Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Der Frühling - Wandmalerei aus Stabiae

 


Gaius Valerius Catullus (Catull) (um 84-um 54 v. Chr.)
römischer Dichter



Erstes Buch

2. Auf Lesbias Sperling

Passer, deliciae meae puellae

Sperling du, meines Mädchens Lust, zum Spielen
Und am Busen zu hegen ihr so teuer,
Dem sie öfters die Fingerspitze hinhält
Und zum Beißen ihn reizt, sobald er herstürmt!
Wenn mein reizendes Lieb bei Spiel und Scherzen
Manchmal so sich ergeht, die Zeit vertändelt,
Nur ein wenig ihr Weh damit zu scheuchen,
Und vielleicht dann die innre Glut sich mindert:
Könnt' ich selber wie sie dann mit dir spielen,
So vom Herzen die schwere Last mir wälzen!
(S. 6)

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3. Klage um Lesbias Sperling

Lugete, o Veneres Cupidinesque

Weint, ihr Götter der Liebe, ihr, Eroten,
Und ihr Menschen, die sanft ihr fühlet alle!
Tot, ach! tot ist der Sperling meines Mädchens,
Tot ihr Vogel, die Freude ihrer Tage,
Teurer ihr, als das Licht der eignen Augen!
Denn, wie war er so süß, so süß und kannte
Sie so gut, wie ein Töchterchen die Mutter,
Und nie trennte er sich von ihrem Schoße,
Hüpfte lieber umher drauf, hier- und dorthin,
Stets zur Herrin gewandt und immer piept' er!
Doch nun zieht er dahin die dunkle Straße,
Die für keinen zur Wiederkehr sich öffnet.
Nun so treffe mein Fluch dich, düstrer Orcus,
Dich, der alles was schön, zu sich hinabzieht,
Und dies reizende Tierchen mir entführte!
O, welch Frevel! Und du, mein armes Spätzlein,
Nur um dich sind die Äuglein meines Mädchens
Hoch geschwollen und rot vom vielen Weinen!
(S. 7)

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5. Die Küsse

Vivamus, mea Lesbia, atque amemus

Laß, o Lesbia, leben uns und lieben,
Und wenn grämliche Alte uns bereden,
Keinen einzigen Deut laß uns drum geben!
Sonnen sinken und kehren immer wieder,
Doch erlischt erst für uns der kurze Schimmer,
Nacht und Schlaf dann auf ewig uns umfangen!
Gib drum Küsse mir tausend und noch hundert,
Nochmals tausend und hundert noch darüber,
Und laß tausend und neue hundert folgen!
Sind dann Tausende ausgetauscht, so mischen
Wir sie so, daß wir nimmer sie entwirren,
Und kein Übelgesinnter voller Neides,
Je vermöge, die Küsse all zu zählen! (S. 9)

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6. An Flavius

Flavi, delicias tuas Catullo

Wohl bereit zu erzählen wärst du, Flavius,
Mir, dem Freunde, von deinem hübschen Schätzchen,
Wenn nicht gänzlich Geschmack und Geist ihr fehlten;
Doch ihr unwiderstehlich keckes Wesen
Zieht dich an, und du schämst dich, das zu sagen!
Bringst du nimmer allein doch zu die Nächte,
Wie's so deutlich zu sehn an deinem Lager -
Duft verhauchend von Narden und von Blumen;
Das verrät auch das eingesunkne Kissen,
Das der ganz aus dem Halt gekommnen Bettstatt
Starkes Kreischen und Hin- und Herbewegen.
Unnütz ist es, das nicht gestehn zu wollen,
Und weshalb? Weil die schlaffgewordnen Glieder
Klar bezeugen, wie locker du's getrieben!
Deshalb, wie sie auch sei, gleichviel, laß wissen,
Wer sie sei: bis zum Himmel dann erheb' ich
So dein Liebchen wie dich in muntern Versen!
(S. 10)

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7. An Lesbia

Quaeris, quot mihi basiationes

Wieviel Küsse mir je von dir genügen,
Wieviel mehr noch erwünscht mir, fragst du, Lesbia:
Soviel Libyscher Sand sich in Cyrene,
Reich an Silphionkräutern irgend findet,
Zwischen Jupiter Ammons Tempelstätte
Und der heiligen Gruft des alten Battus, -
Soviel Sterne auf Menschen niederblicken,
Die im Schweigen der Nacht verstohlen kosen:
Soviel Küsse von dir begehrt Catullus,
Er, der liebeberauscht sich nie ersättigt,
Und sie alle zu zählen, soll kein Späher
Je vermögen, noch Schlechtes von uns reden!
(S. 11)

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8. Absage

Miser Catulle, desinas ineptire

Catullus, Ärmster, laß von der früh'ren Torheit
Und was verloren, laß es verloren bleiben!
Dir lachten einstmals sonnenbeglänzte Tage,
Als du so oft den Winken der Freundin folgtest,
Die du geliebt, wie's keine wird wieder werden!
Dort hat sie damals häufig mit dir getändelt,
Und was du wolltest, nimmer gab's Widerrede:
Da hat fürwahr die Sonne dir hell geleuchtet!
Und trotzt sie jetzt, so setze ihr Trotz entgegen,
Verläßt sie dich, so folge ihr nicht, noch klage,
Sei hart vielmehr, halt aus und verbleib unbeugsam!
Zieh hin denn, Mädchen, ruhig verharrt Catullus,
Er sucht dich nicht, verschwendet an dich nicht Bitten,
Doch dich wird's schmerzen, bittet er nie dich wieder.
Unsel'ge, weh! welch Leben doch deiner wartet!
Wer wird dich jetzt begehren, wer schön dich finden?
Wen wirst du künftig lieben, wem angehören?
Wen küssen, wem den Zahn in die Lippen drücken?
Doch du, Catullus, sei und verbleib unbeugsam!
(S. 12)

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32. An Ipsithilla

Amabo, mea dulcis Ipsithilla

Ipsithilla, du holde, du mein Liebling,
Du mein reizender Schatz: zur Mittagsstunde
Laß mich kommen zu dir, um Rast zu halten!
Bist du willig dazu, so trage Sorge,
Das nur keiner des Hauses Tor verriegle,
Und entferne auch du dich nicht vom Hause,
Sondern halte daheim dich, uns Genüsse,
O gar viele und stets erneut, zu schaffen!
Stimmst du zu, laß es gleich sodann mich wissen,
Denn nachdem ich gespeist, leg' ich mich nieder,
Und dann werd ich beengt durch Kleid und Mantel!
(S. 31)

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36. An einen Schunddichter

Annales Volusi, cacata charta

Du, Volusius' jämmerliches Machwerk,
Wisse nun, was mein Mädchen dir geschworen!
Denn bei Venus, der Hehren, und Cupido
Schwur sie, kehrt' ich zurück in ihre Arme
Und enthielt' ich mich all der scharfen Verse,
Dann in Flammen, genährt von Unglücksbäumen,
Lodern sollten hochauf die Wunderverse,
Die der Dichter erbärmlichster geschmiedet!
Und da findet die Schelmin noch, daß witzig
Und daß launig ihr hoher Schwur gewesen!
Jetzt, o du, die in blauer Flut geboren,
Hort von Urion, waltend in Idalion
Und Ancona, Beschirmerin von Cnidos,
Golgis Stätte und Amathunt bewohnend,
Nebst der Adria Schifferstadt, Dyrrhachium:
Was sie früher gelobt, sieh's an als nichtig,
Wenn's nicht gegen dein Recht und deine Würde!
Doch indes sollt im Feuer ihr mir enden,
Bäurisch rohe und abgeschmackte Verse,
Ihr, Volusius' jämmerliches Machwerk!
(S. 34)

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45. Akme und Septimius

Acmen Septimius suos amores

Akme, seine Geliebte, auf dem Schoße
Hält Septimius und sagt: »O, meine Akme,
Wenn ich über die Maßen dich nicht liebte,
Ewig dir zu gehören nicht beschlossen,
Und nicht freudig für dich mein Leben wagte:
Ganz allein wollt' ich dann im heißen Indien
Oder Libyen ergrimmten Leu'n begegnen!«

Sprach's und Amor, der eben seinen Beifall
Linkshin niesend gespendet, nieste rechtshin.

