Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Alfred Tennyson (1809-1892)
englischer Dichter


Lilian'

Luft'ge Sylphe Lilian',
Duft'ge Sylphe Lilian', -
Wenn ich ihr mein Herz verpfände,
Klatscht sie in die winz'gen Hände,
Lacht und nimmt's nicht an;
Sagt nicht, daß sie Lieb' empfände,
Böse kleine Lilian'.

Will mein Liebesklagen
Ich ihr seufzend sagen,
Schaut sie mir zur größten Pein
Durch und durch ins Herz hinein,
Lacht und spricht kein Wort;
Die schwarzen Perlenaugen funkeln
So listig-fromm durch den Schleier, den dunkeln,
So erzunschuldig-verschlagen,
Bis in den jungen Rosen der Wangen
Sich lächelnde, blitzende Grübchen gefangen,
Und dann läuft sie fort.

Wein', o wein', Mai-Lilian'!
Scherz ohn' Ernst hat seine Klippen,
Langweilt mich Mai-Lilian'.
Dieses silberhelle Lachen,
Trillern von den Purpurlippen,
Dieses kann mich rasend machen;
Wein', o wein', Mai-Lilian'
Sieh', ich bitte, was ich kann;
Sollt' das Bitten mir nicht glücken,
Würd' ich dich, Mai-Lilian',
Wie ein Rosenblatt zerdrücken,
Dich, du Sylphe Lilian'.
(S. 713-715)

Übersetzt von Otto Leonhard Heubner (1812-1893)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Leonhard Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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Liebe und Tod

Als mit dem ersten Licht der Vollmond schien,
Ging Liebe hin durch Edens Myrrhenauen,
Mit hellem Auge rings sich umzuschauen;
Da sieh, die Casia! Unter Eiben wandelt,
Und ganz vereinsamt mit sich selbst verhandelt
Der Tod. Im Mondlicht tritt er vor sie hin
Und ruft: "Du mußt hier weichen, dies ist mein!"
Die Liebe weint' und sprach, als sie zum Fliehn
Die Schwingen hob: "Die Stunde hier ist dein:
Du bist des Lebens Schatten; wie der Baum,
Der in der Sonne steht, den untern Raum
Beschattet, so zu höherm Leben weiht
Der Schatten "Tod" im Licht der Ewigkeit;
Der Schatten schwindet mit des Baumes Falle, -
Ich aber herrsch' im Ew'gen über Alle."
(S. 715)

Übersetzt von Otto Leonhard Heubner (1812-1893)

Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Leonhard Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856

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Die Ballade von Oriana

Mein Herz ist wund und blutet sehr,
Oriana.
Keine Ruh' für mich auf Erden mehr,
Oriana.
Liegt Schneefall auf den Wäldern schwer,
Zerbricht der Sturm die Bergesföhr',
Oriana,
Ich wandre einsam hin und her,
Oriana.

Die Hähne schrien verdrossen,
Oriana.
Das Thor ward aufgeschlossen,
Oriana.
Wolken gossen, Wasser flossen,
Knechte zogen mit den Rossen,
Oriana,
Bewehrt mit Lanzen und Geschossen,
Oriana.
Im Eibenholze schwarz wie Nacht,
Oriana,
Eh' ich zum Kampf mich aufgemacht,
Oriana,
Im Eibenholz auf stiller Wacht,
Bei Mondenschein und Sternenpracht,
Oriana,
Schwor ich dir Treue vor der Schlacht,
Oriana.

Hoch stand sie auf des Walles Höh'n,
Oriana,
Sie folgte meiner Helmzier Weh'n,
Oriana.
Sie sah mich in's Gemenge geh'n,
Einen starken Feind mußt' ich besteh'n,
Oriana;
Dicht stand er vor des Walles Höh'n,
Oriana.

Der bittre Pfeil er ging vorbei,
Oriana!
Der falsche Pfeil, er ging vorbei,
Oriana!
Der Pfeil des Fluches ging vorbei,
Und schnitt dein süßes Herz entzwei,
Oriana!
Mein Leben, schnitt dein Herz entzwei,
Oriana!

