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Elizabeth
Barrett-Browning (1806-1861)
englische Dichterin
Portugiesische Sonette
1.
Einst dachte ich an Theokrits Gesänge,
Wie er die holde Lebenszeit besingt,
Wo jedes Jahr uns neue Gaben bringt,
Austeilend allen aus der Gaben Menge.
Und als ich über jene Strophen sann,
Sah ich visionenhaft vorüberschweben -
Durch Tränen sah ich es - mein junges Leben,
Das melancholisch Jahr um Jahr verrann.
Und eines Schattens wurde ich gewahr,
Wie er sich plötzlich hinter mir bewegte - -
Mich rückwärts ziehend, griff er in mein Haar,
Und eine Stimme, die mich tief erregte,
Sprach: "Sage wer ich bin?" - "Tod!" haucht' ich trübe.
Sie aber rief: "Nein! nicht der Tod, die Liebe!"
(S. 1)
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2.
Nur drei, jedoch in Universums Weite,
Vernahmen dieses Wort. Gott selber und
Du, und die es empfing von deinem Mund.
Gott aber sprach noch etwas, nicht wir beide.
Und legt' auf mich des Leides Druck so schwer,
Wie um den Blick, der dich gesehn, zu strafen.
Wär ich im Arm des Todes eingeschlafen,
Sein Dunkel trennte mich von dir nicht mehr!
Das "Nein", das Gott spricht, ist ein Nein, mein Freund,
Vernichtender, als sprächen's ird'sche Zungen.
Nichts hätte sonst zur Trennung uns gezwungen
Was andre trennt, uns hätt' es nur vereint.
Ich würd', läg zwischen uns das All geschoben,
Mich über Sterne hin dir angeloben.
(S. 2)
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3.
Ungleich sind wir, o königliches Herz,
Ungleich Bedürfnisse sowie Geschicke!
Verwundert, sich begegnend, erdenwärts
Und auf einander richten sich die Blicke
Von unsern Schicksalsengeln. - Zum Genossen
Von Königinnen bist du ausersehn!
In glänzendere Augen sollst du sehn,
Als die von Tränen glänzen, die vergossen!
Ein schlechter Partner bin ich! Weltvergessen
Schaust du nun auf die müde Pilgerin,
Die hier im Dunkel singt mit schwerem Sinn
Und freudlos wandelt unter den Zypressen.
Gesalbt bist du! Und meine Stirn ist bleich
Von Tau benetzt. - Der Tod nur macht uns gleich.
(S. 3)
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4.
Zu Fürstenhallen nur scheinst du berufen,
Du hoher Meister echter Poesie!
Erscheinst du, stockt der Tanz. Rings drängen sie
Sich andachtsvoll zu deines Thrones Stufen.
Nun trittst du hin vor meines Hauses Tür,
Nicht hoch genug für dich, kommst hier zu singen?
Lässt plötzlich deine Strophen hier erklingen
In vollem Strom hinrauschend über mir?
O schau' empor! Sieh', in gebrochner Sparre
Baun Fledermaus und Käuzehen nun zu Hauf!
Die Grille zirpt zum Klange der Guitarre - -
Hinweg! Kein andres Echo rufe auf
In dieser Öde! Denn hier weint ein Herz
Dir ewig fern - du aber singst - in Schmerz.
(S. 4)
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5.
Ich hebe still mein Herz empor zu dir,
Wie einst Electra ihren Aschenkrug
Und schütte dir zu Füssen was er trug!
Sieh, solche Last von Kummer lag in mir!
Wie noch die roten, wilden Funken glühn
Im Grau der Asche. Ja, tritt näher hin
Und tritt sie aus! O, könnt'st du sie zertreten,
Sie zornig ganz im Berg von Asche betten,
Es wäre gut! Doch harrst du hier, bis sie
Der Wind erfasst und dir entgegentreibt,
Dann hüte, mein Geliebter, dich, dann bleibt
Selbst nicht dein Lorbeer Schutz mehr gegen sie!
Dass dann die Glut dein Haar versengt, ich stehe
Nicht mehr dafür! Darum verlass mich! Gehe!
(S. 5)
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6.
Geh' von mir! Ach, in deinem Schatten werde
Ich fortan leben! Selbst nicht mehr gebieten
In meinem eignen Herzen! Alten Sitten
Nicht mehr getreu sein, die mein Herz mich lehrte!
Die Hand heb' ich in kindlichem Gefühl
Nicht mehr empor, nicht ohne das Berühren
Von deiner Hand auf meiner Hand zu spüren,
Dem Glück, das ich mir nun versagen will.