Akme aber, den Kopf ein wenig hebend,
Und nachdem sie die liebestrunknen Augen
Ihres Trauten geküßt mit roten Lippen,
Sprach: »Septimius, Süßer du, auf ewig
Laß uns diesem Gebieter treulich dienen,
Denn mit steigender Glut durchwogt den Busen
Bis ins innerste Mark mir Liebesfeuer!«

Sprach's und Amor, der eben seinen Beifall,
Linkshin niesend gespendet, nieste rechtshin.

So, von glücklichen Zeichen wohl begleitet,
Tauschen nun die Verliebten Herz mit Herzen:
Liebeswund ist Septimius, und für Akme
Nähm' er Syrien nicht und nicht Britannien.
Akme wieder, die treue, läßt Septimius
Höchste Wonnen und Liebesfreuden kosten.
 Wer hat Menschen, die mehr beglückt, von Liebe
Mehr beseligt als diese, je gefunden?
(S. 41)

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48. An Juventius

Mellitos oculos tuos, Iuventi

O Juventius, dürft' ich meine Lippen
Immer dir auf die holden Augen pressen,
Wohl unzähligemal wollt' ich sie küssen
Und doch nimmer gesättigt mich bedünken,
Wenn auch reicher die Fülle unsrer Küsse
Als auf Feldern die dichtgedrängten Ähren!
(S. 44)

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51. An Lesbia*

Ille mi par esse deo videtur

Selig gleich den Göttern und mehr als diese,
Wenn's nicht Frevel, preise ich selig jenen,
Der zu dir gewendet auf dich nur immer
Blickt und dir zuhört!

Wer dein süßes Lachen vernimmt, der Ärmste,
Dem verwirrt sich alles umher, denn, Lesbia,
Seit ich dir ins Auge geschaut, versagt mir
Fühlen und Denken,

Stockt die Sprache, rinnt mir ein heimlich Feuer
Hin durch alle Glieder, ein dumpfes Brausen
Rauscht im Ohr, und schwer auf die Augen senkt sich
Nächtliches Dunkel.

Otium, Catulle, tibi molestum est

Müßiggang ist schädlich für dich, Catullus,
Macht dich ausgelassen und allzuüppig,
Öfters schon ward Fürsten und mächt'gen Städten
Muße verderblich!
(S. 47-49)

* Nachbildung der ersten drei Strophen der Ode der Sappho: Phainetai moi kênos isos theoisin

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Zweites Buch

61. Brautlied

Collis o Heliconii

Sproß Uranias du, der gern
Auf dem Helikon wohnt und gern
Hin zum Manne die zarte Braut
Leitet, o Hymenäus du,
Hymen, o Hymenäus:

Winde duftenden Majoran
Dir ums Haupt, und das Schleiertuch,
Flammenfarbig, leg an, dann komm
Freudig her, unterm weißen Fuß
Safranfarbne Sandalen!

Froh erregt von des Tages Lust,
Laß erschallen im Jubelton
Hochzeitslieder, im Reigenschritt
Tritt den Boden, und in der Hand
Schwing die fichtene Fackel!

Denn zu Manlius Vinia kommt,
Wie zum phrygischen Richter einst
Venus kam auf des Ida Höhn;
Reiches Glück wird der Edlen blühn,
Die zur Ehe nun schreitet,

Reichgeschmückt, wie die Myrte prangt,
 Wenn sie blühende Sprossen trägt,
Und der himmlische Tau sie nährt,
Den der Hamadryaden Schar
Unter Spielen ihr spendet.

Auf denn, lenke hierher den Schritt,
Komm von Thespiäs Felsgeklüft
Und den Grotten Aonias,
Die mit kühlendem Naß der Quell
Aganippe berieselt.

Führ' ins Haus die Gebieterin,
Die schon sehnend des Gatten harrt,
Laß sie innig ihn an sich ziehn,
Wie der kräftige Efeu eng
Sich um Bäume herumrankt.

Keusche Mädchen ihr, die ein Tag
Gleichwie dieser dereinst beglückt,
Auf, und stimmt in den Ruf mit ein,
Laßt's erschallen: o Hymen du,
Hymen, o Hymenäus,

Daß er, hörend auf euren Ruf,
Freudig tuend, was ihm obliegt,
Her nun komme, der Venus stets
Treu gesellt, und der gern vereint
Die von Herzen sich lieben.

Bangt den Liebenden, welcher Gott
Ist am besten dann anzuflehn?
Welchen Himmlischen muß der Mensch
Höher ehren? o Hymen du,
Hymen, o Hymenäus!

Väter, bang um der Ihren Los,
Flehn zu dir, und auf dein Gebot
Lösen Mädchen ihr Busenband;
Eifrig lauschend der Bräutigam
Bang dein Nahen erwartet.

Du entführst aus der Mutter Arm
Ihr das blühende Töchterlein
Und dem feurigen Ehgemahl
Legst du's selbst in den Arm hinein,
Hymen, o Hymenäus!

Nichts was jedem begehrenswert
Und was löblich kann ohne dich
Venus wirken, sie kann's jedoch,
Zeigst auch du dich geneigt: welch Gott
Kann sich diesem vergleichen?

Ohne dich kann an Kindern sich
Keiner freun, noch der Vater sie
Um sich scharen, er kann's jedoch,
Zeigst auch du dich geneigt: welch Gott
Kann sich diesem vergleichen?

Wo man dich nicht geziemend ehrt,
Da kann Krieger zum Grenzenschutz
Kein Staat senden, er kann's jedoch,
Zeigst auch du dich geneigt: welch Gott
Kann sich diesem vergleichen?

Auf nun, öffnet die Tore weit:
Jungfrau, komm, und gewahrst du nicht,
Wie hochlodernd die Fackeln sprühn?
Schamvoll zagt sie und kämpft mit sich,
Ach, und weint, daß sie gehn muß!

Laß dein Weinen und sorge nicht,
Denn kein schöneres Weib als du
Hat zum Tage, der eben erst
Glanzumflossen dem Meer entstieg,
Je die Augen erhoben!

Hyazinthen in farb'gem Schein,
Wie sie Reiche in Gärten ziehn,
Gleichst du selber an holdem Reiz:
Doch du zauderst, der Tag entweicht:

Komm, du junge Verlobte!
Komm, o junge Verlobte du,
Ist's genehm dir, und hör' auf mich:
Sieh, die Fackeln in hellem Glanz
Goldig schimmernde Funken sprühn:
Komm, du junge Verlobte!

Flatterhaft ist dein Gatte nicht,
Er wird buhlenden Weibern nie
Folge leisten und Schlechtes tun;
Deinem blühenden Busen nie
Fern zu sein wird er wünschen:

Wie mit rankenden Zweigen fest
Sich die Rebe um Bäume schlingt,
So umfangen von deinem Arm
Wird auch er; doch der Tag entweicht:
Komm, du junge Verlobte!

Wieviel Freuden, o Lagerstatt,
Bist du willig, dem Eigner einst
Darzubieten, zu nächt'ger Frist,
Wie bei Tage! doch weicht der Tag:
Komm, du junge Verlobte!

Hoch, ihr Knaben, die Fackeln schwingt,
Schon im Schleier die Braut sich naht,
Auf, und fallt mit dem Rufe ein:
Hymen hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Fescenninischem heiterm Spott
Laßt nun endlich auch freien Lauf:
Weigre Nüsse den Knaben nicht,
Buhler du, den es schmerzt, fortan
Früh'rer Lust zu entsagen!

Nüsse spende dem Knabenschwarm,
Träger Buhler: genug hast du
Schon mit Nüssen gespielt, nun gilt's,
Sich zu fügen ins Ehejoch:
Nüsse spende, du Buhler!

Früher hast du verächtlich nur
Fraun vom Lande stets angeblickt,
Jetzt jedoch wird das Haar dir bald
Kurz geschoren: o Armer du,
Nüsse spende, du Buhler!

Salbenduftender Gatte du,
Ungern trennst du von jenen dich,
Die dir teuer, doch muß es sein:
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

 Wohl ist's wahr, daß er nur getan,
Was erlaubt, doch der Ehemann
Darf nicht tun, was er sonst geübt.
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Du auch, Braut, o erhöre stets
Deinen Mann, daß er anderwärts
Niemals suche, um was er fleht.
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Sieh vor dir hier des Gatten Haus,
Wie's so stattlich, so wohl versehn,
Und das immer nun dein Besitz.
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Bis mit zitterndem Haupt dereinst
Silberhaarig, das Greisentum
Dir, wie jedem voll Milde naht.
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Glück mit dir, wenn du, schön-beschuht,
Hin nun über die Schwelle schwebst,
Und durchs schimmernde Tor zieh ein!
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Sieh, wie drinnen dein Ehgemahl,
Hingestreckt auf dem Purpurpfühl,
Voll Verlangen nun deiner harrt!
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
 Hymen, o Hymenäus!

