Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Elizabeth Barrett-Browning (1806-1861)
englische Dichterin

 

Portugiesische Sonette

VI.

Geh fort von mir. So werd ich fürderhin
in deinem Schatten stehn. Und niemals mehr
die Schwelle alles dessen, was ich bin,
allein betreten. Niemals wie vorher

verfügen meine Seele. Und die Hand
nicht so wie früher in Gelassenheit
aufheben in das Licht der Sonne, seit
die deine drinnen fehlt. Mag Land um Land

anwachsen zwischen uns, so muß doch dein
Herz in dem meinen bleiben, doppelt schlagend.
Und was ich tu und träume, schließt dich ein:

so sind die Trauben überall im Wein.
Und ruf ich Gott zu mir: Er kommt zu zwein
und sieht mein Auge zweier Tränen tragend. 
(S. 12)

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VII.

Mir scheint, das Angesicht der Welt verging
in einem andern. Deiner Seele Schritt
war leise neben mir, o leis, und glitt
leis zwischen mich und das was niederhing

in meinen Tod. Auf einmal fing -
- da ich schon sinkend war - mich Liebe auf,
und ein ganz neuer Rhythmus stieg hinauf
mit mir ins Leben. Den ich einst empfing,

den Taufkelch voller Leid, ich trink ihn gern
und preis ihn, Süßer, süß, bist du nur nah.
Die Namen: Heimat, Himmel schwanden fern,

nur wo du bist, entsteht ein Ort. Und da:
dies Saitenspiel (die Engel wissen wie
geliebt) hat nur in dir noch Melodie.
(S. 13)

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IX.

Hab ich ein Recht, zu geben, was ich kann?
Darf ich in dieser Tränen Niederschlage
dich bleiben heißen. Die durchseufzten Tage
heben auf meinem Munde wieder an

zwischen dem Lächeln, das, wie du's beschwörst,
doch nicht zu leben wagt. O ich bin bang,
daß das nicht recht sein kann. Wir sind im Rang
nicht gleich genug für Liebende. Du hörst:

wer andres nicht zu geben hat, der muß
nicht Geber werden. Ein für alle Mal.
Dein Purpur bleibe rein von meinem Ruß

und unbeschlagen klar dein Glas-Pokal.
Nichts geben will ich; unrecht wäre das.
Nur lieben vor mich hin, Geliebter. Laß -.
(S. 15)

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X.

Doch Liebe, einfach Liebe, ist sie nicht
schön und des Nehmens wert? Es strahlt die Flamme
ob Tempel brennen oder Werg. Es bricht
Licht aus dem Abfall und dem Zedernstamme.

Liebe ist Feuer. Und: ich liebe dich -
- gib acht -: ich liebe dich - wenn ich das sage,
steh ich verwandelt nicht mit einem Schlage
verklärt vor dir? Ich fühle selbst, wie ich

anscheine dein Gesicht. Wo Liebe je
sich niedrig macht, kann sie nicht niedrig werden:
Gott nimmt Geringe an, die sich gebärden

so wie sie sind. Das, was ich fühle, blendet,
über dem Dunkeln, das ich bin: ich seh
wie Liebe wirkend die Natur vollendet.
(S. 16)

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XI.

Darum wenns möglich ist, daß man verdient
zu lieben, bin ich nicht ganz unwert. Schient
ihr nicht vor Blässe, blasse Wangen? Knie,
versagtet ihr nicht schon, kaum wissend wie

dies schwere Herz hier tragen? Dieses Leben,
das für sein Singen Gipfel träumte, wo
kein Vogel singt, genügt nun eben eben,
um eine Nachtigall im Tale so

traurig zu übertönen. Doch wozu
daran erinnern? Das ist klar, daß du
unendlich mehr bist. Weil ich liebe, giebt

mir diese Liebe Recht, sie weitertragend
zu lieben wie ich dich bisher geliebt -:
dich segnend, dir ins Angesicht entsagend.
(S. 17)

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XII.