Doch was uns immer trenne, inniglich
Fühl' ich dein Herz in meinem Herzen schlagen!
Mein Träumen schliesst dich ein, mein Tun und Sagen - -
Im Weine so verrät die Traube sich!
Fleh' ich für mich zu Gott, sprech' ich von dir!
Tränen von Zwein im Auge schaut er mir.
(S. 6)
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7.
Der Erde Antlitz ist verwandelt, seit
Zuerst ich deiner Seele Tritt vernommen!
Ganz leise, leise bist du nah gekommen
Und stellt'st dich zwischen mich und alles Leid,
Du stellst dich zwischen mich auch und den Tod,
Da du den Tod durch Liebe überwunden!
In neuem Rhythmus ist mein Sein gebunden
Und selbst der Kelch der Schmerzen, den mir Gott
Zu kosten gab, mir süss und lieblich scheint,
Seit ich dich habe! Meine Heimat ist,
Mein Himmel, mein Geliebter, wo du bist,
Weil, bist du bei mir, nah und fern sich gleicht.
Und meine Lieder sind mir nur noch wert,
Weil stets dein Name darin wiederkehrt.
(S. 7)
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8.
Was könnt' ich dir, fürstlicher Geber, bieten?
Freiwillig tratest du vor meine Tür,
Um deines Herzens Reichtum still vor mir,
Zu meiner Wahl ihn vor mir auszuschütten,
In einz'ger Seelengrösse! Bin ich kalt
Und undankbar, dass ich für solche Gabe
Dir nichts zu bieten und zu bringen habe?
Nicht so! Mein Herz, das dir entgegenwallt,
Fühlt sich nur arm! Arm, wahrlich, Freund, bin ich!
Gott ist mein Zeuge! Sieh, auf meinen Wangen
Von Tränen sind die Farben ganz vergangen!
Was ich noch bin, ist nicht mehr wert für dich.
Nicht wert, zu dienen für dein Haupt als Kissen -
Geh' drüber hin! Ich leg' es dir zu Füssen.
(S. 8)
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9.
Welch Recht hab' ich, dir was ich bin zu bieten?
Wie unterm Fall von Tränen wirst du stehn,
Wenn du in mein vergangnes Leben sehn
Und es erfahren wirst, was ich gelitten.
Kaum wagt ein Lächeln, wenn du mich beschwörst
So liebevoll, auf meinem Mund zu leben -
Denn ich bin ohne Recht! Zu ungleich eben
Sind wir zum Liebesbund. Was du begehrst
Fehlt mir. Ach, unfruchtbar sind meine Gaben!
O geh! Mein Herz begiebt sich seiner Wahl.
Kein trüber Hauch verderbe dein Kristall,
Dein Purpur sei nicht unter Staub begraben!
Du bist geschaffen Höchstes zu empfangen - -
Aus Lieb', Geliebter, schweige mein Verlangen.
(S. 9)
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10.
Und dennoch ist die Liebe, ach, so schön,
So es Besitzes wert! Das Feu'r glüht rot,
Ob Tempel brennen oder Spreu verloht,
Ob Zedern oder Heiden lodernd stehn.
Auch Liebe ist ein Feu'r! Ich liebe dich,
Ja, liebe dich! Doch hat mich, ich gestehe
Verwandelt ganz dein Anblick, deine Nähe!
Das neue Licht in mir strahlt nun auf dich.
Lieb' wird nicht arm, weil sie Geringe fühlen,
Gott selbst nimmt ja die Liebe gnädig an
Der Kreatur, die nichts als lieben kann.
Auch dieser schwachen Brust fühl' ich entquillen
Den Liebesstrom, der, was Natur gegeben,
Verklärt erscheinen lässt zu höhrem Leben.
(S. 10)
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11.
Wenn so zu lieben ein Verdienst sein würde,
Ein wenig wär es meins! Du siehst erblasst
Mein Antlitz, meine Füsse tragen fast
Nicht mehr des Herzens allzuschwere Bürde.
Die Sängerin, die sich mit müden Klagen
Zum Orkus sehnte, singt im stillen Tal
Nun um die Wette mit der Nachtigall
Ihr melancholisch Lied. - Das lass' mich sagen,
O mein Geliebter, das ist offenbar,
Nie messen könnt' ich meinen Wert mit deinem -
Und dennoch lieb' ich dich so tief und wahr,
Dass Liebe mich begnadete zu einem;
Sie hat mich stark gemacht, dir zu entsagen
Und den Verzicht, dich segnend, zu ertragen.
