Wie lieb ich dich du lieber liebster Mann!
    Wie bin ich dein!

    Ich senk mein Glück die goldne Kugel still
    Ins Herz hinab.
    Da hol ich mirs herauf so oft ich will,
    Ich halt, ich hab.


    Aus: Hans Böhm Neue Gedichte München 1921
    Georg D. W. Callwey Verlagsbuchhandlung (S. 105-107)


  • Max Bruns (1876-1945)

    Hingabe

    Es müßte, was ich sang, bei Dir wie Duft in den Gemächern liegen,
    und meine Briefe müßten tief in Deiner Truhe Fächern liegen;
    und über Deinem leisen Schlaf müßt' all mein Sehnen und mein Sorgen
    wie lauter silbernes Geleucht des Mondes auf den Dächern liegen.

    Aus: Max Bruns Garten der Ghaselen
    Verlegt bei J. C. Bruns in Minden (Westfalen) 1925 (S. 95)


  • Georg Busse-Palma (1876-1915)

    Gewitternacht
    (Ein Liebesbrief)

    Ihr nennt mich närrisch und habt auch recht,
    Denn wenn ich verliebt bin wie heute eben,
    Dünkt selbst die Sonne mich fast zu schlecht
    Sie meinem Mädel als Brosche zu geben.

    Und wenn ein Verderben das Land verheert,
    Flut, Feuer und Leichen mit grinsenden Mienen:
    Mir, der ich von Liebe verwirrt und verstört,
    Muß das auch zu rhythmischer Huldigung dienen!

    Blau wie ein Feld in dichten Veilchen blüht,
    Stand erst der Himmel über stillen Landen.
    Dann ward er rot wie heiße Liebe glüht,
    Bis seinem Antlitz alle Farben schwanden
    Und weh und wild ihn ein Titanengram,
    Sehnsucht und Zorn schwarzgallig überkam.

    Er rief den Harfner seiner Traurigkeit,
    Und grau und grimm sprang von den Felsenkanten
    Der Sturm empor und sang von Mord und Streit
    Und von dem Kampf der Götter und Giganten,
    Daß seine Brauen immer düstrer zuckten
    Und sich im Horst die Adler schreiend duckten. -

    Der Tod allein macht Adlerherzen bleich,
    Und der war nah! In zackigem Gefunkel
    Schoß Blitz an Blitz, weiß loh'nden Schlangen gleich,
    Ins Herz der Nacht und züngelte durchs Dunkel;
    Und oben dröhnte donnernd dumpf Gestöhn
    Und Wutgeschrei bis in die höchsten Höhn!

    Die Blitze zuckten schauerlich nach oben
    Und niederwärts in Flammenraserein.
    Allvaters Thronstuhl bebte vor dem Toben,
    Und schauernd fragte er am Schicksalsstein,
    Ob diese Glut sein Spruch noch einmal bändigt,
    Ach, oder ob der Götter Zeit beendigt.

    Auf flacher Erde ward versengt das Gras,
    Gestürzt der Hirt, verkohlt im Kahn der Ferge.
    Die Riesenpappeln splitterten wie Gras,
    Und edle Schlösser wurden Flammenberge.
    Wie rasend schleuderte des Himmels Hand
    Blitzstrahl um Blitz, bis ihm die Kraft entschwand.

    Da ward es still, ganz still mit einem Mal,
    Bis sich der Schmerz, der ihm die Brust fast sprengte,
    Die Bahnen brach in Tränen bittrer Qual,
    Im Wolkenbruch, der alles Land ertränkte,
    So daß die Dörfer, heiß noch von den Flammen,
    Wie Seglerflotten nun im Wasser schwammen.

    Drei Tage weinte er, und wehren konnt
    Er dann noch kaum die Tränen seinem Leide.
    Als hätt er leuchtend nie uns übersonnt,
    Hing kalt und grau er über wüster Heide.
    Der durch Äonen Mensch und Götter schied
    In selger Klarheit, blieb vergrämt und müd.

    Weißt du, warum? - Dich, Schatz, hat er gesehn,
    Und wilde Sehnsucht griff ihn deinetwegen.
    Statt leuchtend klar zu Häupten dir zu stehn,
    Wollt er sich zärtlich dir zu Füßen legen.
    Und da Gesetzt des Weltenlaufs ihn band,
    Empörte sich und schluchzte der Gigant! -

    So hat selbst Ewige deine Lieblichkeit
    In tiefster Brust verwundet und bewegt.
    Ach, und nicht sanfter wär mein Trennungsleid,
    Hielt süße Hoffnung nicht mein Herz umhegt.
    Doch da ich hoff, laß tausendmal dich grüßen!
    Der Himmel weint, ich jauchz' dir bald zu Füßen!

    Aus: Brückenlieder Ein Gedichtbuch von Georg Busse-Palma
    Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
    München 1906 (S. 52-54)


  • Max Dauthendey (1867-1918)

    Dein Haar ist mein zärtlichstes Kissen

    Und schmückt dein Haar meine Kissen,
    Wie wird die Welt mir so gut;
    Deinem Haar verschrieb ich mein Blut,
    Deinem Haar, das im Dunkel noch lacht,
    Und das der Leidenschaft Geste
    Stumm wie das Feuer nachmacht.

    Dein Haar schreibt viel brennende Zeilen,
    Dein Bett ist der heißeste Brief;
    Dein Haar ist mein zärtlichstes Kissen,
    Auf dem meine Sehnsucht entschlief.


    Aus: Max Dauthendey
    Gesammelte Werke. In sechs Bänden.
    Vierter Band: Lyrik und kleinere Versdichtungen.
    Albert Langen München 1925 (S. 199)


  • Demeter Dudumi (um 1856)

    Ich habe schon viele Briefe,
    Treuliebste, dir geschrieben,
    Doch sind noch tausend Blätter
    Im Herzen unbeschrieben!

