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Liebeslyrik aus Japan
Erste Blüteperiode der japanischen Poesie
Das Manyoshu (bis zum 7. Jh.)
Zweite Periode: Mittelalter
Zeitalter der Klassizität. Heian-Periode (794-1186)
(Das Kokinshu und die nächstfolgenden
Sammlungen)
Erste Blüteperiode der japanischen Poesie
Das Manyoshu (bis zum 7. Jh.)
Dein Fortgehen
Ist schon lange geworden
(d.h. du bist schon lange fort).
Soll ich auf dem Berge suchend
[Ihm] entgegen gehen,
Oder soll ich wartend auf ihn warten?
_
O, ich möchte lieber sterben,
indem ich mir den Felsen
auf hohem Berge zum Kopfkissen nähme,
als dass ich mich
so vor Sehnsucht quäle.
_
Bis sich der Reif auf meinem
wallenden schwarzen Haare niedersetzt
(d. i. bis es vor Alter weiss wird),
werde ich mein Leben hindurch
auf dich warten.
_
Wenn auch der Reif auf mein rabenschwarzes
(wörtlich schwarz wie die Nubatama-Frucht)
Haar herabfällt,
werde ich doch die Nacht hindurch
auf dich warten. (S. 77-78)
Iwa no hime, der Gemahlin
des Kaisers Nintoku zugeschrieben
(Kaiser Nintoku regierte angeblich 313-399)
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[Liebeswerbung des Dichters an ein Mädchen auf dem
Lande]
Mit dem Korb da,
Dem schönen Korb in der Hand,
Mit dem Grabscheit da,
Dem schönen Grabscheit in der Hand
Auf diesem Hügel
Kräuter pflückendes Kind!
Dein Haus möcht' ich erfahren,
Deine Namen nenne mir!
Das Himmelgefundene
Land Yamato -
Im ganzen
Bin ich's, der da wohnt,
Im ganzen
Bin ich's, der da residiert.
Ich bin es, der
Sich gerne nennte dein Gemahl.
Nenn mir dein Haus, den Namen dein! (S. 79)
Kaiser Yuryaku (regierte 457-479)
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Gedicht, verfasst im Groll
Da du versprachst, dass du mich lieben wolltest
Auf immerdar, bis zu den fernsten Jahren,
So hab' ich dir mein Herz dahingegeben,
Mein Herz, so klar wie ein geschliffner Spiegel.
Seit jenem Tage schmiegt' ich mich an dich,
Wie sich das Seegras an die Wellen schmieget,
Und dir allein nur galt mein ganzes Sinnen.
Doch da ich so mein Hoffen auf dich stellte
Wie einem grossen Seeschiff man vertraut,
Was ist geschehn? - hat von den ungestüm
Gesinnten Göttern Einer uns getrennt,
Ist es ein ird'scher Mensch, der zwischen uns
Getreten? - dass du nimmer mehr wie früher
Zu mir die Schritte lenkst, und auch kein Bote
Mit Heroldstab von dir mir Kunde bringt?
Mein Herz ist trostlos, weiss sich nicht zu helfen.
Die ganze lange, rabenschwarze Nacht,
Den Tag, bis sich die rote Sonne senkt,
Verschmacht' ich klagend, liebessehnsuchtsvoll.
Mein Herz ist trostlos, weiss sich nicht zu helfen.
Mit Recht nennt man uns Jungfraun zarte Wesen:
Gleich wie ein kleines Kind, so weine ich
Nun kläglich, wandle ruhelos umher.
Wie soll ich's tragen, länger noch des Boten
Zu harren? Die Geduld wird endlich reissen.
Hätt'st du von Anfang
Mir Hoffnung nicht gewecket
Auf ewige Liebe,
Wär' ich in diese herbe
Verzweiflung je geraten? (S. 104)
Edeldame Sakanoe
Schwester des Dichters Ootomo Tabito (665-731)
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Auf dem Gipfel des Mika
In Schön-Yoshinu
Ist ohne Pausen
Der Schnee gefallen,
Ist ohne Unterlass
Regen gefallen.
Wie dieser Schnee
Ohne Pause,
Wie dieser Regen
Ohn' Unterlass,
So komme auch ich
Jede Krümmung hin,
Jede Krümmung her
In stete Sehnsuchtsgedanken vertieft
Auf jenem Bergpfad daher. (S. 118)
Kaiser Temmu (622-686)
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O Vergesslichkeitesmuschel!
