Liebeslyrik aus China

(in deutscher Übersetzung)

 


Li T'ai Po
(701-762)



Im Tschau-yang-Palast

I.
Zarte Blätter, goldig gelbe,
Von den Weiden niederhangen.
Wie mit duft'gem Schnee bedecket
Birnbaumzweig' in Blüthe prangen.

Zwei Eisvögel, Weib und Männlein,
In dem Prunksaal droben kosen,
Und man hat ein Yuan-yang-Pärchen
In der Goldhall' eingeschlossen.

Auserwählte, schöne Mädchen
Aus den Kemenaten schreiten,
Lieder trällernd, um des Kaisers
Galawagen zu begleiten.

Eine ist's, die über alle
Andern stolz das Haupt erhebet:
Tschau Fei-yen in Tschau-yang-Schlosse,
Die gleich einer Schwalbe schwebet.
(S. 141)

Das Tschau-yang-kung ist ein durch seine Pracht
berühmter Palast zur Han-Zeit.
Wie bei den Griechen und Römern sind die Eisvögel (alcyon)
auch für die Chinesen Sinnbild treuer Liebe. Viel häufiger werden allerdings
von chinesischen Dichtern die Mandarinenten Yuan-yang besungen.
Tschau Fei-yen, berühmte Favoritin des Han-Kaisers Tscheng-ti,
welcher Tschau Fei-yen im Jahre 16 v. Chr. zur Kaiserin machte.



II.
Auf des Parkes Bäumen ruhet
Wiederum die Frühlingssonne.
In des Kaisers Goldpalaste
Herrschet eitel Lust und Wonne.

Hinten in des Harems Räumen
Will es immer noch nicht tagen,
Denn des Nachts kam vorgefahren
Dort der kaiserliche Wagen.

Zwischen Blumen Stimmen flüstern;
Lachen tönt aus jenem Zimmer.
Eine Schöne stimmt ein Lied an,
Und sie singt beim Kerzenschimmer.

Mond, was willst mit deinem Lichte
Du schon jetzt von hinnen eilen?
Möge doch die Mondesgöttin,
Bis sie trunken, noch verweilen!
(S. 141-142)

Mondesgöttin: nach chinesischer Mythologie lebt auf dem Mond
nicht ein Mann, sondern die Göttin Tschang-ngo.




III.
In's Serail der laue Wind dringt,
Leicht gewürzet mit Aromen,
Röthlich ist die Fenstergaze
In der Morgensonn' erglommen.

Uepp'ge Blumen im Palaste
Hold der Sonn' entgegen lachen.
An des Teiches Wasserpflanzen
Spürt man der Natur Erwachen.

Aus der Bäume grünen Zweigen
Höret man der Vöglein Lieder.
Auf dem blauen Söller schweben
Frau'n im Tanze auf und nieder.

Dieser Monat, wenn in Tschau-yang
Pflaum- und Pfirsichbaum sich schmücket,
Ist's, wo hinterm Seidenvorhang
Liebend Herz an Herz sich drücket.
(S. 142)



IV.
Pflaumenbaum von seinen Schultern
Hat den kalten Schnee geschüttelt,
Und der junge Frühlingswind schon
An den Weidenzweigen rüttelt.

Mangovögel im Palaste
Singen trunk'ne Liebeslieder,
Leicht entlang am Dachgesimse,
Zwitschernd fliegt die Schwalbe wieder.

Von dem Licht der Abendsonne
Wird ein Festgelag' beschienen:
Mit dem Blumenflor wetteifert
Heut' der Flor der Tänzerinnen.

Abmarschiert die buntgeschmückte
Garde schon, dieweil es dunkelt.
Lang noch schwelgt man im Palaste,
Der im Glanz der Lichter funkelt.
(S. 142-143)

Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Maku*

Zu einer schönen Nymphenmaid
Ich mich in Lieb' verzehre.
Ach! sie wohnet im Osten weit,
Jenseits vom grünen Meere.

Kalt ist die öde See, es stürmt:
Weisse schäumende Wellen,
Bergeshoch aufeinander gethürmt
An Pêng-hu's** Ufern zerschellen.

Hoch der Wallfisch das Wasser bläst,
Kein Schiff wagt sich hinüber.
Bebend, die Hand auf's Herz gepresst,
Fliessen die Augen mir über.

Kommt vom Westen ein Vogel blau,***
Ostwärts gerichtet die Schwingen,
Einen Brief ich ihm anvertrau',
Soll ihn am Maku bringen.
(S. 143)

* Maku ist eine tauistische Göttin von wunderbarer Schönheit,
Schwester des Astrologen Wang-Fang-ping.
** Pêng-hu oder Pêng-lai: die Insel der Seeligen.
*** Zwei bläuliche Vögel flogen zu beiden Seiten der auf dem
Kun-lun-Gebirge lebenden Göttin Hsi Wang-mu ("Westliche Königliche Mutter"),
als dieselbe den Han-Kaiser Wu-ti, 140-186 v. Chr. besuchte.

Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Der König von Wu

Auf dem Kusu-Palast geht ein Rabe zur Ruh',
In dem Schloss mit Hsi-schih schwelgt der König von Wu:*
Schaut den Tanzenden zu und den Sängen er lauscht;
Die Königin ist schon vom Weine berauscht.

Halb verschlingt bald der bläuliche Berg die Sonn',
Der König noch schwelget in Freude und Wonn',
Aus goldener Uhr mit silbernem Pfeil
Das Wasser rinnet und rinnet die Weil.

