Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Zoltan Balogh (1833-1878)
ungarischer Dichter



Eine Woche

Eine Woch' ist's nur, da nähtest
Du am Schleier traut,
Den die Mutter dir zur Hochzeit
Aufgesteckt als Braut.
Eine Woch' ist's nur, da blühte
Rosig dein Gesicht,
Und in deinen Augen glänzte
Hell der Freude Licht.
Jetzt, nach einer Woche eben,
Wittwe du! - Das ist das Leben.

Und ich sah Euch beide treten
Zum Altare hin,
O wie unaussprechlich schmerzvoll
War mir da zu Sinn!
Dein Herz floss von Wonne über,
Meins von Gram und Leid,
Als die kleine Hand ich heben
Sah, zum Schwur bereit.
Jetzt, nach einer Woche eben,
Wittwe du! - Das ist das Leben.

Lustig war's auf deiner Hochzeit,
Nahm doch Theil am Tanz
Selbst dein Vater, seine Runzeln
Schwanden all im Glanz.
Deinem Haupt entfiel beim Tanzen
Eine Blum' im Reigen,
Hob sie auf zum Angedenken,
Kann noch jetzt sie zeigen.
Nun, nach einer Woche eben,
Wittwe du! - Das ist das Leben.

Weisst du's noch am andern Tage,
Als ich kam gegangen,
Mit wie frohem, heiterm Antlitz
Du mich da empfangen?
Hab' viel tausendmal bewundert
Deiner Schönheit Prangen,
Als mein Aug' - du schlugst es nieder -
Blieb an deinem hangen.
Jetzt, nach einer Woche eben,
Wittwe du! - Das ist das Leben.

Und am vierten Tage, weisst du's,
Als ich bei Euch weilte,
An des Kranken Bett mit dir mich
In die Pflege theilte,
Als in deinem Aug' des Schmerzes
Heisse Thräne brannte,
Während deines Gatten Auge
Matt nach uns sich wandte:
Jetzt, nach einer Woche eben,
Wittwe du! - Das ist das Leben.

Und am sieb'nten Tage, weisst du's,
Als wir ihn begruben,
Und an seinem Grab ohnmächtig
Sie empor dich huben,
Als mit meinem Arm ich zitternd,
Da dich hielt umfangen,
Als mein Herz getheilt in Wonne
Und in Schmerzesbangen! -
Hatt' ja auch mich dir ergeben,
Liebte dich - Das ist das Leben.

übersetzt von Gustav Steinacker (1809-1877)

Aus: Ungarische Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit (die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874 (S. 397-399)

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