Nun Kampf und Toben überall,
Oriana.
Die Hörner schrien mit lautem Schall,
Oriana.
O, tödtlich war der Schwerter Fall,
Das Blut entfloß der Panzerschnall',
Oriana;
Ich lag am Boden vor dem Wall,
Oriana.

Was traf kein Schwert mich, wo ich lag,
Oriana?
Was stand ich auf in meiner Schmach,
Oriana?
Wie konnt' ich anschau'n noch den Tag,
Was traf kein Schwert mich, wo ich lag,
Oriana -
Weh', daß kein Huf mein Haupt zerbrach,
Oriana!
O brechend Herz, das doch nicht bricht,
Oriana,
O mild und fromm und bleich Gesicht,
Oriana,
Du lächelst, doch du redest nicht -
Ach, meine Thränen stürzen dicht,
Oriana!
Was suchst du, meiner Augen Licht,
Oriana?

Ich wein' und geh' in großem Schmerz,
Oriana.
Ich seh' dich winken allerwärts,
Oriana.
Ich wank' umher in meinem Schmerz,
Ach, blut'ge Thränen weint mein Herz,
Oriana.
Durch deine Seele fuhr mein Erz,
Oriana.

O, Fluch der Hand, die das gefügt,
Oriana!
O, glücklich du, die niedrig liegt,
Oriana!
Vom hohen Schloß mein Banner fliegt -
O, hätt' ich nun und nie gesiegt,
Oriana!
Ein öder Weg, der vor mir liegt,
Oriana!

Wenn über's Meer die Stürme schrein,
Oriana,
Ich irr' am Strand, und denke dein,
Oriana.
Du liegst und schlummerst unter'm Rain,
Gern stürb' ich, um dir nah zu sein,
Oriana.
Ich höre Wind und Wellen schrein,
Oriana.
(S. 158-162)

Übersetzt von Ferdinand Freiligrath (1810-1876)

Aus: Ferdinand Freiligrath's sämmtliche Werke
Vollständige Original-Ausgabe
(Vierter Band: Aus neueren englischen Dichtern)
New-York Verlag von Friedrich Gerhard 1858
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Lilian

Luft'ge, duft'ge Lilian,
Elfenduft'ge Lilian!
Frag' ich sie, ob sie mich liebe,
Lacht sie, als ob Scherz ich triebe,
Lacht, so laut sie kann;
Sagt mir nicht, ob sie mich liebe,
Böse kleine Lilian!

Wenn ich tauschen will
Liebesgruß und Wort,
Dann, daß ganz ich sei verloren,
Pflegt ihr Blick mich zu durchbohren,
Lächelnd schweigt sie still;
Arglos-schalkhaft, unbefangen
Strahlt der schwarzen Sterne Prangen
Durch den Schleier, hell erglüht,
Bis ein Lächeln auf den Wangen
Hold in Rosengrübchen blüht,
Und dann huscht sie fort.

Bitte, weine, Lilian!
Lustigkeit, die ohne Grund,
Macht mich müde, Lilian.
Schaurig wird mein Herz umwittert,
Wenn aus scharlachrothem Mund
Silberhelles Lachen zittert -
Bitte, weine, Lilian!

Hör mich freundlich an!
Läßt du nicht zur Ruh dich kosen,
Luft'ge Lilian,
So zerdrück' ich dich wie Rosen,
Duft'ge Lilian.


übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 12)

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Liebe und Tod

Die Liebe schritt, als voll das Mondlicht schien,
Des Paradieses Thymianflur entlang,
Und spähte hell umher auf ihrem Gang:
Da sah sie plötzlich unterm Eibenbaum
Alleine wandeln, redend wie im Traum,
Den Tod; zum ersten Male sah sie ihn.
"Fleuch!" sprach der Tod; "denn dieser Pfad ist mein."
Die Liebe weint', und wandte sich, zu fliehn;
Doch scheidend sprach sie: "Diese Stund' ist dein;
Du bist des Lebens Schatten; wie der Baum
Im Sonnenlicht beschattet rings die Matten,
So wirft im lichtbestrahlten Weltenraum
Das große Leben rings des Todes Schatten;
Der Schatten schwindet mit des Baumes Fall,
Ich aber herrsche ewig ob dem All."

übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 20)

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Die Ballade von Oriana

Mein Herz ist müd und kummerschwer,
Oriana.
Keine Ruh für mich auf Erden mehr,
Oriana.
Wenn der Winter schwingt den Eisesspeer,
Und laut der Nordwind pfeift vom Meer,
Oriana,
Alleine wandr' ich hin und her,
Oriana.

Lange vor des Frühlichts Nahn,
Oriana,
Kräht' um Mitternacht der Hahn,
Oriana.
Der Regen strömte auf den Plan,
Die Rosse stampften wild die Bahn,
Oriana;
Hohl gab das Horn den Schlachtruf an,
Oriana.

Im Eibenholze, schwarz wie Nacht,
Oriana,
Bevor ich ausritt in die Schlacht,
Oriana,
Von heißen Thränen blind gemacht,
Bei Mondenschein und Sternenpracht,
Oriana,
Hab' ich dir meinen Schwur gebracht,
Oriana.

Sie stand auf ihres Schlosses Wall,
Oriana;
Mein Helmbusch ragte mit Gewall,
Oriana;
Sie hörte meiner Stimme Schall,
Als mich der Feind mit jähem Prall,
Oriana,
Berannte vor des Schlosses Wall,
Oriana.

Der bittre Pfeil, er ging vorbei,
Oriana;
Der falsche Pfeil, er ging vorbei,
Oriana;
Der Pfeil des Fluches flog vorbei,
Und schoß, mein Lieb, dein Herz entzwei,
Oriana!
Mein Leben, schoß dein Herz entzwei,
Oriana!

Der Raum war enge nur und klein,
Oriana.
Laut schmetterte der Hörner Schrein,
Oriana.
O, tödlich schlug die Klinge drein,
Es sanken rings die Kriegerreihn,
Oriana;
Ich lag am Boden auf dem Rain,
Oriana.

Was traf kein Schwert mich, wo ich lag,
Oriana?
Was stand ich auf in meiner Schmach,
Oriana?
Was mußt' ich wieder schaun den Tag?
Was traf kein Schwert mich, wo ich lag,
Oriana -
Weh, daß kein Huf mein Haupt zerbrach,
Oriana!

O brechend Herz, das doch nicht bricht,
Oriana!
O bleich und süß und mild Gesicht,
Oriana!
Du lächelst, doch du redest nicht,
Und meine Thränen stürzen dicht,
Oriana.
Was willst du, meines Lebens Licht,
Oriana?

Ich weine laut und klage wild,
Oriana.
Vom Himmel winkt dein süßes Bild,
Oriana.
Ein Strom von blut'gen Thränen quillt
Ins Auge mir vom Herzen wild,
Oriana.
Es traf mein Pfeil dein süßes Bild,
Oriana.

Verruchte Hand! verruchter Stoß!
Oriana!
O glücklich du im Grabesschooß,
Oriana!
In meinem Jammer, schwer und groß,
Umwallt mich Schweigen friedelos,
Oriana.
Müd ist mein Weg und trüb mein Loos,
Oriana.

Wenn laut vom Meer die Stürme schrein,
Oriana,
Mit Schreck und Grausen denk' ich dein,
Oriana.
Du schlummerst unterm grünen Rain,
Im Tod erst werd' ich bei dir sein,
Oriana.
Ich höre laut die Brandung schrein,
Oriana.

übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 21-23)

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Die Meermaid

Wer möchte sein
Eine Meermaid schön,
Singend allein
Mit süßem Getön,
Auf dem Meeresdamm
Mit dem Perlenkamm
Kämmend hold
Ihr Haar von Gold?

