Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Schottische anonyme Dichter


Anonym

Die schöne Helene von Kirkconnel

O wär' ich an Helenens Grab!
Sie ruft mir zu und läßt nicht ab,
O wär' ich an Helenens Grab
In Kirkconnelgefild!

Helene, gleich Dir keine war,
Zum Band will flechten ich Dein Haar,
Soll binden mich Dir immerdar,
Bis Tod mein Leiden stillt.

Verflucht das Herz, das macht' den Plan,
Verflucht die Hand, die es gethan,
Ihr Blut aus ihrem Busen rann,
Ihr Herz, es war mein Schild.

Wie war mein Herz so trostesleer,
Als sie hinsank und sprach nicht mehr,
Ich legt' sie nieder sorgenschwer
Auf Kirkconnels Gefild.

Ich legt' sie nieder, zog mein Schwert,
Lang, lang der Kampf im Walde währt,
Bis ich ihn niederstreckt' zur Erd'
Für sie, die war mein Schild.

O wär' ich an Helenens Grab!
Sie ruft mich stets und läßt nicht ab,
Und zu sich ruft sie mich hinab:
Komm zu mir, ruft sie mild.

O Du, Helene, schön und rein,
Bei Dir nur kann ich glücklich sein,
Wo Du schläfst unterm Leichenstein
Im Kirconnelgefild.

O wär' ich an Helenens Grab!
Sie ruft mir zu und läßt nicht ab,
Seit sie für mich ihr Leben gab,
Nichts meinen Kummer stillt.


Zur Erläuterung des Gedichtes:
 Ein junges Mädchen, Helene Irving, Tochter des Lords von Kirkconnel,
wurde von Adam Fleming von Kirkpatrick geliebt und liebte ihn wieder.
Ein anderer Liebhaber aus der Nachbarschaft beschloß
den Nebenbuhler aus dem Wege zu räumen;
als die Liebenden am schönen Ufer des Kirtle entlang gingen,
führte er seinen Plan aus und drückte sein Gewehr
auf seinen Nebenbuhler ab. Helene sah ihn losdrücken
und umschlang schnell ihren Geliebten, so daß
der Schuß sie traf. Sie verschied in den Armen des Geliebten.
Adam Fleming nahm Rache an dem Mörder und erschlug ihn
im Zweikampfe. Verzweiflung trieb ihn nach Spanien,
wo er gegen die Ungläubigen (also wahrscheinlich in der
letzten Hälfte des 15ten Jahrhunderts) kämpfte.
Aber auch hier ließ es ihm keine Ruhe; er kehrte nach
Schottland zurück, um auf dem Grabe seiner Geliebten
zu sterben. Das Grab beider Liebenden wird noch immer
auf dem Kirchhofe von Kirkconnel bei Springkell gezeigt. -
Fleming selbst soll das vorliegende Lied in Spanien gedichtet haben.
Möglich ist's.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 26-27)
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Anonym

O weh! o weh!

O weh! o weh! hinab ins Thal,
Und weh und weh den Berg hinan!
Und weh, weh jenem Hügel dort,
Wo er und ich zusammenkam!
Ich lehnt' mich an einen Eichenstamm
Und glaubt', ein treuer Baum es sei,
Der Stamm gab nach, der Ast der brach,
So mein Treulieb ist ohne Treu.

O weh, weh, wann die Lieb' ist wonnig,
Eine Weile nur, weil sie ist neu!
Wird sie erst alt, so wird sie kalt,
Und ist wie Morgenthau vorbei.
O wofür kämm' ich nur mein Haar?
Oder wofür schmück' ich nun mein Haupt?
Mein Lieb hat mich verlassen,
Hat mir sein Herz geraubt!

Nun Arthurs-Sitz soll sein mein Bett,
Kein Kissen mehr mir Ruhe sein.
Sankt Antons-Brunn soll sein mein Trank,
Seit mein Treulieb ist nicht mehr mein!
Martinmeßwind, wann willst Du weh'n,
Und weh'n's Laub von den Bäumen her?
Und lieber Tod, wann willst Du kommen?
Denn ach, mein Leben ist mir schwer.