Die am Strande von Mitsu
In Otomo liegt
O mach mich vergessen die Liebe daheim,
[Denn allzusehr quält mich die Sehnsucht]! (S. 119)
Ungenannter Dichter
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Wie an der rauhen
Küste des Meeres von Ago
Die kleinen Wellen
Ihr Plätschern nimmer lassen,
So endet nie mein Lieben. (S. 119)
Ungenannter Dichter
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Vom Berge Kaminabi
Her türmen sich die Wolken
In dunklen Schichten auf.
Schon fing es an zu regnen,
Und in den Regendunst
Fährt pfeifend jetzt der Wind.
Ob mein Geliebter wohl,
Der schweren Herzens von mir ging,
Die Heide von Magami
Durchschreitend heimgekommen? (S. 119)
Ungenannter Dichter
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Den Liebsten, des ich harre
Auf wohlbereitem Lager,
Wie man im Hochgebirge
An Krümmungen der Pfade
Die Schützen stellt auf Lauer,
Den Eber zu erwarten, -
Nicht bell ihn an, mein Hündchen!
Nachgesang
Wenn mein Geliebter
Den Binsenzaun durchdringend
Zu mir hereinsteigt,
Verrat es nicht den Leuten!
Das rat' ich dir im guten! (S. 119)
Ungenannter Dichter
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Ich schmiege mich an dich, Geliebter,
Und traue dir so fest, wie man
Sich einem grossen Schiff vertraut.
Ich denke deiner lang und länger,
Wie Efeuranken lang und länger
Am Boden kriechen.
O, dass uns nimmer Unheil träfe!
Drum schlinge ich die Ärmelschlinge
Aus Yufu-Zeug mir um die Schultern
Und stelle Weihgefässe auf,
Und zu den Erd- und Himmelsgöttern
Bet' ich in meiner höchsten Not. (S. 119)
Ungenannter Dichter
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Zwar hat die Mutter mir gar streng verboten,
In deinem Arm zu schlafen, o Geliebter,
Von dem mir das Orakel doch verhiessen,
Dass ich mit dir zusammentreffen soll,
Wenn ich ins Grenzenlose mich verirre,
So wie das Wasser, das auf Lotosblättern
Des Teichs von Tsurugi sich angesammelt.
So wie der Teich des Teiches' von Kiyos'mi
Ist lauter klar mein Herz, und nimmer werd' ich
Im Grunde meines Herzens, das so tief ist
Als wie der Grund des Teiches, dein vergessen,
Bis dass ich dein bin, ganz mich dir ergebe. (S.
120)
Ungenannter Dichter
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Was für ein Menschenkind ist das,
Um dessen willen du, mein Kind,
Die Heide von Miyake überschreitest,
Die Füsse auf den Boden
Des Heidelands einstampfend,
Die Lenden mühsam windend?
Natürlich, o natürlich!
Die Mutter soll's nicht wissen;
Natürlich, o natürlich,
Der Vater soll's nicht wissen!
Das Kind, so weiss wie weisses Linnen,
Mit schwarzem Haar, wie's Eingeweide
Der Mina-Muscheln schwarz,
Mit Haaren, die herab ihr wallen,
Ein Buchsbaumkämmchen drein gesteckt,
Dies Kind - es ist mein Weibchen! (S. 120)
Ungenannter Dichter
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Drüben am Ufer stehet mein Schätzlein,
Hüben am Ufer stehe ich, rastlos,
Angetrieben von brennender Sehnsucht,
Rastlos und traurig seufzend.
Ach, wenn ich ein rot-lackiert Schifflein doch hätte,
Ach, wenn ich ein kleines Ruder besässe,
Mit Edelsteinen besetzet!
Dann führ' ich hinüber,
Zu plaudern mit dir.
Ein rot mit Farben bemaltes Schiff,
Am Kap des schimmernden Naniwa-Hafens
Mit dem Seile ziehend dahinzieht - -
Bin doch in die Mäuler der Leute gekommen! (S.
120-121)
Ungenannter Dichter
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O liebliche Tamana, Mädchen von Suye,
Mit schwellendem Busen, mit Lenden so schlank,
Wie der schlanke Leib einer Biene!