Heiße, zehrende Liebeslust
Ihn so feurig wie dich durchwogt,
Doch ins Innerste dringt sie ihm.
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Jetzt, o Knabe, des Bräutchens Arm,
Voll und zierlich geformt, laß frei:
Laß sie ziehn in das Ehgemach!
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Ihr, o würdige Fraun, die ihr
Euren Männern euch liebend fügt,
Hebt aufs Lager die Jungfrau nun!
Hymen, hoch, Hymenäus, Heil,
Hymen, o Hymenäus!

Kommen darfst du jetzt, Ehemann,
Schon dein Weib in der Kammer harrt,
Schön und blühend von Angesicht,
Weiß wie Lilien und wie des Mohns
Purpurfarbene Blume.

Doch, beim Himmel, nicht minder schön
Bist du selber, o Ehemann,
Und an Reizen hat Venus nichts
Dir versagt! Doch der Tag entweicht:
Auf denn, säume nicht länger!

Wohl! nicht lange gesäumt hast du,
Schon erscheinst du, und hold mag dir
 Venus sein, da du offen nimmst,
Was du wünschest, und nicht dich scheust,
Reiner Liebe zu pflegen!

Eher möchte der Wüste Sand
Und der leuchtenden Sterne Heer
Zählen einer, als daß er je
Wissen könnte, wie tausendfach
Eurer Liebe Genüsse!

Kos't nur immer und schenkt der Welt
Bald dann Kinder, denn solch Geschlecht,
Altehrwürdig, darf kinderlos
Nimmer bleiben, es muß vielmehr
Stets sich wieder erneuern!

Möcht' ein kleiner Torquatus dann
Hoch empor von der Mutter Schoß
Seine Händchen zum Vater hin
Heben, während sein kleiner Mund
Halb zum Lachen geöffnet.

Ähnlich mög' er dem Vater sein,
So daß jeder, der ihn erblickt,
Ihn als Manlius' Sohn erkennt;
Leb' auch fort in den Mienen ihm
Seine züchtige Mutter!

Lebe dann bei den Seinen fort
Seiner trefflichen Mutter Ruhm,
Wie Telemachus' Name nun
Mit Penelope's Ruhmesglanz
Eng für immer verbunden.

 Jungfraun, schließet die Türen nun,
Sei's des Spieles genug: doch ihr,
Edle Gatten, o lebt beglückt,
Und genießet in frischer Kraft
Alle Freuden der Jugend!
(S. 57-65)

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62. Hochzeitsgesang

Vesper adest, iuvenes, consurgite: Vesper Olympo

DIE JÜNGLINGE

Auf, ihr Freunde, erschienen ist Hesperus, lange erwartet,
Sendet er endlich sein glänzendes Licht vom Olympus herüber.
Zeit ist's, sich zu erheben, das üppige Mahl zu beenden,
Bald erscheint auch die Braut, und bald wird's festlich erschallen:

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JUNGFRAUEN

Jungfraun, seht ihr die Männer? vereint geht ihnen entgegen,
Hell schon über dem Öta der Stern des Abends hervorblinkt.
Wohl, er ist's. Und gewahrt ihr auch wohl, wie hurtig sie schreiten?
Eilen sie, hat es auch Grund: sie hoffen, im Sang zu obsiegen!

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JÜNGLINGE

Leicht, ihr Freunde, ist's nicht, uns den Siegespreis zu erstreiten,
Haben die Mädchen doch alles vorher gar reiflich erwogen,
Und fürwahr, nicht umsonst: gar Treffliches läßt sich erwarten,
Das steht sicher bevor, denn wohl bedacht ist ihr Handeln.

Wir jedoch richten die Sinne auf eins und hören auf andres,
Billig erliegen wir so, denn Mühn nur führen zum Siege:
Nun, so sammelt doch heute mit festem Entschluß die Gedanken!
Bald beginnen sie: ihren Gesang muß der unsre erwidern.

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JUNGFRAUEN

Hesperus, welches Gestirn ist feindlicher uns als das deine?
Du, der vermag aus den Armen der Mutter die Tochter zu reißen,
Die nach Kräften sich sträubt, von der Mutter Arm sich zu trennen,
Und dem begehrlichen Manne das züchtige Mädchen zu bringen!
Wie kann schlimmer der Feind wohl eroberte Städte behandeln?

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JÜNGLINGE

Hesperus, welches Gestirn ist freundlicher uns als das deine?
Leuchtest du auf, so vollzieht sich der Bund, der Verlobte vereinigt,
Wie's von den Männern zuvor und dem Elternpaare beschlossen,
Doch nicht früher vollzogen, als bis du selber erschienen.

Welche ersehnte, beglücktere Stunde vergönnt wohl die Gottheit?

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JUNGFRAUEN

O ihr Schwestern, entführt hat uns Hesperus eine der Unsern!

* *
*
DIE JÜNGLINGE

Steigst du empor, so bewachen die Wächter beständig die Häuser,
Nachts verbergen sich Diebe, die du, sobald du  zurückkehrst,

Oft am Morgen entdeckst, als Lucifer dann uns erscheinend.
Aber es könnten die Mädchen wohl heucheln, indem sie dich schelten:
Sollten sie, während sie schmähn, insgeheim dich herzlich ersehnen?

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JUNGFRAUEN

Wenn verborgen im Gartengehege die Blume heranwächst,

Nicht von Herden beachtet und nicht verletzt von der Pflugschar,
Lüftchen zum Spiel, an der Sonne erstarkt, vom Regen gefördert,
Dann gereicht sie so Knaben wie Mädchen zu herzlicher Freude:
Doch rührt einer sie an mit der Fingerspitze und bricht sie,
Dann hat Knabe und Mädchen an ihr nicht ferner Gefallen:

So ist teuer den Ihren die rein verbliebene Jungfrau.
Aber vergaß sie sich je und verlor sie die Blume der Unschuld,
Dann verliert sie bei Knaben und Mädchen die früheren Reize.

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

DIE JÜNGLINGE

Wenn auf nacktem Gestein eine einsam wachsende Rebe

Nicht vom Boden sich hebt, noch köstliche Trauben hervorbringt,
Sondern zu schwach für ihr eignes Gewicht zum Boden hinabsinkt,
Und bis tief zu der Wurzel die obersten Ranken sich neigen,
Dann wird weder das weidende Vieh noch der Landmann sie schätzen;
Aber sobald sie, der Ulme gesellt, sie bräutlich umwindet,

Dann weiß trefflich der Landmann wie weidendes Vieh sie zu schätzen:
Ähnlich die ledig gebliebne, die einsam alternde Jungfrau!
Ward ihr jedoch zur passenden Zeit ein geeigneter Gatte,
Teuer dann wird sie dem Manne und minder beschwert sie den Vater.

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!

Jungfrau, du nun hadre mir nicht mit solchem Gemahle!
Unrecht wär's, zu bekämpfen den Mann, den Vater und Mutter
Dir zum Gatten gegeben, und ihnen ziemt's zu gehorchen!
Nicht dir allein nur gehört dein Mädchentum, denn ein Anrecht
Gleich dem deinen besitzen daran so Vater wie Mutter;
Nur ein Drittel ist dein: so führe nicht Kampf mit den beiden,
Die ihr Recht mit der Mitgift zugleich übertragen dem Eidam!