    Ich habe schon viel gedichtet,
    Treuliebste, dich besungen,
    Doch hat meine Leier noch lange
    Für dich nicht ausgeklungen!

    Ich habe schon viel gebethet,
    Treuliebste in Lust, in Schmerzen,
    Doch sind noch tausend Gebethe
    Verborgen in meinem Herzen!

    Mein Schreiben, Dichten und Bethen
    Will ich dir immer weihen;
    Es möge wie Immortellen,
    Treuliebste, um dich sich reihen!


    Aus: Immortellen der Liebe von Demeter Dudumi
    Zweite Auflage Pesth Verlag von H. Geibel 1854 (S. 80-81)


  • Gerrit Engelke (1890-1918)

    Frage über Weiten

    Heut hab ich einen Brief ausgesandt,
    Wie eine Möve,
    Zu dir.

    Die schwankenden Bäume,
    Die Hupfwellen am Ufer
    Und Wildrosen
    Warten.

    O sende eine Waldtaube!
    Einen wilden Schwan,
    Der mit stürmischem Flügel
    Dein Blatt mir zuwirft

    Wie eine brennende Rose!

    Aus: Gerrit Engelke Das Gesamtwerk
    Rhythmus des neuen Europa
    Herausgegeben von Dr. Hermann Blome
    Paul List Verlag München 1960 (S. 161)


  • Bruno Frank (1887-1945)

    Aus: REQUIEM
    Emma Ley zum Gedächtnis

    An deine Urne lehnte ich die Wange
    Und meinte dir ein wenig nah zu sein,
    Man nahm sie mir, die dunkle birgt sich lange
    Nun überm Meer im dunkleren Gestein.
    Es löst sich alles, was dem kranken Hange
    Noch Stillung bot, ich bleibe ganz allein.
    Die Stimmen, die den holden Namen summen,
    Sind schwächer schon und werden ganz verstummen.

    Um deine letzten Briefe ist's geschehen,
    Die matte Hand, sie führte leichten Stift,
    Es blaßt und blaßt, kaum ist sie noch zu sehen,
    Ich habe sie zu oft geküßt, die Schrift.
    Zum seidnen Haartuch meine Sinne flehen
    Vergebens nun, daraus kein Hauch sie trifft.
    Bald mag ich mich an meinem Ziele glauben,
    Was hab ich noch, was läßt sich mir noch rauben?

    Aus: Die Kelter Ausgewählte Gedichte von Bruno Frank
    Musarion Verlag München 1919 (S. 123-138)


  • Adolf Frey (1855-1920)

    Blütenblätter

    Ich lausche unter dem Kirschbaum
    Ins sprossende Frühlingsland,
    Die Zweige flüstern und raunen
    Und schütteln ihr weißes Gewand.

    Die Blüten sinken vom Kelche
    Und rieseln im leisen Wind,
    Ich sehe sie blinken und sinken
    Und denk an ein schlankes Kind.

    Ich riß ihr verstohlenes Briefchen
    Im Felde beim Wandern entzwei,
    Und die weißen Blättchen stoben
    Hinein in den lachenden Mai.

    Die Worte umfingen, umklingen
    Mich noch wie ein heimlich Geläut,
    Und immer noch flattern die Blättchen,
    Die ich in die Lüfte gestreut.

    Aus: Gedichte von Adolf Frey
    Zweite vermehrte Auflage
    Leipzig H. Haessel Verlag 1908 (S. 48)
    ________


    Verratenes Geheimnis

    Ich hing in eitel Liebeslust
    Und hab mein Blondchen oft geherzt,
    Es hat kein Mensch darum gewußt,
    Nun zwinkern alle Augen.

    Gegangen kam der Mai ins Land,
    Der Berg ward grün und schwül die Luft,
    Sie läßt ein luftiges Gewand
    Dem schlanken Leibe messen.

    Sie nestelt sich das Mieder los,
    Da lag ein Brieflein süß versteckt,
    Geruhsam wie in Gottes Schoß,
    Und heimlich fiels zur Erde.

    Und vor dem Spiegel guckt und dreht
    Sie bald nach hier und bald nach dort,
    Die Alte hat den Brief erspäht -
    Nun zwinkern alle Augen.

    Aus: Gedichte von Adolf Frey
    Zweite vermehrte Auflage
    Leipzig H. Haessel Verlag 1908 (S. 57)
    _______


    Das welke Blatt

    Ich habe Stunde um Stunde gelauscht,
    Ich habe gelauscht bis zur dunklen Nacht
    Da hat der Sturmwind aufgerauscht
    Und hat mir ein welkes Blatt gebracht.

    Es kam keine Kunde, kein Brief von dir,
    Die ich so lange nicht mehr gesehn,
    Und klagend sprach das Herz zu mir:
    "Jetzt ist meinem Lieb ein Leid geschehn!"

    Aus: Gedichte von Adolf Frey
    Zweite vermehrte Auflage
    Leipzig H. Haessel Verlag 1908 (S. 61)


  • Ludwig Fulda (1862-1939)

    Beruhigung

    Von schwarzer Eifersucht durchdrungen,
    Dem Feste fern, hab' ich gewacht,
    Voll Zweifel, ob mein Lieb, umschlungen
    Von fremdem Arm, an mich gedacht.

    Mir war das Herz schon fast zersprungen,
    Da ward ein Brieflein mir gebracht,
    Draus klang es wie mit Engelszungen:
    "Ich habe nur an dich gedacht."

    Die Süße hat getanzt, gesungen
    Vor buntem Schwarm die halbe Nacht,
    Hat lächelnd sich im Kreis geschwungen
    Und doch dabei an mich gedacht.

    Sie hat den Alten wie den Jungen
    Die Köpfe gründlich heiß gemacht;
    Doch bei dem Sieg, der ihr gelungen,
    Hat sie getreu an mich gedacht.

    Und als das laute Fest verklungen
    Und sie entschlafen leicht und sacht,
    In ihres Traumes Dämmerungen
    Hat sie an mich, an mich gedacht.