Ich möchte sein eine Meermaid schön;
Dann säng' ich den ganzen Tag allein;
Mit dem Perlenkamm mein Haar von Gold
Kämmt' ich, und sagte und sänge darein:
"Wer ist's, der mich liebt? der mir Liebe nicht zollt?"
Ich kämmte mein Haar, bis die Locken entwallen
Tief hinab, tief hinab,
Unterm Liljenkranze, durchblitzt von Korallen,
Tief hinab und herum,
Ich streute wie goldene Fluth sie herab,
Die einsam und stumm
Wallte mit rieselndem Ton
Ueber den Thron
Inmitten der Hallen;
Bis die Riesenschlange, die lange Zeit
Als Knäuel tief in dem Meere schlief,
Sich langsam schlängelte auf und ab
Und aus feuchtem Grund mich anblickte zur Stund'
Mit den großen Augen voll Liebesleid;
Und alle Meermänner im Meere weit
Fühlten ihre Unsterblichkeit
Ersterben um mich in Liebesleid.
Doch zur Nachtzeit eilt' ich hinweg, hinweg,
Und striche zur Seite mein wallendes Haar,
Und stiege vom Thron, und im Klippengeheg
Spielt' ich umher mit der Meermänner Schar;
Wir jagten uns neckisch, und spielten Versteck
Auf den Meeresebnen in Purpurkorallen,
Die schimmernd aufragen im Meere weit.
Doch käm' Einer nah mir, so schrie' ich vor Schreck,
Und hinab den Hang mit der Woge Drang
Spräng' ich vom Saum der demantnen Hallen.
Denn nicht würd' ich geküßt bei jedem Gelüst
Der kühnen Meermänner im Meere weit;
Sie flehten und bäten mich alle Zeit
Im purpurnen Zwielicht im Meere weit;
Doch vom Könige all' der Herrlichkeit,
Von ihm nur würd' ich geminnt und gefreit
Im Jaspisgeäst unterm Meere weit;
Und all das Geflecht, vertrocknet und breit,
Im farblosen Moos unterm Meere weit
Umrankte stumm mir das blitzend Kleid,
Und blickte mich an voll Liebesleid.
Und jubelt' ich laut, so neigten sich nieder
Mit Hörnern und Zangen und Flossengefieder
All' die Wundergeschöpfe im Meere weit,
Und blickten mich an voll Liebesleid.


übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 25-27)

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Fatima

O Liebe, Liebe! versengende Macht!
O Sonne, deren Mittagspracht,
Durch deine blendende Gluth entfacht,
Mein spähend Auge beben macht,
Sieh, jüngst noch kühl und festgesinnt,
Bin ich versengt jetzt, taub und blind,
Wie welke Blätter im Wirbelwind.

O trübe Zeit, die ich verlor
Vor der Stadt heut Abend am östlichen Thor!
Nach Regen dürstend wie nie zuvor,
Wälzt' ich umher mich im Blumenflor;
Die Blumen zerknickt' ich mit dumpfem Schrei,
Und südwärts blickt' ich durchs Einerlei
Der brennenden, weiten Wüstenei.

Als Einer seinen Namen sprach,
Wie stürmten durch des Herzens Schlag
Mir tausend feurige Pfeile jach,
Daß fast mein schwacher Leib zerbrach!
O Lieb', o Gluth! einst sog er ein
In langem Kusse die Seele mein,
Wie Tropfen Thaus der Sonnenschein.

Eh' er den Hügel noch ersteigt,
Weiß ich schon, daß er bald sich zeigt;
Denn süßer Duft, wie aus Gärten, streicht
Vor ihm her, der mir auf die Stirn sich neigt.
Mein Hirn verzehrt sich in fiebernder Hast,
Von Ohnmacht in Ohnmacht sink' ich fast,
Wie der Morgenmond vor der Sonn' erblaßt.

Wie Silbersaiten ertönt der Wind,
Jenseits herüber von Mittag rinnt
Gluth über die Hügel, die Wolken sind
Ihm nah als Begleiter - geschwind, geschwind!
Ein Lichtmeer plötzlich flammt mich an,
In wilder Begierde, wie's nie gethan,
Blüht auf mein Herz bei seinem Nahn.

Stumm harret meine Seele fein,
In schwüler Luft nackt und allein,
Geblendet von seiner Augen Schein -
Ja, sterben will ich, wird er nicht mein.
Ich will ihn umranken liebbewußt,
Sterbend ruhen an seiner Brust.

übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 35-36)

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Das Löckchen

1.
Die Löckchen, die Löckchen
Von goldig heller Pracht, -
Giebst du mir Eine Locke nur,
Zu küssen Tag und Nacht,
Dann wandelt nie in Silbergrau
Sie um der Zeiten Macht;
Und dann werd' ich wissen, daß echt sie wie Gold
Mir leuchtet und funkelt, wie einstmals, so hold,
Bis alle Kometen vom Himmel entrollt,
Und dort kein Stern mehr wacht. -
"So nimm sie, Liebster, denk dabei:
Sie bleibt, wie ich, von Wechsel frei."