CHOR

Hymen, o Hymenäus, hierher komm, o Hymenäus!
(S. 66-68)

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64. Die Hochzeit des Peleus und der Thetis

Peliaco quondam prognatae vertice pinus

Einstmals zog nach der Alten Bericht ein Schiff durch die Wogen,
Und aus Fichten vom Gipfel des Pelion war es gezimmert.
Hin zum Phasis, ins Reich des Aeetes eilte das Fahrzeug,
Und erlesene Männer, der Stolz der Argivischen Jugend,
Voller Verlangen, aus Kolchis das goldene Vlies zu entführen,
Wagten auf eilendem Kiel sich hinaus in die salzigen Fluten,
Teilend die blau erschimmernde See mit fichtenen Rudern.
Aber die Göttliche selber, die Schirmerin ragender Burgen,
Fest den empor sich wendenden Kiel mit den Planken verbindend,
Hatte das Schiff gebaut, das dem leisesten Hauche gehorchte,
Und das nun als das erste ins Reich Amphitrites hinauszog.
Kaum nur hatte die wogende Flut sein Schnabel durchschnitten,
Und kaum blinkte der Schaum auf der Fläche vom Schlage der Ruder,
Als aus gähnenden Tiefen des Meeres die Häupter erhoben
Nereus Töchter, die staunend das Wundergebilde gewahrten.
 Sterbliche konnten im blühenden Licht mit Augen nun sehen,
Wie, aus schaurigen Schlünden enttauchend, Leiber der Nymphen
Unverhüllt, bis zum Busen hinan aus dem Wasser sich hoben.
Damals war's, wie es heißt, daß für Thetis Peleus erglühte,
Wo sich Thetis nicht scheute den sterblichen Mann zu beglücken,
Jupiter selber dann beide zu dauerndem Bunde vereinte.

O, ihr Söhne, glückseligen früheren Zeiten entsprossen,
Ihr von Göttern Gezeugte, ihr Trefflichen, Freude der Mütter,
Gruß euch, edle Heroen, und Heil euch immer aufs neue!

Oftmals will ich im rühmenden Sang euch preisen, vor allen
Peleus dich, der erlesen, die herrlichste Ehe zu schließen,
Stolz Thessaliens du, dem der Vater der Himmelsbewohner
Jene zum Weibe vergönnte, die teuer ihm selber gewesen!
Drückte ans Herz dich nicht Thetis, des Nereus reizendste Tochter?
Gaben die eigene Enkelin nicht zur Gattin dir Tethys
Und, der flutend die Erde umkreist, Oceanus selber?

Als nun endlich die freudig erwarteten Tage gekommen,
Strömten Thessaliens Bewohner dem Hause zu, alle mitsammen,
Und im Königspalaste die fröhlichen Scharen sich drängten,
Alle mit Gaben in Händen, und Freude-erhellt die  Gesichter.
Leer wird Cieros Stätte, verödet ist Tempe und Crannon;
Und von Menschen verlassen das Wall-umzogne Larissa:
Alles enteilt nach Pharsalus, dorthin nur streben sie alle.
Keiner sein Feld mehr bebaut, und den Rindern die Nacken erschlaffen,
Nicht mehr säubert die Hacke die niedrig wachsenden Reben,
Nicht verschneidet das Laub auf den Bäumen der sichelnde Gärtner,
Nicht durchackert den Boden der Stier mit der wühlenden Pflugschar,
Häßlicher Rost sich legt auf die müßig liegenden Pflüge.

Aber bis tief ins Innre des prächtigen Königspalastes
Funkelt es rings von glänzendem Gold und Silber, es schimmert
Elfenbein an den Sesseln, auf Tischen blinken Pokale:
So prangt herrlich der ganze Palast mit fürstlichen Schätzen.
Doch inmitten erhebt sich das bräutliche Lager der Göttin,
Schimmernd von Elfenbein, in Indiens Ländern gewonnen,
Und darüber sich breitet ein purpurfarbener Teppich.

Mannigfache Gestalten der Vorzeit, Taten von Helden
Zeigte in vielerlei Bildern der kunstvollendete Teppich:
Sorgsam späht Ariadne von Naxos' flutenumrauschtem
Strande hinaus in die See nach Theseus' fliehenden Schiffen,
Und unendlicher Kummer ihr Innres aufs tiefste erschüttert.
Was ihr Auge gesehn, sich selber mag sie's nicht glauben,
Denn, vom täuschenden Schlummer soeben erwacht, sieht die Arme
Einsam sich und verlassen am trostlos öden Gestade.
War doch, ihrer vergessend, im Schiff entwichen der Jüngling,
Gebend den Winden des Himmels zum Spiel sein einst'ges Versprechen!
Sie jedoch, tränenden Auges, vom Strande späht in die Weite,
Anzusehn wie im steinernen Bilde erstarrt die Bacchantin,
Und in wogenden Wellen das Herz ihr Sorgen durchstürmen.
Nicht umspannt ist ihr goldiges Haar von zierlichem Netzwerk,
Nicht ihr Busen verdeckt vom hüllenden, leichten Gewande,
Nicht mehr bändigt die schneeige Brust ihr die haltende Binde:
Alles vom Körper hernieder zu Boden einzeln ihr gleitet,
Liegt zerstreut ihr zu Füßen, und Wellen ihr Spiel damit treiben.
Aber sie achtet der Binde, des losen Gewandes gar wenig,
Alles bist du ihr, sie hängt nur an dir mit der Seele, o Theseus,
All ihr Denken und Fühlen, auf dich nur ist es gerichtet!

Ach, du Arme, wie hat dich so schwer mit Kummer und Sorgen
Erycina verfolgt, wie rastlos ließ sie dich leiden,
Seit, vertrauend der eigenen Kraft und mutigen Herzens,
Theseus her vom Piräus geschifft und nach Gortys  gekommen,
Dorthin wo die Behausung des Rechte-verletzenden Königs.

Denn einst wurde die Cekropsstadt verwüstet von Seuchen,
Weil vor Zeiten ermordet Androgeos dort, und zur Strafe
Mußte sie Knaben von edler Geburt und die Blüte der Jungfraun
Dorthin immer zum Mahl für den Minotaurus entsenden.

Als nun solche Bedrängnis der Stadt zur Plage geworden,
Da war Theseus, von Liebe erfüllt für die Stadt der Athener,
Eher sein Leben zu wagen bereit, als daß man lebendig
Jene nach Creta verschickte, die dort dem Tode verfallen.
So, vertrauend dem eilenden Schiff und günstigen Winden,
Kam er zur ragenden Feste des machtvoll herrschenden Minos.
Dort nun hatte nur eben erblickt ihn die Tochter des Königs,
Sie, die zärtlich gepflegt und von Mutterarmen umfangen,
Hold in Gemächern erblüht, die liebliche Düfte erfüllten,
Wie sie Myrtengebüschen am Strom Eurotas entschweben,
Oder den prangenden Blumen, die Frühlingswinde erwecken,
Als sie feurig verlangend nicht eher den Blick von ihm wandte,
Als bis heißes Begehren das Herz hochauf ihr erregte,
Und bis tief in das innerste Mark ihr die Flamme  gedrungen.

O, allmächtiger Knabe, wie schrecklich marterst du Herzen,
Du, der Leid mit den Freuden vermischt, die du Sterblichen spendest,
Und o Golgi's Beherrscherin du und der Wälder Jdaliums,
Wieviel ließest du leiden das liebende Mädchen, das oftmals,
Tief aufseufzend den Fremden im goldnen Gelock nun herbeisehnt!
Wieviel Sorgen um ihn ließ bang sie immer erzittern,
Und wie schwand ihr die Farbe so oft, wie fahl ward ihr Antlitz,
Als zum Kampf mit dem Drachen nun Theseus zog, mit dem Wunsche,
Sei's, sein Leben zu lassen, sei's, strahlenden Ruhm zu erwerben!
Aber ihr frommes Gebet blieb nicht unerhört, und die Götter
Nahmen ihr stilles Gelübde mit Wohlgefallen entgegen.

Denn wie brausender Sturm auf des Taurus Höhen die Eiche,
Oder die dicht mit Zapfen behangene harzige Fichte,
Machtvoll blasend, erschüttert, zu Boden streckt und entwurzelt,
Tief aus der Erde sie reißt, vornüber beugt, bis sie alles,
Was im Fall ihr begegnet, weithin mit sich selber herabreißt:
So in den Staub streckt Theseus das grause bezwungene Scheusal,
Das ohnmächtig ins Leere die Stöße der Hörner nun richtet.
Unversehrt dann kehrt er zurück, der rühmlich gestritten,
Leitend die suchenden Schritte am fein-gesponnenen Faden,
Der die verschlungenen Gänge des Baus ihm zeigte und sicher
Wieder hinaus ins Freie, damit er nicht irre, ihn führte.

Aber wohin verliert sich mein Sang? soll ich alles berichten,
Was dann weiter geschehn? wie die Tochter den Vater verlassen,
Wie sie die Schwester umfangen, die Mutter zuletzt, die unendlich
Sich der Unsel'gen gefreut, und diese, glühend für Theseus,
Alle die andern verschmäht, nur ihn von Herzen ersehnend?
Oder wie hin ans Gestade von Naxos das Schiff sie getragen,
Wo ihr Gatte, nicht ihrer gedenk, sie schnöde verlassen,
Während erquickender Schlummer die Augen ihr leise geschlossen?