(S. 11)
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12.
Wie sie von Herzen sich zu Haupt erhebt,
Ist diese Liebe all mein Stolz und Glück.
Wie ein Rubin auf meiner Stirne schwebt
Ihr Glanz, wert, anzuziehn der Menge Blick!
In ihr ist eben all mein Wert beschlossen.
So könnte ich nicht lieben, hätte ich
Die höchste Liebe nicht erkannt durch dich,
Die sich durch deinen Blick in mich ergossen.
Nun lass' mich dir von meiner Liebe sagen,
Dass du die, die in meiner Brust gewohnt
Und schwach war, weit mit dir emporgetragen,
Dass sie mit dir auf goldnen Stühlen thront!
Nur dich lieb' ich, den ich allein erwähle!
(Entäussre dich der Demut nie, o Seele!)
(S. 12)
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13.
Und willst du, dass ich sie in Worte fasse,
Die Liebe, die ich hege? Soll die Hand
Die Fackel heben, dass im Wind der Brand
Die Glut auf unsern Zügen leuchten lasse?
Nein! Ich verlösche sie zu deinen Füssen.
Ich kann soweit nicht mein Gefühl von mir
Ablösen, dass ich in Worte ich vor dir
Fasste, was Worte nicht zu fassen wissen.
Lass' dir vielmehr, o lasse dir mein Schweigen
Vertraun zu meiner Liebe anempfehlen,
Die sich umworben, niemand gab zu eigen
Und nichts Erlebtes strebt, dir zu verhehlen!
Nicht Schwäche, stumm verschlossne Kraft vermeidet,
Dass dir mein Herz enthülle, was es leidet.
(S. 13)
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14.
Ach, liebe mich, wenn du mich lieben willst,
Nur um der Liebe willen! Sage nicht:
"Ihr Lächeln liebe ich, ihr Angesicht",
Und sag' nicht, dass du darum Liebe fühlst,
Weil sie zuweilen innig sich verschlingen,
Gedanken, fröhlich stimmend dich und mich,
Denn alles dieses ist veränderlich,
Und Liebe lebt und stirbt mit diesen Dingen.
Auch nicht um meiner Tränen willen liebe
Mich, die dein Mitgefühl ins Aug' mir drängt,
Dass nicht die, der im Leid du Trost geschenkt,
Des Leids vergessend, Trost verliert und Liebe!
Nur um der Liebe willen liebe mich -
Die wahre Liebe währet ewiglich!
(S. 14)
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15.
Ach, klage mich nicht an, ich bitte dich,
Ich sei zu ernst in deiner Gegenwart!
Wir gehn zwei Wege voll verschiedner Art
Und andre Ziele leiten dich und mich.
Du schaust auf mich in deiner klaren Ruh
Wie auf ein Bienlein in Kristall geschlossen!
Die Liebe hat mich wie Kristall umflossen.
Wenn ich die Schwingen auseinandertu',
Um aufzufliegen, Liebster, muss ich sterben!
Und ich, Geliebter, schaue ich auf dich,
Die Liebe und ihr Ende sehe ich
Und hinterm Glück den Trennungssehnierz, den herben.
Und bin wie Eine, die von Bergeshöh'
Fern hinter Strömen schaut die bittre See.
(S. 15)
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16.
Und doch, weil du so edlen Wesens bist,
Vornehmer als ein Fürst, und königlich,
Kannst du trotz allen Widerstandes mich
In deinen Purpur hüllen. Doch es ist
Gefahrvoll mir, so nah an deinem Herzen
Zu atmen, ist es mir auch wohlbekannt,
Dass eines edlen Siegers sanfte Hand
Nur Lind'rung sucht für des Besiegten Schmerzen.
Und grade wie ein überwundner Krieger
Sein Schwert dem reicht, der ihn von Kampfes Statt
Emporhebt, so, o mein Geliebter, hat
Mein Kampf auch hier sein Ende! Grosser Sieger,
Du dringst in mich, dass ich nichts mehr verweig're -
Lieb' mich, dass deine Liebe meine steig're!
(S. 16)
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17.
Du mein Poet, machst alle Saiten schwingen
Und Streit und Hader, die die Weit durchziehn,
Verklärst du wundersam zu Melodien,
Die durch den Sturm der rauen Welt erklingen,
Rein und erhaben! Und entgegenschwillt
Erlösend die Musik der Menschenseele -
So schuf dich Gott zu reinsten Segens Quelle,
An der ich steh', von Andacht ganz erfüllt.
