Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Willem Bilderdyk (1756-1831)
niederländischer Dichter




Abend-Einsamkeit

So bist du denn dahin, o Tag der Wonne!
Umsonst, ach! ruft die Sehnsucht dich zurück.
Ins ferne Meer entschwand schon deine Sonne;
Mit ihr zugleich schwand meiner Liebe Glück.

Schon hat die Flur in Dunkel sich gekleidet,
Und rauh und kalt erscheint die Winternacht,
Die, ach! das Herz, das Liebessehnsucht leidet,
Nur trüber noch, noch unglücksel'ger macht.

O Schreckensnacht! dein eitler Sternenschimmer
Wird, ach! von mir nur zürnend angeblickt,
Warum hast du mit deinem falschen Flimmer
Dein dunkles Kleid, dein Trauerkleid geschmückt?

Die Sterne dort, die deinen Himmel schmücken,
Die hab' ich nie verlangend angesehn.
Mein Lebensstern glänzt in Melindas Blicken,
Und selig der, auf den sie günstig sehn.

Ja! selig der, dem dieses Sternes Strahlen
In Wolken nie und nie in Nebel fliehn;
Ihm Trost verleihn in seiner Liebe Qualen
Und durch die Nacht von seinem Jammer glühn.

O glühend Herz! das du in deinen Leiden
Nicht Frieden kennst, als wenn dein Stern dir tagt;
Wie schnell, ach! schwand dir jener Tag der Freuden,
Wie lang, ach! hast du seine Flucht beklagt!

Der süße Tag, als du sie an dich drücktest,
Und ihre Hand umfingst mit deiner Hand,
Und einen Kuß dem süßen Mund entrücktest,
So glühend, als auf Lippen je gebrannt!

Der Tag, da du aus ihrer Augen Strahlen
Dein künftig Los, dein Heil, dein Leben sogst,
Und da du sie, erweicht durch deine Qualen,
Zum Mitgefühl der süßen Pein bewogst.

O, mäßige der langen Trennung Trauer,
Bis durch die Nacht die Morgenröte bricht,
Ertrag' die Nacht und ihre lange Dauer;
Bald schimmert dir ein freudebringend' Licht.

Ein Morgen naht, ein Morgen voll Erbarmen,
Der deinen Schmerz die höchste Wonne schenkt;
Der deine Braut begrüßt in deinen Armen
Und deine Qual ins Wonnemeer versenkt!


Übersetzt von Peter Friedrich Ludwig Christian von Eichstorff (1799-1848)

Aus: Orient und Occident Eine Blütenlese aus den vorzüglichsten Gedichten
der Weltlitteratur in deutschen Übersetzungen
Nebst einem biographisch-kritischen Anhang
Herausgegeben von Julius Hart
Minden i. Westf. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 355-356)

_____



Amor und der Dichter

Amor
Dichter singe mir zu Ehren,
Sing' ein einzig Liedchen mir!
Was auch sein mag dein Begehren
Alles, alles schenkt ich dir.


Dichter
Dir zu Ehren! Ach ich habe
Nichts von dir als herbe Pein.
Sage, du vermess'ner Knabe,
Welcher süße Lohn wird mein?


Amor
Meiner Mutter Siegeswagen
Zieh'n zwei wunderschöne Tauben,
Singe mir, so will ich's wagen
Eine dir davon zu rauben.


Dichter
Von den Tauben eine rauben
Die so treue Lieb' umflicht,
Die so innig, lieb und minnig,
Nein, Despot, das darfst du nicht.


Amor
Nun, ich schenk' dir meinetwegen
Ihren stolzen Schwanenzug,
Der dich kühn dem Licht entgegen
Trägt im lustigen Wolkenflug.


Dichter
Dichter braucht nicht fremde Schwingen
Ihn zu tragen himmelan,
Auf sich schwingen, wird er, singen
Selber muß ein weißer Schwan.


Amor
Nun, ich schenk' dir meine Binde,
Die gewebt der Mutter Hand,
Fühle Freund, wie zart, gelinde
Dieses weiche Seidenband.


Dichter
Nein, kein Schleier soll mich blenden,
Keine Binde vor's Gesicht!
Frei will ich die Blicke senden
In Selenen's Augenlicht.


Amor
Sieh den Pfeil der rasch beschwinget
Noch im gold'nen Köcher ruht,
Der die schönste Brust durchdringet
Mit der Liebe Schmerzensglut.


Dichter
Nein, behalt' ihn, herbe Schmerzen
Weckt er, und mir graut davor;
Keine Schmerzen ihrem Herzen,
Das ich liebend mir erkor.


Amor
Nun, so nimm denn eh' ich scheide
Meine beste Gabe an:
Meines Bogens starke Saite
Spann auf deine Zither, Mann!


Dichter
Gieb! daß meine Hand die Saite
Auf die gold'ne Laute zieht.
Wie dem Pfeile, so ertheile
Schwungkraft jetzt sie meinem Lied.

Übersetzt von Luise von Ploennies (1803-1872)

Aus: Reise-Erinnerungen aus Belgien
Von Luise von Ploennies
Berlin Verlag von Dunker und Humblot 1845 (S. 126-128)

_____


 

 


zurück zum Verzeichnis

zurück zur Startseite