Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Jacobus Bellamy (1757-1786)
niederländischer Dichter




Frühlingswetter

Schön, doch flüchtig, unbeständig
Ist das holde Frühlingswetter.
Gestern lachten all die Blümchen,
Alle Halme auf den Feldern;
Hauchten linde Zephyrlüftchen
Ihren Athem durch das Laubdach;
Lieblich rann das Silberbächlein
Durch die schilfbekränzten Ufer;
Alles lachte, Alles jauchzte.
Doch - wie flüchtig, unbeständig
Ist das holde Frühlingswetter.
Höre nun der Winde Brausen
Durch das Ulmenwäldchen sausen!
Wie geschwollen ist das Bächlein!
Sieh', wie all' die schönen Blumen
Auf geknicktem Stengel trauern! -
Eben also, wie den Blumen,
Ging es mir. Ich lachte munter,
Als der Liebe Sonne freundlich
Mich durch ihren Strahl erquickte.
Aber ach! - der Liebe Sonne
Barg sich hinter dichten Wolken, -
Donnerschwang're Wolken drohten!
Und da stand ich, gleich den Blümchen,
Trostlos auf dem Feld zu trauern.
Manchmal blickt' ich weinend aufwärts,
Doch nicht einen Strahl auch sah ich
Von der schönen Liebessonne
Durch die dichten Wolken brechen. -

Bald wird euch, ihr holden Blumen,
Neu die Frühlingssonne lächeln,
Euch zu neuem Leben rufen.
Doch für mich wird's ewig stürmen,
Nimmer wird der Liebe Sonne
Mein gequältes Herz bescheinen.


übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 35-36)

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Anakreon
(An H.)

Singe, lieber Freund, die Lieder,
Die Anakreon von Tejos
Für sein griechisch Mädchen spielte.
Sanfte Wollust! Scherz und Küßchen
Sang Anakreon von Tejos.
Sanft und lieblich, wie ein Zephyr,
Der durch fessellose Locken
Einer jungen Schöne gaukelt,
Sind Anakreons Gesänge.

übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 37)

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Der Philosoph

"Jüngling," sprach ein Philosoph einst,
"Jüngling, sieh', du mußt den Himmel
In der stillen Nacht betrachten,
Wenn kein Wölkchen ihn verdüstert;
Dann mußt du die großen Lichter,
Die zahllosen, großen Lichter
Seh'n um ihre Achse rollen.
Längs der grünen Auen mußt du
Oft des Lenzes Pracht beschauen;
Junges Grün und Purpurrosen,
Alles muß zur Andacht stimmen!
Oft mußt du im dichten Haine
Lauschen, wie die muntern Vögel
Ungekünstelt Lieder singen:
O, Natur ist groß und edel!
All ihr Schönes mußt du schauen."

Lieber Weiser, also sprach ich,
Alle Schönheit, die du rühmest,
Kann an einem Gegenstand ich,
Meiner Maid allein, ergründen.
Himmel ist die weiße Stirn mir,
Sterne sind mir ihre Augen,
Und die Blüthen ihrer Wangen
Sind mir mehr denn Lenzesrosen.
Ihre Stimme - möchtest einmal,
Lieber Philosoph, sie hören,
Nimmer würd'st du mehr im Haine
Auf der Vöglein Lieder lauschen!
Als Natur das Weltall schmückte,
Hat sie alle Pracht der Schönheit,
Die an Andern einzeln glänzet,
Meiner Maid allein verliehen.


übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 30-40)

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Chloris' Fehler

Natur gab meiner Chloris
Die allerschönsten Gaben.
Sie gab ihr schlanke Glieder,
Sie gab ihr Feueraugen,
Und Grübchen in den Wangen.
Sie gab ihr, trotz den Männern,
Viel Witz und reifes Urtheil,
Und kurz, sie gab ihr Alles;
Doch, schade nur - sie weiß es!


übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 41)

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Amor an den Dichter

Dichter, sprach zu mir einst Amor,
Gibt Appoll dir Lohn und Glanz?
Für die allerschönsten Lieder
Einen kahlen Lorbeerkranz!

Können denn die grünen Blätter
Dich entheben deiner Pein? -
So ich Phillis' Herz dir schenke . . .
Soll ich dann Appoll dir sein?!


übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 42)

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Meine Geburt

Als ich am ersten Lebenstag'
Noch kaum in meiner Wiege lag,
Trat Amor schon, der lose Bub',
Mit Lächeln in die Wochenstub'.
Das Knäblein rief mit lautem Ton:
"Viel Glück dem neugebornen Sohn!
Er wird, so mich nicht täuscht mein Sinn" -
Dabei schaut er zur Wiege hin -
"Er wird in meiner Mutter Kranz
Eine Perl' einst sein vom schönsten Glanz.
Mich dünkt, daß ihm schon im Gesicht
Ein kleiner Zug der Liebe liegt."
Man sagt mir, als ob ich das End'
Der Rede deutlich schon verständ,
Daß ich mit heiterm Lächeln da
Dem Minnegott in's Antlitz sah.
"Sieh'," sprach der kleine Flügelgott
Und küßte mir die Bäckchen roth,
"Sieh', ob ich falsch gerathen hab?
Schon lacht mich an der kleine Knab'!
Gewiß, mein Kind, mit rechtem Fug
Erfreut dich jetzt mein Besuch.
Ich will in deiner Jugend Kraft
Dir bieten, was nur Freude schafft.
Der Mädchen Sehnsucht sollst du sein; -
Sieh', lacht er doch schon wieder drein! -
Ja, Junge, werd' mir nur bald groß,
Dann schenk' ich dir, als Spielgenoß,
Ein Mädchen, süßer Anmuth voll,
Wie sich kein schön'res finden soll.
Nun lachst du, doch du weißt noch nicht,
Was Kränze dir die Liebe flicht.
Komm' noch ein Küßchen! Wachse brav!
Nun wiegt ihn sanft mir in den Schlaf!"

So sprach der Gott und eilte fort.
Der Schelm erfüllt' an mir sein Wort.
Kaum war ich aus dem Flügelkleid',
War er schon stets an meiner Seit'!
Oft führt er mich zum dunkeln Hain;
Da saßen wir am moos'gen Rein
Und horchten, wie die Nachtigall
Die Seel' erfreut mit ihrem Schall.
"Ich will dich," sprach der lose Wicht,
"Auch lehren, wie man im Gedicht
Die Seel' zu hehrer Freud' entzückt
Und junger Schönen Herz berückt."

Da schenkt' er mir ein Saitenspiel,
Und lehrte mich der Lieder viel,
Und wie durch kunstgeübte Hand
Der Töne Zauber Herzen bannt.
Doch klang die Laut' auch hell und rein,
Als erst die schöne Phillis mein,
Gleich zarter war da schon mein Sang,
Gleich lieblicher der Saitenklang.
Nun spiel' und sing' ich allezeit
Von Freuden, die uns Liebe beut;
Und wenn auch einst der Finger Kraft
Von hohem Alter ist erschlafft,
Bleibt doch stets zu der Saiten Klang
Allein die Liebe mein Gesang.


übersetzt von Ludwig Troß (1795-1864)

Aus: Bato. Blumenlese holländischer Gedichte älterer und neuer Zeit
Übersetzt von Dr. Ludwig Troß
Nebst einer Zugabe von G. H. van Senden
Siegen und Wiesbaden Verlag der Friedrich'schen Verlagsbuchhandlung 1845 (S. 43-45)

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Röschen
eine Geschichte

Ein Mann in Seeland einst besass
Ein Kind, gar hold und schön;
Ein Mädchen, auch bei Jedermann
Beliebt und gern gesehn.

Dies Kind war, wie ihr denken könnt,
Des Vaters höchste Lust,
Zumal da dieser Schatz die Frau
Ihm riss von seiner Brust.

Wie oftmals schloss er Röschen nicht
Tief seufzend in den Arm,
Und weinend küsste er ihr dann
Die rothen Bäckchen warm.

"O!" rief der tief gerührte Mann:
"Die Mutter, ach, ist todt!"
"Nein, Vater", sprach das süsse Kind:
"Sie lebt beim lieben Gott";

"Das hast du ja oft selbst gesagt!
Doch, warum lebt sie dort?
Sie liebte mich so nicht wie du,
Denn sie ging von mir fort."

Der Vater sprach kein Wörtchen mehr,
Drückt an sein Herz das Kind,
Und küsst's, indess ein Thränenstrom
Ihm aus den Augen rinnt.

Das Mädchen, blühend, wuchs heran
Zum schönsten Schmuck der Stadt;
Kein Vater, der sie nicht dem Sohn
Bestimmt zur Gattin hat.

Wie schön geformt war Röschen nicht,
Wie lieblich und wie gut;
Wie reich an Tugend und Verstand,
Und immer wohlgemuth.

So freundlich wie der liebe Mond
Dem Auge sich enthüllt,
So freundlich blickte Röschen auch,
So lieblich und so mild.

Die schönen Augen waren braun,
Sanft schmachtend, brennend nicht,
Ihr Lächeln war wie Morgenroth,
Das durch die Wolken bricht.

Wenn sie mit Seelands Jugend sich
Ergötzt' am Meeresstrand,
Sah: "Röschen" sie wol hundertmal
Gegraben in den Sand.