Ihr Antlitz strahlet von prächtiger Schönheit,
Und wenn sie so dasteht, blumengleich
Mit reizendem Lächeln, so gehen die Leute,
Die des Weges ziehn, mit nichten vorüber,
Und ungerufen kommen sie näher
Und stehn vor dem Tore.
Herr Nachbar nun vollends im Nebenhause,
Der scheidet sich schleunigst von seinem Weibe
Und händigt der Liebsten die Schlüssel des Hauses.
Vernarrt in die Schöne sind sämtliche Männer,
Und sie - - sie gibt sich ihnen gar schmiegsam
Und lebet in üppiger Wollust. (S. 121)
Ungenannter Dichter
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[Als der Dichter einer Maid Kirschblüten schenkte:]
In jedem Blatte
Der Blüten dieses Zweiges
Ist hundertfältig
Ein Herzenswort enthalten.
Mögst du sie nicht verschmähen! (S. 121)
Fujiwara no Hirotsugu
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In der Sehnsucht nach dem Kaiser
(Tenji, ihrem Geliebten)
Wie ich in Sehnsucht
Nach dir, o Herr, hier harrte,
Ward meines Zimmers
Sudare* leicht beweget,
Vom Hauch des Herbstes getroffen. (S. 121)
* Jalousie aus feinen Bambusstäben
Prinzessin Nukada (7. Jh.)
(Erst Geliebte des Prinzen Oo-ama (Temmu Tenno), mußte 661
dessen Bruder Naka no Oo-e (Tenchi Tenno) in die Ehe folgen,
bis nach dessen Tod 671 Temmu Tenno die früh Geliebte
wieder zu sich nahm. Erste bedeutende Dichterin Japans.
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O wie verhasst
Ist Miminashis Teich mir!
Als sich mein Liebchen
In deine Wasser stürzte,
Hätt's du verstrocknen sollen! (S. 121)
Ungenannter Dichter
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Da er nimmer kommt, der Bote
Mit dem schönen Adzusa-Botenstab,
Dass die teueren Worte
Des Herrn, des Geliebten er bringe,
So krankt vor Sehnsucht
Nur so mein Leib.
Erbitte nicht Rat von den Göttern,
Die sich heftig gebaren,
Auch röste nicht Schildkrötenschalen,
Um wahrzusagen,
Denn umsonst ist dies alles.
Von der Liebessehnsucht
Nur rühren die Schmerzen,
Nur allzu deutlich
Durchdringt sie den Leib mir.
In Stücke gegangen ist mein Herzinneres,
Zum Sterben plötzlich gewendet
Hat sich mein Leben.
Rufst du, o Herr, mich
Nun wieder?
Oder ist es die liebende,
Teure Frau Mutter,
Die auf den achtzig sich kreuzenden Strassen
Um meinetwillen, die sterben ich soll,
Nach Abendorakeln
Und Wahrsagern fragt? (S. 122)
Ungenannter Dichter
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An meinem Leben
Zwar hänge ich ganz und gar nicht;
Um meiner Liebe
Zu dir jedoch, o Teurer,
Möcht' ich's noch lange fristen. (S. 122)
Ungenannter Dichter
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Den Bösewicht "Liebe",
Der mich am Kragen packte,
Den halt' ich jetzo
Unter Schloss in einem Koffer
Meines Hauses wohlverwahrt. (S. 122)
Ungenannter Dichter
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Wo bist du, mein Liebchen?
Ich möchte dir sagen, dass hier im geheimen
Ich schleiche und laure
Wie ein Frosch, der da quakt
Vor der Hirschjäger-Hütte. (S. 122)
Ungenannter Dichter
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Ich esse zwar Reis,
Doch schmeckt er mir nicht.
Lustwandeln zwar geh' ich,
Doch ohne Behagen;
Denn ich kann nicht vergessen
Dein freundliches Herz. (S. 123)
Ungenannter Dichter
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Wechselgedicht (Mondo: Frage und Antwort)
Auch jetzt noch werd' ich
Auf die Geliebte warten,
Bis der schon lange
Aufgegangene Mond bei
Schwindender Nacht sich neiget.
Antwort:
Den durch die Blätter
Der Bäume strahlenden
Mondschein bewundernd
War ich umhergewandelt -
Da war die Nacht verstrichen. (S. 123)
Ungenannter Dichter
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Wechselgedicht (Mondo: Frage und Antwort)
Hätt' ich gewusst, dass du,
Mein Liebster, würdest kommen,
So hätt' im Garten,
Wo schlechtes Klebkraut wuchert,
Dir Perlen ich gestreuet.