Was willst du, Liebster, dass ich tue? Soll ich
Die Hoffnung für dich sein, die dich beschwingt?
Erinnern, das voll Wehmut in dir klingt?
Oder ein Schatten, wo du ruhevoll dich
Ausstreckst und liedentsiegelst deine Seele?
Oder ein Grab, auf dem du schweigst?- O wähle!
(S. 17)
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18.
Nie gab ich einem Mann von meinem Haar
Je eine Locke, Teurer, als nur dir!
Und sinnend um die Hand roll ich sie mir
Und reiche sie dir, sie entrollend dar.
Nimm sie! Die Zeit der Jugend ist vergangen!
Zu Festen taugt mir nun ihr Schmuck nicht mehr,
Nicht Rose oder Myrte ziert sie mehr -
Beschatten kann sie auf den bleichen Wangen
Nur noch der Tränen Spur, wenn ich ergeben
Die müde Stirne senke, grambeschwert.
Dem Grab nur dacht' ich noch zu übergeben
Was nun die Liebe sanft von mir begehrt!
Nimm sie, die einer Mutter Kuss geweiht,
Eh' sie hinwegging in die Ewigkeit.
(S. 18)
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19.
Auf dem Rialto unsrer Liebe habe
Ich eine Locke deines Haars erhandelt!
Von meines Dichters Stirn herabgewandelt
Ist sie nun auf mein Herz - dort ruht die Gabe.
Ihr schwarzer Glanz gleicht dem, der Pindars Blick
Einst auf dem dunklen Flechtenhaar entzückte,
Das die neun weissen Musenstirnen schmückte!
Mich dünkt, ein Lorbeerschatten blieb zurück
Auf deinem Haar, so dunkel ist sein Schimmer
Und damit nicht der tiefe Glanz vergehe,
Mein Atem wie ein Kuss darüberwehe!
Wo nichts ihr droh'n kann, berg' ich sie auf immer,
Auf meinem Herzen, das von Glut durchloht,
Wie deine Seele ist, bis an den Tod.
(S. 19)
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20.
Geliebter, mein Geliebter, es zu denken,
Dass du, dass du mir nahe schon gewesen
Vor Jahresfrist, da ich im Schnee gesessen
Und nur vernahm das Schweigen sich versenken!
Noch sah ich deine Fussspur nicht, auch wähnte
Ich meines Schicksals Ketten allzuschwer!
An ihre Lösung glaubte ich nicht mehr,
Noch, dass sie deine Hand einst brechen könnte,
Kredenzend mir des Lebens süssen Trank.
Kein Vorgefühl weissagte dich! Die Blüten,
Die du erblühen sahst, haben nichts verraten.
Die Tage flohn vorüber dumpf und bang
Den Gottlosen glich ich, die nie erglühten
Für Götter, die sie nicht geahnet hatten.
(S. 20)
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21.
Noch einmal sage, immer wieder sage,
Dass du mich liebst, damit dies Wort von dir
Dem Kuckucksruf vergleichbar kling' zu mir!
Kein Jahr kommt, wo an süssem Frühlingstage
Wo über Tale, Hügel, Wald und Flur
Die wunderhellen Laute nicht erklingen.
Geliebter, durch die grüne Wildnis dringen
Mag nun zu dir der Geisterstimme Spur,
Die ruft: "O sag', du liebst mich!" Wer beklagte
Der Sterne Menge! Wer, weil jede schön,
Dass tausend Blumen beieinander stehn?
So wünscht' ich, dass dein Mund, du liebst mich, sagte,
In ew'ger Wiederholung! - Nur versprich,
Auch schweigend und von Herzen liebe mich!
(S. 21)
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22.
Wenn unsre Seelen vor einanderstehen,
Sich fest und feste, fassend, stark und glühend,
Emporgerichtet, Aug' in Aug' sich sehend,
Und ihre Schwingen regen, flammensprühend,
Dann hat die Welt uns nicht mehr viel zu geben!
Ach, glaubst du nicht, wenn wir noch höher stiegen,
Es würden Engel uns entgegenfliegen,
Wie sie in ew'gen Glorien singend schweben?
Und Duft umhauchte uns von Himmelsblumen. -
Doch auch schon auf der Erde hier, Geliebter,
Wechselnder Wünsche Wahn, vor uns zerstiebt er,
Was wider uns gewollt hat, muss verstummen!
Lass' einen Tag lang uns der Liebe leben,
Den Dunkelheit und Todesnacht umgeben.
(S. 22)
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23.
Ist es die Wahrheit, läg ich tot vor dir,
Würd'st du mit meinem alles Leben missen?
