Valerij Brjussow (1873-1924)
russischer Dichter
Nachtschatten
Ein berauschender Reigen von wollüst'gen Bildern
schwebt in schimmerndem Gleissen am
üppigen Pfühl,
Es erbeben die Brüste, es schimmern die Leiber
und es duftet so drückend, so heiss
und so schwül.
Und ich lieg' auf dem Lager, ich rühr' nicht die
Arme, all die Bilder zu greifen, bin
starr wie ein Stein,
Und ich schau in die gleissenden, schamlosen
Bilder bei der duftenden Kerze blass
flackerndem Schein.
Es umschweben mich Leiber so leuchtend wie
Marmor, brünstig zuckenden Kniee und
schimmerndes Haar,
Und es flackern die Flammen der Kerzen wie
Schlangen und beleuchten der Leiber
wild kreisende Schar.
O du taufrischer Morgen am Meeresgestade! O ihr
seligen Lüfte so frisch und so mild!
O ihr Stimmen des goldenen Frühlings im Herzen!
meiner frühen Geliebten entschwunde-
nes Bild!
Dieser Morgen er folgte der reichsten der Nächte,
ganz durchflutet von werdenden Liebe
und Glück!
Dieser Morgen, die Lüfte, die Sonne, die Möwen -
alles spiegelte hold dein hell lächelnder Blick.
Ganz berauscht und bestürzt wie ein liebender
Knabe bin ich selig und blick' in den
Himmel so klar . . .
Und es flackern die Flammen der Kerzen wie
Schlangen und beleuchten der Traum-
bilder kreisende Schar.
(S. 56-57)
_____
Eine Begegnung
Du gingst an mir vorbei in Eile,
Den Blick voll Scham und Angst so schwer.
Ich sah dich nur für eine Weile
Und treffe dich wohl nimmermehr.
Wer bist du? und woher? wer teilte
Mit dir das Zimmer diese Nacht?
Dein irrer Schritt ihm jetzt enteilte,
Du trägst dein Bündel scheu und sacht.
Hat dich die Liebe auf das Pflaster,
In dieses feile Haus geführt?
Hat dich gesättigt auch das Laster,
Hast du der Sünde Glut gespürt?
Kamst du des schnöden Geldes wegen?
Hast du die schwere Nacht verwünscht,
Als du beim fremden Mann gelegen,
Den deine Seele nie gewünscht?
Du kehrst zum Alltag heim mit Bangen;
Die Nacht entschwand, der Tag bricht an.
Wen hast du eben hintergangen:
Die Mutter, oder deinen Mann?
(S. 58)
_____
Die Entführung
An steiler Wand hält unser Nachen.
Die Leiter fällt. Ein leiser Pfiff.
Sie steigt herunter auf den schwachen,
Unsicher'n Sprossen in das Schiff.
Ein jeder tiefe Sehnsucht spürte,
Als sie erschien verhüllt und schlank
Und als ihr kleiner Fuss berührte
Die alte morsche Ruderbank.
Ich hab' sie bebend aufgefangen
Wie ein verhülltes Heiligtum.
Die Ruderschläge leis' erklangen
Und Nebel stieg um uns herum.
Sie nahm nicht vom Gesicht den Schleier
Und sass mit uns so stumm und zag;
Doch lauter als das Meer und freier
War unsrer Herzen wilder Schlag.
Im Herzen eine tiefe Wunde,
Den Degen in der Hand parat,
Ein jeder fühlte, dass die Stunde
Der Bruderzwiste drohend naht.
(S. 59)
_____
Die Gärten der Hesperiden
Fern an einem fremden Meere
Weiche, milde Winde weh'n.
Dort, im ewig frohen Lande,
Frei von jeder Erdenschwere
Hesperidengärten stehn.
Lass dich treiben von den Wellen
Und sie bringen bald dein Schiff
Hin zu einem sel'gen Strande,
Wo die Wogen jäh zerschellen
Funkelnd über Fels und Riff.
Nackte Jungfrauen empfangen
Freundlich dort den fremden Gast
Und geleiten dich zum Haine,
Wo Platanen üppig prangen
Und dir winkt ersehnte Rast.
Du benetzest deine Wunden
Aus dem blauen Lebensquell,
Und in milden Sonnenscheine
Lebst du ewig frohe Stunden,
Kraftvoll, jubelnd, jung und schnell.
Einen Reigen siehst du kreisen
Und du schlingst dich in ihn ein.
Lobgesänge froh erklingen,
Freudig Meer und Sonne preisen
Und den dunklen heil'gen Hain.
Aus der marmornen Cisterne
Kühlst du deine heisse Brust;
Doch zum Tanzen und zum Singen
Lockt dich wieder in die Ferne
Der Genossen helle Lust.
