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Allan Cunnigham (1784-1842)
schottischer Dichter
Liebe Lady Ann
'S ist Honig auf meines Liebchens Lippen,
Und Gold in ihrem Haar,
Ihre Brüste gehüllt sind in heil'gem Schlei'r,
Kein Auge sieht sie fürwahr.
Welche Lippe darf küssen, welche Hand berühren,
Welch' liebender Arm umspannen
Die Honiglippen, die milchweisse Hand
Und den Leib von Lady Annen.
Sie küsst die Lippen des Rösleins roth,
Noch nass von Tropfen Thau,
Keine Lipp', ob vornehm oder gering,
Ihren Mund zu küssen sich trau!
Ein besäumter Gürtel mit goldener Schnall'
Ihren schlanken Leib muss umspannen.
O, ein Arm voll ist für den Himmel sie,
Meine liebe Lady Annen.
Ihr Kammerfenster voll Blumen prangt,
Gebunden mit Silberdraht,
Und lieblich sitzet sie mitten drein,
Dass entzückt wird, wer ihr naht.
Sie schiebt die Locken von ihrer Wang'
Mit milchweisser, milchweisser Hand,
Von Gottes Finger berührt scheint die Wang'
Meiner lieben Lady Anne.
Die Morgenwolke mit Gold ist verbrämt,
Wie die Mütz' auf Liebchens Kopf,
Auf dem Mantel, den meine Liebe trägt,
Ist mancher goldige Tropf'.
Ihre Brauen ein heil'ger Bogen sind,
Nicht gemacht von Menschenhand,
Und Gotteshauch auf den Lippen schwebt
Meiner lieben Lady Anne.
Bin ihre Vaters Gärtnerbursch'
Und bin gar arm dabei,
Meiner alten Mutter gehört mein Lohn,
Meiner Mutter und Waisen zwei,
Meine Dame kommt, meine Dame geht,
Mit voller und gütiger Hand.
O, Gottes Segen fall' auf mein Lieb',
Auf die liebe Lady Anne.
(S. 241-242)
Übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)
Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Die Maid von Inverness
Es lebt 'ne Maid in Inverness,
War der Stolz der ganzen Stadt,
Froh, wie die Lerch' auf der Blumenkron',
Die's Fliegen gelernt erst hat.
In der Kirche wusst' sie die Alten an sich,
Beim Tanze die Jungen zu ziehn,
Die Froheste war sie stets der Frohen
Bei Stelldichein und Halloween.
Als ich eintrat in Inverness,
Die Sommersonn' an zu sinken fing;
O, da sah' ich die schöne Maid,
Wie weinend durch die Stadt sie ging.
In den Strassen standen die Greise all',
Und jammernd schrie'n die alten Frau'n:
"Die Blüthe der Burschen von Inverness
Liegt blutend auf Kullodens Au'n."
Ihre gold'ne Halskett' sie zerriss,
Und stets weint' sie dabei:
"Mein Vater hinsank bei Carlisle,
Bei Preston der Brüder drei.
Ich dacht', nicht trüge mehr mein Herz,
Nicht weinte mehr das Auge mein.
Doch Eines Fall zersprengt mein Herz,
Nie wird mir Jemand theurer sein.
Erst gestern schwur er Liebe mir,
Drei Liebeszeichen er mir schenkt',
Jetzt liegt er blut'gem Tod im Arm,
Und nimmermehr er mein gedenkt.
Waldblumen sollen sein mein Bett,
Meine Nahrung sei die wilde Beer',
Mit fahlem Laub deck' ich mich zu,
Erwachen will ich nimmermehr.
O weinet, weint, ihr schott'schen Frau'n,
Weint, bis eu'r Mutteraug' wird blind.
Kein Schornstein rauchet weit und breit,
Nur nackte Leichen rings man find't.
Der Lenz ist freudvoll in dem Jahr,
Baum sprosst und Blum', und's Vöglein singt,
Doch welcher Frühling weckt sie auf,
Die jetzt der blut'ge Tod umschlingt.
O, schwer hing nieder Gottes Hand,
Und streichelt der Tyrannen Joch,
Den Braven sie zu Boden schlug,
Und den Zerstörer hob sie hoch.
Doch es kommt der Tag, sprach betend Christ,
Wo Lohn empfängt die Rechtlichkeit.
Dann sinkt der Gottlos' in den Staub,
Der Gut' erwacht zur Seligkeit."