Oftmals stieß sie, wie's heißt, zum Rasen gebracht vor Erregung,
Weithin gellende Töne hervor aus der Tiefe des Herzens,
Stieg zu Zeiten auch traurigen Muts auf die Gipfel der Berge,
Weithinaus auf die wogende See mit den Blicken zu dringen;
Wieder dann lief sie hinunter, hinein in die schäumende Brandung,
Streifte die leichten Gewänder empor bis hinauf zu den Knieen,
Dann, von Tränen betaut das Gesicht, mit bebenden Lippen,
Klagte sie also in äußerster Not und Trauer im Herzen:

»So nun, Theseus, du Falscher, nachdem du dem Hause, der Heimat
Mich entrissen, verläßt du mich hier am verödeten Strande?
So entziehst du dich mir, mißachtend die himmlischen Götter,
Ach, und eilst in dein väterlich Land trotz heiliger Schwüre?
Konnte denn nichts dich bewegen, dem harten Entschluß zu entsagen,
Stieg denn nimmer im Busen dir auf eine freundliche Regung,
Dir mit tiefem Erbarmen das trotzige Herz zu erweichen?
Vorher hattest du schmeichlerisch mir ganz andres versprochen,
Und dein Wort ließ Unselige mich nicht Solches erwarten,
Freuden der Ehe vielmehr und Jubelgesänge zur Hochzeit;
Aber die Winde des Himmels in nichts das alles verwehten!
Schwüren der Männer mag fürder kein Weib mehr glauben, noch hoffen,
Redlich gemeint sei das, was sie vorher alles verheißen:
Hegt solch einer ein heiß ihn verzehrendes großes Verlangen,
Weder vor Schwüren dann schreckt er zurück, noch spart er Versprechen;
Aber sobald sein begehrlicher Sinn das Ersehnte genossen,
Dann gilt alles Gesagte ihm nichts, noch kümmern ihn Eide!
Ich jedoch brachte dir Hilfe, als Tod schon nahe dir drohte,
Und war eher den Bruder zu opfern erbötig, als Hilfe
Dir, der Treue nicht kannte, in Lebensgefahr zu versagen!
Nun zum Lohn werd ich wildem Getier und Vögeln zur Beute,
Keiner wird auch die Gebeine mir einst mit Erde bedecken!
Brachte denn dich in entlegnem Geklüft zur Welt eine Löwin?
Wo ist das Meer, das im Schoße dich barg und hinaus dich geschleudert?
War es die Räuberin Scylla, die Syrte, die grause Charybdis,
Daß du jener so dankst, die dich vom Tode errettet?
Wenn's dein Wille nicht war, daß der Ehe Band uns vereine,
Weil dir solches mit Strenge dein greiser Erzeuger verboten,
O, so konntest du dennoch mich hin in dein Land mit dir nehmen,
Und dort hätt' ich mit Freuden als Magd dir Dienste geleistet,
Hätte die Füße dir willig mit rieselndem Wasser begossen,
Oder mit purpurnen Decken die Lagerstatt dir bereitet.
Doch was klag' ich, von Leiden erschöpft, mein Weh nun  vergeblich
Fühllos bleibenden Winden, die weder zum Hören geschaffen,
Noch mit Stimme begabt, das gesprochene Wort zu erwidern?
Ferne bereits auf wogendem Meer entschwand er den Blicken,
Und kein sterbliches Wesen sich zeigt am öden Gestade,
Fühllos blickt auf all meine Not hernieder das Schicksal,
Und unwillig verschließt es sein Ohr meinem Jammern und Klagen!

Jupiter, Weltenbeherrscher, o wären am Strande von Gnossus
Damals Schiffe aus Cekrops' Stadt doch nimmer gelandet!
Hätte der schändliche Schiffer auch nie vor Creta geankert,
Dort dem gewaltigen Stiere sein gräßliches Opfer zu bringen!
Hätten auch ihn, der gefällig und schön von außen, doch schändlich
Innerlich war, doch nimmer die Unsrigen gastlich empfangen!
Denn wohin nun mich wenden, wo Hilfe, ich Arme, erwarten?
Soll zum Idagebirge der Weg mich führen? Ach, trennend
Breitet davor sich das grausige Meer mit gähnenden Schlünden!
Kann ich mir Hilfe erhoffen vom Vater, von dem ich geschieden,
Weil ich jenem gefolgt, der den Bruder mir tötlich getroffen?
Oder soll Trost mir die Liebe und Treue des Gatten gewähren,
Der, entfliehend vor mir, sein Schiff in die Weite nun steuert?
Nacktes Gestade, kein Haus, ringsher nur Wasser sich breitet,
Und kein Weg aus des Meeres umflutenden Wogen sich öffnet;
Weder Gedanke an Flucht, noch Hoffnung: stumm ist hier alles,
Alles verlassen und öde, an Tod nur alles gemahnend!
Aber es sollen nicht eher die Augen im Tode mir brechen,
Nicht den ermatteten Leib soll Besinnung verlassen, als dann erst,
Wenn ich Verratne die Götter um volle Bestrafung gebeten,
Und von ihnen mein Recht erst erfleht in der Stunde des Todes!
Drum, die ihr rächend den Frevler mit Strafen verfolgt, Eumeniden,
Ihr, mit Haaren durchflochten von Natterngezücht an den Stirnen,
Und die zeigen, wie grimmig der Zorn im Busen euch lodert:
Hierher, hierher, kommet herzu und vernehmet die Klagen,
Die ich Arme in äußerster Not aus den Tiefen der Seele,
Hilflos, glühend und meiner vor Wut nicht mächtig, entsende!
Und da Grund mir gegeben, aus innerstem Herzen zu klagen,
O, so lasset mein Jammern zum Spiel der Winde nicht werden,
Sondern wie ich so freventlich hier von Theseus verlassen,
So auch stürz' er sich selber dereinst und die Seinen ins Unglück!«

Als in Worten nun also ihr trauerndes Herz sich ergossen,
Und sie volle Bestrafung geheischt für schwere Vergehen,
Sieh, da neigte gewährend sein Haupt der Beherrscher des Weltalls,
Machte die Erde erbeben, die hochaufrauschenden Meere,
Und erschütterte mächtig des Alls hell schimmernde Sterne.
Theseus aber, wie geistesverwirrt, was fest sein Gedächtnis
All die Zeit ihm bewahrt, vergessen hatte er alles,
Was geboten ihm war und im Herzen bisher ihm gehaftet:
Zeichen der Freude nicht zog er empor für den bangenden Vater,
Als er gerettet den Hafen der Heimat vor sich gesehen.
Denn man sagt, daß zur Zeit, als die Schiffe zur Fahrt schon gerüstet,
Und mit günstigen Winden Athen zu verlassen gedachten,
Aegeus, eng umfangend den Sohn, ihm solches geboten:

»Sohn, mein einziger Sohn, du, mehr als das eigene Leben
Wert mir, den ich in solche Gefahr zu entsenden genötigt,
Du, mir eben erst wiedergeschenkt, da ich nahe dem Ende:
Will's das Geschick denn so, und reißt, trotz meiner Betrübnis,
Dich dein Feuer von mir, noch ehe die sinkenden Augen
Vollauf schon sich geweidet an deiner so holden Erscheinung,
O, so kann ich doch freudig gestimmt nicht ziehen dich lassen,
Noch auch sehn, daß du Zeichen, Gelingen verkündend, entfaltest;
Erst vielmehr will ich all meine Not in Klagen ergießen
Und mit Erde und Staub mir bestreuen den schneeigen Scheitel.
Schwarz dann sollen die Segel am schwankenden Maste sich zeigen,
Denn wie Trauer mich selber erfüllt und den Geist mir verdüstert,
So muß dunkel gefärbt auch am Schiffe das Segel erscheinen.
Aber beschützt dich Itonus' Bewohnerin, sie, die so huldvoll
Unser Geschlecht und die Stadt des Erechtheus' immer beschirmte,
So daß rot dir die Rechte sich färbt vom Blute des Stieres,
O, dann präge dir tief ins Gemüt und immer lebendig
Halte vor Augen dir dieses Gebot, daß es nimmer erlösche:
Gleich, sobald nur den Blicken die heimischen Berge sich zeigen,
Laß von den Rahen die Trauer verkündenden Segel hernieder,
Und statt ihrer zieh weise sodann an den Tau'n in die Höhe,
Daß ich so rasch ich's vermag dich erspähe und freudig begrüße,
Wenn zur glücklichen Stunde dein Weg dich wieder zurückführt!«

Dieses Gebot nun bewahrte zuerst im treuen Gedächtnis
Theseus, dann jedoch schwand es dahin, wie Wolken, vom Atem
Stürmischer Winde gejagt, von den Gipfeln der Berge entschwinden.
Aber der Vater, vergehend vor Schmerz und in Tränen zerfließend,
Spähte nur stets von der Höhe der Burg in die Tiefe, und plötzlich,
Sehend, daß schwarz von Farbe die Segel des nahenden Schiffes,
Stürzte sich jäh von der Höhe des Felsens hinab in die Tiefe,
Meinend, genommen nun sei ihm der Sohn vom feindlichen Schicksal.
So nun fand beim Betreten des Vaterhauses als Leiche
Theseus ihn, und das Leid, das er Minos' Tochter bereitet,
Da er ihrer vergaß, an sich selber nun mußt' er's erfahren!

