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Lady Anne Barnard geb. Lindsay
(1750-1825)
englische Dichterin
Alt Robin Gray
1.
Wenn die Schafe sind im Stall, wenn heim die Kühe gehn,
Wenn rings die müde Welt in stiller Ruh wir sehn:
Dann fällt des Herzens Weh vom Aug mir strömeweis,
Vom Gatten ungesehn, der bei mir schlummert leis.
Jung Jamie war mir lieb und wollte mich zur Braut,
Doch er hatte nur 'ne Kron', er war 'ne arme Haut;
Die Kron' ein Pfund zu machen, aufs Meer er da entwich -
Und die Krone und das Pfund, sie waren beid' für mich.
Ein Jahr erst war er fort, da traf uns böser Harm,
Gestohlen ward die Kuh, mein Vater brach den Arm,
Und die Mutter wurde krank - mein Jamie war zur See -
Da machte mir den Hof der alte Robin Gray.
Mein Vater konnt' nicht schaffen, die Mutter nicht mehr spann;
Ich schaffte Tag und Nacht, doch ihr Brot ich nicht gewann.
Alt Rob ernährte Beid' und mit Thränen schaut' er drein:
"O Jenny - ihrethalb - sag an, willst du mich frein?"
Mein Herz, es sagte Nein, und nach Jamie blickt' ich aus;
Doch sein Schiff war ein Wrack, kalt pfiff des Sturms Gebraus,
Sein Schiff, es war ein Wrack! O warum starb er nicht?
Warum noch schlägt mein Herz, dass nun es: Weh mir! spricht?
Mein Vater drängte sehr - und Mutter gar Nichts sprach,
Doch sie sah mir in das Auge, dass schier das Herz mir brach;
Sie gaben mich ihm hin; doch mein Herz war auf der See,
Und so wurde, ach, mein Gatte der alte Robin Gray.
Ich war sein ehlich Weib der Wochen höchstens vier,
Und still und trauernd saß ich auf der Bank vor meiner Thür;
Da sah ich Jamie's Geist - er selber konnt's nicht sein -
So glaubt' ich, bis er sprach: "Nun komm' ich, Lieb, dich frein."
Ich grüßt' ihn trüb, o trüb! wir sprachen fast kein Wort;
Ein Kuss und weiter Nichts - dann bat ich ihn: Geh fort!
Ich wollt', ich wäre todt; doch Das wird lang noch sein,
Denn, o, ich bin so jung, und muss schon: Weh mir! schrein.
Ich wandle wie ein Geist, mit Spinnen nicht mich quäl',
Darf nicht an Jamie denken, Das wäre Sünd' und Fehl.
Doch will ich treu mich mühn, ein gutes Weib zu sein,
Denn alt Robin Gray sorgt ja für mich allein.
2.
Die Tage wurden lang, vom Aug' die Thräne wich;
Vielleicht es war Verzweiflung: zufrieden wähnt' ich mich.
Sie sprachen, bleich und welk sei meiner Wangen Zier;
Ich konnt' nicht sehn - denn Jamie gab einst den Spiegel mir!
Mein Vater war so trüb, die Mutter krank und weh,
Doch was zumeist mich schmerzte, Das war alt Robin Gray.
Ob er kein Wort auch sprach: die Wang' in Thränen floss,
Sie welkte wie ein Ast, auf den der Waldstrom schoss.
Er legte sich ins Bett; er wurde fahl und falb;
Er wollte keinen Arzt. "'S ist besser ihrethalb!"
So sprach er oft, und seufzte. Zuletzt hieß er mich gehn,
Die Nachbarn herzurufen, sie noch vorm Tod zu sehn.
"Ich hab' sie sehr betrübt," sprach er; "doch kannt' ich nicht
Die Wahrheit - und Das ist's, was nun das Herz mir bricht.
Klagt nicht! Für sie ist's gut, denn Tod wird bald befrein
Ein jung und treues Herze von schwerer Bande Pein.
Gar manchen Tag um sie ich Müh' und Sorg' mir gab;
Ich wollte gern sie frein, sie aber schlug mir's ab.
Ich wusste Nichts von Jamie, und - weh um meine Ruh'! -
Dass mein sie würde, stahl ich - stahl selber ihre Kuh!
Was scherte mich die Kuh? Ich dachte nur an dich,
Die Kuh, so glaubt' ich, trennte allein mein Lieb und mich.
Solang die euch ernährte, sprachst oft du fest und zäh,
Du wollest nimmer frein den alten Robin Gray.
Doch Krankheit in dem Haus, und Hunger vor der Thür -
Da gab sie mir die Hand - das Herze brach ihr schier.
Das Herz, es brach ihr schier - Was nahm ich ihre Hand?
Gar arge Sünde häuft' ich auf dies gesegnet Land!
Nicht lange war's, da kam die Wahrheit über mich,
Denn Jamie kam zurück, und Jenny's Wang' erblich.
Doch ob die Wang' erblich, treu blieb sie ihrem Herrn ...
Jenny, ich sah es All - und, o, nun sterb' ich gern!"
"Ist Jamie da?" so sprach er, und Jamie bei uns stand -
"Ihr habt einander lieb; - wohl, reicht euch jetzt die Hand!
Ich geb' dir, junger Mann, mein Haus und All, was mein,
Mein liebes Weib dazu, das nie ich durfte frein!"
Wir küssten seine Hand - sein Antlitz lächelnd schien;
Und Jamie sprach: "Vor Gott ist seine Schuld verziehn.
O Jenny, sieh dies Lächeln - verziehn ist seine Schuld;
Wer trotzte dem Versucher, wo's gälte deine Huld?" -
Süß war die erste Zeit; doch war's auch traurig sehr -
Mit Thränen in dem Auge kannt' ich mich selbst nicht mehr;
Denn leicht war mir das Herz wie dem Vogel in der Luft,
Und auch das trübste Weh umhaucht von Glanz und Duft.
Heller, als je zuvor, strahlt mir der Sonne Schein,
Ich bin nun Jamie's Weib - wer könnte froher sein?
Die Alten dort am Herd - ein Kind an meiner Brust,
Und Jamie, o, er blickt mir ins Aug voll sel'ger Lust!
(S. 149-154)
Übersetzt von Adolf Strodtmann (1829-1879)
Aus: Lieder- und Balladenbuch
amerikanischer und englischer Dichter der Gegenwart
In den Versmaßen der Originale übersetzt
und von Lebensskizzen der Verfasser begleitet
von Adolf Strodtmann
Hamburg Hoffmann und Campe 1862
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