    Hätt' ich die ganze Welt bezwungen,
    Erbeutet aller Fürsten Macht,
    Nichts Köstlichers hätt' ich errungen,
    Als daß sie nur an mich gedacht.

    Aus: Neue Gedichte von Ludwig Fulda
    Stuttgart 1900 J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger (S. 32-33)


  • Ernst Goll (1887-1912)

    Ein Brief

    Mein liebes Kind! Die Schwalben ziehen fort,
    Die letzten Rosen sind nun auch verdorrt.

    Der große Garten schien noch nie so leer,
    Es blühen nur die blassen Astern mehr.

    Und meine Sehnsucht brennt so lichterloh,
    Ich weiß es nun, ich werde nicht mehr froh,

    Bis ich dir wieder in die Augen seh'. -
    Verbrenne diesen Brief! Er ist so weh . . .
    (S. 155)
    _______


    Mit meinem Bilde

    Die Menschen sagen: "Jäh zerbricht ein Glück."
    Vielleicht ist morgen schon die Zeit erfüllt
    Und meine Seele kehrt zum All zurück.
    Ich weiß es nicht. Du aber hast mein Bild.

    Ich bin daheim auf kurze Ferienzeit.
    Mein Herz ist heiß, mein Auge jugendklar.
    Fast dünkt es mich, im blauen Feierkleid
    Ist noch ein leiser Duft von deinem Haar . . .

    Den lieben langen Tag träum ich von dir,
    Die mich zu neuen Seligkeiten rief.
    Du bist so fern. Doch dicht am Herzen mir
    Verbleicht dein letzter, langer Liebesbrief . . .

    Die Menschen sagen: "Jäh zerbricht ein Glück."
    Vielleicht ist morgen schon die Zeit erfüllt
    Und meine Seele kehrt zum All zurück.
    Ich weiß es nicht. Du aber hast mein Bild.
    (S. 94)

    Aus: Ernst Goll Im bitteren Menschenland
    Das gesammelte Werk
    Herausgegeben von Christian Teissl
    Igel Verlag 2012


  • Jakob Haringer (1898-1948)

    Zwei Briefgedichte

    I.
    So gehn wir fremd aneinand vorbei
    Und warn uns so gut einst und warn uns so treu,
    Da blickt sich eins nach dem andern um,
    Wie ward unsre lodernde Liebe stumm.
    Da denk ich der schönen alten Zeit,
    Die ganze Welt im Mädchenkleid,
    Du armes Lieb, warum ach warum
    Ward unser jauchzend Sehnen so stumm,
    Hast du vergessen die schwärmende Zeit,
    O Lieb, ich spür's, wie dein Herze schreit,
    Wie dich das Herbstland traurig macht,
    Nun kam für uns beide die lange Nacht,
    Wo wir uns schmerzlich der Stunden erinnern,
    Unsre Seelen wie Waisenkinder wimmern,
    Ach wie ist nun das Leben so bitter und schwer,
    Und wie warn unsre Herzen voll Sommer und Stern.

    II.
    Auch andre Leben rinnen einsam in den Tod.
    Ach Gott, wär dieser schwere Tag schon vorüber,
    Ein Meer von Tränen über meine arme Seele stürzt,
    Ich kann die schöne Zeit, mit dir o Lieb, nicht vergessen,
    Eines Baums letzter Apfel fällt . . . hier ist
    Das Haus, wo ich einst stundenlang geharrt. Dies
    Müde Wandeln heut, o Gott, soll ein Beten sein!
    Beim Mondschein, schrei ich dies elende Gedicht. Ein Mädchen
    Singt süß in die Nacht, schimmern im Aug
    Der Kindheit nie geweinte Tränen auf. Eine einsame Rose
    Denkt wie du. Ein Greis
    Klaubt spielend Kastanien auf. Ein Eichhörnchen
    Zwei Nüsse verliert. In der kleinen Klosterkirche
    Bist du wieder, wo
    Deine erste Liebe gebetet. Mähd
    Uns die Hoffnung . . . ich find keine Himmel mehr im Mirabell.

    Aus: Die Dichtungen von Haringer
    Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1926
    (Kraus Reprint 1973) (S. 190-191)
    _______


    Irene

    Eine alte Frau wirst du sein . . . in dorren Fingern,
    Müd vom Stricken und Blättern in der Legend'
    Hältst du meinen letzten Abendbrief und weinst,
    Streichelst irr 's rote Kätzlein. Draußen
    Rinnt Regen, denkst an den lustigen Heimweg
    Vom Schulhaus und des sterbenden Bruders Lächeln.
    Ein alte Frau wirst du sein, und traurig
    Der Abendwege denken mit mir zum Thumsee,
    Der silbern Alleen zu Salzburg, der weißen Träume,
    So blüht ein kleins Wort von mir nun nach vielen Jahren auf;
    Eine Güte, die tot war, erwacht zu Kristall und Rosen,
    Aber die Bank vor eurem Haus zerbrach, die Vöglein singen
    Unsre Seele zu lauter Wehmutsgräbern.
    Die Nachmittage schicken uns Totenbrief und Heimweh.
    Eine alte Frau wirst du sein, da ich gestorben lang . . . mein letzter Brief
    Blüht in deinen alten Morgenhänden schwarze Abendröten.
    Wie lang, mein totes Lieb, wünscht du noch Sterben, klagst
    Über der Kinderzeiten Mohn und Veilchensterne.
    Ach, wie lieb warst du, wie ein Vorfrühlingshimmel abends um acht,
    Manchmal wild wie ein junges Pferd, ein dumms Hündlein.
    Nun blühst du wieder wie eine Hyazinthe im Keller,
    Und an der Seele zerbrochner Mauer grünt dein goldnes Gras.
    Eine alte Frau wirst du sein . . . den kleinen Enkeln strickst du,
    Leis trippelst du im alten Garten, sprichst mit Vogel und Hund.
    Eine alte Frau wirst du sein und weinen, weinen - und die Tochter
    Seufzt zum Mann: laß die Alte . . . sie denkt ihrer toten Liebe . . .