'Sist nicht der Frost, der grausam sticht,
Noch weh'nden Schnee's Unfreundlichkeit,
'Sist nicht die Kält', die macht mich schrei'n,
'Sist seine kalte Härtigkeit.
Ach! als wir kamen in Glasgowstadt,
Wie wurden da wir angeschaut!
Mein Bräutigam, gekleid't in Blau,
Und ich in Rosenroth, die Braut.

Hätt' ich gewußt, bevor ich küßt',
Daß Liebe bringet den Gewinn,
Hätt' eingeschlossen in goldnen Schrein
Mein Herz und's fest versiegelt drinn.
O, o! wär' nur mein Knäblein da,
Und säß' auf seiner Amme Knie,
Und ich wär' todt und wär' hinweg,
Denn was ich war, werd' ich doch nie.

übersetzt von Johann Gottfried Herder (1744-1803)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 27-29)

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Anonym

Klage der Gränzerwittwe

Mein Lieb baut mir ein schönes Haus
Und ziert es all' mit Lilien aus.
Ein schmucker Haus war nie erbaut,
Als mir mein treues Lieb erbaut.

Da kam ein Mann um Mittag her,
Und spürt' und holt' den König her,
Den König her, dieselbe Nacht,
Der meinen Herrn ums Leben bracht'.

Genug nicht war's an seinem Blut,
Beschlag legt' er auf Hab und Gut.
Dem Tod entfloh'n die Diener mein,
In höchster Noth blieb ich allein.

Ich näht' sein Grabhemd, all' die Nacht
Hielt ich allein die Leichenwacht;
Stimmt Leichenklag' an, Nacht und Tag,
Kein lebend Wesen kam mir nah!

Auf meine Schultern ich ihn lud,
Ein Weilchen ging, ein Weilchen ruh't;
Ich grub ein Grab, legt' ihn zur Ruh,
Deckt' ihn mit grünem Rasen zu.

Doch meint ihr nicht, mein Herz war wund,
Als Erd' ich warf' auf den süßen Mund?
O, meint Ihr nicht, mein Herz war weh,
Als ich mich wandt', um wegzugeh'n?

Kein Lebender geht mich mehr an,
Sein Tod traf den geliebten Mann!
Mit 'ner Locke von seinem gelben Haar
Fessl' ich mein Herz auf immerdar.


übersetzt von Talvj
[Therese Albertine Louise von Jakob verh. Robinson] (1797-1870)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 29-30)

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Anonym

An Ettricks Ufern

An Ettricks Ufern, in Sommerszeit,
Als Abends die Schafe trieben heim,
Da kam meine nette, saubere Maid
Barfuß daher und ganz allein.
Mein Herz ward leicht, ich rann, ich schlang
Um ihren weißen Hals den Arm,
Und küßt' und drückte sie da ganz lang,
An Worten aber, da war ich arm.

Ich sprach: Mein Mädchen, komm mit mir
Und im Hochland das Ersische lern'!
Eine Kuh und ein Schaf die geb' ich Dir,
Wenn Du kommst zur Brücke von Earn.
Mehr sollst Du finden zu jeder Zeit
Und Heringe fang' ich im Broomielaw.
Drum guten Muths, meine herzige Maid,
Dir schenk' ich, was nie Dein Auge sah.

Und wenn wir uns am Tag' gemüht,
Wenn Winterfrost und Schnee beginnen,
Wenn westlich vom Loch die Sonne glüht,
Wenn Du am Abend sitz'st beim Spinnen:
Dann drück' ich die Pfeif' und blase Dir vor,
Und der Abend vergeht wie ein Augenblick.
Bald blökender Lämmer munterer Chor
Den fröhlichen Sommer bringet zurück.

Dann, wenn die Bäum' in der Blüthe stehn
Und Maßlieb blühet auf jeder Au',
Dann wollen zur Haide wir Beide gehn,
Und leben in meinem Sommerbau.
Dann wollen wir, fern von jener Drang,
Die über liebende Herzen lachen,
Mit Scherz und Kuß und Tanz und Sang
Den längsten Tag selbst kurz uns machen.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 30-31)

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Anonym

O wär' mein Lieb jene Rose roth

O wär' mein Lieb jene Rose roth,
Die wächset auf des Schlosses Zinn',
Und wär' ich selbst ein Tropfen Thau,
Dann sänk' ich auf die Rose hin.