Mein Löckchen, mein Löckchen
Von goldig heller Pracht,
Nun wandelt nie in Silbergrau
Dich um der Zeiten Macht.
Ob ein Bursch auch zischelt, ein Mädel raunt,
Und ein Narr Verleumdung erdacht:
Was Zweifel und Sorge! o thörichtes Wort,
Ich schwör' bei der Locke, die nimmer verdorrt:
Wenn ein Zweifel mir käme, so küßt' ich ihn fort,
Und im Kuß wird Vertrauen entfacht. -
"So küß sie, Liebster, spat und früh:
So wenig ändr' ich mich wie sie."


2.
O Löckchen, o Löckchen,
Ich küßte dich Tag und Nacht,
Und Löckchen, o Löckchen,
Noch strahlst du in goldner Pracht;
Doch Löckchen, o Löckchen,
Du solltest ergraun mit Macht:
Denn welche Kunde schreckte mich?
Für lautres Gold, ach, hielt ich dich,
Sie, die dich gab, verkaufte sich,
Verkaufte sich.

O Löckchen, o Löckchen,
Sie bog sich sanft herab,
Als Löckchen, o Löckchen,
Vom Haupt sie schnitt dich ab;
Und Löckchen, o Löckchen,
Sie sprach, als sie dich gab:
"Mein Liebster, küß sie spat und früh,
So wenig ändr' ich mich wie sie."
Du goldnes Nichts, du Lüge, flieh,
Wie sie!

O Löckchen, o Löckchen,
Gar schwer verklag' ich dich,
Denn Löckchen, o Löckchen,
Betrogen hast du mich;
Drum Löckchen, o Löckchen,
Den Flammen weih' ich dich.
Denn was ich heut erfahre, sieh,
Raubt mir den Glauben spat und früh -
Brenn, falscher Ketzer, drum, verglüh,
Verglüh!


übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)

Aus: Tennysons ausgewählte Dichtungen
Aus dem Englischen von Adolf Strodtmann
Leipzig und Wien Bibliographisches Institut 1868 (S. 184-186)

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Lilian

Duft'ge, luft'ge Lilian,
Flinke, luft'ge Lilian;
Frag' ich: Liebst du mich, mein Püppchen?
Schlägt sie über mir ein Schnippchen,
Lacht sie, was sie kann;
Keine Antwort giebt ihr Lippchen,
Grausam kleine Lilian.

Schwellt den Busen mir
Liebessehnen ganz,
Durchbohrt sie ohn' Erbarmen
Mit ihrem Blick mich Armen,
Schweigt und lächelt schier;
So schlau naiv, so schalkhaft witzig
Hebt durch des Schleiers Faltensitz sich
Schwarzer Augen Perlenglanz;
Grübchen wölbt des Lächelns Blitz sich
Auf ros'ger Kinderwangen Zier;
Fort springt sie im Tanz.
Wein' einmal, Mai-Lilie!
Lustigkeit zu jeder Stund'
Macht Verdruß, Mai-Lilie!
Durch mein Herz es schneidend schrillt,
Wenn aus purpurfarb'nem Mund
Silberfein Gelächter quillt.
Bitte, weine Lilie!

Traun, ich werde dich,
Will nicht mein Bitten glücken,
Duft'ge Lilie,
Wie ein Rosenblatt zerdrücken,
Luft'ge Lilie.

übersetzt von Wilhelm Hertzberg (1813-1879)

Aus: Gedichte von Alfred Tennyson
übersetzt von W. Hertzberg
Dessau Druck und Verlag von Gebrüder Katz 1853 (S. 3-4)

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Isabella

Augen, nicht matt, doch nicht zu funkelnd helle,
Mit reiner Keuschheit sanft entfachter Gluth,
Die, ohne Hitze, klar, in ew'ger Hut
Keusche Gedanken in krystall'ner Zelle
Der Vesta-Seele nähren; sanft umflicht
Madonnen-Haar ihr schönes Angesicht.
Die Lippen dann, auf deren süßer Schwelle
Der Milde goldner Sommerabend ruht,
Fest spiegelt sich darin fest Gemüthe,
O Isabella, Muster dieser Zeit
Von Frauen-Muth, du sittlich reine Blüthe
Vollendet liebenswürd'ger Weiblichkeit!