Würd'st du die Sonne nicht mehr froh begrüssen,
Wenn Grabesnebel webten über mir?
Voll Staunen, süsser Freund, hab' ich's gelesen.
Dein bin ich - dennoch - bin ich dir soviel?
Die Hand, die dir den Becher reichen will,
Bebt. Soll die Seele, die erfüllt gewesen
Von Todesträumen, Erdenglück empfangen?
Ja, liebe, liebe mich! Schau auf mich hin,
Manch glänzendere Frau wie ich es bin,
Liess Rang und Stand, um Liebe zu erlangen!
Ein Grab verlasse ich um deinetwillen,
Um Himmel und Erde mit dir auszufüllen.
(S. 23)
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24.
Gleich dem geschlossnen Messer ist die Schneide
Der Welt uns abgekehrt und ohne Harm.
Die Hand der Liebe hält uns fest und warm,
Dass sie von allem Kampf und Streit uns scheide,
Umschliesst sie uns. So Leben denn um Leben!
Ich lehne mich an dich, Geliebter, stumm,
Und schaue auf die Menschen ringsherum,
Die mir zu fürchten keinen Anlass geben.
Die Waffen, die sie führen, sind zu schwach!
Lass unsres Lebens Blüten sich erschliessen,
Lass Himmelstau sie tränken und begiessen
Und rein sich öffnen wie zum ersten Tag!
Auf Bergen, fern den Menschen, lass uns leben,
Nur Gott kann nehmen, was er uns gegeben!
(S. 24)
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25.
Das Herz war schwer, mein Freund, das ich getragen,
Von Jahr zu Jahr, eh' ich dein Antlitz sah -
Leid über Leid begegnete mir da
Und Freud' um Freude wurde umgeschlagen
Und abgemäht. Wie eine Perlenschnur
Zersprang das Glück beim Tanz! Der Hoffnung Fülle
Ging unter in Verzweiflung - Gottes Wille
Verstand die leidverlorne Seele nur
Emporzuheben. Dann tratst du vor mich
Und hiess'st mich in dein grosses, klares Wesen
Das Leid versenken. Da ist mir gewesen,
Als stürze es im Schwung hinab ich dich.
Dann schloss sich deine Seele drüber zu
Und zwischen Gott und dem Geschick stehst du!
(S. 25)
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26.
Sonst lebte in Gesellschaft ich von Schatten
Anstatt von Menschen, schon seit langen Jahren
Die bessere Gefährten für mich waren
Und süssre Lieder mir zu singen hatten.
Bald aber wurden ihre Instrumente schwach
Und wie verstaubt ruhn ihre Purpurschleppen,
Ich selbst schien unter ihrem toten Blick
Mich taub und blind durchs Leben hinzuschleppen,
Da kamst du! und du warest was sie schienen!
All ihre Schönheit ist in dir vereint!
Nur wie ein heil'ger Quell verschieden scheint
Von irdschem Strom, so ungleich bist du ihnen.
Nun überströmt mich himmlisches Genügen
Gott gibt und straft der Menschen Trachten Lügen.
(S. 26)
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27.
Einzig Geliebter, der mich weit hinaus
Gehoben über dieses Lebens Enge,
In dessen dumpf verworrenem Gedränge
Ich schmachtete, ein Hauch geht von dir aus,
Der wunderbar belebt. Die Hoffnung funkelt
Seit du mich küsstest, wieder mir vorm Blick,
Mein eigen bist du, mir zu höchstem Glück
Erschienst du, als die Welt mir ganz verdunkelt.
Ich fand sie durch dich wieder, Kraft und Freude!
Wie Eine, die im Feld voll Asphodill
Rückschauend altes Leid ermessen will,
Steh' ich tief atmend schon befreit von Leide,
Erlöst vom Wechseldrang der Erdennot
Durch Liebe, die so stark ist wie der Tod!
(S. 27)
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28.
Die stummen, weissen Briefe hält die Hand,
Totes Papier und doch voll heissem Leben!
Nachts halt ich sie im Schosse, und das Band,
Das sie umschlossen, löse ich mit Beben.
Der eine sagt, du möcht'st die Freundin sehn,
Und jener spricht von einem Frühlingstag,
Wo innig deine Hand in meiner lag!
In einem aber diese Worte stehn:
"Ich liebe dich!" Das hat mein Herz erschüttert,
Die Zukunft brach in die Vergangenheit
Gewittergleich. Und seitdem allezeit
Trag' ich bei mir, verblasst nun und zerknittert
Dies Blatt - und es hat alle Schuld getragen,
Dass ich gewagt, es auch zu dir zu sagen.