    Aus: Die Dichtungen von Haringer
    Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1926
    (Kraus Reprint 1973) (S. 18)
    _______


    Letztes Liebeslager

    Bald hab ich kein Geld mehr,
    Dann gehst du von mir,
    Ach, wie ist die Welt leer,
    Ein' Armenhaustür.
    Keine Märzwünsch mehr brennen,
    Kein Lied dich mehr gilbt,
    Keine Brief dich umrennen,
    Schwarzleid dich umstülpt.
    Keine Küsse mehr rosen,
    Keine Schulter dir reift,
    Meerstürm dich zerstosen,
    Kein Herz dich umgreift.
    Bald hab ich kein Geld mehr,
    Ist mein Dorfglück vorbei,
    Und das Herz wird bloß kälter,
    Vergrämt und wie Blei.

    Aus: Die Dichtungen von Haringer
    Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 1926
    (Kraus Reprint 1973) (S. 49)


  • Leo Heller (1876-1949)

    Alte Briefe

    Ein Päckchen Briefe, das ein blaues Band
    Umwand,
    Hielt sie im Schrein, daß keiner es entdeckt,
    Versteckt.
    Nur selten holt sie es, wenn sich der Tag verlor,
    Hervor
    Und liest und weint und lächelt froh und nickt
    Beglückt.


    Aus: Leo Heller Neue Gedichte
    Verlag der Fr. Lintz'schen Buchhandlung Trier
    Alle Rechte vorbehalten
    Copyright 1919 by Reuss & Itta Konstanz (Baden) (S. 24)
    _______


    Ein Brief

    "Verehrte schöne Frau! - Sie sind
    Erstaunt, wenn Sie die Zeilen lesen,
    Sie glaubten, daß mein letzter Kuß
    Das Endkapitel des Romans gewesen.
    Ich sehe Sie frappiert. - Vielleicht ist gar
    Der Pudermantel Ihrer Schulterpracht entfallen;
    Vielleicht, daß Sie ob meiner Arroganz
    Die kleinen, allerliebsten Händchen ballen.

    Ich weiß, der Brief gehört den Flammen an,
    So wie auch ich verfiel in Ihres Herzens Gluten,
    Da wir, war nicht der Herr Gemahl daheim,
    Einst Brust an Brust auf weichem Pfühle ruhten.

    O fürchten Sie sich nicht. Ich will
    Von uns'rer Liebe keiner Seele sagen,
    Mein Glück gehöre der Vergangenheit, -
    Mein Leid der Zukunft grauen Tagen."

    Aus: Leo Heller Volkslieder in modernem Gewande
    HARMONIE Verlagsgesellschaft für Literatur und Kunst
    Berlin W 35 (1902) (S. 79)
    _______


    Seit dem Tag . . .

    Sie war bleich geworden seit dem Tage,
    Da sie ihn mit einer anderen gesehn.
    Weder Vorwurf fand ihr Mund, noch Klage,
    Und in ihren Augen lag kein Flehn.

    Als sie ihm den letzten Brief geschrieben:
    "Da ich, Liebster, dich für immer nun verlor . . ."
    Ist die Hand so fest und stark geblieben
    Und ihr Sinn so stolz als wie zuvor.

    Keiner hörte, wie in bangen Nächten
    Bebend stockte ihres armen Herzens Schlag,
    Wie sich seine Sünden an ihr rächten,
    Seit sie bleich geworden an dem Tag - - -


    Aus: Präludien der Liebe
    Neue Gedichte und Lieder von Leo Heller
    "HARMONIE" Verlagsgesellschaft für Literatur und Kunst
    Berlin W 35 (1907) (S. 39)


  • Max Herrmann-Neiße (1886-1941)

    In der Fremde

    Vielleicht ist alles gar nicht wahr,
    und daß ich in die Fremde fahr',
    früh kaum ein Traum noch blieb,
    aus dem dich meine Stimme rief,
    du liest im Bett von meinem Brief
    nur dies: "Ich hab' dich lieb!"

    Ich hab' dich lieb und bin bei dir,
    obwohl in fremder Stube hier
    ich einsam schlaflos lag,
    ich dachte dein, da ward mir warm,
    da hielt ich dich in meinem Arm,
    und froh begann mein Tag.

    Mein Tag war bald schon wieder kalt,
    und ich stand abgetakelt, alt,
    auf fremdem Platz allein.
    Du gehst, von meinem Wort umwärmt,
    in deinen Blicken lächelnd schwärmt
    das Glück: "Er dachte mein!"

    Wie einer, den man morgen hängt,
    inbrünstig an das Liebste denkt,
    so schmerzhaft denk' ich dein.
    Ob ich zu dir noch einmal fahr',
    ob ich schon morgen Schatten war
    und ließ dich auch allein?

    Und dir blieb nichts mehr als ein Brief,
    aus dem noch meine Stimme rief,
    noch rief: "Ich hab' dich lieb!"
    Der Schatten einen Schatten traf,
    du weinst dich einsam in den Schlaf,
    aus dem kein Traum dir blieb.

    Aus: Max Herrmann-Neiße Gesammelte Werke
    Herausgegeben von Klaus Völker bei Zweitausendeins 1986/87
    (Band 2 S. 58-59)


  • Camill Hoffmann (1878-1944)

    Brief des Liebenden

    Seitdem du in der Ferne bist, mein Lieb,
    hab' unsrer Liebe ich viel nachgesonnen
    und frag' mich stündlich, ob ich dich gewonnen,
    ob nicht dein Herz mir fremd und zaghaft blieb.

    Wie unterm Mond das Meer aufschäumt und gährt,
    bäumt auf das Blut mir unter deinen Blicken.
    Nie litt ich tiefres Glück! Und mich umstricken
    noch jene Stunden, die dich mir gewährt.