Doch die mein Stolz ist, diese Liebe, die,
aufsteigend aus der Brust zu meinen Brauen,
die Menschen nötigt, nach mir her zu schauen,
wie ein Rubin, dem man es ansieht, wie

kostbar er ist, - mein Köstlichstes: auch sie
hätt ich nicht lieben können, wäre nicht
dein Beispiel vor mir: hätte dein Gesicht
sich mir nicht zugekehrt, ernst wie noch nie

Liebe begehrend. So daß ich die meine
nicht nennen darf wie mir entstammt und mein.
Denn deine Seele hob mich auf als eine

Hinschwindende zu deinem Thron. Und daß
ich liebe den ich liebe (Seele laß
uns Demut lernen) kommt von dir allein.
(S. 18)

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XIV.

Wenn du mich lieben mußt, so soll es nur
der Liebe wegen sein. Sag nicht im stillen:
»Ich liebe sie um ihres Lächelns willen,
für ihren Blick, ihr Mildsein, für die Spur,

die ihres Denkens leichter Griff in mir
zurückläßt, solche Tage zu umrändern«. -
Denn diese Dinge wechseln leicht in dir,
Geliebter, wenn sie nicht sich selbst verändern.

Wer also näht, der weiß auch, wie man trennt.
Leg auch dein Mitleid nicht zu Grund, womit
du meine Wangen trocknest; wer den Schritt

aus deinem Trost heraus nicht tut, verkennt
die Tränen schließlich und verliert mit ihnen
der Liebe Ewigkeit: ihr sollst du dienen.
(S. 20)

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XIX.

Auch am Rialto meiner Seele kennt
man Tausch und Handel. Und mein Herz wird Speicher
für meines Dichters Locke, die mir reicher
erscheint als Schiffe aus dem Orient.

So purpurn wie sie dunkelt. Pindar sah
so glutverhaltend nächtiges Geflecht
um Musenstirnen. Und mit gleichem Recht,
vermut ich, wich von dieser Locke da

noch nicht der Schatten aus dem Kranz. Man sieht:
sie ist so schwarz. Ich will ein Netz gehauchter
schützender Küsse drüber knüpfen und

aufs Herz sie legen, wo ihr nichts geschieht,
und wo sie Wärme hat wie auf erlauchter
Stirne, solang es glüht auf seinem Grund.
(S. 25)

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XX.

Geliebter, mein Geliebter, wenn ich denk
vor einem Jahr -: Da saß ich noch wie eh,
und deine Fußspur war noch nicht im Schnee,
und rings das Schweigen war noch ungelenk,

von deiner Stimme nicht geschult. Ich ließ
die langen Ketten langsam, Glied nach Glied,
durch meine Finger gehn, nicht wissend dies:
daß du schon möglich warst. Wie mir geschieht,

da ich des Lebens tiefes Staunen trinke.
Und wunderlich, daß Tag und Nacht von dir
nicht schon erzitterten. Was gaben mir

die weißen Blumen, die du sahst, nicht Winke?
So zugeschlossen sind, die Gott verneinen
für seine Gegenwart. Ich wars der deinen.
(S. 26)

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XXI.

Sag immer wieder und noch einmal sag,
daß du mich liebst. Obwohl dies Wort vielleicht,
so wiederholt, dem Lied des Kuckucks gleicht
wie du's empfandest: über Tal und Hag

und Feld und Abhang, beinah allgemein
und überall, mit jedem Frühling tönend.
Geliebter, da im Dunkel redet höhnend
ein Zweifelgeist mich an; ich möchte schrein:

»Sag wieder, daß du liebst.« Wer ist denn bang,
daß zu viel Sterne werden: ihrem Gang
sind Himmel da. Und wenn sich Blumen mehren,

erweitert sich das Jahr. Laß wiederkehren
den Kehrreim deiner Liebe. Doch entzieh
mir ihre Stille nicht. Bewahrst du sie?
(S. 27)

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XXII.

Wenn schweigend, Angesicht in Angesicht,
sich unsrer Seelen ragende Gestalten
so nahe stehn, daß, nicht mehr zu verhalten,
ihr Feuerschein aus ihren Flügeln bricht:

was tut uns diese Erde dann noch Banges?
Und stiegst du lieber durch die Engel? Kaum;-
sie schütteten uns Sterne des Gesanges
in unsres Schweigens lieben tiefen Raum.

Nein, laß uns besser auf der Erde bleiben,
wo alles Trübe, was die andern treiben,
die Reinen einzeln zueinander hebt.

