Edmondo de Amicis (1846-1908)
italienischer Dichter
Abendröthe der Liebe
Ich seh' dich schon in unsern alten Tagen,
Wenn deine Locken weiß geworden sind.
Mit ihren weichen Ringeln spielt der Wind,
Und einen Strauß wirst du im Gürtel tragen.
Vom Lesen blick' ich auf, um dir zu sagen,
Ich liebe dich, und du bist reizend, Kind! -
Dann lächelst du und eilst hinweg geschwind
Und sagst, ich soll vernünftig mich betragen.
Und wenn wir schlendern in der Abendfrische,
Sehr langsam, räum' ich dir mit meinem Stabe
Die Steine fort, zum Ritterdienst noch tüchtig.
Ein achtzigjähr'ger Pfarrer kommt zu Tische.
Er hat das Podagra, der alte Knabe;
Du bist vergnügt und ich bin eifersüchtig.
(S. 166)
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Junge Liebe (Fra cugini)
Ich ging noch in der Jacke, Lena im kurzen Kleide,
Lena war blond und reizend, nicht garstig schien ich ihr.
Noch schrieben wir zuweilen unorthographisch Beide,
Mein Griechisch malträtirt' ich und Lena ihr Klavier.
Wie unter Spiel und Singen die vorschnell jungen Flammen
Entbrannt im stillen Herzen, ich weiß es nicht fürwahr.
Im dunklen Zimmer stießen wir laufend einst zusammen;
Seit jener Stunde waren wir ein verliebtes Paar!
O schöner schatt'ger Garten! Wie dort, statt mich zu quälen
Mit den verhaßten Büchern, mein Herz in Wonne schmolz,
Konnt' ich an ihrem Händchen die feinen Adern zählen,
Demüthig wie ein Page und wie ein König stolz!
Du liebes blaues Kleidchen, mit Sternen übergossen,
All deiner tausend Fältchen gedenk' ich bis zum Grab.
Des frischen Mädchenduftes, der ihren Arm umflossen,
Der Locke, die ihr golden hing bis ans Herz hinab.
Und einst sah ich im Fluge im schatt'gen Laubengange
Ihr weißes Knie, das runde (es blies der Wind mit Macht).
Ich zittert' und erröthet' und floh und habe lange
Tiefsinnig diesem großen Geheimniß nachgedacht.
Seit jenem Tag ergoß sich in Liedern meine Seele,
Ich laß ihr jeden Abend Gedichte seitenlang.
Die allerschlechtsten Verse - sie fand sie ohne Fehle,
Stolz, daß ihr junger Liebster so herrlich sie besang.
Doch dann an meine Schulter wie auf ein Ruhekissen
Das Köpfchen lehnend, sprach sie gedämpft in tiefem Harm:
Was hilft uns alle Liebe? Jung werd' ich sterben müssen! -
Und schälte weinend eine Orange mir im Arm.
Wirst du mich freien? fragte sie einst in tiefem Sinnen.
Und ich: O Lena! schwur ich, bei Gott nur du wirst mein!
Hab' ich ein Amt, so werd' ich zur Gattin dich gewinnen,
Wo nicht, soll ganz Italien mich des Verrathes zeih'n! -
Einst wollten wir die Flamme begraben tief in Asche
Und schwuren weinend: Morgen giebt Jedes sich den Tod!
Mein Mühmchen wollt' ihn trinken aus einer Tintenflasche,
Ich mit Papa's Stockdegen kühn enden alle Noth.
Doch war am nächsten Tage ein Fest in der Familie,
Zum "großen Kaffee" führte Mama uns alle Zwei,
Und dort - vor dem Gefrornen (ein Creme a la vanille)
War's mit der Todessehnsucht und unserm Schwur vorbei.
Und denkst du noch des Tages, da wir den Eltern grollten
Und in dem Atlas blätternd, beschlossen zu entfliehn,
Und wie wir nur in England ein Grab uns suchen wollten,
Weil England ros'ge Farbe so reizend uns erschien?