(S. 28)
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29.
Ich denke deiner! Die Gedanken weben
Um dich, wie um den Stamm der wilde Wein!
Mit breiten Blättern hüllen sie ihn ein,
Dass sie bis zum Verschwinden, ihn umgeben.
Dennoch, mein Palmbaum, musst du wohl verstehen,
Vielmehr als all mein Denken lieb' ich dich,
Der edler und der besser ist wie ich!
O komme, ich verschmachte dich zu sehen!
Dem mächt'gen Baum gleich schüttle die Gezweige,
Dass alles Grün, das ihn umwuchert, falle!
Zerreiss', vernichte diese Ranken alle,
Denn kann ich dich nur sehn und hören, schweige
Ich, neues Leben atmend neben dir -
Und denke nichts - zu nahe bist du mir!
(S. 29)
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30.
Dein Bild erscheint durch Tränen mir zu Nacht
Und doch gelächelt hast du mir am Tage!
Was ist der Grund, o mein Geliebter, sage?
Bist du's, bin ich es, was mich traurig macht?
So mag von Ohnmacht mitten im Gesang
Und feierlichen Kult, plötzlich befangen,
Wohl die Novize am Altare schwanken!
Ach, deine Schwüre, deiner Worte Klang,
Bist du entfernt, erscheinen unerfüllbar,
Wie der Novize Ohr der Chöre Amen!
Freund, liebst du mich? Vernahm ich's, oder kamen
Nur Träume mir, dass Sehnsucht, die unstillbar
Schien, nun erfüllt ist? Sag', sind Licht und Glück
So echt wie diese Tränen mir im Blick?
(S. 30)
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31.
Du kommst! So ist denn alles ohne Wort
Gesagt! ich ruhe unter deinen Blicken!
Bin wie ein Kind, das abends voll Entzücken
Zur Himmelsglorie aufschaut fort und fort
Die ganze Brust voll Freude! Ja, ich stand
In letzten Zweifeln! Dennoch nicht bereuen
Kann ich den Zweifel! Denn er ward uns Zweien
Der Anlass, dass uns die Beherrschung schwand
Auf einen Augenblick. Umfange fest
Die schwache Freundin! Meine Scheu und Schmerzen
Versenke tief in deinem reichen Herzen!
Ach, deine überlegne Klarheit lässt
Unflüggen Vögeln meine Zweifel gleichen!
Mit deinen Flügeln decke sie, den weichen!
(S. 31)
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32.
Als über deinen Schwur, du liebtest mich,
Zum erstenmal die Sonne aufging, sehnt' ich
Mich nach der Nacht, der lösenden, da wähnt' ich,
Zu eilig bandst du ewig mich an dich!
Leicht wird zu leicht entflammte Liebe kalt!
Auch schien ich selbst für solchen Mannes Liebe
Mir nicht geschaffen, denn wie eine trübe,
Lang' nicht gestimmte Geige bin ich. Bald
Zurück mag sie der gute Sänger geben,
Weil sie nur schlecht gestimmt ist zum Gesang.
Ach, nicht für mich, für dich nur ist mir bang!
Doch wie die grossen Menschen kleine heben,
Entlocken dem verbrauchten Instrumente
Dennoch nur Melodien Meisterhände.
(S. 32)
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33.
Ja, gib mir meinen Kosenamen! Gib
Den Namen mir, auf den als Kind ich hörte,
Wo mich so oft der Ruf vom Spiel aufstörte
Und vor ein Antlitz hinrief, das mir lieb
Und teuer war. - Wie lange, ach, entbehrte
Ich diesen Klang! Mit Himmelschören wogen
Die teuren Stimmen, längst emporgezogen!
Sie rufen mich nicht mehr. Stumm in der Erde
Ruhn, die ich liebte. O mein Gott! Der Erbe
Von allen den Entschlafenen bist Du!
Des Südens Düfte trag' dem Norden zu!
Ein' frühste Lieb' der letzten, eh' ich sterbe,
Ja, gib mir diesen Namen und ich will
Dir Rede stehn mit innigstem Gefühl.
(S. 33)
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34.
Dir Rede stehn mit innigstem Gefühl
Sagt' ich, will ich, wie jenen, die dahin -
Doch weiss ich, ob ich noch dieselbe bin,
Vom Lebenskampf verbraucht, fast schon am Ziel?
Die damals es gerufen, sahn das Kind
Von Spiel und Blumen sich entgegenfliegen!