    Bis heute schweifte meine Sehnsucht bald
    der Heimat zu, dem Süden bald, den Sternen.
    Nun weilt sie stets bei dir, bei dir, der Fernen.
    Schlafwandelnd folgt sie dir, mit Traumgewalt.

    Nie litt ich tiefre Qual! Auf deiner Fahrt
    musst du es manchesmal erbebend fühlen,
    wie Zweifel und Verlangen in mir wühlen.
    Komm, komm! Deine Liebe will nur Gegenwart.


    Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
    Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 8)
    _______


    Letzte Zeilen

    Prinzessin Anna Pia geruhte
    mir heut' diesen Brief zu übersenden:

    "Herr! Ich flehe Euch an mit erhobenen Händen,
    zügelt den Brand in Euerem Blute,
    denn hört: mein Gemahl
    hat Euer Sonett in meiner Schatulle gefunden
    und will Euch, wenn Ihr, wie täglich,
    zu meinen Fenstern kommt in den Abendstunden,
    auflauern. - O Qual!
    Ich liebe Euch nicht, allein mich dauert unsäglich
    Euere Not . . ."

    So. Der Abend ist da, entflammt wie von Küssen.
    Ich kenne mein Schicksal. Süss ist der Tod.
    Mich liebt sie nicht, doch ihn wird sie hassen müssen.

    Aus: Die Vase Neue Gedichte von Camill Hoffmann
    Axel Juncker Verlag Berlin-Charlottenburg 1910 (S. 48)


  • Felix Hübel (1874-1922)

    Alte Briefe

    AUS alten Briefen steigt ein zarter Duft.
    Mir ist, als ob mich deine Stimme ruft.

    Du, meines Lebens wunderbarster Traum,
    schon schwandest du? Ich träumte dich ja kaum!

    Auf deiner Schrift verschlungenes Gewirre
    starr toten Auges ich. Ich ging wohl irre.

    Das weiß ich jetzt. Doch weiß ich es zu spät,
    wie immer — wenn man in die Irre geht.

    Nun brennt mein Herz, so daß ich weinen muß.
    Der Duft aus deinen Briefen streift mich wie ein Kuß.

    Genug der Traumeslügen! Meine Hand
    umfaßt die Briefe. Da! sie sind verbrannt!

    Noch eine Flamme, die nicht sterben will —
    ein Knistern — Raunen — nun ist alles still.

    Doch immer, immer hängt noch in der Luft
    aus deinen Briefen dieser müde Duft.

    Aus: Felix Hübel Eros Thanatos
    Verlag von Otto Wigand Leipzig, [o. J.] (S. 33)


  • Ludwig Jacobowski (1868-1900)

    Mandelblüte

    Vom Mandelbaum nur eine einz'ge Blüte,
    Dazu ein Brieflein dunkelblau Papier
    Mit hundert Wünschen, daß mich Gott behüte ...
    Von wem ist's anders als von dir?
    Das ganze Zimmer öffnet sich der Blüte,
    Dem holden Gruß mein innigstes Gemüte! ..
    O weh, wie sehnt es mich nach dir!

    Aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
    von Ludwig Jacobowski
    Dritte Auflage Berlin 1908 (S. 136)
    _______


    Ich hab' einen Brief ...

    Ich hab' einen Brief von ihrer Hand,
    Den geb' ich nicht her um Indiens Land,
    So schwer ist seine Seele und Segen.

    Strecke ich einst meine Ellbogen aus
     - Ich stoß' mich sonst in dem Bretterhaus -,
    Sollt ihr ihn mir über die Augen legen.

    Wie bitter ist so ein dunkles Grab!
    Kein Röslein und Schwälblein plaudert hinab,
    Sie fürchten die stillen Räume.

    Ich aber schlafe zufrieden ein,
    Meine Augen werden voll Träume sein
    Und voll von dir meine Träume!

    Aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
    von Ludwig Jacobowski
    Herausgegeben und mit Einleitung versehen
    von Dr. Rudolf Steiner Minden in Westf.
    J. C. C. Bruns Verlag 1901 (S. 130)


  • Wolf Graf von Kalckreuth (1887-1906)

    Nichts gleicht der Süße Deiner lieben Worte,
    Die tränenschwer ins tiefste Herz mir sinkt.
    Mir ist, als spränge eine ehrne Pforte,
    Aus der die Lichtflut klarer Liebe dringt.

    Nicht meine Kunst, die gramvoll sich verschleiert,
    Nicht meine Rede, die sich unnütz müht,
    Hat solche Güte zarten Worts gefeiert,
    Wie aus den Zeilen Deines Briefs sie blüht.
    (S. 41)
    (Antwort auf einen Brief) (Hoeckricht, 13. Juli 1906)

    Aus: Wolf Graf Kalckreuth Gedichte
    Erweiterte Ausgabe 1921
    Leipzig Insel Verlag


  • Klabund (Alfred Henschke) (1890-1928)

    Die kleinen Verse für Irene

    Kein Brief heute morgen.
    Alle Postboten
    Sind erfroren.
    In den Lawinen
    Stecken die Züge.
    Alle Briefkästen in Basel
    Barsten.
    Die Briefe, die an mich bestimmt,
    Flatterten,
    Weiße Möwen,
    Ueber den Rhein.
    Eine, hoch schon am Himmel,
    Schreit.
    Irene!

    Aus: Klabund (Alfred Henschke): Sämtliche Werke.
    Band I: Lyrik. Hrsg. von Ramazan Sen. Rodopi
    Amsterdam / Atlanta, GA K&N Würzburg 1998 (S. 219-228)


  • Christian Morgenstern (1871-1914)

    Unter der linken Brust
    band ich dein Brieflein fest,
    da mag es wohnen nun
    bis morgen früh.

    Unter der linken Brust
    ist mir so wohl, so weh
    und beide Hände noch
    preß ich darauf.

    Unter der linken Brust
    drückt sich ein Engel ab,
    drückt sich dein Engel rot
    in weißen Schnee.