Zärtlich wählst du dir dann Eine
Aus der Schar, die dich umfing,
Aus dem holden Mädchenschwarme;
Und im letzten Abendscheine
Reicht sie heimlich dir den Ring.
Nun ist Nacht. Aus goldner Schale
Dunkelgoldner Nektar rinnt.
Und in weiche Mädchenarme
Sinkst du hin mit einem Male
Zärtlich, wie ein müdes Kind.
(S. 60-61)
_____
Rückkehr
Unvergesslich bleibt mir ewig deiner Lippen erster
Kuss,
Sel'ges Beben, scheue Blicke und der wirren Worte
Fluss.
Unvergesslich bleibt mir ewig deiner Rede Melodie;
Worte sind mir längst entfallen, doch den Sinn
vergess' ich nie.
Doch die Zeit der ersten Liebe, sanfter Küsse ist
vorbei
Und es tönt jetzt nur der Wollust heisser, wilder,
brünst'ger Schrei.
Die verzückten Worte foltern meinen wonne-
trunknen Mund
Und geblendet sind die Augen von den Bildern
nackt und bunt.
Ich entfliehe diesen Bildern, wenn ich hör den
süssen Laut
Deiner Stimme, die ein Heimweh in mir weckt,
so lieb und traut.
Und ich eile hin zum Garten, wo die Luft so
kühlend weht,
Wo im milden Licht des Mondes das Vergang'ne
aufersteht.
Vor mir seh' ich deine Lippen und dein kindlich
Angesicht, -
Wir sind Kinder und wir flattern wie zwei Falter
um ein Licht.
Doch du senkst, du senkst den zagen, lichterfüllten,
bangen Blick
Und der Abend schenkt mir wieder das verlor'ne
erste Glück.
Alle Wollust war ein Traum nur, draus die Seele
neu erwacht
Und das Glück der ersten Liebe leuchtet wieder
durch die Nacht.
(S. 62-63)
_____
Die Gruft
In dem Grabgewölbe ruhst du bleich im Myrten-
kranz.
Und ich küsse deine Stirne weiss im Mondenglanz.
In den schmalen Gitterfenstern blasses Mondlicht
webt
Und im sternenklaren Himmel ein Geheimnis
schwebt.
Dir zu Häupten stehen Rosen fahl im Mondeslicht,
Tränen glänzen hell wie Perlen dir im Angesicht.
Freundlich giesst der Mond sein Silber in die Gruft
hinab,
Auf die Rosen, Tränenperlen und dein junges Grab.
Was erblickst du, was erlebst du jetzt im ew'gen
Traum?
Dunkle Schatten beben, schleichen, füllen still den
Raum.
Furchtlos bin ich hergekommen durch den dunklen
Park,
Grabgespenster halten Wache vor dem off'nen
Sarg.
Kurze Zeit nur darf ich weilen hier am Sarkophag,
Denn der Mond ist schon im Sinken und es kommt
der Tag.
Du bist schön und unbeweglich, bleich im Myrten-
kranz,
Bebend küss ich deine Stirne weiss im Mondes-
glanz.
(S. 66-67)
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Die Stadt der Frauen
Wir wurden vom Wind in den Hafen getrieben,
Als eben verglommen des Abendrots Brand.
Ein rötlicher Streif war im Westen geblieben,
Beruhigte Wellen beleckten den Strand.
Der Hafen war menschenleer. Eisiges Schweigen
Des Todes beherrschte den marmornen Damm.
Wir sahen Paläste den Wellen entsteigen
Und schmücken des Ufers gebirgigen Kamm;
Wir sahen viel mächtige Schiffe, Pinassen,
Galeeren sich wiegen auf ruhiger See,
Und prunkvolle Plätze, Paläste und Gassen
Und Gärten sich drängen zum marmornen Quai.
Doch alles blieb lautlos. Wir sahen kein Leben
In Häusern und Strassen so öde und leer.
Wir fühlten ein tiefes Geheimnis umschweben
Die schweigende Stadt und das brausende Meer.
Kein Lotse, kein Ruderknecht kam uns entgegen,
Vom Zollhaus ertönte für uns kein Signal,
Wir sah'n auch kein menschliches Wesen sich regen
Auf keinem der Schiffe, vor keinem Portal.
Wir kreuzten heran zwischen Pfählen und Tauen
Und hissten die Flagge und stiessen ans Land.
Wir schwiegen, erfasst von dem eisigen Grauen,
Als drohe der Tod auf dem lautlosen Strand.
Wir waren sechs furchtlose, wilde Gesellen.
Die anderen blieben geängstigt an Bord.