Antwort:
Wozu denn braucht es
Ein perlenbestreutes Haus?
Auch eine Hütte
Mit Klebkraut tut Genüge,
Ist nur das Liebchen bei mir. (S. 123)
Ungenannter Dichter
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Zweite Periode: Mittelalter
Zeitalter der Klassizität. Heian-Periode 794-1186
(Das Kokinshu und die nächstfolgenden
Sammlungen)
Ihr Himmelswinde,
Weht und verschliesst die Strasse
Zwischen den Wolken,
Um länger festzuhalten
Der Jungfrau Reizgestalten.* (S. 140)
* Beim Anblick tanzender Hoffräuleins gedichtet,
die der Dichter wegen ihrer Schönheit für himmlische
Apsarasen ausgibt, und fürchtet, sie möchten
nur zu bald zum Himmel zurückfliegen.
Bischof Henjo (816-890)
(weltlicher Name Yoshimine Munetada)
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Die liebliche Schönheit
Der Blüten ist, ach! dahin,
Zerstört vom fallenden Regen,
Indes ich zwecklos
Die Tage verlebend den Blick
Entschweifen liess ins Leere. (S. 140-141)
Frau Ono Komachi (zwischen 859-877)
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So tausendfach wie
Bunte Blumen blühen
Zerstreut im Herbstgefild,
So foltert tausendfach
Mein Herz der Liebeskummer. (S. 142)
Tsurayuki (860-945)
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Wie Wasserlinsen
Ohn' Bodenwurzeln hin und her
Im Strome treiben,
So treibe ich auch haltlos
Umher im Strom der Liebe. (S. 142)
Tadamine (etwa 880-920)
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O könnt' ich doch
Im Mondschein mich verwandeln!
Dann würde endlich
Die grausam-kalte Liebste
Mit Mitleid mich betrachten. (S. 142)
Tadamine (etwa 880-920)
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Ach, seit der Trennung
Von ihr, wo herzlos kalt der Mond
Am Morgenhimmel stand,
Ist nichts für mich so schmerzlich
Als Morgendämmerungsflimmern. (S. 142-143)
Tadamine (etwa 880-920)
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Warum wohl fallen
Die Blüten ruhelosen Sinns
Am Frühlingstage,
Der heiter ist vom Lichte
Des Sonnenscheins? (S. 143)
Tomonori (etwa 850-915)
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Wenn Schnee fällt, scheint es
Als sei'n auf jedem Baume
Blüten erblüht:
Wo pflück' ich, dass ich echte
Blüten der Pflaume pflücke? (S. 143)
Tomonori (etwa 850-915)
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Wie Algen unter
Dem schnellen Wasserlaufe
Des Stroms verborgen wogen,
Regt sich in mir die Liebe,
Der Liebsten unbekannt. (S. 143)
Tomonori (etwa 850-915)
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Der Frühling ist kommen,
Ob Schnee auch die Lande noch deckt.
Nun werden gar bald
Die gefrorenen Tränen
Der Nachtigall tauen. (S. 143)
Kaiserin von Nijo (Gemahlin des Kaisers Seiwa)
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Zwar eine Wildgans
Ist nicht mein Herz, das schmerzlich
Nach dir sich sehnt;
Doch geht es irre, klagend
Wie sie im weiten Luftmeer. (S. 143)
Fukayabu (zwischen 908 und 930 Hofbeamter)
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Im fernen Bergdorf,
Wo trotz der Frühlingsankunft
Kein Blümlein schimmert,
Tönt trostlos klagend
Der Nachtigallensang. (S. 144)
Munehari
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Mehr als am Morgen,
Wo ich im Herbstgefilde
Schritt durch die Büsche,
Nässt' ich den Ärmel, weinend
Bei Nacht, weil fern die Liebste. (S. 144)
Narihira (825-880)
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Wenn sie verflösse,
Die Nacht und er käme nicht, -
Lang wie im Frühling
Der Tag ist, ganz so lange
Würd' ich ihn herzlos schelten. (S. 144)
Munekata
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Sag an, wo wächst der Same
Des Krauts "Vergesslichkeit"?
Er wächst in jenen Herzen,
Wo Liebe nicht gedeiht. (S. 144)
Priester Sosei (bis etwa 916)
(weltlicher Name Yoshimine Hatoshi, Sohn des Bischofs Henjo)
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Wer gab der Liebe
Den Sondernamen "Liebe"?