    Und unterm weißen Schnee
    liegt mein rotrotes Herz,
    küßt durch den weißen Schnee
    dein Siegel rot.

    Unter der linken Brust
    band ich dein Brieflein fest
    mit meinem blonden Haar
    wie als wärst du's!

    Aus: Christian Morgenstern Werke und Briefe
    Kommentierte Ausgabe, Band I (Lyrik 1887-1905)
    und Band II (Lyrik 1906-1914).
    Hrsg. von Martin Kießig Verlag Urachhaus Johannes M. Mayer GmbH,
    Stuttgart Band I 1988, Band II 1992 (Band 1 S. 608)
    (Band 2 S. 185)
    _______


    Liebesbrief

    Vor deiner Kammer singt und singt
    - so schreibst du, Kind - die Nachtigall,
    und, daß der Sehnsucht bangen Schall,
    dein Herz so wehvoll widerklingt!

    Gedenkst du noch des Glückes all,
    das uns tiefheimlich einst umringt? ...
    Vor deiner Kammer singt und singt
    - so schreibst du, Kind - die Nachtigall.

    Wenn heut ihr wiederum gelingt
    ihr nächtlich süßer Überfall -:
    Oh denk', ich sei's, der leichtbeschwingt
    von seiner Sehnsucht Überschwall
    vor deiner Kammer singt und singt!

    Aus: Christian Morgenstern Werke und Briefe
    Kommentierte Ausgabe, Band I (Lyrik 1887-1905)
    und Band II (Lyrik 1906-1914).
    Hrsg. von Martin Kießig Verlag Urachhaus Johannes M. Mayer GmbH,
    Stuttgart Band I 1988, Band II 1992 (Band 1 S. 608)


  • Albert H. Rausch (1882-1949)

    Wenn wir uns Briefe schreiben, viele Briefe,
    Soll uns das Wort nicht in Verführung bringen,
    Uns über das, was ist, hinauszuschwingen,
    Als ob die Ferne uns noch lockend riefe.

    All unser Glück sind unsre Wirklichkeiten,
    So wie wir atmen, lächeln, uns begrüßen,
    So wie wir jeden Tag auf sichren Füßen
    Nach unsrem Ziel und unsrer Arbeit schreiten.

    Und nie soll Warten sein, dies Gift der Gifte,
    An dem die stärkste Seele unterliegt:
    So sei die Botschaft, daß sie Frieden stifte,

    Wenn irgend fremder Traum die Seele wiegt,
    Und allen Raum, der trennend uns verbindet,
    Durch ihren Ruf allein schon überwindet.
    (S. 21)
    _______


    Nun sind wir viele Wochen schon getrennt,
    Um viele Wochen noch getrennt zu bleiben.
    Die Felder sind schon braun, die Früchte treiben,
    Blau steht und blank das glühnde Firmament.

    Mein Tag ward stumm, fast losch das Leben aus,
    Kurz ward die Nacht auf unruhvollem Pfühle,
    Erinnerung weht und etwas weiche Kühle
    Im Duft der Abendgärten durch das Haus.

    Du kennst die Bank, auf der ich lange träume,
    Sie ward im Leben vieler Briefe dein,
    Du kennst die beiden alten Lindenbäume . .

    O fernes Herz, gedenke ewig mein,
    Wenn ich um dich den guten Schlaf versäume . .
    Wie blüht das Heimweh auf im Vollmondschein!
    (S. 60)

    Aus: Sonette Die toskanischen Sonette
    Die hessischen Sonette von Albert H. Rausch
    Egon Fleischel & Co Berlin MDCCCXII (1912)


  • Anton Renk (1871-1906)

    Einen Brief mit kurzer Frage,
    Drin ein Strähn von blondem Haar -
    An dem gleichen Maientage
    Lese ich ihn jedes Jahr.

    Weißer Flieder bog die Pforten,
    Drunter ging ein junges Paar …
    Damals ward der Brief geschrieben
    Und die Frage klang vom Lieben,
    Und ich weiß aus wenig Worten,
    Daß ich einmal glücklich war.

    Weißer Flieder – immer wieder,
    Und das gleiche Maienfest
    Und der Sehnsucht alte Lieder -
    Und der Brief des Glückes Rest.

    Aus: Anton Renk Über den Firnen. Unter den Sternen
    Der Gedichte erster und zweiter Band
    Georg Müller Verlag München und Leipzig 1907 (Band 1 S. 31)


  • Emil Alphons Rheinhardt (1889-1945)

    Letzter Brief

    O Brief, in lauter Nie geschrieben!
    Erwartendes Gesicht, dir sag ichs nicht.
    Die Stunde Ewigkeit bin ich geblieben -
    Schon hält Verfallen über uns Gericht.
    An allen Rändern tagt schon Anderssein,
    So silbern neu, schaudernd zum ersten Male.
    Wie wirft mich Tagwind aus verlebtem Tale
    In jeden Anfang wolkenleicht hinein!
    Vergeh! Du bleibst. In meinen Augen werden
    Azure deiner seligen Schrecken sein.
    Zu neuem Schicksal leihst du die Gebärden.
    Du bist die Schwermut in verliebtem Wein,
    Du das Verwandte unbekannter Erden . . .
    O, jeder Abschied wird der unsre sein.

    Aus: E. A. Rheinhardt Die unendliche Reihe Gedichte und Aufrufe
    Ed. Strache Verlag Wien Prag Leipzig 1920 (S. 53)


  • Joachim Ringelnatz (1883-1934)

    Das Andenken

    Es hängt an meiner Zimmerwand
    Ein welker Strauß an verblaßtem Band.
    Den Strauß hat deine liebe Hand
    Dereinst, als ich im Garten schlief,
    Für mich gepflückt.
    Das Band
    Schlang sich um einen Abschiedsbrief,
    Der mir dein Herz so weit entrückt. – –
    Und wie ich lang hinüberseh,
    Faßt mich ein seltsam Glück und Weh.