(S. 242-243)
Übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)
Aus: England und Amerika Fünf Bücher englischer
und amerikanischer Gedichte
von den Anfängen bis auf die Gegenwart
In deutschen Übersetzungen
Chronologisch geordnet mit litterarhistorisch-kritischen
Notizen und einer Einleitung
von Julius Hart
Minden i. W. J. C. C. Brun's Verlag 1885
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Wach auf, mein Lieb!
Auf, Liebchen! eh' vor'm Tag die Nacht
Ablegt die graue Pilgertracht,
Eh' sich der Has', im Klee versteckt,
Den hellen Thau vom Felle leckt;
Eh', aufgeschreckt vom Jägersmann,
Am stillen See sich hebt der Schwan;
Eh's wach wird in den Zweigen allen,
Und grün Arbiglands Wälder schallen!
Sie kämmt die Locken, bind't die Schuh',
Und macht die grünen Röckchen zu;
Bei Preston-burn tritt sie aus dem Thor
Und thut's dem Morgenstrahl zuvor;
Die Lerche schmettert und setzt aus,
Der Goldfink grüßt vom Wald heraus.
Der Kiebitz ruft, beim Heidepflücken,
Vom weißumdampften Bergesrücken.
Sie sprach: "'s ist schön, wenn's Morgenlicht
Das Silbergrau mit Gold durchbricht,
Zu hören, wie Himmel, Busch und Wald
Vom Sangesleben wiederschallt!
Aus Höfen und aus Hütten auch,
In blauen Ringeln, steigt der Rauch;
Und zu der hellen Sense Klingen
Hört man den muntern Mäher singen."
"Ja, Herzenslieb! und weißt du wohl,
Was uns die Lerche singen soll?
Und bist du richtig auf der Spur
Den Liederlehren der Natur?
Aus jeder Waldesstimme klingt's,
Und Bien' und Vogel, Alles singt's -
Das Brautlied - jubelt in der Runde
Sein Lob dem süßen Ehebunde."
(S. 571-573)
Übersetzt von Otto Leonhard Heubner (1812-1893)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Leonhard Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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Des Dichters Lied auf den Trauungstag
Der Sonne gleicht mein Lieb, bewährt;
Dem Strom, der sich ins Tiefe mehrt;
Nicht graues Haar, nicht vierzig Jahr',
Nicht bange Zeit, Leid und Gefahr,
Nicht Sorgennacht, nicht Tag voll Gram,
Nicht Ruhmestraum, der täuschend kam,
Nicht Lust, nicht süßer Sang, geweiht
Zum Maß in Freud', zum Trost in Leid,
Nimmt jemals Herz und Sinne mir,
Mein süßes Weibchen, fort von dir.
Und eben schaust du mir ins Buch,
Jungfräulich blühend, fraulich klug.
Wie einst als Liebchen, schön und zart,
So jetzt, doch auf gesetztre Art.
Und, bräutlich, zu dir jubelt hin
Mein Herz, wie in Arbiglands Grün,
Wo wir gemeint, der Vollmond geh'
Um Stunden zu früh hinab am See;
Wo uns der fallende Thau noch fand,
Wo's Aug' ohn' Worte sich verstand.
Schon seh' ich lachend um dich stehn
Fünf Söhne samt dem Töchterchen;
Zeit, Sorg' und Kindbett hat dein Aug'
Getrübt, berührt den ros'gen Hauch;
Doch wenn mich Wort und Lied erhebt,
Du bist es, die drin spricht und lebt;
Wenn, wie der Thau sich senkt, Ideen,
Urplötzlich kommend, vor mir stehn,
Und Phantasie sich frei erschwingt,
Du bist's, Geliebte, die es bringt.
Als uns der Groschen Noth gemacht,
Wo Andern Haufen Golds gelacht,
Wir saßen traut und hielten Rath
Für unsers Stübchens dürft'gen Staat;
Wir pflückten traut, im Hoffnungstraum,
Die goldne Frucht vom Glückesbaum;
Doch trauter war's, recht mit Bedacht
Zu kränzen deiner Locken Pracht,
Und Liedguirlanden dir zu weihn
Am Uferrand im grünen Hain.
