Kasimir Brodzinski
(1791-1835)
polnischer Dichter
Die Tanne
Liebchen, uns sind schöne Stunden
Unter diesem Baum entschwunden;
Doch mich beugt die Ahnung nieder:
Niemals kehr' ich hierher wieder,
Werd' in Noth und Tod versinken.
Magst dann bei des Mondes Blinken
Dich der Mutter Arm entziehen,
Heimlich zu der Tanne fliehen.
Singe dann die Minnelieder,
Die im Lenz du sangest, wieder;
Echo wird sie weiter wehen
Ueber Thäler, über Höhen,
Und erhebe hoch das treue
Auge zu des Himmels Bläue:
Dort bin ich hinaufgegangen,
Dort erwart' ich dich mit Bangen.
Wenn sich, wie vom West beweget,
Der belaubte Wipfel reget,
Bin ich's selbst, der niederschwebet
Und die Tanne sanft durchbebet.
Will dir mit den kalten Händen
Dann hinab ein Zweiglein senden;
Nimm es, das ist meine Bitte,
Zum Gedächtniß in die Hütte!
(S. 149-150)
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Frühling
Weiß in Blüten steht der Garten,
Emsig füllt nach langem Warten
Von den Saaten, aus dem Haine
Schon die Biene ihre Schreine.
Ledig seiner Sklavenketten
Eilt der Bach aus Winters Stätten,
Sich mit Blumen zu umringen
Und die Wiesen zu verjüngen.
Rüstet euch, bestäubte Saiten,
Mich zum Walde zu begleiten!
Neuer Frühling kehrte wieder,
Mit dem Frühling neue Lieder.
Wanda, komm aus deiner Hütte
- Blume! - in der Blumen Mitte;
Meine reichsten Lenzesweisen
Tönen nur, um dich zu preisen!
(S. 150-151)
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Bangen
Wo, Geliebter, magst du weilen?
Soll ich nie dich wiedersehen,
Auf die Felsen, auf die Höhen
Stets vergebens rufend eilen?
Hinter Felsen, hinter Höhen,
Ach, wo soll ich dich erspähen?
Schlägst du Schlachten, deine Lanze
Fühl' ich gegen mich sich kehren,
Kaufst mit meinen bittern Zähren
Lorbern dir zum Siegeskranze.
O die Fürsten, o die Schlachten,
Die mich um mein Alles brachten!
Säumst vielleicht in Vaters Armen,
Weilst in deiner Schwestern Mitte. -
Schwestern, höret meine Bitte:
Laßt ihn ziehen, habt Erbarmen! -
Komm, mach' meine Angst zerstieben;
Ich will dich für alle lieben.
Himmel, wenn er mein vergäße,
Eine andre ihn mir raubte,
Den ich ganz mein eigen glaubte! -
Fremdes Mädchen, und besäße
Ich die Welt, sie sei die deine,
Wenn nur er darin der Meine!
(S. 152-153)
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An die Lerche
Mit vergnügten Mienen
Ist der Lenz erschienen.
Lerche, in der Bläue
Jubelst du aufs neue.
Ach, des Frühlings Kommen
Kann mir nimmer frommen:
Meine Lenzgesänge
Sind nur Trauerklänge!
Schwingst dich aufwärts wieder,
Singst dem Liebchen Lieder,
Wirst in jenen Höhen
Heiß geliebt dich sehen.
Ich mit meinem Sehnen
Kann nur schmerzlich stöhnen,
Traure ja mit Beben
Um Halina's Leben!
(S. 153-54)
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übersetzt von Heinrich Nitschmann (1826-1905)
Aus: Der polnische Parnaß
Ausgewählte Dichtungen der Polen
Übersetzt von Heinrich Nitschmann
Nebst einem Abriß der polnischen Literaturgeschichte
und biographischen Nachrichten
Vierte sehr vermehrte Auflage
Leipzig F. A. Brockhaus 1875