Diese nun sah voll Trauer das Schiff in die Ferne enteilen,
Und unsäglicher Kummer das blutende Herz ihr beschwerte.
Doch schon zieht ihr im Fluge der blühende Bacchus entgegen,
Satyrnschwärme, Silene aus Nysas Aun ihn begleiten:
Dich, Ariadne, ersehnt er, für dich erglüht er in Liebe!
Weiber von rasendem Taumel erfaßt, ihn stürmisch umdrängen,
Schreiend »Euhö, Euhö,« nach dem Rücken hin werfend die Köpfe.
Thyrsusstäbe, umwunden mit Blättern, die Einen hier schwingen,
Andre zerfleischen ein Rind und streun auf den Boden die Teile;
Manche umgürten die Leiber mit wild sich windenden Nattern,
Andre, mit Kästchen in Händen, verrichten der festlichen Orgien
Heimlichen Dienst, der streng sich verschließt unheiligen Augen,
Diese hier heben die Arme hochauf zum Schlage auf Pauken,
Oder entlocken dem klingenden Erz scharftönende Laute;
Andre noch stoßen in dröhnend verhallende Hörner, und kreischend
Schallen die gellenden Töne barbarischer Flöten dazwischen.

Solche Gebilde nun schmückten in prangender Fülle den Teppich,
Der ringsher sich verbreitend das bräutliche Lager umhüllte.
Als nun, freudig erregt, die Thessalier dran satt sich gesehen,
Zogen sie fort und räumten den Himmelsbewohnern die Stätte.
Gleichwie wallend das Meer in der Frühe sich kräuselt, vom Zephir
Flüsternd bewegt, wenn Aurora der Sonne Erscheinen verkündet,
Dann allmählich zu schwellen beginnt, und die flutenden Wellen,
Die vorher beim säuselnden Wehn nur leise geatmet,
Höher und höher sich heben, von klingendem Plätschern begleitet,
Und von Winden getrieben sich immer gewaltiger türmen,
Dann in purpurnen Schimmer getaucht hinrollend erglänzen:
Also ergoß aus dem Königspalast sich flutend die Menge,
Und weithin sich zerstreuend, zog jeder für sich seine Straße.

Bald nachdem sie gegangen, erschien von des Pelion Höhen
Chiron zuerst und bot zum Geschenk, was der Boden hervorbringt:
Blumen, soviele Thessaliens Aun und Gebirge nur schmücken,
Und soviele, genährt von Zephirus' laulichem Atem,
Irgend den Ufergeländen der Ströme entsprießen: sie alle
Brachte er, wie sie sich boten, ganz schlicht zu Kränzen gewunden,
Und gar lieblicher Blumengeruch durchwogte die Räume.
Drauf kam eilends Peneios herbei, für Reigen und Tänze
Schweifenden Scharen von Nymphen sein Tal von Tempo verstattend,
Tempe, im prangenden Grün, von ragenden Bergen umschlossen.
Er auch nahte mit Spenden: entwurzelte mächtige Buchen,
Schlank aufstrebenden Lorbeer, auch allzeit rege Platanen,
Steile Zypressen und leise sich wiegende Pappeln, Geschwister
Phaëthons, den flammender Blitz herniedergeschmettert.
Diese nun pflanzt' er in Reihn um die Stätte, erquickenden Schatten
Sollte ihr laubiges Dach ringsher um die Halle verbreiten.
Dann herzu kaum geschritten der vielerfahrne Prometheus,
Tragend am Körper die Male, veraltet jetzt, von der Strafe,
Die er voreinst, von Ketten umschnürt, und hoch vom Gebirge
Hangend herab in die Tiefe, an Scythiens Küste erlitten.

Endlich der ewige Vater erschien mit der hehren Gemahlin,
Und mit ihren Erzeugten. Zurück im Himmel verblieben
Phöbus, nur und Diana, der teuer die Höhen des Idrus:
Grollten die Zwillingsgeschwister doch immer noch heftig mit Peleus,
Deshalb blieben sie ferne dem Fest von Thetis' Vermählung.

Als nun alle sich niedergesetzt auf schimmernde Sessel,
Füllten die Tafeln sich reichlich mit auserlesenen Speisen.
Aber die Parzen dann, wiegend die Körper bewegend, begannen
Ihren Gesang, der künft'ges Geschehn untrüglich verkündet.
Weiße Gewänder umhüllten weithin die gebrechlichen Glieder.
Und nur unten am Rande ein Purpurstreifen sich zeigte;
Binden, wie Schnee erschimmernd, die Häupter der Alten umwanden,
Und nie rastend vollführten die Hände die ewige Arbeit.
Während den Rocken, umkleidet mit schmeidiger Wolle, die Linke
Fest hielt, führte die Rechte mit spielendem Finger den Faden
Sacht nach unten, es drehte, vom Daumen erfaßt, sich die Spindel
Wirbelnd umher, und geglättet der schwebende Faden sich zeigte.
Zerrend befreiten die Zähne sodann das Gespinst von den Fasern,
Und vom wolligen Flaum nur verblieb an den trockenen Lippen,
Was am glänzenden Faden zuvor noch Rauhes gehangen.
Ihnen zu Füßen befanden sich Weiden-geflochtene Körbchen,
Bergend die duftigen Flocken der milchweiß schimmernden Wolle.
Während des Spinnens nun sangen sie hell mit tönender Stimme,
Göttlich begeistert, den hehren Gesang, der Kommendes kündet,
Und der nimmer als Trug sich erweist bei den spätesten Enkeln:

»Herrlicher du, den Taten voll Kraft aufs würdigste zieren,
Hort Emathias du, der umstrahlt vom Ruhme des Sohnes,
O, vernimm, was am festlichen Tag, wahr redend, die Schwestern
Dir verkünden: doch ihr, die ihr künft'ge Geschicke bereitet,
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!
 Bald wird Hesperus nahn und bringen, was Männer ersehnen,
Glück verheißend geschieht's: die Gemahlin wird er dir bringen!
Sinnverwirrender Liebe Gewalt ihr entströmt, wenn sie schmachtend
Unter den mächtigen Nacken die schimmernden Arme dir breitet,
Und vereinigt in süßer Ermattung der Schlummer euch findet.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Nimmer zuvor gab's ein Haus, das soviel Liebe umhegte,
Niemals schlossen sich Liebende so zur Ehe zusammen,
Wie einträchtigen Herzens hier Thetis und Peleus sich fanden.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Euch erblühn wird ein Sohn, der Gefahren verachtet, Achilleus,
Nimmer den Rücken, die mutige Brust wird er Feinden nur bieten,
Alle besiegend im Lauf, gleichwie er flüchtige Hirsche
Stürmisch verfolgt und ereilt, wird er oft den Sieg sich erringen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Keiner, der Tapferste nicht, wird mit ihm im Kampf sich vergleichen:
Wenn sich Phrygiens Boden einst färbt mit dem Blute der Teukrer,
Dann wird er, der ein Enkel des eidvergessenen Pelops,
Trojas Feste, so lange umstürmt, vom Boden vertilgen.
 Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Seiner untadligen Sitten und seiner gewaltigen Taten
Werden gar oft noch die Mütter gefallener Söhne gedenken,
Werden mit Asche bestreun sich die grauen, wild-flatternden Haare,
Und mit zitternden Händen die welkenden Brüste sich schlagen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Zeugen von seiner gewaltigen Kraft wird die Flut des Skamander,
Der, sich teilend, hinabfließt zum reißenden Hellespontus:
Weithin werden die Leiber Erschlagner im Laufe ihn hemmen,
Dampfend von Strömen vergossenen Bluts wird die Welle enteilen.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Zeugen für ihn wird zuletzt die erbeutete Jungfrau, dem Toten
Dargebracht, wenn dereinst der Getöteten schneeige Glieder
Decken wird der aus Erde hochaufgeschüttete Hügel.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Denn sobald den erschöpften Achivern verstattet vom Schicksal,
Niederzuwerfen die Dardanerstadt, die Neptunus gegründet,
Wird am ragenden Hügel Polyxenas Blut sich ergießen,
Und vom Beile gefällt, mit wankenden Knien, als Opfer
Sinkt sie dahin, und den Boden bedeckt ihr verstümmelter Leichnam.
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Auf nun, eilt den ersehnten Genüssen der Liebe entgegen,
Schließe zu glücklicher Stunde der Gatte den Bund mit der Göttin,
Und sei nun der verlangende Mann mit der Gattin vereinigt!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!