Das Spiel war aus, die Blumen blieben liegen
Und Ruf und Antwort folgten sich geschwind.
Und nun? - Wenn ich dir eine Antwort sage,
Steigt sie empor aus tiefen Einsamkeiten,
Und dennoch gibt sie dir mein Herz mit Freuden,
Weil allem ich beglückt um dich entsage.
Leg' deine Hand auf meine Brust und fühle,
Dies Blut stürmt schneller wie das Kind zum Spiele.
(S. 34)
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35.
Und wenn ich alles nun um dich verlasse,
Willst du mir alles sein? Dass ich nichts misse,
Nicht traute Zwiesprach, Segnungen und Küsse?
Wenn bang den Blick zuerst ich schweifen lasse
Durch fremde Räume, willst du es nicht wehren?
Und willst den Platz, den meine Toten hatten,
Ausfüllen, der geliebten, teuren Schatten?
Das ist das Schwerste! - Doch du kamst mich lehren,
Dess Herz zur Heilung jedes Mittel kennt.
Wie Liebe Lieb' vermag zu überwinden,
Ach, Leid und Liebe sind nie ungetrennt!
Ich litt zuviel, um Liebe leicht zu finden!
Und doch - willst du mich lieben - öffne weit
Dein Herz und schliess mich ein in Ewigkeit!
(S. 35)
___________
36.
Als wir zuerst uns sahn und liebten, konnte
Ich auf das Glück nicht wie auf Marmor baun!
Es wagte diese Brust, die schmerzgewohnte,
Der Dauer deiner Liebe nicht zu traun.
Da hatte ich ihm nicht zu glauben Mut,
Dem Licht, das goldig meinen Pfad verklärte!
Doch, seit die Seele klar und stark ward, lehrte
Sie mich, die Scheu sei gottgewollt und gut.
Und wäre nicht die Furcht in unsrer Liebe,
So innig schlösse nie sich Hand in Hand,
Nicht unverlöschlich uns im Herzen bliebe
Der stumme Kuss, der Mund auf Mund gebrannt.
Und müsstest du nur eine Stunde leiden,
Um treu zu sein, müsst' mit der Lieb' ich scheiden.
(S. 36)
___________
37.
Verzeih', verzeihe mir, dass meine Seele
Aus allem Göttlichen, was in dir lebt,
Ein ärmlich Bild zu formen nur gestrebt,
Aus Staub und Ton, und wert, dass es zerschelle!
Die du noch nicht beherrscht, die fernen Jahre,
Mit einem Schlag sind sie hinweggeschwunden.
Doch Schwindel fasste mich an jenem Tage
Und Furcht hielt mein geblendet Aug' verbunden,
Da bracht' ich deines Wesens Herrlichkeit
Mit Werten viel geringrer Art zusammen.
Und stellte mir nur einen Götzen breit,
Ein Ungeheu'r mit beutegier'gen Fängen,
Wie Heiden, die dem Schiffbruch heil entkamen,
Mir auf in eines Tempels heil'gen Gängen!
(S. 37)
___________
38.
Er küsste mich, da er zuerst mich küsste,
Auf die, mit der ich schreibe, diese Hand.
Und die die Welt zu grüssen lästig fand,
Ward immer eiliger, dich zu begrüssen.
Und schmückte diese Hand ein Amethyst,
Er könnte lichter nicht darauf erglühn
Als jener Kuss. Der zweite leise hin
Auf meine Stirne mir gesunken ist
Und halb ins Haar - da über mein Verdienen
Ist mir der Liebe Krone zugefallen,
Mit heiligender Glut mich zu umstrahlen,
Mit holder Lieblichkeit mich zu umspinnen!
Der dritte schloss mir meine Lippe zu
Bis ich gewusst, mein Eigentum bist du.
(S. 38)
___________
39.
Weil dir die Macht und Zartheit nicht gebricht
Die Maske meiner Züge zu durchdringen,
Die meiner Seele wahres Angesicht
Verdeckt. Weil du erkannt, dass bittres Ringen
Im Lebenskampf mich mir so fremd gemacht,
Weil du, weil du aus Liebe mir vertraut
Und durch die Stumpfheit die Geduld geschaut,
Die engelgleich in tiefster Brust geharrt
Auf neue Gnaden. Weil nicht Schwäche, Leiden,
Nicht Himmelszorn noch Todesnähe dich,
Nicht andrer Meinung und nicht das, was mich
Erschöpft, noch eignes Zagen von mir scheiden,
Darum, Geliebter, mögest du mich lehren
Des Dankes Füllhorn über dich zu kehren!