Wohlan! seht den herbstlichen Mond den hell'n,
Auch er versinkt in des Stromes Well'n.
Im Osten schon kehret die Sonne zurück.
Und was bleibt dem König von alle dem Glück?
(S. 144)

* Durch seine wahnsinnige Leidenschaft zu der schönen
Hsi-schih verlor Fu-tschai, König von Wu, sein Reich.
Im Jahre 473 v. Chr. vom König von Yueh besiegt, nahm er sich selbst das Leben.

Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Der Rabe

Wo am Ende der Stadt sich der Staub erhebt,
Zu gelben Wolken geballet,
Heimkehrend zum Horste ein Rabe schwebt:
"Kra, kra" von den Zweigen es schallet.

Am Webstuhl webt ein Brokatgewand
Dort eine Tsin-tschüan* Schöne;
Ein grüner Flor vor das Fenster gespannt,
Wie ein Nebel dämpfet die Töne.

Sie hält's Schifflein an bei des Raben Schrein,
Denkt des Gemahls mit Sehnen;
Im öden Zimmer ruht Nachts sie allein
Und weinet die bittersten Thränen.
(S. 144)

* Eine Stadt in Schensi.

Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Die Weinende

Den Perlenvorhang schlug zurück die Maid,
Die zarten Brauen trüb' zusamm'gepresst.
Von Thränentropfen ihre Wang' genässt,
So sass sie da in ihrem bittern Leid.
Ich möcht' wohl wissen, welcher Mann
Dem armen Kind so weh gethan!
(S. 146)

Übersetzt von Alfred Forke (1867-1944)
Aus: Blüthen chinesischer Dichtung
Aus der Zeit der Han- und Sechs-Dynastie
II. Jahrhundert von Christus bis VI. Jahrhundert nach Christus
Aus dem Chinesischen metrisch übersetzt von A. Forke
Magdeburg 1899 Commissionsverlag Faber'sche Buchdruckerei
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Stoßseufzer

Der lichte Mond, die glutenweiße Sonne,
Sie müssen Tag und Nacht stets weiter eilen.
Was wollt ihr denn, ihr sehnsuchtsvollen Menschen?
Wie könntet ihr auf Erden ewig weilen!

Es gibt ein Wort von einer fernen Insel,
Die selig aus des Meeres Wogen steigt.
Dort trägt der Baum des Lebens grüne Blätter,
Dem weisen Zaubrer sich sein Wipfel neigt.

Er ißt ein Blatt: die Haare bleiben dunkel;
Noch eins: es weilt der Wangen frisches Rot.
O könnte ich dahin des Weges ziehen
Und wäre nie die Wiederkehr mir not!
(S. 145)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Groll

Die Schöne rollt den Perlenvorhang auf,
Sitzt in der Ecke, faltet ihre seidnen Brauen.
Ich seh' die feuchten Tränenspuren nur,
Doch wem sie böse ist, vermag ich nicht zu schauen.
(S. 145)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Ich denke dein auf ewig

Ich denke dein auf ewig,
Ich denke dein, wo ich auch bin.
Der Grille herbstlich Lied
Tönt von des goldnen Brunnens Rand.
Es rieselt feiner Reif
Und dringt durch Matten und Gewand.
Einsamer Lampe Schein
Wird trüb und will verlöschen bald.
Ich heb den Vorhang auf,
Schau in den Mond so leer und kalt.
Die schöne goldne Zeit.

Wie ist sie fern und wolkenweit!
Am Himmel hängt die Nacht
In hoher, blauer Dunkelheit.
Das grüne Meer sich dehnt
In seiner Wellen Einsamkeit.
So weit ist, ach, der Weg!
Der Seele Flügel werden schwer.
In Traumes Wirren müht
Die Seele sich durch Berg und Meer . . .
Ich denke dein auf ewig,
Und traurig ist mir Herz und Sinn.
(S. 145)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Nächtlicher Rabenruf

Die gelben Wolken dunkeln,
Die Raben wollen zur Ruh,
Sie kommen herbeigeflogen
Und krächzen einander zu.

Im Webstuhl webt am Brokate
Die junge Weberin.
Sie plaudert durch den Vorhang
Des Fensters mit munterm Sinn.

Jäh läßt sie das Schifflein sinken,
Sie denkt, wie der Liebste so weit -
Wie Regen fallen die Tränen
In nächtlicher Einsamkeit.
(S. 145)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Abschied

Die grünen Berge türmen sich im Norden,
Weiß schäumend braust der Strom nach jener Seite.
Sei stark, mein Herz! Hier heißt es Abschied nehmen.
Einsam sein Schiff zieht bald nun in die Weite.

Wie Wolken gehn des Wandernden Gedanken.
Mir sinkt die Sonne nun zur dunklen Erde.
Wir reichen uns zum Abschied noch die Hände,
Laut wiehern durch den Abend unsre Pferde.
(S. 146)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Am Wege

Am grünen Bache steht ein alter Maulbeerbaum,
Ein Mädchen sammelt seine Blätter.
Die weiße Hand huscht zierlich durch das dunkle Laub.

Das rote Kleid blitzt munter in der Sonne . . .
"Laßt mich! Ich muß nach meinen Seidenraupen sehen,
Und Eure Pferde werden ungeduldig!" -
(S. 146)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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Einsamkeit

Die Marmorstufen weiß vom Taue leuchten.
Die Nacht ist spät, das Kleid beginnt zu feuchten. -
Mit dem kristallnen Vorhang schließt sie nun ihr Zimmer.
Da schaut den Herbstmond sie im Perlenschimmer.
(S. 147)

übersetzt von Richard Wilhelm (1873-1930)
Aus: Die chinesische Literatur von D. Dr. Richard Wilhelm
Wildpark-Potsdam
Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion M. B. H. (1925)
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