Kein Jüngling, der für Röschen nicht
Die grösste Achtung fühlt,
Sie für die schönste Blume nicht
Von Seelands Mädchen hielt. -

In Seeland lebt im nassen Strand
Ein kleiner runder Fisch,
Der wird als grösste Leckerei
Gesucht auf jedem Tisch.

Im Sommer, wenn der Mittagswind
Mit Fluth und Wellen spielt,
Und sanft das glühend Angesicht
Des fleiss'gen Landmanns kühlt:

Dann zieht mit Spaden und mit Pflug
Die Jugend hin zum Strand,
Und wühlt bei Scherz und Fröhlichkeit
Umher im feuchten Sand.

Und greift im umgepflügten Fleck
Rasch nach dem kleinen Fisch;
Und oft ist noch der schnellste Griff
Zu langsam für den Fisch.

Das junge Volk indessen spielt
Am Ufer, und ergötzt
Sich im Gebraus vom Wogenbruch,
Der Mund und Augen netzt.

Rasch fasst der Jüngling dann die Maid,
Hebt sie vom Boden auf,
Und eilt, ob sie auch schilt und droht,
Ins Meer mit schnellem Lauf. -

So zog an einem heitern Tag
Die Jugend einst zum Meer;
Gräbt um den Sand mit Schüpp' und Pflug,
Und flattert hin und her.

Das schöne Röschen war dabei,
Und jeder junge Mann
Vergisst den Pflug, vergisst den Fisch,
Drängt sich an sie heran.

Getreu blieb ihr zur Seite, der
Vor allen ihr behagt,
Und der im Wandeln Röschen oft
Viel schöne Worte sagt.

Er stahl ihr manchen süssen Kuss,
Indem er um die Hand
Bei Spiel und Scherz das weiche Haar
Der braunen Locken wand.

Doch Röschen riss sich los und rief:
"Du Schäcker, fort ans Meer,
Quäl' and're Mädchen auch einmal
Und plage mich nicht mehr!"

"Fort, fort, geh zu den andern hin,
Und lasse mich in Ruh."
"Wenn du mir jetzt kein Küsschen giebst,
Trag' ich dem Meer dich zu."

So sprach der Jüngling; doch sie läuft
Hinweg und lacht und springt;
Er holt sie jubelnd ein, und fest
Den Arm er um sie schlingt.

Da schrie das junge Volk ihm zu:
"Mit Röschen in das Meer!"
Er hob sie lachend auf und eilt
Mit ihr hin an das Meer.

Im Laufen küsst der Jüngling oft
Die schöne Last mit Lust;
Und drückt das allerliebste Kind
Stets fester an die Brust;

Und fliegt in See, ob Röschen auch
Ihn bittet und beschwört,
So weit, dass er ihr Bitten kaum
Im Wogenbrausen hört.

Er ging indess so tief hinein,
Dass Jedermann vom Strand
Ihm zurief, voller Furcht und Angst:
"Halt! Halt! zurück ans Land!"

Da plötzlich, auf dem Rückweg schon,
Stockt er in seinem Lauf;
"Helft Röschen!" rief er: "grosser Gott"
Und laut schrie Röschen auf.

"O Freunde, helft ihr! ach, sie sinkt
Mit mir im Flugsand fort!"
Und beide sanken immer mehr
Im Sandes-Strudel dort.

Noch einmal wandte sie das Haupt
Wehmüthig nach dem Land;
Doch in demselben Augenblick
Verschlang auch sie der Sand.

Die Menge stand versteinert ganz,
Und keiner war, der sprach;
Bis dass zuletzt ein Thränenstrom
Aus Aller Augen brach.

"Mein Gott! ist's wahr, ist Röschen todt?
War's Röschen, die ertrank?"
Schrie Jeder und beweint das Kind,
Das in der Fluth versank.

Ach! nur zu bald der Unglücksfall
Bis in die Stadt sich trug;
Und Keiner war so roh und hart,
Den er nicht niederschlug.

Vom Strande zog die Jugend heim,
Sah sich beständig um;
Die Herzen schlugen schwer und tief,
Doch Aller Mund war stumm.

Still stieg der Mond und warf sein Licht
Hin auf das grause Grab,
Wo Sand und Fluth das junge Paar
Zur Tiefe riss hinab.

Der Wind weht' stürmisch aus der See,
Die Woge klatscht' am Strand;
Und tief ward dieser Trauerfall
Beweint im ganzen Land.


übersetzt von Friedrich Wilhelm von Mauvillon (1774-1851)

Aus: Auswahl niederländischer Gedichte
Ins Deutsche übertragen und mit kurzen historischen
und biographischen Erläuterungen begleitet
von F. W. v. Mauvillon (Band 1)
Essen bei G. D. Bädeker 1836 (S. 164-171)

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