(S. 39)
___________
40.
Wohl lieben Menschen überall auf Erden!
Auch mag es Liebe sein, was sich so nennt,
Lieb', die mein Ohr aus Jugendtagen kennt,
Die mir noch kürzlicher genaht, als Blumen
Gebrauchen zu verblühn! Es sucht die Freude
So Muselmann wie Heide, scheu vor Tränen,
Doch leichter, ach, wie Poliphemens Zähnen
Die feuchte Nuss entschlüpft, verkehrt zu Leide
Und Hass das Ding sich, das wie Lieb' erst brennt,
Und wird vergessen. - Doch Geliebter, du
Gehörst der Art von Liebenden nicht zu!
Du hast die Liebe, die kein Wechseln kennt.
Was immer sich dem Wunsch entgegenstelle,
Im Leid ausharrend zwingst du Seel' zu Seele!
(S. 40)
___________
41.
Euch allen dank' ich, die mir je ihr Herz
Aufrichtig zugewandt, die zögernd lauschten
Wenn ihnen Melodien vorüberrauschten
Aus meiner Einsamkeit, wenn tempelwärts
Sie oder marktwärts zogen, danke allen!
Du aber, der bei meiner Stimme Klang,
Die oft der Chor der Seufzer ganz verschlang,
Stumm mir zu Füssen liessest niederfallen
Dein eignes, göttlich reines Instrument,
Versteh', dass ich für dich im Herzen trage
Ein Dankgefühl, das keine Grenzen kennt!
Die Zukunft soll es ganz auf dich ergiessen -
Die Liebe bleibt, das Leben mag verfliessen!
(S. 41)
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42.
Einst dachte ich, die Zukunft könne mir,
Was die Vergangenheit mir war, nie werden!
Mein Schicksalsengel selbst verzagte schier,
Hob flehend auf sein Antlitz von der Erden
Zu Gottes weissem Thron. Und ich, am Ende
Hob selbst das Haupt - - und sah dich, den ich sehe,
Ergriffen wie von eines Engels Nähe!
Nach soviel Kummer strecke ich die Hände
Dir, Tröstender, entgegen ! Frisch ergrünen
Seh' ich da Laub an meinem Pilgerstabe.
Von dem Vergangenen, das ich begrabe,
Will keine neue Abschrift ich beginnen.
Neu soll die Zukunft überschrieben werden
Von dir, den ich nicht mehr erhofft auf Erden.
(S. 42)
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43.
Wie ich dich liebe, soll ich es dir sagen?
Wie das Ideal, das unvergleichbar ist!
Durch alle Tiefen, die der Geist durchmisst
Hat dich die Sehnsucht wie im Flug getragen.
Ich liebe dich im Gleichmass stiller Tage
Ob uns die Sonne, ob ein Kerzlein glüht,
Wie der, der ringt, dass Höchstes er erjage,
Rein wie der Held, der siegend heimwärts zieht,
Ich lieb' dich mit der Leidenschaft, die auch
In meinem Schmerz gewohnt, und wie ein Kind,
Lieb' dich wie die, die mir entrissen sind
Wie meine Heil'gen, und mit jedem Hauch
Des Lebens in mir, lächelnd und mit Tränen!
Mehr werd' ich es nur nach dem Tode können.
(S. 43)
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44.
Geliebter, soviel Blumen gabst du mir
Wie nur im Sommer und im Winter blühen -
Es scheint auch, es gelang mir sie zu ziehen,
Nicht Sonn' noch Regen mangelt ihnen hier!
Du nimm dagegen freundlich die Gedanken,
Hier dir entfaltet in der Liebe Namen,
Wie sie im Wechsellauf der Tage kamen
Aus Herzens Grunde! Lass sie dich umranken!
Das Unkraut und die Raute lass nicht stehn.
Den Efeu aber und die wilden Rosen
Nimm, wie ich deine nahm und still begossen
Und pflege sie, damit sie nicht vergehn!
In deiner Seele stehe eingeschrieben,
Dass ihre Wurzeln in der meinen blieben. (S. 44)
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Aus: Elisabeth
Browning Portugiesische Sonette
E. Pierson's
Verlag Dresden 1907
Aus dem Englischen übertragen
von Elsbet Paulus
Literaturhinweis zur
Neu-Übersetzung:
"... ganz allein nur um der Liebe willen"
Elizabeth Barrett Browning
Sonnets from the Portuguese
Sonette aus dem Portugiesischen
übersetzt von Ingeborg Vetter
Edition Signathur
Dozwil TG Schweiz 2012
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