Er hätte einfach
Sie "Sterben" nennen können,
Denn Lieben das ist Sterben. (S. 144)
Anonym
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In schlafloser Nacht
Hör' ich des Bergkuckucks
Rufe ertönen.
Auch er kann wohl, so dünkt mir,
Vor Liebesleid nicht schlafen. (S. 144)
Anonym
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Im Menschenleben herrscht
Allmächtig die Gewohnheit.
So will ich prüfen, ob ich
An Trennung mich gewöhne,
Ob ich zugrunde gehe. (S. 145)
Anonym
_____
Ach, die zu lieben,
Welche mich nicht liebt,
Ist eitler noch,
Als wollt' ich Zahlen schreiben
Auf Stromes flücht'ger Fläche. (S. 145)
Anonym
_____
Vor Sehnsucht bin ich
Zum Schatten abgemagert,
Doch kann ich leider
Nicht wie ihr Schatten immer
Bei der Geliebten weilen. (S. 145)
Anonym
_____
Dass man die Herzen
Einmal vertauschen könnte!
Wie Liebe schmerze,
Die nicht erwidert wurde,
Das sollt' er dann erfahren. (S. 145)
Anonym
_____
Wie könnt' ich dich vergessen,
Sei's für die kurze Frist auch nur,
In der ein Blitz aus Herbstgewölk
Erhellt die Ähren auf der Flur? (S. 145)
Anonym
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Wie töricht, dass ich
Im Wachen und im Schlaf mich
So nach dir sehne!
Ach, wüsst' ich doch, wo Rast und
Vergessen fänd' mein Herze! (S. 145)
Anonym
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Kein Mittel find' ich,
Zu nahen dir, drum muss ich
Fern von dir weilen;
Doch ist bei dir mein Herze,
Gleichsam, als wär's dein Schatten. (S. 145)
Anonym
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Zwar weiss ich: umsonst
Ist's immer, dass ich gehe,
Um dich zu treffen; -
Doch immer wieder lockt mich
Die Sehnsucht, dich zu sehen. (S. 145)
Anonym
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Wenn wie der Schnee dort
Sich häuften die Nächte, wo
Ich dich nicht habe,
So möcht' ich, dass wie dieser
Ich selbst auch bald zerschmelze. (S. 146)
Anonym
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Verfasst im Liebeskummer, als die Geliebte
mich nicht erhörte, trotzdem ich [im Tempel der Göttin
Kwannon zu Hatsuse um Verleihung ihrer Gunst] gebetet hatte:
Dass die Herzlose
Sich mir so grausam zeige,
Dem rauhen Bergwind
Von Hatsuse vergleichbar,
Das hab' ich nicht erbeten! (S. 151)
Minamoto no Toshiyri (etwa 1054-1130?)
_____
Als ein alter Freund, den ich nach
jahrelanger Trennung nur flüchtig wiedergesehn,
am 10/7 mit dem Mond um die Wette davonging:
Kaum dass ich flüchtig
Ihn sah nach langer Trennung -
Und war er's wirklich? -
Verbarg er sich in Wolken,
Der mitternächtige Mond, oh! (S. 152)
Frau Murasaki Shikibu (975-1031)
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Hätt' ich doch besser
Geschlummert, statt zu warten!
Doch leider schaut' ich
Zum Mond, bis dass in später
Nacht er ging zur Rüste. (S. 153)
Dazu steht die Bemerkung: "Als ich bei Naka no Kwambaku
Dienste tat, verkehrte dieser mit meiner Schwester
und pflegte sich mit ihr zu unterhalten. Das eine Mal
kam er wider sein Versprechen nicht zu ihr.
Früh am nächsten Morgen habe ich für sie das Gedicht verfasst".
Frau Akazome Emon (955-1041)
_____
Dem Geliebten gesandt, als ich krank war:
Könnt' ich ein einzig Mal
Dich jetzt noch wiedersehen!
Auf dass ich jenseits,
Von dieser Welt geschieden,
Erinn'rung süss genösse. (S. 153)
Frau Izumi Shikibu (974-1033/4)
_____
Übersetzt von Karl Florenz (1865-1939)
Aus: Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen
Zehnter Band: Geschichte der japanischen Litteratur
von Dr. K. Florenz Leipzig C. F. Amelangs Verlag 1906
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