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Luisa Arroyo (19. Jh.)
spanische Dichterin
O süsse Liebe
O süße Liebe, die durchs ganze Leben
Als goldnes Ziel vor meiner Seele schwebt,
Zu der mein Herz in stolzem Flug sich hebt,
Nur du vermagst mir Weih' und Kraft zu geben.
Nach dir allein, der reinen, will ich streben,
Die mit dem Himmel unser Herz verwebt,
Die alles, was am niedern Staube klebt,
Zu ihrer Hoheit nimmer mag erheben.
O, gib mir Kraft, daß ich mit ganzer Seele
Und lauterm Sinn vor deinen Altar trete
Und nur zu dir, der himmlischen, mich wende.
Um deinen Segen falt' ich fromm die Hände
Und meine Seel' erhebt sich zum Gebete,
Daß ich zu dir doch nie den Weg verfehle.
Übersetzt von Otto Braun
(1824-1900)
Aus: Aus allerlei Tonarten
von Otto Braun
Zweite vermehrte Auflage
Stuttgart 1898
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolge
(S. 42)
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Geisterstunde
Vom Turme schallt die mitternächt'ge Stunde,
Und klangbewegt erzittern leis die Föhren.
Nun ist es still. Kein Laut ist mehr zu hören,
Und heil'ges Dunkel herrscht in weiter Runde.
Wie regt mein Herz sich wohlgemut im Grunde!
Das fremdes Treiben nicht vermag zu stören,
Kann sich nun ganz und ungeteilt gehören
Und lebt mit Geistern in vertrautem Bunde.
Doch nicht mit solchen, die der Gruft entschweben,
Die, aufgeschreckt von des Gewissens Plagen,
Um öde Gräber luft'gen Reigen weben;
Zu denen nur liebt es sich hinzuwagen,
Die in befreundet gleichgestimmtem Streben
Nach der Entfernten jetzt die Sterne fragen.
Übersetzt von Otto Braun
(1824-1900)
Aus: Aus allerlei Tonarten
von Otto Braun
Zweite vermehrte Auflage
Stuttgart 1898
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolge
(S. 43)
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Sommernacht
Schon hat die Rose ihren Kelch geschlossen,
Süß träumt die Nachtigall von ihr im Flieder;
Wie Schlummer senkt sich's auf die Erde nieder,
Die zaubermild vom Mondenlicht umflossen.
O Sommernacht! Wie duft'ge Blumen sprossen
Am Herzen mir der Sehnsucht weiche Lieder,
Ja selbst die stille Thräne rinnet wieder,
Die ach, so lang mein Auge nicht vergossen!
Doch wie in der Empfindung Überschwange
Die schwere Wimper reichre Tropfen spendet,
Glüht plötzlich schamerrötend mir die Wange.
O, welcher Wahn hat mir den Sinn verblendet,
Daß ich so lang, bestrickt vom falschen Zwange,
Dir, o Natur, mich fühllos abgewendet!
Übersetzt von Otto Braun
(1824-1900)
Aus: Aus allerlei Tonarten
von Otto Braun
Zweite vermehrte Auflage
Stuttgart 1898
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolge
(S. 44)
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Herbst
Bang seufzt der Wind durch die verblaßte Heide,
Stumm ist der Wald, und öde steht die Flur.
Kein Lied! Kein Klang! Von Leben keine Spur!
Allüberall das Bild von tiefem Leide!
Ach, jede Blüt' im buntdurchwirkten Kleide
Der süßen Herzenströsterin Natur
Welkt' hin und starb! An ihrem Grabe nur
Stehn einsam noch Cypress' und Trauerweide.
Ach, auch das Herz ist einsam und verlassen
Und trauert blutend an der Liebe Grab
Und weiß den Schmerz, den großen, nicht zu fassen.
Zerbrochen liegt des Trostes treuer Stab!
Wohin das Auge thränenvoll sich wendet,
Springt nur ein Quell, der neue Thränen spendet!
Übersetzt von Otto Braun
(1824-1900)
Aus: Aus allerlei Tonarten
von Otto Braun
Zweite vermehrte Auflage
Stuttgart 1898
Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung Nachfolge
(S. 45)
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