Da ist gerade Platz zum Stehn und Lieben
für einen Tag, von Dunkelheit umschwebt
und von der Todesstunde rund umschrieben.
(S. 28)

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XXIII.

So ist es wirklich wahr, daß, stürb ich dir,
du fühltest, wie das Leben dann um meins
weniger würde. Dieses Sonnenscheins
Gefühl, es trübte sich für dich, wenn hier

um mein Gesicht Grabschwärze wäre? Fast
erschrak ich, da du's schriebst. Ich bin ja dein;
aber daß du an mir so Großes hast -?
So dürfte meine Hand dir deinen Wein

einschenken, meine bebende? O dann
träum ich nicht mehr vom Tod. Dann sieh mich an,
Geliebter, liebe mich, umgib mich ganz.

Sehr große Damen taten ihren Glanz
um solche Dinge ab. Ich aber werde
dem nahen Himmel fremd um deine Erde.
(S. 29)

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XXV.

Ich trug ein schweres Herz von Jahr zu Jahr,
bis ich dein Antlitz sah, Geliebter. Mir
ward Schmerz, wo's anderen natürlich war,
Freuden zu tragen, aufgereiht; und ihr

vom Tanzen rasches Herz hob Perle nach
Perle ins Licht. Zu trostlosem Erleben
schlug eine kurze Hoffnung um. Gott war zu schwach,
mein überladnes Herz hinauszuheben

über die bange Welt. Bis du mir riefst,
es zu versenken, wo du dich vertiefst
zu ruhigem Großsein. Durch die eigne Schwere

sinkt es in deine Tiefen, die wie Meere
sich drüber schließen, füllend alle Ferne
zwischen dem Schicksal und dem Stand der Sterne.
(S. 31)

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XXVII.

Geliebter, Meiner, der mich sehr erschrocken
von dieser öden Erde Flachland hob,
und der den Vorhang meiner matten Locken
mit einem Kusse auseinanderschob,

drin Leben wehte, - Engel wundern sich
wie meine Stirne scheint. O Meiner, Meiner,
die ganze Welt verging und es kam Einer,
ich suchte Gott allein, da fand ich
dich.

Ich finde dich; getrost und stark und still.
Wie aus dem niebetauten Asphodill
einer zurücksieht auf die welke Zeit

der Oberwelt, so bin ich zwischen Bösen
und Guten schon zur Zeugenschaft bereit:
die Liebe kann - stark wie der Tod - erlösen.
(S. 33)

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XXVIII.

Briefe, nun mein! Tot, bleich und lautlos dauernd!
Und doch wie meine Hand sie bebend heut
am Abend aufband: wunderlich erschauernd
und wie belebt in meinen Schoß gestreut.

In diesem wünscht er mich zum Freund. Und der
bestimmt, an dem ich ihm die Hand gereicht,
den Tag im Frühling ... Und ich weinte mehr
darum als nötig scheint. Und der, sehr leicht,

enthält: Ich liebe dich; und warf mich hin
wie Gott mit Kommendem verwirft was war.
Und der sagt: Ich bin dein, - die Tinte drin

verblich an meines Herzens Drängen. Gar
erst dieser ... Lieber, du hast selbst verwirkt,
daß ich zu sagen wagte, was er birgt.
(S. 34)

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XXIX.

Ich denk an dich. Wie wilder Wein den Baum
sprießend umringt, mit breiten Blättern hängen
um dich meine Gedanken, daß man kaum
den Stamm noch sieht unter dem grünen Drängen.

Und doch, mein Palmenbaum, will ich nicht sie,
diese Gedanken, sondern dich, der teurer
und besser ist. Du solltest ungeheurer
dich wieder zeigen, weithin rauschend wie

es starke Bäume tun. Und dann laß da
das Grüne dieser kreisenden Lianen
abfallen, wo es schon zerrissen ist,

weil meine Freude im Dich-Sehn und -Ahnen,
in deinem Schatten atmend, ganz vergißt
an dich zu denken - ich bin dir zu nah.
(S. 35)

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XXXI.