Kommt in der Frühe die Pflegerin dann zum Besuch ihr entgegen,
Kann sie wie gestern den Hals ihr nicht mehr mit dem Bändchen umfangen;
Sorge die Mutter auch nimmer, die Tochter, entzweit mit dem Gatten,

Könne vereiteln ihr Hoffen auf Liebe verdienende Enkel!
Laufet dahin, ihr Spindeln, dahin und führet die Fäden!«
* * *
So, aufs tiefste erregt von dem Gotte, hatten für Peleus
Fülle des Glücks im Liede die Parzen damals geweissagt.
Denn einst pflegten die Götter in eigner Gestalt in die Häuser
Edler Heroen zu kommen, sich sterblichen Augen zu zeigen,
Damals, als von den Menschen noch göttliches Recht nicht mißachtet.
Oftmals kam in sein prangendes Haus der Unsterblichen Vater,
Wenn sein Fest in der heiligen Zeit alljährlich gefeiert,
Und zu Hunderten sah er dann Stiere den Boden bedecken.
Oft auch stieg vom Parnassus der schwärmende Bacchus hernieder,
Führend Thyiaden, die Haare gelöst, laut lärmend und jauchzend,
Während das Volk aus Delphi hinaus sich drängte, die Gottheit,
Freudig bewegt zu empfangen an dampfumwallten Altären.
So auch haben sich Mars und Athene und Nemesis oftmals
Mitten im todverbreitenden Streit und Schlachtengetümmel
Selber gestellt in der Kämpfenden Reihn und die Scharen befeuert.
Aber nachdem sich das Menschengeschlecht mit Lastern besudelt,
Und aus sündigem Herzen getilgt den Sinn für das Rechte,
Seit mit mordender Hand sich ein Bruder gestürzt auf den andern,
Und nicht Kinder mehr Trauer am Grabe der Eltern empfinden;
Seit als Toten der Vater den Sohn gern sähe, um sicher
Dessen Erwählte, noch nimmer berührt, für sich zu gewinnen,
Und seit liebebegierig die Mutter dem züchtigen Sohne
Nachstellt, schnöde verletzend der Ehe hochheilige Schützer:
Seitdem haben unendliche Schuld und schändliche Laster
Uns entfremdet die Götter, die immer das Recht nur beschützen:
Deshalb wollen sie ferner nicht mehr zu uns sich gesellen,
Und verschmähn es, sich Menschen im Lichte des Tages zu zeigen!
(S. 72-83)

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Drittes Buch


66. Das Haar der Berenice*

Omnia qui magni dispexit lumina mundi

Conon, der alle die Lichter des Weltenraumes erkundet,
Und der weiß, wann ein Stern aufsteigt oder versinkt,
Dem auch kund, wann der Sonne Gesicht sich völlig verfinstert,
Und zu Zeiten das Licht mancher Gestirne erlischt,
Oder wie hinter den Felsen des Latmosberges verstohlen
Luna, verlassend die Bahn, Wonnen der Liebe genießt:
Dieser nun fand am Himmel auch mich im funkelnden Lichte,
Mich, die als Haar um die Stirn Berenices geweht,
Das sie voreinst, zum Himmel die schneeigen Arme erhebend,
Freudig als Opfergeschenk droben den Göttern gelobt.
Damals war's, als der König, die Syrer zu strafen, hinauszog,
Selig, weil Stunden des Glücks eben ihm Hymen vergönnt,
Und noch zeugten die Spuren der wonnigen nächtlichen Kämpfe,
Daß zur Beute ihm ward, die ihm züchtig gewehrt.
Sind denn Bräute so feind dem Genuß? Wie, oder ist's Falschheit,
Weinend den Eltern zu nahn, die doch herzlich beglückt,
Und in Tränen zerfließend, das Ehegemach zu betreten?
Himmlische ihr, fürwahr, all ihr Weinen ist Trug!
All das ließ mich der Fürstin unendliches Klagen  erkennen,
Als ihr junger Gemahl fort zu Kämpfen geeilt.
Galt dein Jammern denn nicht dem verwaisten Ehegemache?
Galt's dem Bruder vielleicht, der zum Leide dir schied?
O, wie drang bis ins Mark dir hinein unermeßlicher Kummer,
Und wie wühlte der Schmerz tief in den Busen sich ein,
Bis die Besinnung gewichen von dir, von dir, die ich immer
Seit ich als Kind dich gekannt, mutigen Herzens gesehn!
Weißt du nicht mehr, wie du Großes gewagt, und der König als Gattin
Dich ersehn, die an Mut keiner von allen erreicht?
Dennoch, sobald du ihn scheiden gesehn, wie klagtest du schmerzlich,
Himmel, wie rannen dir oft Tränen die Wangen herab!
Welcher gewaltige Gott hat so ganz dich verwandelt? ist's wahr denn,
Nimmer getrennt sich zu sehn, das sei Liebender Wunsch?
Allen den Himmlischen hattest du mich, und Stiere zum Opfer
Damals weihend gelobt, kehrte dein trauter Gemahl
Glücklich zurück. Und er hatte gar bald an die Gauen Ägyptens
Asiens Länder gereiht, die von ihm unterjocht.
Ich nun ward an den Himmel versetzt zu der Taten Gedächtnis,
Und so löse ich ein, was du früher gelobt.
Schwer ward's, Königin, mir, deinen Scheitel verlassen zu  müssen,
O, so teuer du selbst und dein Haupt mir, ich schwör's,
- Und wer heilige Eide verletzt, dem wird es vergolten!-
Doch wer könnte bestehn, wenn ihn Eisen bedroht?
Ward doch selber das höchste von allen Gebirgen, die Phöbus,
Lichthell strahlend bescheint, einst von Eisen durchbohrt,
Als sich Persiens Heere ein Meer im Lande geschaffen,
Und durchschiffend den Berg hinter den Athos gelangt.
Was vermögen denn Haare, wenn Eisen so übergewaltig?
Jupiter, möge es schlimm allen Chalyberrn ergehn,
Strafe auch dem, der die Gänge im Schoße der Erde als Erster
Aufzusuchen und Erz schmeidig zu machen gelehrt!

Eben noch hatten die Locken, verblieben dem Haupt, mich betrauert,
Als im Flügelgewand Zephyros nahe mir trat,
Memnons Bruder, die Lüfte auf wehenden Schwingen durcheilend,
Der, Arsinoë, dir immer getreulich gesellt;
Dieser nun schwebte nach oben mit mir durch den nächtigen Äther,
Dir in den züchtigen Schoß, Venus, dann legte er mich.
Dorthin hatte als Boten ihn Zephyritis entsendet,
Die von Hellas voreinst nach Ägypten geeilt.
Solches geschah, daß fürder der Kranz Ariadnes nicht einzig
Hoch am Himmelsgezelt strahle im flimmernden Licht,
Sondern das hell zu erglänzen auch ich erlesen, die einstmals,
 Eh' ich als Opfer gebracht, goldig das Haupt ihr umwallt.
So nun kam ich betrübt an den Himmelsraum, wo die Göttin
Mich als neues Gestirn neben die andern gereiht:
Zwischen dem Bilde des Löwen zu sehn und jenem der Jungfrau,
Nahe Callisto's Gestirn, zieh ich nach Westen hinab,
Immer den Blicken entschwindend, bevor der träge Bootes,
Langsam wandelnd dahin, spät im Meere versinkt.
Doch obschon ich bei nächtlicher Zeit in der Himmlischen Nähe,
Während beim Nahen des Lichts Tethys, die graue, mich birgt,
- O, verzeihe, du, Nemesis mir, was ich offen bekenne,
Denn nicht kenne ich Furcht, Wahres getrost zu gestehn,
Und wenn alle Gestirne dafür mit Haß mich verfolgten,
Weil mein Mund nicht verhehlt, was im Busen verwahrt: -
Aber so hoch schätz' ich alles das nicht, wie es Schmerz mir bereitet,
Fern der Gebieterin Haupt, fern ihr ewig zu sein,
Ihr, die mir, als sie Mädchen noch war und immer voll Frohsinns,
Köstliches syrisches Öl stets in Fülle gereicht.