Mein Lieb ist lieblich, lieblich, lieblich,
Mein Lieb ist lieblich, voller Reiz,
Seh' ich ins treue Antlitz ihr,
Lohnt mich ihr lächelnd Aug' bereits.

O wär' mein Lieb ein Weizenhalm,
Aufwachsend auf dem Felde dort,
Und wär' ich selbst ein Vöglein nett,
Dann flög' ich mit dem Halme fort.

O wär' mein Lieb 'ne Kiste Gold,
Und wär' des Schlüssels Wächter ich,
Die Kiste macht' ich oftmals auf
Und labte an dem Anblick mich.

Mein Lieb ist lieblich, lieblich, lieblich,
Mein Lieb ist lieblich, voller Reiz,
Seh' ich ins treue Antlitz ihr,
Lohnt mich ihr lächelnd Aug' bereits.


übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 31)

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Anonym

Sie sagen, Küssen ist Sünde

Sie sagen, Küssen ist Sünde,
Doch denk' ich, das ist nicht wahr;
Denn geküßt ward in der Welt,
Seitdem's nur gab ein Paar.

O wär' es ungesetztlich,
Das Gesetz erlaubt' es nicht,
Und wenn es wär' unheilig,
Dann thäten's die Pred'ger nicht.

Und wenn es wär' unziemlich,
Dann litten's die Mädchen nicht,
Und gäb's nicht Küsse die Menge,
So hätten die Armen sie nicht.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 35)

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Unbekannter Dichter
(gedichtet 1670-80 zu Ehren der Lady Margaret Hay,
Schwester des Lord Yester und Gemahlin
des Grafen von Roxburgh)

John Hay's liebliche Tochter

Am schlängenden Tay ein Landmann lag,
Oft rief er: Muß leben ich, Nacht und Tag
Mich in Schmerz zu verzehren und darf nicht gestehn
Meiner lieblichen Maid, wie nach ihr ich mich sehn'?

Ich kann nicht mehr kämpfen, die Liebe muß siegen,
Und wird sie nicht mein, muß im Grab ich bald liegen,
Drum fass' ich ein Herz mir, gewagt muß es sein,
Vielleicht wird erweicht sie durch meine Pein.

Sie ist frühlingsfrisch, wie Aurora süß,
Wenn Vögel ihr bringen die Morgengrüß'.
Der Wiesenflur mit Blumen geziert,
Ohn' ihren Reiz Leben und Anmuth verliert.

Doch wenn sie erscheint, wo sie locket das Grün,
Klar fließt dann der Quell, Blumen lieblicher blühn,
'Sist himmlisch, wenn sprudelt ihr Witz und ihr Scherz.
Ihr Lächeln, ihr Auge verzehret mein Herz.

Und je mehr ich sie sehe, je tiefer die Wunden,
Bewunderung hält mir die Seele gebunden.
Dann möcht' ich sie küssen vor Seligkeit,
Nichts wünsch' ich als John Hay's liebliche Maid.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 40-41)

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Anonym (17. Jh.)


Ich hab' nicht Verwandte, ich habe nicht Freund'

Ich hab' nicht Verwandte, ich habe nicht Freund'
Und keinen, der theuer mir wär',
Denn der hübsche Bursche, den ich lieb',
Fern ist er über dem Meer.
Er ging mit einem, der unser war;
Ach daß gekommen der Tag,
Da des Königs Tochter herüber kam,
Zu üben solche Schmach!

O wär' ich ein hübsches Vögelein,
Könnt' fliegen beschwinget fort!
Dann wollt' ich fliegen über die See
Nach meines Treuliebchens Ort.
Dann wollt' ich singen ein fröhlich Lied
Dem, den ich liebe so heiß,
Wollt' sitzen am Königsfenster
Und singen meine Weis'.

Die Natter liegt im Rabennest
Unter des Raben Schwing',
Und der Sturm, der fortführt des Raben Nest,
Den König nach Haus' uns bringt.
Drum blase nach Ost und blase nach West,
Hin über Wolken jag',
Und bringe mein treues Lieb zu mir
Und ihn, den ich nennen nicht mag.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 1 S. 46)

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