Jewgeni Abramowitsch Baratynski (1800-1844)
russischer Dichter
Wir trennten uns. Mein Leben zu verschönen,
Ward mir zutheil nur kurze Rauscheslust ...
Nie lausch' ich mehr der Liebesworte Tönen,
Nie athm' ich mehr aus liebevoller Brust.
Ich hatte Alles - Alles schwand von hinnen,
Ich träumte kaum - da wich des Traumes Glück! ...
Bestürzung nur und starres, dumpfes Sinnen
Blieb mir von meiner Seligkeit zurück.
(S. 68)
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Der Lenz
O Lenz, o Lenz! Wie rein die Luft!
Wie warm des Himmels Glanz!
Geblendet hat die Augen mir
Der blaue Strahlenkranz.
Im sanften Hauch des Zephyrs ziehn
Die Wölkchen allzumal;
Es küßt sie hoch im Aetherraum
Der goldne Sonnenstrahl.
Die Bäche murmeln silberhell;
Mit stolzem Fluthgebraus
Wälzt hoch der Strom den Eiskoloß
Ins weite Meer hinaus.
Noch stehn die Haine kahl und öd,
Doch unter meinem Fuß
Beut raschelnd mir das welke Laub
Der Lenzesdüfte Gruß.
Hell singend steigt die Lerche auf
Ins lichte Sonngebiet,
Und aus der Höhe noch erklingt
Dem Lenz ein Jubellied.
O Seele, sprich - was ist mit Dir?
Strom bist Du mit dem Strom,
Und mit dem Vöglein schwingst Du Dich
Empor zum Himmelsdom.
Erfüllt Dich so mit Lebenslust
Der Frühlingssonnenschein?
Willst Du, der Elemente Kind,
Auch bei dem Feste sein? ...
O selig, der auf diesem Fest
Der Lethe Fluthen trinkt,
Dem in dem Schoße der Natur
Ein neues Leben winkt!
(S. 68-69)
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Übersetzt von Friedrich Fiedler (1859-1917)
Aus: Der russische Parnaß
Anthologie russischer Lyriker
von Friedrich Fiedler
Zweite unveränderte Auflage
Dresden und Leipzig Verlag von Heinrich Minden [1910]