Du kommst. Und alles klärt sich ohne Wort.
Ich sitz in deinem Blick: in Mittagsonne
sitzen die Kinder so, und immerfort
bricht unerschöpflich unbewußte Wonne

aus ihren Lidern, welche zittern. Sieh,
mein letzter Zweifel irrte. Ich beweine
nur seinen Anlaß. Denn wir sollten nie
so auseinanderstehen, daß der eine

dem andern nicht mehr beisteht. Bleib ganz dicht,
Hilfreicher. Siehst du meine Angst sich heben,
so stelle hell dein breites Herz um sie.

Laß aus dem Himmel deiner Schwingen nicht
meine Gedanken; draußen sind sie wie
verlorne Vögel hilflos preisgegeben.
(S. 37)

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XXXII.

Am ersten Tag in deiner Liebe sah
ich bang dem Mond entgegen, weil ich meinte,
er würde unaufhaltsam dieses da
auflösen, das zu rasch und früh Vereinte.

Wer rasch im Lieben ist, schätzt rasch gering,
und was mich selbst betraf: ich war kein Ding
für solchen Mannes Liebe. - Wer vermiede
nicht eine Geige, welche seinem Liede

nur Schaden tut: wer legte sie nicht hin
beim ersten Mißton? Ach ich hatte recht
für mich und für mein Herz, doch nicht für deines.

Ist auch ein Instrument verbraucht und schlecht:
für einen Meister ist Musik darin, -
Handeln und Lieben ist den Großen eines.
(S. 38)

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XXXV.

Und wenn ich alles für dich lasse: kannst
du alles werden? Hab ich dir verglichen
Gespräch und Segen und den heimatlichen
für alle gleichen Abendkuß? Umspannst

du mich mit Fremdem? Soll in diesen Mauern
ich andere, verlaßne, nie betrauern?
Und hast du irgend zärtlichen Ersatz
für Augen Toter, die an ihrem Platz

festhalten? Besser ist es, Schmerzen mit
der Liebe zu erringen; denn der Schmerz
umfaßt sich selber und die Liebe, - beides.

Ach, ich bin schwer zu lieben: denn ich litt.
Willst du es trotzdem? So tu auf und leid es,
daß deine Taube flüchtet in dein Herz.
(S. 41)

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XXXVIII.

Sein erster Kuß berührte nur die Finger,
womit ich schreibe: wie sie seither leben
geweiht und weiß, unfähig zu geringer
Begrüßung, doch bereit, den Wink zu geben,

wenn Engel sprechen. Und es könnte nicht
ein Amethyst sichtbarer sein im Tragen
als dieser Kuß. Der zweite, zum Gesicht
aufsteigend, blieb, wo meine Haare lagen,

verloren liegen. Unwert der Verwöhnung
empfing ich seine Salbung vor der Krönung.
Doch feierlich wie im Zeremonial

ward mir der dritte auf den Mund gelegt
in Purpur, und seitdem sag ich bewegt:
O mein Geliebter, - stolz mit einem Mal.
(S. 44)

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XLIII.

Wie ich dich liebe? Laß mich zählen wie.
Ich liebe dich so tief, so hoch, so weit,
als meine Seele blindlings reicht, wenn sie
ihr Dasein abfühlt und die Ewigkeit.

Ich liebe dich bis zu dem stillsten Stand,
den jeder Tag erreicht im Lampenschein
oder in Sonne. Frei, im Recht, und rein
wie jene, die vom Ruhm sich abgewandt.

Mit aller Leidenschaft der Leidenszeit
und mit der Kindheit Kraft, die fort war, seit
ich meine Heiligen nicht mehr geliebt.

Mit allem Lächeln, aller Tränennot
und allem Atem. Und wenn Gott es giebt,
will ich dich besser lieben nach dem Tod.
(S. 49)
_____

In der Übersetzung von Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Aus: Rainer Maria Rilke
Übertragungen
Herausgegeben von Ernst Zinn und Karin Wais
Insel Verlag Frankfurt am Main 1975
 

Literaturhinweis zur Neu-Übersetzung:

"... ganz allein nur um der Liebe willen"
Elizabeth Barrett Browning
Sonnets from the Portuguese
Sonette aus dem Portugiesischen
übersetzt von Ingeborg Vetter
Edition Signathur
Dozwil TG Schweiz 2012


 

 


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