Entsinnst du dich, wie eifrig Romane wir studirten,
In Worten und Geberden den Helden gleich zu sein,
Wie wir nur kleine Bissen bei Tisch zum Munde führten,
Als däuchte grobe Nahrung brutal uns und gemein?
Und wie wir endlich, müde der elfenhaften Mahle,
(Wir konnten kaum vor Hunger noch auf den Füßen stehn)
Ein Jedes sieben Brödchen verschlang mit Einem Male
Und suchten ohne Lachen uns dabei anzusehn?
Und jenes Regentages, wo wir die Flucht genommen,
Zum flachen Dach, uns bergend vor strengem Mutterblick,
In deinem blauen Shawl uns einmummend, süß beklommen,
Dort wie im warmen Nestchen ausbrütend unser Glück?
Und wie du einst, als littest du ein verschwiegnes Wehe,
Die Stirn gesenkt, dich hieltest im Schatten an der Wand,
Daß Niemand meines Kusses purpurnes Brandmal sähe,
Das auf dem weißen Hälschen wie eine Blume stand?
Und wie dein grimmer Vater, da er mich in den Büschen
Einst fand an deiner Seite, ganz unerwartet rief:
Nimm dich in Acht, du Schlingel! Sollt' ich dich je erwischen -
O jener Tag! Noch weiß ich, wie hurtig ich entlief!
O meine Engels-Lena! Unwirsch und müd' entrann ich
Des alten Herrn Professors tabakbefleckten Klau'n,
Doch aus befreitem Herzen zu jauchzen hell begann ich,
Durft' ich nur aus der Ferne ihr weißes Schürzchen schau'n.
Und kam die Nacht, so flog ich mit schwermuthsvollen Sinnen
Verstohlen auf den Zehen zu der verschloßnen Thür.
Das Schloß küßt' ich von außen und Lena küßt's von innen,
Und meine Seufzer sandt' ich durchs Schlüsselloch zu ihr.
Und manchmal auch, als ob sie mir plötzlich böse wäre,
Mit ihren Kinderhändchen stieß sie mich flehend fort:
Um Gotteswillen! raube mir ja nicht meine Ehre! -
Und band ein Tuch ums Hälschen und barg den Fuß sofort.
Einst sagt' ich ihr: O wenn ich im Flug nur dich erhasche,
Ein Strom geheimer Düfte berauscht mir dann den Sinn. -
's ist ein Parfüm, versetzt sie, für einen Franc die Flasche! -
Und hielt ihr weißes Schnupftuch zum Riechen flugs mir hin.
Auch frug sie wohl im Ernste: Kann ich dir ganz vertrauen?
Gehört ein jeder Tropfen von deinem Herzblut mir?
Liebst du nicht andre Mädchen? schielst nie nach schönen Frauen?
Nicht eine einz'ge Untreu' beging ich je an dir! -
Oft ist sie den Gespielen stumm und verträumt erschienen
Und that, als wandle heimlich ein großes Leid sie an;
Und auf der Schulbank saß ich und zeigt' in meinen Mienen
Die Langeweil' eines alten blasirten Don Juan.
So unter Lachen, Weinen, Liebkosungen und Schwüren
Entfloh ein Jahr des Glückes uns Beiden blitzgeschwind.
Wir zählten, bis zur Kirche die Braut ich würde führen,
Voll Ungeduld die Tage, doch stolz und treu gesinnt.
Dann kam ein Tag - und unsanft ward ich hinweggetrieben,
Des süßen Mägdleins Vater verbannte mich von ihr.
Ach! unser holdvertrautes, geheim gepflegtes Lieben
Zerriß ein grauses Schicksal, und elend wurden wir.
Geheim! Ach nein! Vor Allen, in jenen Trennungswehen,
Verrieth ich mein Geheimniß und schluchzt' es laut hinaus.
Wie rauh Papa sein Drohwort ließ in Erfüllung gehen -
Nein! breiten wir den Schleier des Mitleids drüber aus!
(S. 166-170)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang (darin: Italienisches Liederbuch)
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 4
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)