Ihr nun, denen die Fackel der Hochzeit glücklich geleuchtet,
Gebt euch nicht zu geschwind liebenden Gatten jetzt hin;
Lasset vom Busen nicht eher die bergende Hülle euch gleiten,
Ehe ihr Spenden von Öl mir in Schalen gebracht;
Aber nur ihr, die ihr treulich der Ehe Gebote befolget:
Doch wenn eine verbuhlt Rechte des Gatten verletzt,
Möge in flüchtigem Sande die Gabe dann unnütz zerrinnen,
Denn stolz weis' ich zurück, was Unwürd'ge mir weihn!
Ihr jedoch, Frauen, o lebt in der Ehe in herzlicher Eintracht,
Möge für immer das Haus Stätte der Liebe euch sein!
Und wenn, Königin du, zu festlicher Zeit zu den Sternen
Aufblickst und im Gebet Venus' Huld dir erflehst,
Laß dann mich, die dich liebt, an Salböl Mangel nicht leiden,
Laß es in Fülle vielmehr mir auch werden zuteil!
Stürzten auch Sterne und glänzte dem Wassermann nahe Orion,
Freudig dann wieder als Haar schmückt' ich der Königin Stirn!
(S. 87-89)

* Nach dem Griechischen des Callimachus: »Berenikês plokamos«

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70. Leeres Versprechen

Nulli se dicit mulier mea nubere malle

Keinen, so sagt die Geliebte zu mir, und käme zum Werben
Jupiter selber herab, wähle sie lieber als mich!
Sei's: doch was auch ein Mädchen dem feurig Begehrenden sage,
Schreib's in den Wind, in des Stroms fließendes Wasser schreib's ein!
(S. 97)

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72. An Lesbia

Dicebas quondam solum te nosse Catullum

Einstmals, Lesbia, sagtest du mir, daß einzig Catullus
Teuer dir sei, zum Tausch wähltest du Jupiter nicht!
Damals liebte ich dich, doch nicht, wie die meisten, ihr Liebchen,
Nein, wie ein Vater ins Herz alle die Seinigen schließt.
Nun jedoch kenn' ich dich erst, und wächst auch in mir die Begierde,
Fühl' ich doch, daß du verderbt und gar flatterhaft bist!
Fragst du, weshalb nur, so sag ich: "solch übles Verhalten setzt wahrlich
Wohl Verliebte in Brand, doch solch Feuer verfliegt."
(S. 98)

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75. An Lesbia

Huc est mens deducta tua, mea Lesbia, culpa

Schuld bist, Lesbia, du, wenn ich so verworrenen Geistes,
Und so ganz gab ich mich, mir zum Schaden, dir hin,
Daß ich weder jetzt lieben dich kann, wenn edel dein Handeln,
Noch auch lassen von dir, tust du Schlimmstes mir an!
(S. 101)

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85. Zwiespalt

Odi et amo, quare id faciam fortasse requires

Liebe und Haß zugleich mich erfüllt. Wie das komme? Nicht weiß ich's,
Aber ich fühl's, und gar schwer dieses Gefühl mich bedrückt.
(S. 109)

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86. Lesbias Schönheit

Quintia formosa est multis, mihi candida, longa

Quintia gilt bei vielen als schön, für mich ist sie reizvoll,
Groß und schlank: o wie gern geb' ich das Einzelne zu!
Aber daß schön das Ganze, vernein' ich, denn keinerlei Anmut
Lebt in der langen Gestalt, und kein Fünkchen von Geist.
Schön ist Lesbia, alles in ihr ist höchste Vollendung,
Und in ihr sich allein, alles was reizend, vereint.
(S. 110)

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87. Treue Liebe

Nulla potest mulier tantum se dicere amatam

Keine ein Recht hat zu sagen, daß Liebe soviel ihr geworden,
Wie dies Lesbia nur, die mein Alles, vermag;
Niemals ward ein geschlossener Bund so treulich gehalten,
Wie's geschehen von mir, der für sie nur erglüht!
(S. 111)

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92. Widerspruch

Lesbia mi dicit semper male nec tacet unquam

Lesbia spricht stets Schlechtes von mir, weiß nimmer zu schweigen,
Dennoch, den Kopf geb ich drum: Lesbia liebt mich trotzdem!
Wie ich das weiß? Weil ich's treibe wie sie: ich schelte sie endlos,
Aber den Kopf geb ich drum: dennoch bin ich verliebt!
(S. 112)

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96. An Calvus

Si quicquam mutis gratum acceptumve sepulcris

Wenn je Liebes und Schönes, o Calvus, in schweigende Grüfte
Niederzudringen vermag, kündend, wie Gram uns verzehrt,
Und wir trauernd uns sagen, wie lieb wir uns hatten, und klagen,
Daß einander nun fern, die einst innig vereint,
Dann schmerzt minder Quintilien gewiß ihr frühes Verscheiden,
Als sie herzlich sich freut, wie du heiß sie geliebt.
(S. 116)

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99. An Juventius

Surripui tibi, dum ludis, mellite Juventi

Süßer fürwahr als Ambrosia selbst war der Kuß, den ich jüngsthin,
Holder Juventius, dir, während des Spielens geraubt,
Strafe jedoch war bereit für mein Tun, denn lange und bitter,
- Heute noch fühl' ich es wohl, - mußte ich büßen dafür,
Und obschon ich mit Bitten, mir's nachzusehn, dich bestürmte,
Ließ dein heftiger Zorn nicht im mindesten nach.
Denn, sobald es geschehn, hast du rasch mit den Fingern den Mund dir
Reichlich mit Wasser besprengt, daß nichts hafte an ihm,
Oder verrate, daß ich ihn geküßt, als hätte ein Weibsbild,
Widerlich, Laster-befleckt, ihn mit Speichel beschmutzt!
Und dann ließt du mich Armen den Qualen der Liebe zur Beute,
Häuftest ohn' Ende auf mich jede erdenkliche Pein,
Bis sich der Kuß, mir Ambrosia zuvor, zuletzt dann verwandelt,
Und an herbem Geschmack Nieswurz hinter sich ließ.
Hast du nun solcherlei Strafen bereit für den armen Verschmähten,
O, dann stehl ich gewiß Küsse mir nimmer von dir!
(S. 118)

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107. An Lesbia

Si quicquam cupido optantique obtigit umquam

Wenn jemals, was wir innig gewünscht, trotz allem uns dennoch
Endlich erfüllt wird: wie sehr fühlen wir dann uns beglückt!
Solch Glück fühle auch ich, daß, Lesbia, du, die mein Alles,
Wieder dich wendest zu mir, der so heiß dich ersehnt!
Wieder zu mir, der feurig erregt, ganz wider Verhoffen
Kommst du nun selbst: o Tag, strahlend wie keiner zuvor!
Wer kann höher beglückt sein als ich, kann sagen, an Wünschen
Sei ihm mehr noch erfüllt, als an mir es geschehn?
(S. 125)

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109. An Lesbia

Jocundum, mea vita, mihi proponis amorem

Liebste, dein Wort mir verheißt, daß die herzerfreuende Liebe,
Die uns heute beglückt, immer nun währe für uns:
Himmlische Götter, so gebt, daß sie stets dabei auch verbleibe,
Und daß lauter ihr Wort und von Herzen gemeint,
So daß alle die Zeit, die zu leben uns ferner beschieden,
Daure der innige Bund, der uns heute vereint!
(S. 127)

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Übersetzt von Paul Lewinsohn (1922)

Aus: Catull: Gedichte.
Deutsch von Paul Lewinsohn. Berlin: Pantheon-Verlag (1922)
 


 

 


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