Wir fürchteten weder den Tod in den Wellen,
Noch diesen verzauberten, düsteren Ort.
Wir irrten umher in den schweigenden Gassen
Und klopften an jedes verschlossene Tor.
Wir gingen durch Gärten, Alleen, Terrassen,
Doch alles blieb lautlos und stumm wie zuvor.
Wir sahen beleuchtete, prunkvolle Läden
Mit Wildbret und Fischen, mit Obst und mit Wein.
Ein heimliches Grauen beschlich einen jeden:
Es schwiegen die Gassen, wir waren allein.
Doch kam uns entgegen berauschend, bedrückend
Ein schwüler, betäubender, lockender Duft.
Er wuchs immer an, uns verführend, berückend
Und füllte die heisse und lautlose Luft.
Wir gingen nun weiter verzückt, doch voll Grauen,
Und wo wir auch hintraten, wehte uns an
Der Duft von entkleideten glühenden Frauen.
Doch zeigte sich niemand. Mit mächtigem Bann
Bezwang uns der Duft und wir waren wie trunken
Von Wollust und Leidenschaft, glühender Gier.
Es sprühten in unseren Augen wie Funken
Gelüste und jeder von uns ward zum Tier.
Da stürzten wir hin zu den Türen und Pforten
Und Gittern; wir pochten und klopften mit Macht,
Wir brüllten in trunkenen, sinnlosen Worten,
Doch schweigsam und stumm blieb die glühende Nacht.
Und endlich war's unseren Armen gelungen:
Wir brachen das Gitter vor einem Palast
Und sind in den marmornen Vorhof gedrungen
Und stürmten dann weiter mit fiebernder Hast.
Wir drangen in fürstliche Säle und Zimmer
Voll blendenden Reichtums und strotzender Pracht.
Es fiel auf die Wände ein bläulicher Schimmer
Der drückenden, glühenden, schweigenden Nacht.
Wir rasten durch finstere schweigende Räume
Und bebten in brünstigem, wildem Begehr.
Nur Düfte umschwebten uns, trunkene Träume . . .
Das prunkvolle Haus war verlassen und leer.
Der glühende Duft von unzähligen Weibern
Verfolgte, berauschte und lockte auch hier.
Er reizte, erhitzte das Blut in den Leibern,
Wir stürzten zu Boden in brennender Gier
Auf Teppiche, Decken und seidene Kissen.
Wir wälzten uns zitternd in schäumender Wut.
Wir haben die schwellenden Polster gebissen . . .
Doch ungestillt blieb unsre brünstige Glut.
So währte die Nacht. Als die zitternden Wellen
Des Morgenrots drangen ins schweigende Haus,
Da traten sechs furchtlose, wilde Gesellen
Vereint in den kühlenden Morgen hinaus.
Wir gingen nicht weit und wir blieben bald stehen,
Und starrten zum Meere, und sprachen kein Wort.
Wir sahen die Flagge der unsrigen wehen,
Es harrten auf uns die Genossen im Port.
Wir wussten, sie suchen uns, hörten die Pfiffe,
Doch schwiegen wir, drückten uns dicht an die Wand.
Wir sahen die Segel sich bläh'n auf dem Schiffe
Und unsre Genossen verlassen das Land.
Sie stachen in See den Gefahren entgegen;
Es bringt sie der Wind in die Heimat einmal.
Sie werden dort melden, wie toll und verwegen
Wir spurlos verschwunden sind, sechs an der Zahl.
O Brüder, Genossen, euch führen die Pfade
Zur Heimat; vergesst die Gefahren und Not,
Vergesst dieses unheilvoll-stille Gestade!
Doch was wir hier fanden, das ist nicht der Tod,
Wir leiden nicht Mangel an Trank und an Speise.
Die Tage verstreichen. Doch senkt sich die Nacht,
Dann schweben schon wieder die Düfte, erst leise,
Dann stärker und wir sind zum Leben erwacht.
Wir irren umher auf verschwiegenen Wegen
Und atmen berauschenden, wollüst'gen Duft,
Wir gehen unsichtbaren Armen entgegen,
Umarmen die glühende, schwellende Luft.
Wir winden uns brünstig in wilden Genüssen,
Wir bluten und stöhnen in Wollust und Schmerz . . .
Nach sichtbaren Frauen und wirklichen Küssen
Und Freiheit verlangt nicht das selige Herz.
(S. 68-71)
_____
übersetzt von Alexander
Eliasberg (1878-1924)
Aus: Russische Lyrik der Gegenwart
Deutsch von Alexander Eliasberg
Mit einer Einleitung und vier Bildnissen
München und Leipzig R. Piper & Co Verlag 1907