    Es hängt an meiner Zimmerwand
    Ein Strauß, frischblühend und ohne Band.
    (Band 1 S. 40)
    _______


    Liebesbrief

    »Rösl, morgen abend um zehne
    Unter dem Standbild der Pallas Athene,
    Wo wir uns doch so oft schon getroffen,
    Beide die Brust voll Bangen und Hoffen,
    Immer so froh. Sind gewandert nach irgendwo,
    Sind gewandert durch Nacht und Tau
    Bis in das schüttelnde Morgengrau. – –
    Busseln und Lieben!! –
    Weiß nicht, was wir getrieben,
    Weiß nicht, wo all die Stunden geblieben.
    Und dann immer das alte Lied:
    Jeder wollte scheiden und keiner schied.
    Und dann gingst du doch, –
    Aber ich stand und lauschte noch,
    Lauschte, bis ferne dein Schritt verhallt.

    Rösl, ich mag dich so leiden!!
    Gelt Rösl, wir beiden
    Werden nimmer alt?«
    (Band 1 S. 43)
    _______


    Ein männlicher Briefmark erlebte
    Was Schönes, bevor er klebte.
    Er war von einer Prinzessin beleckt.
    Da war die Liebe in ihm erweckt.

    Er wollte sie wiederküssen,
    Da hat er verreisen müssen.
    So liebte er sie vergebens.
    Das ist die Tragik des Lebens!
    (Band 1 S. 65)
    _______


    Brief aus Düsseldorf nach München
    (10. Januar 1930)

    Nun, sind die Tage Dir nicht schön verflossen
    In dieser wohlgeführten, freien Stadt!?
    Und doppelt schön, weil, was wir hier genossen
    Haben, uns gleicherzeit gestreichelt hat.

    Wie jene Gassenbuben Räder schlugen!
    Wie sich die Wellen rechts am Rhein betrugen!
    Zwar: »Löwensenf« ist kein sehr schönes Wort,
    Doch er und schwarzes Brot! – In hundert Stunden
    Haben wir hundert Herrliches gefunden.

    Geliebte Frau, nun denk Dich dort
    Zurück an jenes zarte Wasserbrünnchen
    Im Breidenbacher Hof. Ach Du bist fort
    Und weit von hier und untendrein in München.

    Ich küsse Dich mit weitgedachtem Rüssel
    Aus Düssel.
    (Band 2 S. 45)
    _______


    Ehebrief

    Nun zeigt ein Brief, daß ich zu lange
    Nicht sonderlich zu dir gewesen bin.
    Ich nahm das Gute als Gewohntes hin.
    Und ich vergaß, was ich verlange.

    Verzeihe mir. – Ich weiß, daß fromme
    Gedanken rauh gebettet werden müssen.
    Ich danke jetzt. – Wenn ich nach Hause komme,
    Will ich dich so wie vor zehn Jahren küssen.
    (Band 2 S. 68)
    _______


    Ein Liebesbrief
    (Dezember 1930)

    Von allen Seiten drängt ein drohend Grau
    Uns zu. Die Luft will uns vergehen.
    Ich aber kann des Himmels Blau,
    Kann alles Trübe sonnvergoldet sehen.
    Weil ich dich liebe, dich, du frohe Frau.

    Mag sein, daß alles Böse sich
    Vereinigt hat, uns breitzutreten.
    Drei Rettungswege gibt's: zu beten,
    Zu sterben und »Ich liebe dich!«

    Und alle drei in gleicher Weise
    Gewähren Ruhe, geben Mut.
    Es ist wie holdes Sterben, wenn wir leise
    Beten: »Ich liebe dich! Sei gut!«
    (Band 2 S. 77)
    _______


    Brief in die Sommerfrische

    Ich habe so Sehnsucht nach Dir.
    Weil alles so gut steht
    Auf unserem Gemüsebeet.
    Und Du bist in England. Nicht hier
    Bei mir.
    Frau heißt auf Englisch »wife«;
    Muß man, um das zu lernen,
    Sich so weit und so lange entfernen?

    Bei uns ist alles Gemüse reif.
    Meinst Du, daß ich das allein
    Esse? Kommt gar nicht in Frage.
    Und so vergehen die Tage.
    Könnte doch zu zweit so billig sein.

    Bis August und noch September vergeht,
    Ist alles verfault auf dem Beet.
    Aber Englisch ist wichtiger als Gemüse,
    Das es schließlich auch in Büchsen gibt.
    Und ich gönne Dir das alles sehr. Grüße
    Dich!
    Dein Mann (einsam in Dich verliebt).
    (Band 2 S. 98)

    Aus: Joachim Ringelnatz Das Gesamtwerk in sieben Bänden
    Herausgegeben von Walter Pape Diogenes Verlag AG Zürich 1994
    Band 1 (Gedichte) und Band 2 (Gedichte)


  • Hugo Salus (1866-1929)

    Abschiedsbrief

    Dies ist mein Abschiedsbrief und letzter Bote;
    Sanft sei sein Schritt und mild sein Angesicht,
    Und jedes Wort sei Frieden, das er spricht.
    Weh, wenn er deines Herzens Ruh bedrohte.

    Gott Amor hob die Fackel und sie lohte.
    Ich liebte dich. Du warst mein Stern und Licht.
    Er senkt die Fackel, doch er löscht sie nicht,
    Und heißer loht sie auf, die glühendrote.

    Du kennst den Gott, der seine Fackel wendet:
    Es ist der Gott, der jeden Kummer heilt,
    Es ist der Gott, der jede Liebe endet ...

    Dies ist mein Abschiedsbrief. Die Stunde eilt.
    Drei Kreuze setz' ich drunter; eins für mich.
    Ein kleiner Friedhof. Ach, wie liebt' ich dich ...


    Aus: Hugo Salus Ernte
    Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
    München 1903 (S. 56)
    _______


    Der Spiegel

    Spieglein, Spieglein an der Wand
    Im Zimmer meiner Geliebten,
    Tröst' du des tief Betrübten,
    Einsam Verliebten Unverstand!

