Aleardo Alleardi (1814-1878)
italienischer Dichter
Ein Trauerspiel
An dich, die darum weiß!
Ich werde dich immer lieben. Du aber
dort unten im Todtenreiche, trinke nicht,
ich bitte dich, aus jenem Becher, der dich deiner
alten Freunde vergessen machen würde.
Alte griechische Inschrift
I.
Du liebtest ihn; und wie sich zwei Narzissen
Von Einem Blatt umhüllt zusammenschmiegen,
So, einsam, Arm in Armen, ruhtet ihr
Auf jenem Sommerpfühl und schlürftet Stunden
Voll Himmelsglück, vom Himmel doch verpönt.
Zu deinen Füßen saß er und verschlang dich
Mit Blicken, unersättlich. Und du kos'test
Mit weichen Fingern ihm das Lockenhaar,
Im Auge sünd'ge Glut; und Nichts vernahm man
Im nächt'gen Schweigen, als den stürmischen
Schlag zweier Herzen. In dem Spiegelglas,
Das so verführend euch genüber hing,
Erschien das Abbild jenes Taumelfestes
Der Sinne, deiner lustentflammten Wangen
Granatroth und feinen Lilienblässe.
Du sahst ihn an mit Schmachten. Eure beiden
Schutzengel, die in einem fernen Winkel
Unsichtbar knieten, beteten für euch,
Die Hände auf den Augen. Ach, es glänzten
Umsonst herab auf eure jungen Häupter
Durch unermessnen Raum die stillen Sterne
Des abendlichen Himmels. Eure Liebe -
Was wußte sie von Licht und Finsterniß!
(S. 65-66)
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II.
Er betete dich an. Und doch bestritt dir
Die Herrschaft über dieses edle Herz
Eine geheime, arme, doch gewalt'ge
Rivalin - sein Italien. All die goldnen
Armbänder hundert duft'ger Arme, die
Sich zärtlich nach ihm öffneten, sie wogen
Nicht einen Ring ihm auf von jener Kette
Der ärmsten Sklavin. Und in einer Nacht,
Da er, verstrickt ins sinnlos wirre Netz
Phantastischen Traums, in Einem Bild umschlang
Dich und Italien, die so schön als schuldig
Gott beide schuf, ward er verrathen, ward
Gebunden fortgeschleppt vom Haus. Der Wagen
Mit diesem Hochgesinnten rasselte
Durch deine Straße, und die Scheiben klirrten
Am Haus, darin du schliefst. Unruhig lauschend
Fuhrst du empor; doch banger Ahnung voll
Bargst du dein griechisch Haupt in Eile wieder
Unter die Falten deiner duft'gen Linnen,
Und jener Ton des letzten Lebewohls,
Das er verzweiflungsvoll dir sandte, schlug
An deines Fensters grüne Läden an
Und ging im Wellenspiel der Nachtluft unter.
(S. 66)
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III.
Umringt von Sümpfen hebt sich eine Stadt,
Trotzig und traurig. Jenes Flüßchen, das
Von Baldisole kommt, gießt sein Virgilisch
Gewässer kreisend hier in einen See
Und plätschert um die finstern Festungsmauern.
Hier in der Nacht, wenn friedlich schläft die Welt
Und wenn des unfruchtbaren Mondes Strahl
Bleich über Sümpfe blitzt, glaubst du das weite
Gefilde rings und die verpesteten
Moräst' und Weidenbüsche sich bevölkern
Zu sehn mit Kriegerschatten und ein Grablied
Von florentinischen Stimmen zu vernehmen,
Das fern herüberweht von Curtatone.
Auf steiler Böschung, wo sie schweigend wandelt,
Hört es die fremde Schildwach, und es faßt sie
Geheimer Schauder, gleich als nahe schon
Der Sturz der Kaisermacht. Dort in die Tiefe
Der Kasematte ward dein Freund geschleppt
In öde Kerkerhaft. Er weinte nicht,
Er flehte, kniete nicht. Auf der geschwärzten
Wand, bei dem Licht, das schwach herniederdrang,
Zog er mit Giotto's trostbegabter Kunst
Die Lilien deines himmlischen Profils,
Und seit dem Tag war er nicht einsam mehr.
(S. 66-67)
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IV.
Ein frost'ger Tag brach an. Die Nebel dampften
Vom See herauf. Inmitten eines Feldes
Hob seine schaurigen Arme himmelwärts
Ein frevelhafter Galgen, gleich als fleht' er
Den Blitz auf sich herab; und eine Hecke
Von stummem Volke, Gott ein Gräuel, starrte
Auf eines Sterbenden erhabne Stirn
Mit tausend Augen. Heiter grüßt' er sein
Italien noch . . . Ein Nebelqualm verbarg
Das Übrige. Um Mittag durch zerrissnes
Gewölk, das hastig flatternd sich verzog,
Trat vor die Sonne und beschien das öde
Gefild, den grauenhaften Strick, den schwanken
Leib eines edlen Hingemordeten
Und jenes Antlitz, ach, so fahl, das einst
Mit Küssen du bedeckt. Ein kleiner Vogel
Sang auf dem Holz, dem Märtyrer zu Häupten,
Den Frühreif von den Flügeln schüttelnd. Wo,
Wo warst du damals, Weib? Ich forschte später
Nach seines Grabes heil'ger Stätte. Lange
Betet' ich dort für ihn, die Unterdrücker
Und Unterdrückten. Noch, o Schöne, war
Die frühe Anemone nicht empor-
Geblüht auf seinem Grab, da sangst du wieder,
Getröstet ach, durch eine neue Liebe!
(S. 67-68)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang (darin: Italienisches Liederbuch)
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 4
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)