Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Benedikt Jonson Gröndal (1762-1825)
isländischer Dichter




Die Verlobten

Er
O wie sehr lieb' ich dich!
Mich raufen und zernichten
Nur gerne möchte ich,
Dass eines Gatten Pflichten
Ich dir doch nicht erfüllen kann;
Was hilft's auch, dass ich will und will,
Hab' nichts daheim als Elend viel -
Und drauf kommt's an!


Sie
Wenn's noch so wenig wär',
Ich lebte doch in Freuden,
Murrt' nicht, wenn noch so sehr
Auch Not ich müsste leiden:
Du bist ja immer alles mir!
Müsst' in ein Erdloch ich hinein,
Ich legt' mich an die Wange dein,
Dass ich nicht frier'.


Er
Ich hab' kein Bettzeug, nichts,
Wofür der Mann zu sorgen;
An Werkzeug selbst gebricht's.
Und wer will geben . . . borgen?
Der Haufe Kinder dann im Nu,
Die nackt und zum Verhungern schier . . .
Mir ist's, als säh' ich sie vor mir . . .
Und dich dazu!


Sie
Ich seh', wie du dich wehrst,
Lieblos in feigem Zagen.
Lass Gott nur Sorge erst
Für unsre Hütte tragen;
Er giebt dann auch den Kindern Brot.
Sie werden in die Welt gesetzt
Mit gleicher Lust, ob reich man jetzt,
Ob in der Not.

Und gleichen sie dann dir
In dem, worin ich wollte,
Und sind auch ähnlich mir -
Nicht mehr doch, als es sollte,
Glaub' nicht, dass schlimm ich ihnen wär'.
Was red' ich viel: Ich setze dir
Den Liebesbecher vor dahier -
Den nimm und leer'!


Er
Du weisst, ich liebe dich;
Du weisst es auch weswegen
All die Bedenken ich
Mit gutem Grund muss hegen.
Gott selber ist's missfällig wohl,
Dass ich von der Vernunft Gebot
Auch fussbreit nur, selbst in der Not,
Abweichen soll.


Sie
Du hältst mit solchem Thun
Zum besten mich nicht länger.
Ich kenn' dich völlig nun,
Duckmausiger Kopfhänger!

Mir wendet niemand Mitleid zu;
Dein Sinn war nur von Falschheit voll;
Gott dank' die Freiheit ich. Leb' wohl -
Treuloser du!
(S. 287-288)
_____



Flieh', schön Mägdelein nicht meine Näh'!

Flieh', schön Mägdelein, nicht meine Näh',
Weil mir schon weiss vom Schnee der Jahre
Hernieder fällt das Gelock der Haare!
Meine Liebe du nicht verschmäh',
Mögen so rosig auch deine Wangen
Von der Jugend Blüte erglänzen;
Schön doch die schneeweissen Lilien prangen
Zwischen Rosen in Maienkränzen.
(S. 288)
_____


übersetzt von Josef Calasanz Poestion (1853-1922)

Aus: Isländische Dichter der Neuzeit
in Charakteristiken und übersetzten Proben ihrer Dichtung
Mit einer Übersicht des Geisteslebens
auf Island seit der Reformation
von J. C. Poestion
Leipzig Verlag von Georg Heinrich Meyer 1897



 

 


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