Des hellen Geistes Unterscheidungskraft,
Des Urtheils Schärfe, welches sicher trennt
Irrthum von Schuld; ein kluges Selbstbegränzen,
Der Ehe Regeln, die im Herzen glänzen
Wie goldne Schrift auf weißem Pergament,
Die Liebesfackel, die Erleuchtung schafft,
Die Schrift zu lesen; der gedämpfte Laut
Der Schmeichelei; Rathschläge, die vertraut
Beim Kummer sich in Herz und Hirn ergießen
Unmerkbar, wie des Baches Silberwellen,
Daß rings des Argwohns und des Stolzes Schwellen
Sich ihrer sanften Strömung gern erschließen,
Des Duldens und Gehorchens hoher Muth,
Haß aller Herrschsucht, aller Lästerbrut:
Sie krönen Isabel an Seel' und Leib
Zur Ehefürstin, zum vollkommnen Weib.

Des Wintermondes sanfter Wiederschein,
Mit trübem Strom ein klarer im Verein,
Bis er in seinem weitern Lauf besiegt
Mit reinerm Glanz und mit lebend'germ Wallen
Die widerwärt'gen Wirbel des Genossen -
Ein Schlinggewächs, das um den Stamm sich schmiegt,
Ihn hüllet in der Blumenglocken Sprossen
Mit duft'ger Trauben reicher Füll' umgossen -
Das ist dein Gleichniß; auf der Welt ist keine -
Sind auch die Edelsten nur Nachgebilde
Von dir, wie du von Gott in deiner Milde -
Von so vollendet fleckenloser Reine.

übersetzt von Wilhelm Hertzberg (1813-1879)

Aus: Gedichte von Alfred Tennyson
übersetzt von W. Hertzberg
Dessau Druck und Verlag von Gebrüder Katz 1853 (S. 5-6)

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Magdalene

Du tauchst dich nicht in sanft Ermatten,
In Sommerruhe hold und mild,
Magdalene, Wandelbild!
Du läßt in seltsam süßen Blicken,
Wie der Blitz durch Licht und Schatten
Holden Zorn und wild Entzücken,
Luft'ge Bilder wechselnd rücken,

Lächelnd, schmollend her und hin
Der Liebeskünste Meisterin.
Gar tief' und klare Kunde blickt
Aus deinem Lächeln: Doch wer weiß:
Hat das Schmollen mehr entzückt?
War das Lächeln eh'r entrückt?
Ja, wer weiß!
Mit düsterm Licht ein holdes Grollen
Sieht man um Stirn und Augen rollen,
Wie sich die Sonn' in Wölkchen hüllt,
Magdalene, Wandelbild.
Lächeln und Groll ist nie getrennt
Hier von einander;
Brüdern gleich gehn sie selbander:
So schießen schillernd im Moment
Der Seide Farben in einander.
Deinem Aug' ist nichts verhüllt,
Lächelnd, schmollend her und hin,
Magdalene, Wandelbild.

Ein fliegend rascher Brand,
Von Leidenschaft entfacht,
Umflattert dich im Tanz;
Doch küss' ich dir die Hand,
Ist rasch die Scham erwacht
Und löscht den hellern Glanz;
Ich seh' ein plötzlich Grollen
Um dunkle Brauen rollen;
Wend' ich dann mein Gesicht,
Willst du mich lassen nicht,
Wirst nicht bitten, hülflos rechten;
Ein Blick von dir, fest, unverwandt,
Hält in des Lächelns Goldgeflechten
Mein hüpfend Herz verstrickt, gebannt.
Wenn in selig tollem Wahn
Dann verliebt die Lippen nahn
Zum Kuß auf deine Fingerspitzen,
Seh' ich ein wild Erröthen blitzen,
Um dunkle Brauen rollen
Ein plötzlich düstres Grollen.