    Sie will bald wiederkommen,
    Ist fort kaum erst zwei Tage lang;
    Mir aber ist so bang,
    Als wär' sie mir genommen!

    Spieglein, Spieglein an der Wand,
    Ihr Freund und ihr Vertrauter,
    Gar liebreich Angeschauter,
    Birgst du für mich kein Unterpfand?

    Kein Brief zum Trost und Lieben!
    Kein Endchen Band, kein Blümchen! Nichts.
    Nicht mal der Abglanz ihres Gesichts
    Ist dir zurückgeblieben!

    Bist in den kurzen Tagen
    Ganz grau geworden, matt und trüb;
    Was soll dann ich erst sagen,
    Der ich sie so vom Herzen lieb'!


    Aus: Hugo Salus Neue Garben
    Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
    München 1904 (S. 76)


  • Emil Prinz von Schönaich-Carolath (1852-1908)

    Gewitterwind braust durch's hohe Kamin
    Und treibt die Gluten zusammen. -
    Du Lieben voll Weh, fahr' hin, fahr' hin,
    Erstirb in den rothen Flammen.

    Um die ich so viel gelitten hab',
    Ihr süßen, geliebten Lügen,
    Ihr sollt nun finden ein schönes Grab,
    Sollt leuchtend zu Nichts verfliegen.

    Noch einmal will ich lesen den Brief,
    Den ersten, den du geschrieben,
    Der mich zum rauschenden Walde rief,
    Wo du mir bekannt dein Lieben.

    Ich will auch lesen die Zeilen klar,
    Die mich voll Huld und Gnaden
    Nach einem ganzen vollen Jahr
    Zu deiner Hochzeit geladen ...

    Vorüber! Fahrt wohl! Die Flamme greift an,
    Und wie in unendlichen Schmerzen
    Erglühen und bäumen sich wild hinan
    Die Worte aus deinem Herzen.

    Und ein blendender Glutstreif reißt sie fort,
    Dann noch ein weiß wirbelnder Schimmer ...
    Was ich erkannt hab', das letzte Wort,
    Es lautete: "Dein für immer."


    Aus: Lieder an eine Verlorene
    von Prinz Emil von Schönaich-Carolath
    Stuttgart Leipzig Eduard Hallberger 1878 (S. 21-22)


  • Edgar Steiger (1858-1919)

    Keine Zeile!

    Laß gut sein! Wenn dein Brief ihr nicht gefiel,
    Was tut's? Ein Ende hat ein jedes Spiel;
    Zu langes Plaudern macht' ihr lange Weile.
    Vielleicht auch fand sie einen andern jetzt,
    Der sich anbetend ihr zu Füßen setzt.
    Du tatest's nicht! Ganz recht. Doch - keine Zeile!

    Was soll sie schreiben? Daß sie deiner satt,
    Daß aus dem Liebesalmanach ein Blatt
    Herausgerissen ward in aller Eile?
    Ob sie's als Zigarette heut verraucht,
    Ob sie's als Lockenwickel gar gebraucht,
    Wer weiß? Mir gleich! Und dennoch - keine Zeile!


    Aus: Weltwirbel Gedichte von Edgar Steiger
    Egon Fleischel & Co Berlin 1916 (S. 19)


  • Josef Weinheber (1892-1945)

    Brief, der uneröffnet zurückkam

    Wenn Du den schwärmenden Knaben
    nimmermehr sehen magst:
    Ich beuge mein Knie und gehe
    mitten durch all mein Wehe;
    ins Sterben, wenn Du es sagst.

    Doch laß eine Hoffnung mich haben:
    Streift Dich der Wunsch nur wie Hauch,
    mein tiefstes Herz zu ergründen -
    Du weißt dann, wo ich zu finden
    und -: Dann rufst Du mich auch.
    (S. 295)
    _______


    Brief an S. V.

    Nein, Dir mag ich kein Liebeslied singen!
    Nackt
    will ich mit Dir in die rote Sünde springen.

    Oh, wie es aufbricht, das starke Tier!
    Im Spiele sonst verbuhlt und verzettelt,
    aus Ketten nun aufgepeitscht steh ich vor Dir.

    Wenn ich es niemals empfunden hätte,
    was Leben ist:
    Wie Schuppen nun fällts von den Augen: Ich staune und bete! -
    Nein, Dir
    kann ich kein niedliches Liebeslied singen!
    Nackt
    mußt Du mit mir in die rotrote Sünde springen!
    (S. 300)
    _______


    Impression beim Lesen ihrer Briefe

    Meine Seele ist traurig bis zum Tode -
    ich bin - allein wie nie vordem -

    Ich lese nur mehr in deinen Briefen.
    War ich ein Stein, oder war ich blind?
    Der dunkle Herbst wird mich begraben.
    Der Schneewind singt mein Requiem.

    Meine Seele wird lebend im Grab liegen müssen;
    ewig müde und ohne Ruh.
    Ewig kommen deine Worte
    und fallen auf mein erschrockenes Herz.

    Deine leisen, entsagensseligen Worte.
    Deine lauten Worte voll Kampf und Schmerz;
    deine tiefsten, unausgesprochenen Worte
    kommen, kommen und decken mich zu,

    doch meine Seele kann nicht sterben,
    wenn auch mein Blut vor Reue gerinnt.
    Ich habe zu viel an dir gesündigt:
    Dein Weinen weint in jeden Wind.

    Daß du mich doch verachten könntest.
    Dann hätte ich Frieden in meiner Not.
    Doch du . . . warum mußt du mich lieben
    So lieben - Du! - O wär ich tot.
    (S. 324)

    Aus: Josef Weinheber Sämtliche Werke
    1. Band Gedichte Erster Teil
    Herausgegeben von Josef Nadler und Hedwig Weinheber
    Otto Müller Verlag Salzburg 1953



     


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