Und kommt die Zeit, die kommen muß,
Die schwere Zeit mit ernstem Gruß,
Wo's schwanke Glück in unsre Nacht
Mit keinem einz'gen Strahl mehr lacht,
Und Hoffnung nur, der Armen Schild,
Durchbricht als Regenbogenbild:
Dann seh' ich dir ins Auge, seh'
Ein Mutterherz drin funkeln, seh'
Entschlossne Sanftmuth, festen Sinn -
Kein Wort sagt's aus - seh' dich darin!
Das allerbeste Weib ist mein,
Ein bessres müßt' ein Engel sein!
(S. 573-575)
Übersetzt von Otto Ludwig Heubner (1856)
Aus: Englische Dichter Eine Auswahl englischer Dichtungen
mit deutscher Übersetzung
von O. L. H ...r [Otto Ludwig Heubner]
Leipzig Verlag von Georg Wigand 1856
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Kate von Aberdeen
Des Silbermondes Liebesglut
Sanft um die Nacht sich flicht,
Er scherzet mit der Wogen Flut
Und küßt sein spiegelnd Licht.
Zieh', Schlaf, zum Lager hin der Pracht -
Geh'st doch nur selten hin; -
Die Schäfer halten Maienwacht
Mit Kate von Aberdeen.
Im Grünen harrt der Jungfrau'n Chor
Im heitern Rosenkranz,
Bis aus des Morgens gold'nem Thor
Hervorbricht Maienglanz.
Mir däucht, der Jungfrau'n Reihen spricht,
Sieht er den Mai entblüh'n,
Er sei so schön, so reizend nicht
Wie Kate von Aberdeen.
Weckt mit der Pauke kühnstem Klang
Den schlummertrunk'nen Hain,
Aus jedem Nest grüß' Vogelsang
Die Vielgeliebte mein.
Und sieh, getäuscht die Lerche bricht
Hervor aus dichtem Grün;
O Lerche! 's ist der Morgen nicht,
's ist Kate von Aberdeen!
Schwebt leicht nun über'n Wiesenplan,
Wo schwärmt der Feenreih'n;
In heitern Tänzen schwebt voran,
Zur Lieb' stimmt die Schalmei'n;
Denn seht, es naht der ros'ge Mai,
Sucht eine Königin;
Da tönt der Schäfer froh Geschrei:
"'s ist Kate von Aberdeen!"
(S. 411-413)
Übersetzt von Louise von Ploennies (1803-1872)
Aus: Britannia. Eine Auswahl englischer Dichtungen
alter und neuer Zeit
In's Deutsche übersetzt von Louise von Ploennies
Mit beigedrucktem Originaltext
Frankfurt a. M.
Verlag der S. Schmerber'schen Buchhandlung 1843
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Sie ging zum Himmel ein
Sie ging zum Himmel ein, mein Mädchen,
Sie stieg empor zum Himmel.
Du bist zu rein, sprach Gottes Stimm',
Zu bleiben fern vom Himmel.
Was thut im Himmel sie, mein Mädchen?
Was thut sie wohl im Himmel?
Sie mischt ihr Denken mit Engelssang,
Daß er besser paßt zum Himmel.
Geliebt ward sie von Allen, mein Mädchen,
Geliebt ward sie von Allen;
Doch ein Engel warb um ihre Lieb',
Und nahm sie von uns Allen.
Tief liegst Du hier, mein Mädchen,
Tief liegst Du hier;
Nie schön're Gestalt ging zu der Erd',
Stieg nie empor aus ihr.
Bald werd' ich folgen Dir, mein Mädchen,
Bald werd' ich folgen Dir;
Nichts Werthes ließ'st Du mir zurück,
Nahmst die Güte selbst mit Dir.
Dein Antlitz kalt ich sah, mein Mädchen,
Dein Antlitz kalt ich sah,
'Ne Lilie in der Knosp' gepflückt,
Verwelket lagst Du da.
Ich sah Dein Aug' glanzlos, mein Mädchen,
Ich sah dein Aug' glanzlos,
Und ein holder Licht von des Himmels Brau'n
Die Zeit reißt nimmer los.
Die Lippe röthlich noch, mein Mädchen,
Die Lippe röthlich noch;
Doch der Himmelshauch, um zu singen dort
Das Abendlied, entflog.
Nur Staub ist jetzt noch mein, mein Mädchen,
Nur Staub ist jetzt noch mein,
Meine Seel' ist in dem kalten Grab,
Was soll ich hier allein?
übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)
Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 2 S. 101-102)
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