übersetzt von Wilhelm Hertzberg (1813-1879)

Aus: Gedichte von Alfred Tennyson
übersetzt von W. Hertzberg
Dessau Druck und Verlag von Gebrüder Katz 1853 (S. 13-14)

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Adeline

Räthsel aller Räthsel du,
Matt nur lächelnd, Adeline,
Himmlisch fast ist deine Miene,
Traurig nicht, doch ohne Ruh;
Aber unaussprechlich schön
In der blonden Locken Wehn.
Dein Rosen-Mund, der blauen Augen Glanz
Raubt mein armes Herz mir ganz.
Doch warum die trübe Miene
Traumumschattete Adeline?

Woher der luft'ge Blüthenhauch,
Wie wenn Abendsonnenstrahlen
Trüb die zarte Lilie malen,
Lehnend an den Rosenstrauch?
Wie die Nymphe, die im Bach
Blickt der Abendsonne nach,
Lächelst du in stillem Frieden;
Wie ein Geist, zwei Stunden alt,
Eines Mägdleins, hingeschieden -
Eh' die sanfte Lippe kalt.
Wem dein stilles Lächeln diene,
Sag, o geist'ge Adeline!

Was fürchtest, hoffst du, freust du dich?
Wer redet mit dir, Holde, sprich!
Denn sicher, du bist nicht allein;
Der Quellen Herzschlag, die dort springen
Hält wohl den Takt mit deinem ein?
Lauschtest du den Schmetterlingen,
Was sie flüstern auf den Schwingen?
Wie im stillsten Abendschein
Veilchen buhlet, und entzückt,
Den Silberthau an's Herze drückt?
Und wenn sanfte Lüfte kosen,
Wie die Glockenblumen klingen
Luftig drunten zu den Moosen?
Sahst von Lilien und Rosen
Morgens Hauch empor sich schwingen?
Sprich, wem dein stilles Lächeln diene,
Traumumschattete Adeline?

In süß Gespräch bist du versunken;
Und ihren Vorhang säumt zu schließen
Die Purpurrose, liebestrunken
Von deinem Blick; vergeudet fließen
Die duft'gen Seufzer in die Nacht.
Sprich, wem gilt die späte Wacht?
Wem der Stirne sanfte Pracht?
Das dem thau'gen Blick gelieh'ne
Matte Lächeln, Adeline?
Liebst du wohl des Windes Klagen,
Wenn du auf zum Himmel schaust,
Wenn der Ost mit Feuerzungen
Kommt vom Aufgang hergebraus't
Saba's Spezerei'n zu tragen
Auf dein Kissen; Huldigungen,
Liebessieche Lieder singend,
Dein Gesicht mit Licht umhaucht;
Wenn sein Haar, in Duft getaucht
Deinen Nacken hold umschlingend,
Dir als Flammenhalsband strahlt.
Und du plauderst mit den Lüften
In der Sprache, die auf Triften
Lenz mit Primel-Lettern malt?
Daher stammet deiner Miene
Geist'ges Lächeln, Adeline!

übersetzt von Wilhelm Hertzberg (1813-1879)

Aus: Gedichte von Alfred Tennyson
übersetzt von W. Hertzberg
Dessau Druck und Verlag von Gebrüder Katz 1853 (S. 30-32)

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Liebe und Tod

Des Mondes Rund erfüllte sich mit Licht,
Und Liebe schritt durch Edens Thymian-Beete,
Und wie umher ihr leuchtend Auge späh'te,
Sah unter Eiben wandelnd ganz allein
Im Selbstgespräch sie, voll im Mondenschein
Den Tod; er kam zuerst ihr zu Gesicht.
"Fleuch!" sprach der Tod, "denn dieser Gang ist mein!"
Die Liebe weint, und ihre Glanzesschwingen
Zur Flucht entfaltend, läßt sie noch erklingen
Dies Abschiedswort: Ja, diese Stund' ist dein!
Du bist des Lebens Schatten. Wie der Baum
Im Sonnenlicht, was unter ihm, beschattet,
So hat das Licht im ew'gen Weltenraum
Mit großem Leben Todesnacht gegattet;
Der Schatten schwindet mit des Baumes Fall;
Mein Reich wird ewig dauern durch das All.


übersetzt von Wilhelm Hertzberg (1813-1879)

Aus: Gedichte von Alfred Tennyson
übersetzt von W. Hertzberg
Dessau Druck und Verlag von Gebrüder Katz 1853 (S. 49)

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